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RechtsethikMenschenrechte

Moderne Sklaverei und Menschenhandel

Eine ethische Antwort auf einen unbeachteten Skandal

I. Einleitung

„Mir erschien die Verderbtheit des Sklavenhandels so enorm, so furchtbar und nicht wiedergutzumachen, dass ich mich uneingeschränkt für die Abschaffung entschieden habe. Mögen die Konsequenzen sein, wie sie wollen, ich habe für mich beschlossen, dass ich keine Ruhe geben werde, bis ich die Abschaffung des Sklavenhandels durchgesetzt habe.“ Diese Kampfansage gegen die europäische Sklaverei stammt von dem englischen Politiker Willam Wilberforce (1759-1833). Sie führte zum Erfolg: Das britische Unterhaus verabschiedete 1807 ein Gesetz gegen den kolonialen Sklavenhandel. Wenig später zogen die anderen europäischen Länder und die USA nach. 

Auf diese Ereignisse schauen wir heute mit Bewunderung zurück. Aber sie gehören für uns in der Regel der Vergangenheit an. Heute ist alles anders, könnte man meinen. Sklaverei im 21. Jahrhundert? Eigentlich kein großes Problem mehr, schon gar nicht in der westlichen Welt, die doch auf dem Fundament der Aufklärung steht, d.h. auf den gesellschaftlichen Grundkonstanten von Menschenrechten, Demokratie und individueller Freiheit. 

Leider sieht die Realität anders aus: Schätzungen zufolge gibt es heutzutage 27-30 Millionen Sklaven.1„Über 30 Millionen“ (Batstone, Not For Sale, S. 1); „27 Millionen“ (Bales, Modern Slavery, S. 18); „28,4 Millionen“ (Kara, Sex Trafficking, viv) Zu keinem einzigen Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte war die Zahl so hoch wie heute. Und diese Zahl entspricht in etwa der Gesamtzahl aller Sklaven, die während des 350jährigen atlantischen Sklavenhandels von den Europäern aus Afrika verschifft wurden.2Vgl. Bales, Modern Slavery, vii.  Menschenhandel gehört neben dem Drogen- und Waffenhandel zu den lukrativsten Verbrechen der Welt. Jedes Jahr verdienen Kriminelle insgesamt ca. 90 Mrd. Dollar am Handel mit Menschen.3Kara schätzt den Gewinn auf 152,3 und den Umsatz auf 91,2 Milliarden Dollar (vgl. Sex Trafficking, S. 22).  

Menschenhandel ist dabei ein globales Problem, auch ein Problem der westlichen Welt. 2006 berichtete das BBC, dass auf dem Londoner Flughafen Heathrow osteuropäische Frauen für umgerechnet 15.000 US-Dollar verkauft wurden.4Vgl. Shelley, Human Trafficking, S. 1.  Auch die deutschen Medien sind auf Menschenhandel aufmerksam geworden. Am 16.12.12 behandelte Günter Jauch im Rahmen seiner ARD-Talkshow das Thema „Zwangsprostitution“ in Deutschland. Nur einen Monat später zeigte die ARD den aufwühlenden Spielfilm „Operation Zucker“, der die schockierende Realität der Zwangsprostitution von illegal eingeschleusten, osteuropäischen Kindern in Berlin aufzeigt. 

Menschenhandel und die damit zusammenhängende Versklavung von Individuen sind eines der schwersten Verbrechen der Welt. Merkwürdigerweise sind es Delikte, denen trotz der erwähnten Dokumentationen insgesamt verhältnismäßig wenig Beachtung geschenkt wird, weder von Normalbürgern, Medien oder Politikern. Dieses auffällige Missverhältnis stellt auch Thomas Schirrmacher fest, Sprecher für Menschenrechte der Weltweiten Evangelischen Allianz:

„Es gibt kein anderes Schwerverbrechen, das so wenig verfolgt, gesetzlich so nebensächlich behandelt und so lässig von Gerichten bestraft wird […] Es ist in Deutschland weniger riskant, Menschen zu versklaven, als bei Rot über die Ampel zu fahren.“

Schirrmacher, Menschenhandel, 10f. 

Würde William Wilberforce heute leben, würde er wohl genauso wie damals mit Leib und Seele gegen den globalen Menschenhandel kämpfen. Die Motivation wäre für ihn dieselbe: Weil er Christ war. Seine Empörung lässt sich auf seine Überzeugung zurückführen, dass Menschenhandel  und Sklaverei zutiefst gegen Gottes Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens verstoßen und deswegen abgeschafft werden müssen. Wilberforce ist für alle heute lebenden Christen ein großes Vorbild, weil er für Gottes Gerechtigkeit und das Wohl vieler Menschen kämpfte. Ihm waren das unsägliche Leid der Opfer des Sklavenhandels und das öffentliche Desinteresse an unzähligen Menschenrechtsverletzungen nicht gleichgültig. 

