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UmweltethikEthik des Essens

Nachhaltiger Genuss in christlich-ethischer Sicht

Vorspeise: Momente des Nachden­kens1Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht in: SMD-Transparent Nr 20, Juni 2017, Marburg: SMD, 2017. 

Essen ist Leben. Wir leben von dem, was uns von außen her zukommt, was wir in uns aufnehmen: Wir hören Gottes Wort, wir atmen frische Luft ein – und: wir essen und trinken. Manchen ethischen Fragen können wir aus dem Weg gehen, der Frage nach dem moralisch guten, dem nachhaltigen Essen jedoch nicht. 

Das Thema Essen ist aus der Gleichgültigkeitsnische herausgetreten. Vielen nachdenklichen Zeitgenossen brennt es unter den Nägeln. Wir setzen uns daher mit ihnen zu Tisch und erörtern in fünf (Gedanken-) Gängen Fragen wie diese: Was hat sich an unseren Essegewohnheiten, wie unsere Wahrnehmung von Lebensmitteln verändert? Welche Folgen hat das für die Umwelt? Dürfen wir Tiere bedenkenlos essen? Und an welchen biblischen Grundüberzeugungen sollte eine christliche Esskultur Maß nehmen? Da wird auch schon der erste Hauptgang aufgetragen: 

Erster Hauptgang: Erinnerung frühe­rer Zeiten

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Feuer benutzen und kochen kann. Er verfügt damit über die Fähigkeit und ist auch darauf angewiesen, sich seine Nahrung zuzubereiten. Ernährungsgewohnheiten und Tischsitten haben sich über die Jahrhunderte verändert, doch es gibt Konstanten: In Europa ist Brot seit jeher das Grundnahrungsmittel überhaupt, erst in der Neuzeit kamen Kartoffeln und Reis dazu. Der Fleischkonsum schwankte: Der Braten kam nur in höheren Kreisen (häufiger) auf den Tisch, während das ärmere Volk eher Suppe mit Stücken von weniger wertvollem Fleisch verzehrte. Bei wachsenden Bevölkerungszahlen wurde Fleisch ab dem 17. Jh. teurer und für die Mehrheit unerschwinglich. Frisches Fleisch gab es ohnehin nur in der Schlachtzeit vor Winterbeginn, ansonsten nur in geräucherter, getrockneter oder gepökelter Form. Die Mahlzeit galt von jeher als Zeit der Gemeinschaft. Das Essen war – und ist – eine gute Gelegenheit, Geselligkeit und Gastfreundschaft zu (er)leben.

Bis ins 19. Jh. hinein orientierte sich die tägliche Speisekarte am Rhythmus zweier Jahreskreise: Der eine war das Kalenderjahr. Gegessen wurde, was sich auf dem Markt oder im Garten fand, also die saisonal und regional typischen Lebensmittel. 

Kälteperioden, schlechte Ernten und oder Kriege wirkten sich dabei unmittelbar aus. Von der wohlhabenden Oberschicht abgesehen bedeutete das Leben für die meisten Menschen (z.T. harte) körperliche Arbeit bei (nicht immer) ausreichender, zudem wenig abwechslungsreicher Nahrung. Die Zubereitung des Essens bedeutete weitere Arbeit, die zumeist von Frauen geleistet wurde. Die soziale Schichtung war deutlich an dem ablesbar, was auf den Tisch kam. 

Der andere Rhythmus war durch das Kirchenjahr und die damit verbundenen öffentlichen Fastenzeiten vorgegeben: Insbesondere während der vierzig Tage vor Ostern sowie in der Adventszeit wurde gefastet, womit in der Regel der Verzicht auf Fleisch gemeint war. Zur Auflösung der Fastengebote trug nicht nur die Reformation bei, vielfach wurden die Fastenzeiten – auch in katholischen Gebieten – schlicht nicht eingehalten. 