Dieser Artikel ist eine Antwort auf die Gleichgültigkeit angesichts des katastrophalen Ausmaßes des globalen Menschenhandels. Es ist die Pflicht von Kirche und Christenheit, als Fürsprecher für die 30 Millionen ausgebeuteten Menschen unserer Welt einzutreten. 

Die Dringlichkeit dieses Anliegens wird erst dann deutlich, wenn die nötigen Informationen über die aktuelle Verbreitung und Praktiken von Menschenhandel und Sklaverei vorliegen und diese anhand der christlichen Ethik bewertet werden. Deswegen geht es im ersten Teil dieser Dokumentation um das Wahrnehmen wichtiger Daten und Fakten zur aktuellen Lage und im zweiten Teil um eine Bewertung von Menschenhandel und Sklaverei aus biblisch-ethischer Sicht. Das sich daraus ergebene Problembewusstsein soll den Leser anschließend zu aktivem Handeln motivieren. Die Möglichkeiten dafür werden im dritten Teil angedeutet. 

II. Sklaverei und Menschenhandel heute: Wichtige Daten und Fakten

Definition(en) 

Zunächst ist eine Begriffsklärung erforderlich, weil Worte wie „Menschenhandel“ und „Sklaverei“ in der öffentlichen Diskussion oftmals ohne genaue Trennschärfe benutzt werden. Dies führt häufig zu „Verwirrung“, wie Kara anmerkt.5Kara, Sex Trafficking, S. 4.  Die international bedeutsamste und wichtigste Definition von „Menschenhandel“ ist das sog. Palermo-Protokoll der UN, das 2000 verfasst wurde und 2003 in Kraft trat. 117 Staaten haben es bisher unterschrieben. Dem Protokoll nach „bezeichnet der Ausdruck ‚Menschenhandel‘ die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen.“6Vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 24; Cacho, Sklaverei, S. 335.  An dieser Definition wird von einigen kritisiert, dass sie Dinge wie Sklaverei im häuslichen Bereich oder Zwangsverheiratung nicht miteinschließe, sowie nur Zwangsprostitution verurteile, aber nicht die Käuflichkeit von Sex an sich. „Aber aufs Ganze gesehen war die Definition und ihre internationale Übernahme ein großer Fortschritt“ (Schirrmacher, Menschenhandel, S. 25). 

In dieser Definition ist nicht eindeutig geklärt, ob der Begriff „Menschenhandel“ sowohl die Anwerbung und den Transport von Menschen als auch die Ausbeutung derselben miteinschließt. Nur wenn auch letzteres gilt, schließt Menschenhandel auch Sklaverei ein, die Bales folgendermaßen umschreibt: „Sklaverei kann […] definiert werden als Verhältnis, bei dem eine Person durch eine andere Person kontrolliert wird, und zwar mittels Gewalt, der Androhung von Gewalt oder psychologischen Drucks. Die kontrollierte Person hat keinen freien Willen und keine Bewegungsfreiheit, sie wird wirtschaftlich ausgebeutet und ihr wird nichts über ihre Grundbedürfnisse zum Überleben hinaus gezahlt.“7Bales, Modern Slavery, S. 31. 

Bales plädiert dafür, die Begriffe „Menschenhandel“ und „Sklaverei“ zu trennen.8So auch Kara (vgl. Sex Trafficking, S. 5).   Menschenhandel steht für ihn in Abgrenzung zu obiger Definition von Sklaverei für „einen Mechanismus oder Kanal, der Menschen in die Sklaverei bringt. Es handelt sich um einen Prozess der Versklavung, nicht um […] das Ergebnis des Prozesses.“9Bales, Modern Slavery, S. 35.  Die Phänomene Sklaverei und Menschenhandel müssen also eigentlich gesondert betrachtet werden. Da Menschenhandel nur einen kleinen Ausschnitt der globalen Sklaverei darstellt (2,5 Millionen Menschen sind Sklaven durch Menschenhandel), würde eine Beschränkung auf das Thema Menschenhandel nur einen Teil der größten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit umfassen. Auf der anderen Seite ist es aber vor allem der Menschenhandel, der die westliche Welt betrifft, weil die meisten Sklaven in Europa und den USA durch Menschenhandel in diesen Stand gekommen sind. Aufgrund der Relevanz sowohl einer globalen Perspektive der Sklaverei als auch einer eher lokalen Perspektive des europäischen Menschenhandels sollen im Folgenden beide Perspektiven berücksichtigt werden. 