Die christliche Tradition hat mit zwei – gegenläufigen – Impulsen auf die westliche Kultur des Essens eingewirkt. Der eine Impuls, der v.a. von Klostergemeinschaften ausging, liegt in der Betonung des Maßhaltens beim Essen (wogegen Völlerei als Laster galt). So formuliert die von vielen Orden übernommene Benedikt-Regel aus dem 6. Jh. folgende Weisungen: (1) Es genügen – außerhalb der Fastenzeiten – zwei Mahlzeiten pro Tag: eine um die Mittags-, die andere um die Abendstunde. (2) Die Hauptmahlzeit soll zwei gekochte Speisen, also die Möglichkeit der Auswahl, enthalten. (3) Die Zuteilung des Essens erfolgt unter Berücksichtigung der zu leistenden körperlichen Arbeit. (4) Rotes Fleisch (d.h. Fleisch von vierfüßigen Tieren) ist zu ver­meiden (und nur im Krankheitsfall vorgesehen). (5) Für einen Gast soll der Abt gegebenenfalls sein Fasten brechen und mit ihm speisen. Diese Bestimmungen sind bemerkenswert: Heutige Studien bestätigen gesundheitsfördernde Effekte sowohl für den Verzicht auf rotes Fleisch als auch für das „Morgenfasten“ (also die zeitliche Konzentration der Nahrungsaufnahme auf die ca. acht Stunden von Mittag- bis Abendessen). Auffallend ist zudem der hohe Wert, der der Gastfreundschaft zukommt. In Übereinstimmung mit einem Wort Jesu aß auch der sich vegetarisch ernährende Franziskus auf seinen Reisen, was ein Gastgeber ihm vorsetzte, auch wenn das Angebotene seinen eigenen Präferenzen widersprach.

Der andere Impuls der christlichen Tradition setzt einen gegenläufigen Akzent. Hier verband sich die Ablehnung des Vegetarismus mit der Verurteilung häretischer Gruppen. Wir finden diese Verknüpfung u.a. bei Augustinus (354-430), der nach seiner Be­kehrung den von ihm früher selbst vertretenen Dualismus (der Manichäer) bekämpfte. Die dualistische Abwertung des Leibes gegenüber dem Geist schloss bei vielen häretischen Gruppen die Ablehnung jeglichen Fleischgenusses ein. Ein Beispiel aus dem Mittelalter sind die Katharer, die einen asketischen, und das hieß auch: vegetarischen Lebenswandel pflegten. Der Inquisition diente konsequenter Vegetarismus dann auch als ein Indiz dafür, einer Irrlehre zu folgen. So konnte der Fleischgenuss – bei gleichzeitiger Beachtung der Fastenzeiten – quasi zum Ausweis von Rechtgläubigkeit  werden. Die Reformatoren schließlich sahen in den zahlreichen Fastenvorschriften der Katholischen Kirche den Ausdruck einer Werkgerechtigkeit, die der Lehre von der Rechtfertigung durch Glauben entgegenstand; Huldrich Zwingli leitete die Zürcher Reformation dann auch mit der Missachtung der Fastenzeit ein. Gerade unter evangelischen Christen dürfte dieser zweite Impuls die größere Breitenwirkung entfaltet haben. Der Verzehr von Fleisch aller Art gilt weithin als unbedenklich, auch wenn seit dem 19. Jh. christlich-vegetarische Strömungen an Zulauf gewonnen haben. Das macht Freude auf den nächsten Gang.

Zweiter Hauptgang: Eine kleine The­ologie des Essens 

Als Gott die Welt erschafft, setzt er den Menschen in einen fruchtbaren Garten. Der Mensch ist als Ebenbild Gottes dessen Repräsentant auf Erden und mit der Fürsorge für die Schöpfung betraut. Im Genießen der Schöpfungsgaben soll er die Güte Gottes, am Baum der Erkenntnis von Gut und Böse das Gebot Gottes erfahren. Dabei fällt auf, dass die differenzierte Zuteilung der Nahrung an Mensch und Tier ohne Blutvergießen auskommt (vgl. Gen 1,29-30). Der Grund für den paradiesischen Vegetarismus liegt im Respekt vor dem Leben, über das der Mensch kein freies Verfügungsrecht erhält (vgl. Gen 9,6). Auch wenn sich eine vegetarische Stufe in der Entwicklungsgeschichte des Menschen nicht aufweisen lässt, macht diese Geschichte „hinter“ der Geschichte doch deutlich: Der Mensch gedeiht, wenn er nach Gottes Willen genießt, gestaltet und zugleich gesetzte Grenzen respektiert. Als Geschöpf muss er sich seine Existenz nicht selbst sichern, denn der Schöpfer versorgt ihn. Der Mensch ist als Verwalter einerseits vor seiner natürlichen Lebenswelt ausgezeichnet, er ist andererseits durch die Arbeit wie durch die Weitergabe des Lebens mit ihr verbunden, so dass die ganze Schöpfung im Lobpreis Gottes zusammenfindet (Ps 98). 