Sklaverei/Menschenhandel früher und heute 

Sklavenhandel und -haltung sehen heute anders aus als zur Zeit des Kolonialismus, wenngleich die Behandlung der Sklaven und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen ähnlich waren. Die wichtigsten Unterschiede sind folgende: - Menschenhandel geschieht heute im Verborgenen. Weil er „heute fast überall unter Strafe“ steht, findet Menschenhandel „deshalb im Verborgenen statt“,10Arlacchi, Ware Mensch, S. 19.  während er früher von den Imperialstaaten als legales Mittel zur wirtschaftlichen Bereicherung des eigenen Landes angesehen wurde. 

  • Im Vergleich zu früher ist Sklaverei und Menschenhandel heute  auf allen Teilen der Erde sehr ähnlich geartet. Tatmittel (Gewalt, Betrug, Täuschung etc.) und Tatzweck (Ausbeutung) sind mehr oder weniger überall auf der Welt gleich. Menschenhandel ist in vielschichtiger Weise auf dem ganzen Globus vernetzt. 
  • Die Länge der Sklavenhaltung hat abgenommen. In der Vergangenheit war Sklaverei meist ein lebenslanger Zustand; heute dauert er manchmal nur ein paar Jahre oder Monate. 
  • Rassenunterschiede spielen keine Rolle mehr, sondern nur das „wirtschaftliche Potential“ der Sklaven

Die letzten vier Unterschiede hängen stark zusammen und haben mit der schnellen Austauschbarkeit von Personen im Kontext des gegenwärtigen Menschenhandels zu tun. Sklaven werden heute so billig wie noch nie angeboten. Um 1850 kostete ein durchschnittlicher Feldarbeiter 1.000-1.800 US-Dollar, das entspricht heute 20.000-40.000 Dollar. Ein vergleichbarer Arbeiter kostet heute im Durchschnitt weniger als 100 Dollar. In bestimmten Teilen der Welt werden Menschen sogar für 10 Dollar verkauft. Der Grund für den „gefallenen Marktpreis“ für Sklaven ist ein verschobenes Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Heute gibt es einen „Überfluss“ an verfügbaren Sklaven. „Das bedeutet, dass sie wenig wert sind und somit einen hohen Profit bringen, weil ihre Arbeitsfähigkeit nicht mit dem Preis gefallen ist.“11Bales, Modern Slavery, S. 29.  Sie sind „Wegwerfartikel“.12Skinner, Menschenhandel, S. 237.  Hier noch einmal die wesentlichen Unterschiede zwischen früherer und heutiger Sklaverei im Überblick:13Vgl. Bales, Modern Slavery, S. 28. 

„Alte“ Sklaverei„Neue“ Sklaverei 
Sklaverei nicht globalisiertGlobalisierte Sklaverei 
Legal und deswegen öffentlich Illegal und deswegen im Verborgenen
Langfristiges Verhältnis Kurzfristiges Verhältnis
Ethnische Unterschiede wichtigEthnische Unterschiede unwichtig
Hoher AnschaffungspreisSehr niedriger Anschaffungspreis
Geringer Gewinn Sehr hoher Gewinn 
Knappheit an potentiellen SklavenÜberfluss an potentiellen Sklaven
Sklaven werden lange gehaltenSklaven schnell austauschbar

Es lässt sich ein weiterer Unterschied zwischen früher und heute ergänzen, und zwar hinsichtlich der Form von Sklaverei. Die „alte“ Sklaverei war in erster Linie „Besitz-Sklaverei“: Hier werden Menschen als Eigentum des Sklavenhalters angesehen, die entweder durch Gefangennahme, Geburt oder Verkauf in diesen Zustand gelangen. In der Regel gibt es eine offizielle Besitzurkunde. Diese Art findet sich zwar auch noch heute, am häufigsten in Nord- und Westafrika, sie stellt im Vergleich zu anderen Formen der Sklaverei aber nur einen sehr kleinen Teil dar. 

Am meisten verbreitet ist heute die Sklaverei durch Schuldknechtschaft: Bei dieser Art werden Menschen zu Zwangsarbeit genötigt, und zwar mit dem Hinweis, dass sie Schulden abbezahlen müssten, z.B. für die Familie, Reisekosten, Ausweispapiere usw. Diese Schulden sind in der Regel so hoch, dass sie niemals zurückgezahlt werden können, was beispielsweise darauf zurückzuführen ist, dass sie erfunden wurden oder durch viel zu hohe Zinsen zustande kommen.14Vgl. ebd., S. 33.  