Dass der Sündenfall mit dem unerlaubten Essen der Frucht vom Baum in der Mitte des Gartens in Verbindung gebracht wird (Gen 3), zeigt die Gefährdung, die selbst in elementaren Lebensvorgängen wie dem Essen liegt. Wenn über der Gabe der Geber und Gebieter vergessen wird, kann, was verlockend aussieht, ein nicht mehr beherrschbares Verlangen wecken. Essen kann Gemeinschaft stiften, es kann aber auch Ausdruck verzehrender Selbstsucht sein. „Jenseits von Eden“ ordnet Gott die Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt neu. Gott gestattet dem Menschen neben den Pflanzen auch Tiere zu essen (Gen 9,3), ohne dass sich daraus ein freies Verfügungsrecht über das Tier ableiten ließe: Die Tötung eines Tieres muss als rituelle Schlachtung vollzogen, das Blut darf nicht verzehrt werden. Gott schließt zudem ausdrücklich die Tiere in den Noah-Bund ein (Gen 9,10) und gibt in der Tora Israel zahl­reiche Weisungen für den achtsamen Umgang mit Tieren sowie zur Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren. Die theologischen Implikationen sind deutlich: Die Tötung eines Tieres zu Nahrungszwecken ist, wie Karl Barth es formuliert, „eigentlich nur möglich als ein im Tiefsten ehrerbietiger Akt der Buße, der Danksagung, des Lobpreises“ gegenüber dem Schöpfer (KD III/4, 403). Für Israel gibt es kaum Fleisch ohne das Opfer, das Gott dargebracht wird. Die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren (deren Deutung bis heute strittig ist) begrenzt zudem die Verfügbarkeit des zum Verzehr möglichen Fleisches. Der Bundesschluss macht schließlich deutlich, dass die Tiere in das Reich der moralischen Zwecke eingeschlossen sind. In heutiger Sprache gesagt: Sie sind zwar keine „moral agents“, aber doch „moral patients“, deren Behandlung durch den Menschen Gott nicht gleichgültig ist (vgl. Spr 12,10). 

Auch die Befreiung aus den zerstörerischen Bindungen und unbeherrschten Regungen der Sünde illustriert das Neue Testament mit dem Vorgang des Essens, wenn es davon spricht, dass im Glauben Jesus als das Brot des Lebens (Joh 6,48) aufgenommen wird. In seltener Verschränkung der Bilder identifiziert Jesus dieses Brot, „das vom Himmel kommt“ mit seinem „Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt[!]“ (Joh 6,51). Er erinnert daran, dass wer ihn aufnimmt, in eine bleibende Gemeinschaft eintritt, womit die ernährungsphysiologische Metapher gesprengt wird: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“ (Joh 6,56). Damit interpretiert Jesus eine Praxis, die seinem irdischen Weg ihr besonderes Gepräge gegeben hat. Gemeint sind die Mahlzeiten, in denen Jesus als Gast zum Gastgeber wird, bis hin zum letzten Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern feiert, bevor er am Kreuz seine Ganzhingabe vollendet. 

Das Neue Testament erweckt nicht den Eindruck, Jesus sei Vegetarier gewesen. Jesus wusste zu feiern (Joh 2,1ff.) und blieb auch die Begründung dafür nicht schuldig (Mk 2,18ff.). Doch im Feiern wie im Fasten geht Jesus dem Kreuz entgegen. Sein stell­vertretendes Sterben ändert das „Leben der Welt“, hat Konsequenzen also auch für die Tiere: Darin, dass Jesus sein Leben opfert, kommt der Opferkult an sein Ende – ein Opferkult, der jedes Jahr tausende Tiere ihr Leben kostete. Der von den Propheten ver­heißene Tierfrieden (Jes 11,6f.) bricht darin an, dass Tiere nun nicht länger für die Sünden der Menschen ihr Blut vergießen müssen. Dieser Vision entsprechend kommt auch das Abendmahl ohne Blutvergießen aus. Es wird mit Brot und Wein gefeiert, weil das Blut des neuen Bundes, der den Zugang zum Vater eröffnet, bereits vergossen ist. Wo das Abendmahl – wie der Apostel Paulus mahnt – nicht neue Schranken aufrichtet, weil Speisevorschriften oder unsoziales Verhalten die geschenkte Einheit verdunkeln, da wird das eucharistische Essen und Trinken zum Vorgeschmack auf das himmlische Festmahl, das als sprechen­des Bild für die Vollendung der Gemeinschaft mit Gott verwendet wird (Offb 19,7). 

Halten wir fest: Durch das Essen vom Baum der Erkenntnis ist der Mensch gefallen, im Essen vom Brot des Lebens feiert er die wieder hergestellte Gemeinschaft mit Gott. Darin liegt der tiefste Sinn der Gemeinschaft, die in einer Mahlzeit Ausdruck findet. Weil nun alle Dinge „von ihm und durch ihn und zu ihm sind“ (Röm 11,36), daher weist jede Tischgemeinschaft über sich hinaus auf die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge, in die sie eingebunden ist. Diese Zusammenhänge kündigen sich mit dem nächsten Gang schon an. 