Statistiken

Sklaverei

Bales spricht von etwa 27 Millionen Sklaven, die es zurzeit auf der Welt gibt.15Vgl. ebd., S. 18.  Die meisten davon, etwa 15-20 Millionen, leben in Südasien, vor allem in Indien. Obwohl Indien offiziell der größte demokratische Staat ist, leben mindestens 10 Millionen Menschen in Sklaverei. In der Regel befinden sich diese Menschen in Schuldknechtschaft und arbeiten meistens in Ziegelbrennereien, Reisfabriken, in der Landwirtschaft, in Steinbrüchen, Feuerwerksproduktionen und in Kleidungsfabriken.16Vgl. ebd., S. 19. 

Eine große Anzahl von Sklaven gibt es auch in Südostasien, Nord- und Westafrika und in Teilen von Südamerika.17Beispiele dafür, veranschaulicht an Einzelschicksalen, finden sich in Skinners bewegendem Buch Menschenhandel: Sklaverei im 21.Jahrhundert. Vgl. auch Batstone, Not For Sale, S. 19-136, 183-210. Eine der schlimmsten Formen von Sklaverei findet man in der Dominikanischen Republik.  Dort arbeiten etwa 1 Million Haitianer auf Zuckerplantagen.18Schirrmacher, 53. 

Die Sklavenhalter sind laut der Internationalen Arbeiterorganisation der UNO (ILO) zu 80% Privatpersonen und zu 20% staatliche oder militärische Gruppen. In Lateinamerika, Asien, Afrika und dem Mittleren Osten ist die häufigste Form der Ausbeutung die Zwangsarbeit für wirtschaftlichen Profit, der Anteil liegt bei etwa 90%, während die sexuelle Ausbeutung 10% ausmacht. In den USA und den westlichen Staaten Europas ist das Verhältnis umgekehrt: Hier dominiert die sexuelle Ausbeutung (75%) über die Ausbeutung durch Zwangsarbeit (25%).19Vgl. Bales, Modern Slavery, S. 19. 

Von den 27 Millionen Sklaven sind fast ein Drittel Kinder. Die ILO schätzt, dass sich derzeit um die 8,4 Millionen Kinder in Schuldknechtschaft und Leibeigenschaft befinden. Davon verrichten 5,7 Millionen Zwangsarbeit (davon allein 500.000 in Pakistans Teppichindustrie), 1,8 Millionen werden für Prostitution und Pornographie ausgebeutet, 600.000 für illegale Geschäfte und 300.000 werden als Kindersoldaten in Kriegsgebieten eingesetzt.20Vgl. ebd., S. 20. 

Menschenhandel

Laut Bales sind 2,5 Millionen Menschen Sklaven aufgrund von Menschenhandel. Offiziell ist Menschenhandel in 175 Ländern der Erde dokumentiert.21Vgl. Cacho, Sklaverei, S. 19.  Shelley merkt an: „Jeder Kontinent der Welt ist involviert, und sogar so ein kleines und isoliertes Land wie Island, mit einer Bevölkerung von 250.000, verzeichnet Fälle von Menschenhandel.“22Shelley, Human Trafficking, S. 2.  

Ein Großteil der Opfer von Menschenhandel wird als „Sexsklaven“ verkauft. Cacho geht von der Zahl 1,4 Millionen aus, „überwiegend Frauen und Mädchen […]. Sie werden gekauft, verkauft, und weiterverkauft, wie Rohstoffe der Industrie, wie Trophäen, wie Opfergaben oder wie gesellschaftlicher Müll.“23Cacho, Sklaverei, S. 20.  Laut Kara sind es insgesamt 1,2 Millionen Frauen und Kinder, die als Sexsklaven auf der ganzen Welt arbeiten.24Vgl. Kara, Sex Trafficking, x. 

Etwa 800.000 Opfer des Menschenhandels werden über internationale Landesgrenzen gebracht, davon sind 80% Frauen und 50% Kinder.25Vgl. Bales, Modern Slavery, S. 36.  Erschreckenderweise sind die Industrienationen Westeuropas und die USA hier nicht ausgenommen, vor allem mit Blick auf die Sexindustrie. Laut der US-Regierung werden jedes Jahr 14.000-17.500 Menschen als Sklaven in die USA verschleppt.26Vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 53.  Die europäische Polizeibehörde Europol schätzt, dass man unter den 500.000 illegalen Einwandern in die EU27Vgl. Shelley, Human Trafficking, S. 204.  von etwa 100.000 Opfern von Menschenhandel ausgehen könne.28Vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 13. In der Diskussion werden weit höhere Zahlen genannt. So beruft sich Huland auf „Schätzungen von 500 000 Frauen, die pro Jahr in die Europäische Union gehandelt werden“ (Frauenhandel in Deutschland, 229; so auch Marcovich, „Frauenhandel“, S. 345).    Laut der UNO sind die Länder Belgien, Deutschland, Griechenland, Italien und die Niederlande primäre Geschäftsfelder für Menschenhändler. Österreich, Dänemark, Frankreich und Spanien stehen an zweiter Stelle.29Vgl. Shelley, Human Trafficking, S. 205. 

In Westeuropa gibt es „fast jede Form von Menschenhandel“:30Vgl. ebd., S. 210.  Neben der häufigsten Form der Zwangsprostitution von Frauen  gibt es zudem den Handel mit Kindern, (allein in Belgien sind aktuell 1.000 Fälle bekannt)31Vgl. ebd., S. 212.  und den Handel von Männern, wie Fälle von Opfern aus Bulgarien und Rumänien auf den Straßen von deutschen Großstädten zeigen.32Vgl. ebd., S. 217.  In Italien mehren sich die Fälle von Minderjährigen, die als Organlieferanten aus Bulgarien, Rumänien und Moldavien geholt und verkauft werden.33Vgl. Kara, Sex Trafficking, S. 89.  Fälle von Zwangsarbeit, vor allem in der Landwirtschaft, sind ebenfalls dokumentiert, am häufigsten in Großbritannien, Italien, Spanien und Griechenland.34Vgl. Shelley, Human Trafficking, S. 218. 

Für Deutschland werden jedes Jahr nur wenige Fälle von Menschenhandel bekannt, die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich viel höher. Für das Jahr 2009 sind 710 Fälle von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung bekannt, dabei handelt es sich in 20% der Fälle um minderjährige Opfer. Die meisten Opfer stammten aus dem europäischen Raum (86%), vor allem aus Rumänien und Bulgarien.35Vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 15. 

Gründe 

Die Gründe für das Anwachsen von Sklaverei und Menschenhandel in der gegenwärtigen Welt sind vielschichtig und komplex. Daraus lassen sich fünf Hauptgründe herausgreifen:  