Dritter Hauptgang: Die wirtschaftli­che und ökologische Einbettung des Essens 

Nie zuvor in der Geschichte war dem hiesigen Durchschnittsbürger sein Essen so fremd wie heute. Mehrere Faktoren haben diese Entwicklung beeinflusst. Zu nennen sind die Verstädterung, die Industrialisierung der Herstellungsprozesse sowie die Konzentration des global organisierten Nahrungsmittelvertriebs auf große Handelsketten, auf die Produzenten wie auch Konsumenten angewiesen sind. Was auf den Tisch kommt, ist unter Bedingungen produziert worden, die allein der Logik der Effizienz und Gewinnmaximierung verpflichtet sind. 

Das Problem dabei liegt in der fehlenden Nachhaltigkeit. Zwar stimmt es, dass Nahrungsmittel inzwischen sehr preisgünstig hergestellt und vermarktet werden können und der Anteil des Einkommens, der in Deutschland für Lebensmittel aufgewendet werden muss, historisch niedrig ist. Allerdings sind Lebensmittel nie einfach nur Ware, denn ihre Herstellung ist auf das Engste mit den natürlichen Lebensgrundlagen verbunden. Wirtschaftliche Erwägungen brauchen den ethischen Rahmen der Bewahrung dieser Grundlagen, damit auch kommende Generationen (gut) leben können. Doch der allein nach der Logik der Effizienz organisierte Markt tendiert dazu, dass infolge der Ausbildung von Monokulturen (z.T. ganzer Staaten) die weltweiten Boden- und Wasserressourcen überbean­sprucht werden, sich die genetische Artenvielfalt verringert und es zu artwidrigen Praktiken der Tierhaltung kommt, bei der Tiere nur noch als Produktionseinheiten wahrgenommen werden. 

Dass der alltägliche Konsum von (billigem) Fleisch möglich ist, ist eine Folge der „lifestock revolution“ der 1960er Jahre. Sie ging mit dem Bau neuer Bewässerungssysteme und leistungsfähigerer Maschinen sowie dem Einsatz neuer Technologien in Tier­zucht, Tierhaltung und Schlachtung einher. Die industrielle Fleischproduktion vermag billiges Fleisch zu produzieren, weil Tiere artwidrig auf engstem Raum gehalten und in kürzester Zeit zur Schlachtreife gebracht werden. Um von widrigen Umweltbedingungen unabhängig zu werden und Krankheiten zu verhindern, ist der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden (bei Pflanzen) sowie Antibiotika (bei Tieren) unverzichtbar geworden. Heute stagniert der Fleischverbrauch in den Industrieländern auf sehr hohem Niveau (EU: 93 kg pro Kopf pro Jahr). Doch wir zahlen für billiges Fleisch einen hohen Preis. Der hohe Ausstoß von Treibhausgasen, für den die Massentierhaltung stärker verantwortlich ist als der Straßenverkehr, trägt zum Klimawandel bei; die Landwirtschaft verbraucht 70 % der weltweit vorhandenen Süßwasserreserven, und der systematische Einsatz von Antibiotika an Tieren führt zu einer wachsenden Wirkstoff-Resistenz beim Menschen. 

Kann es Christen gleichgültig lassen, wenn Genuss Gewalt an den natürlichen Lebensgrundlagen bedeutet? Wenn sie zwar Gott als Herrn der Geschichte bekennen, sie mit ihren Gewohnheiten und Nahrungsvorlieben aber selber den Schlussstrich unter diese Geschichte ziehen?

Dessert: Eine kleine Ethik des Essens 

Der Appetit ist einigen am Tisch jetzt erst einmal gründlich vergangen. Wir lassen das Dessert heute einpacken, weil wir es ohnehin mit – in den Alltag – nehmen wollten. Was folgt aus den soweit entwickelten Gedankengängen? 

(1) Lebensmittel als Gabe: Nach christlicher Sicht macht es einen Unterschied, ob das Essen „Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“, d.h. als gute Gabe Gottes, oder als jederzeit schnell verfügbare, kostengünstige Ware angesehen wird. Mit Dankbarkeit kann nur die Gabe empfangen werden, weil bei der reinen Ware der Geber als Adressat des Dankes entfällt. Nahrungsmittel können sehr wohl als Gabe und Ware verstanden werden, die Frage ist, ob die theologische oder die ökonomische Perspektive leitend ist. Wer Gott für Lebensmittel dankt, der wird frei von dem Zwang, das „gute Leben“ für selbst sichern zu wollen, welchen Preis andere Menschen oder die Natur dafür auch zahlen mögen. Wenn Jesus die Himmelsgabe für das „Leben der Welt“ ist, dann kann Christen diese Welt samt der in ihr vorherrschenden Herstellungs- und Handelsbedingungen nicht gleichgültig sein.