  1. Globalisierung: Menschenhändler können über die durch die Globalisierung entstandenen einfachen Kommunikationswege innerhalb eines internationalen kriminellen Netzes operieren. Diese Wege begünstigen zudem den einfachen Kontakt zwischen Händler und „Kunden“, die beispielsweise schnell und anonym über Email, Chatrooms oder SMS kommunizieren können. Darüber hinaus steht Menschenhändlern ein Verkehrsnetz zur Verfügung, über das Menschen von fast jedem Ort der Erde relativ kostengünstig zu einem beliebig anderen Ort gelangen können, wenn auch über verschiedene Zwischenstationen, um das eigene kriminelle Vorgehen zu verdecken. Die Routen, die Menschenhändler benutzen, „können gewunden und bizarr sein, mit unzähligen Umwegen und Zwischenstationen. Die Route von China in die Vereinigten Staaten kann über Südostasien, Afrika und Lateinamerika führen.“36Naim, Schwarzbuch, S. 126.  Oft sind komplizierte Umwege gar nicht nötig, weil Grenzkontrollen im Vergleich zu früher abgenommen haben, die Öffnung der Grenzen innerhalb der EU ist ein gutes Beispiel dafür.37Vgl. Shelley, Human Trafficking, S. 42. 
  2. Armut: Die entscheidende Ausgangsbedingung dafür, dass Menschen sich in Sklaverei befinden bzw. begeben, ist existentielle Armut. Diese Armut wird brutal ausgenutzt. Vermeintliche Jobvermittler, hinter denen sich in Wirklichkeit Personen eines Menschenhändlerrings verstecken, verfolgen gerne die Taktik, dass sie armen Menschen Hoffnung auf ein besseres Leben machen, wenn sie mit ihnen in ein anderes Land reisen, z.B. aus Ost- nach Westeuropa. Manchmal wird diese Hoffnung noch verstärkt, wenn die Menschenhändler sich gegenüber gutaussehenden Frauen als Partner ausgeben, mit denen man in einem reicheren Land glücklich werden könnte („lover-boys“). Armut ist auch meistens der Grund dafür, dass Eltern ihre Kinder verkaufen. Entweder, um selbst finanziell entlastet zu sein, oder in der Hoffnung, dass das ihnen gemachte Versprechen, ihre Kinder würden eine Schulbildung bekommen und es werde ihnen besser gehen, eingehalten wird.38Vgl. Kara, Sex Trafficking, S. 7f.  In Entwicklungsländern wird die Armut der Menschen oftmals insofern ausgenutzt, als ihnen ein Arbeitsvertrag angeboten wird, der ihnen Anstellung in einem Betrieb oder einer Fabrik verspricht. Doch wenn sie die Stelle antreten wollen, werden sie versklavt. Diese Form von Sklaverei wächst derzeit schnell und ist die zweitgrößte Art der Sklaverei nach der Schuldknechtschaft.39Vgl. Bales, Modern Slavery, S. 34.  Letztere ist ebenfalls mit Armut verbunden, weil armen Menschen fiktive Schulden vorgehalten werden, die sich über die Generationen hinweg vererben. Ein Teufelskreis.40Vgl. Skinner, Menschenhandel, S. 274ff. 
  3. Nachfrage: Ein dritter Grund für Menschenhandel und Sklaverei ist die hohe Nachfrage: „Es gäbe keine Sexsklaven-Industrie ohne die Nachfrage vonseiten der Männer.“41Kara, Sex Trafficking, S. 33.  Dabei erhöht nicht nur die Nachfrage nach käuflichem Sex mit Frauen die Zahl der Sexsklaven, sondern auch der Pornokonsum: „Die Pornoindustrie wird vom organisierten Verbrechen kontrolliert, was nicht nur an den großen Verdienstmöglichkeiten liegt, sondern auch daran, dass viele Darsteller nicht freiwillig für die Aufnahmen zur Verfügung stehen.“42Meves/Schirrmacher, Ausverkaufte Würde?, S. 68.  Neben der Sexsklaverei gibt es auch in der Landwirtschaft und im produzierenden Gewerbe eine hohe Nachfrage nach Zwangsarbeitern, weil man diese nicht bezahlen muss und sie hohen Profit abwerfen. 
  4. Wenig Risiko und hoher Profit: Mit Menschenhandel und Zwangsarbeit lässt sich sehr viel Geld verdienen. Kara gibt an, dass jährlich auf der Welt 39,7 Mrd. durch Menschenhandel und 91,2 Mrd. durch Sklaverei umgesetzt wird.43Vgl. ebd., S. 22.  Anders als beim Drogenhandel ist dieser Profit unter relativ ungefährlichen Umständen möglich. So schreibt Shelley für Europa: „Der Strafverfolgungsapparat in Europa ist weiterhin sehr unterbesetzt. Deswegen ist Menschenschmuggel und Menschenhandel für Kriminelle eine Aktivität mit geringem Risiko.“44Shelley, Human Trafficking, S. 224.  Aber nicht nur in Europa ist dies der Fall, wie Schirrmacher für die allgemeine Weltsituation schreibt: „Die Strafverfolgung des Menschenhandels steckt noch in den Kinderschuhen.“45Schirrmacher, Menschenhandel, S. 42.  Auch bei der Zwangsarbeit, die nicht direkt mit Menschenhandel in Verbindung steht, ist die Strafverfolgung der jeweiligen Staaten völlig unzureichend und ineffektiv. Das liegt unter anderem daran, dass Staaten die Sklaverei im eigenen Land verharmlosen oder gar leugnen. So merkt Skinner für offizielle Stellen Indiens an: „Die Leugnung der Sklaverei ist Standard.“46Skinner, Menschenhandel, S. 279. 
  5. Korruption: Menschenhandel und Sklaverei wäre nicht in der heutigen Form möglich, wenn nicht Politiker, Behörden und Polizeibeamte überall auf der Welt korrupt wären. Shelley schreibt: „Die Sexindustrie wird von mächtigen Verbrechergruppen organisiert, die eine Verbindung zur Polizei und Politikern haben.“47Shelley, Human Trafficking, S. 19.  Ergänzend zur Begünstigung von Sklaverei durch Korruption lässt sich hier Bales zitieren: „Wenn man Gewalt anwendet, muss man dem Polizeibeamten einfach Geld geben, sodass man keine Angst zu haben braucht, festgenommen zu werden. Manchmal wenden Polizisten bei einer kleinen Extrazahlung selbst Gewalt an, indem sie als Sklavenfänger fungieren oder entlaufene Sklaven verfolgen und bestrafen. Das Schmiergeld läuft dann die Hierarchie hoch bis in die Hände von Politikern und Regierungsbeamte.“48Bales, Modern Slavery, S. 60. 

III. Wie sind Sklaverei und Menschenhandel ethisch zu bewerten?

Menschenwürde und Menschenrechte 

Bei Menschenhandel und Sklaverei handelt es sich um eklatante Verstöße gegen elementare Menschenrechte. Schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN (1948) heißt es in Artikel 4: „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten.“ Grund dafür ist das „Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person“ (Art. 3), das in der allgemeingültigen Würde des Menschen begründet ist (Art. 1). Die Würde des Menschen und die davon abgeleiteten Menschenrechte decken sich nicht nur mit der allgemeinen christlichen Sicht des Menschen, sie sind nach Meinung vieler Forscher Ideen, die direkt aus der Bibel abgeleitet wurden.49Vgl. Schirrmacher, Ethik, Bd. 6, S. 10ff.  Die Überzeugungen von der Würde jedes Menschen wurzeln in der Auffassung, dass Menschen nach Gottes Ebenbild geschaffen wurden und deswegen eine besondere Würde und unveräußerliche, universalgültige Rechte besitzen (1.Mose 1,26f; 9,6). 