(2) Maßhalten als Tugend: Für den Verzicht auf bestimmte Produkte wie z.B. Fleisch aus Massentierhaltung lassen sich gute Gründe angeben: Wer auf etwas zu verzichten lernt, bezeugt damit, dass für ein Leben in Fülle Gott genug ist. Wer ver­zichten kann, entlarvt die Logik des „immer mehr“ als Betrug und übt sich in Selbstdisziplin, die den Charakter reifen lässt. Wer einfacher lebt, ermöglicht es anderen, auch zukünftigen Generationen, überhaupt zu leben. Maßhalten ist kein Weltverbesserungsrezept, sondern wer sich beim Essen beschränkt, öffnet sich für die Wirklichkeit Gottes, der durch seine  Kinder in dieser Welt wirken will. Wer sein Essen bewusster – und das heißt m.E. saisonal, regional, ökologisch sensibel – einkauft, der aner­kennt, dass die Logik der Effizienz nicht alles ist, wenn es ums Essen geht. 

(3) Glauben und Handeln: Wer als Christ nach dem moralisch guten Essen fragt, der will damit keine neue Religion oder Weltanschauung begründen. Es geht einfach um die Frage, ob vom Tisch des Herrn, in dessen Gaben Jesus sich schenkt, etwas für unseren täglichen Mittagstisch abfällt, oder ob beide unverbunden bleiben. Die Frage nach dem nachhaltigen Konsum, nach Vegetarismus oder überhaupt der Verwendung von Tierprodukten, wie Veganer sie stellen, ist keine „Glaubensfrage“, sie gehört nicht zum „Letzten“ (D. Bonhoeffer), weil unser Heil nicht an ihr hängt. Sie ist aber auch nicht gleichgültig, weil gedankenloses Handeln von Christen anderen Menschen den Weg zum Heil erschweren kann. Wie glaubwürdig sind Christen, die den Herrn dieser Welt feiern, denen aber die von ihm im Dasein gehaltene Welt egal ist? Wer Fragen des Essens in den ersten Rang einrückt, erklärt eine bestimme Lebensweise zum neuen Gesetz. Ein Gesetz wird aber andere kaum dazu motivieren, sich der Frage zu stellen, was sie in ihrem Leben ändern sollten, um nachhaltiger zu konsumieren und zu leben. Umgekehrt sollten Christen, die auch in ihrer Ernährungsweise Jesus ehren und bezeugen wollen, weder abfällig belächelt noch unter Verdacht gestellt werden, in Wirklichkeit glaubensfremde Ziele zu verfolgen.

(4) Der Wechsel von Feiern und Fasten: Wer den christlichen Glauben mit radikaler Askese identifiziert, verleugnet den Wechsel von Feiern und Fasten, der für das irdische Leben Jesu so markant war. Wird einseitig die asketische Dimension der Chris­tus-Nachfolge betont, sind vielleicht die gerade vorherrschenden Ideale von Schönheit, Schlankheit und Fitness bestimmender geworden als das Evangelium. Christlicher Glaube lebt im Wechsel von Feiern und Fasten. Es braucht beides, denn wir haben allen Grund, die Güte des Schöpfers zu feiern, wir haben aber auch allen Grund, uns die Not dieser Welt nicht gleichgültig sein zu lassen. Gottes Liebe zur Welt geht auch durch unseren Magen. Wie üppig der Tisch auch gedeckt sein mag, bei der Tischge­meinschaft geht es im tiefsten Sinn um genau dies: Gemeinschaft zu erleben. Das Essen soll etwas Verbindendes sein, nicht Trennendes vertiefen. Es hat daher seinen guten christlichen Sinn, bei Einladungen zu Tisch (außer bei medizinischer Indikation) der Weisung Jesu an seine Jünger folgen: „Esst, was euch vorgesetzt wird“ (Lk 10,8). 

© 2018 Institut für Ethik & Werte

Prof. Dr. Christoph Raedel

Prof. Dr. Christoph Raedel

Endnoten

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    Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht in: SMD-Transparent Nr 20, Juni 2017, Marburg: SMD, 2017. 

Bibliografie

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