Auf dem Hintergrund der Menschenwürde sind die alttestamentlichen Gesetze gegen Menschenraub zu verstehen: „Wer einen Menschen raubt, sei es, dass er ihn verkauft, sei es, dass er in seiner Gewalt gefunden wird, der muss getötet werden“ (2.Mose 21,16; vgl. 5. Mose 24,7). Im Neuen Testament wird Menschenraub ebenfalls verurteilt. In der Aufzählung von Gesetzesbrechern in 1. Tim 1,9f finden sich auch „Menschenhändler“ (V10). 

Sklaverei in der Bibel 

Der Gedanke der Gottesebenbildlichkeit als Grundlage für Menschenrechte wird in der öffentlichen Diskussion gerne rezipiert und hervorgehoben. Was viele jedoch irritiert, sind die eher neutralen Aussagen der Bibel zu Sklaverei, die scheinbar gar nicht zu den biblischen Aussagen zur Würde des Menschen passen. Wenn man allerdings das biblische Verständnis von Sklaverei genauer untersucht, wird man feststellen, dass hier kein Widerspruch zu 1. Mose 1,26-27 vorliegt. 

Das Konzept von Sklaverei im Alten Testament darf man nicht mit der grausamen Sklaverei der Römer und Griechen oder der Unterdrückung von Afrikanern während des Kolonialismus gleichsetzen. Das hebräische Wort ebed übersetzt man am besten nicht mit „Sklave“, weil dieser Begriff heute ausschließlich negative Vorstellungen hervorruft, sondern mit „Knecht“ oder „Diener“. Ein Knecht im Alten Testament war im Gegensatz zu den Sklaven der antiken und kolonialen Staaten mit „allen Rechten vor dem Richter [versehen], denn er ist, wie Hiob deutlich macht, ebenso von Gott erschaffen wie jeder andere Mensch auch und deswegen Ebenbild Gottes, das nicht angetastet werden darf“ (Hiob 31,13-15).50Schirrmacher, Ethik, Bd. 5, S. 223.  So gibt es viele Schutzbestimmungen zugunsten von Sklaven im Alten Testament, in denen Willkür, Gewalt, und Ausbeutung vonseiten des Herrn verboten werden (z.B. 2. Mose 21,18-27;51Siehe Dokumentation des Ethikinstituts Nr. 16: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – ein inhumanes Rechtssystem?.   3. Mose 25,43.46; 5. Mose 23,16-17). Zudem war der Sklavendienst von israelischen Sklaven auf sechs Jahre begrenzt (2. Mose 21,2), wobei sich der Sklave darüber hinaus auf Lebzeiten dem Herrn freiwillig verpflichten konnte (5. Mose 15,16-17). 

Diese Zusammenhänge zeigen, dass die Sklaverei im Alten Testament nicht vergleichbar ist mit der modernen Sklaverei von heute, vor allem deshalb nicht, weil es einige gab, die sich freiwillig für diesen Stand entschieden. Die sechs Jahre konnten auch unterschritten werden, denn der Sklave besaß ein „Lösungsrecht“ (3. Mose 47-55). Das weist darauf hin, dass Sklaverei im Alten Testament ein Zustand darstellt, der möglichst schnell beendet werden sollte (vgl. 3. Mose 25,39-43). 

Zu den weiteren Rechten der Sklaven gehörten das Erbrecht (1. Mose 15,2-3; 1. Chr 2,34-35), das Recht auf Lohn und Entlassungsgeld (5. Mose 15,18) und das Recht darauf, am Bund Gottes und das damit verbundene gottesdienstliche Leben teilzuhaben (1. Mose 17,12f; 2. Mose 12,44; 3. Mose 22,11; 5. Mose 12,12.18).52Vgl. Schirrmacher, Ethik, Bd. 5, S. 223-227. 

Auch im Neuen Testament wird Sklaverei an sich nicht verurteilt. Doch wie schon zuvor im Alten Testament sollen Sklaven gut behandelt werden (Kol 3,25-41) und dürfen am gottesdienstlichen Leben teilnehmen, weil sie vor Gott den gleichen Stand und Wert haben wie alle anderen Gläubigen (Gal 3,28). Auch für das Neue Testament ist festhalten, dass die Sklaverei damals nicht tyrannische Unterdrückung bedeutete. In vielen Fällen wäre eine Freilassung des Sklaven sogar ein herzloser Akt gewesen, weil ihm dadurch die Einbindung in den Haushalt des Herrn, was Grundlage für seine Lebensversorgung war, genommen würde. 

Trotzdem lässt sich im Neuen Testament darüber hinaus die Tendenz feststellen, dass die Sklaverei kein Idealzustand war. Paulus empfiehlt jedem Sklaven, die Freiheit zu wählen, wenn dies möglich ist, weil sie durch den Glauben an Jesus Christus „Freigelassene des Herrn“ sind (1.Kor 7,20-23). Zudem verstehen viele Ausleger den Philemonbrief so, dass Paulus dort einem christlichen Herrn empfiehlt, seinen Sklaven freizulassen. 

Wie lässt sich diese scheinbare „Inkonsequenz“ erklären, dass Sklaverei im Neuen Testament auf der einen Seite als selbstverständlich vorausgesetzt, aber auf der anderen Seite eine Aufhebung des Sklavenstandes empfohlen wird? Diese Spannung lässt sich so deuten, dass die ersten Christen nicht in erster Linie auf eine Revolution „von oben“ fokussiert waren. Ihnen war bewusst, dass sie in den Strukturen einer gefallenen, sündigen Welt lebten, und sie wussten, dass sie als kleine Minderheit die politischen Verhältnisse nicht direkt ändern konnten. Ihr Augenmerk lag auf den Beziehungen zu ihren Mitmenschen. Deswegen sollten Herren ihre Sklaven mit Liebe und Respekt behandeln (Eph 6,9; 1Tim 6,2) und Sklaven ihren Herren treu sein (Tit 2,9-11).53Vgl. Moo, Colossians and Philemon, S. 369-378. 

Das heißt aber nicht, dass nach neutestamentlichem Verständnis die Konzentration auf die direkten Beziehungen eine Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen ausschloss. Wenn Christen dafür leben, dass das Reich Gottes auf der Welt Wirklichkeit wird, dann umfasst das nicht nur das Herz des Gläubigen oder die Gemeinde, sondern auch die ganze Gesellschaft. Das haben Christen der ersten Jahrhunderte erkannt, da viele von ihnen ihre Sklaven als Vorbild für die übrige Gesellschaft entließen. Ein paar Jahrhunderte später war es gerade der christliche Glaube, der Menschen wie Wilberforce und die Abolitionisten der USA dazu motivierte, auf politischer Ebene gegen Sklaverei vorzugehen und für deren Abschaffung zu kämpfen.54Vgl. Schmidt, Christentum, S. 325-347. 

Schutz und Gerechtigkeit für die Geringen 

Die Opfer von Sklaverei und Menschenhandel sind in erster Linie solche, die keine Macht besitzen, in der Gesellschaft nichts gelten und sich nicht wehren können. Es sind meist arme, wehrlose Menschen, Frauen und Kinder. In der Bibel wird an vielen Stellen deutlich, dass es Gott ein besonderes Anliegen ist, diese Personengruppen zu verteidigen: Gott spricht sich vehement gegen die Unterdrückung und Ausbeutung von Armen und schwachen Menschen aus (5. Mose 25,14; Hes 22,29; Mal 3,5; Jak 2,6). Er zeigt seine Solidarität mit wehrlosen Frauen (2. Mose 21,22-25; Mal 3,5)55Siehe Dokumentation des Ethikinstituts Nr. 16.  und mit schutzbedürftigen Kindern (vgl. Mt 18,3-6). Gott verteidigt alle als gering geltenden Menschen, weil vor ihm alle Menschen gleich sind („kein Ansehen der Person“; 5. Mose 1,17; 2. Chr 19,7), und er ein Gott der Gerechtigkeit ist, der dafür kämpft, dass ungerecht behandelte Menschen zu ihrem Recht kommen (3. Mose 19,15; Spr 31,8).   

Zusammenfassung:

Die heutige Form von Menschenhandel und Sklaverei wird von der Bibel aufs Schärfste verurteilt. Sie widerspricht der Würde des Menschen und den davon abgeleiteten Rechten auf Freiheit und Unversehrtheit. Gleichzeitig ist sie ein Verstoß gegen das biblische Gebot, Arme, Geringgeachtete und Schwache in der Gesellschaft zu schützen.  

IV. Was können wir tun?

Wenn man Literatur zu Menschenhandel und Sklaverei liest, sind sich die Autoren darin einig, dass eine wirkliche Lösung des Problems nur auf internationaler oder natio-naler Ebene erreicht werden kann. Das mächtige globale Netz der Menschen- und Sklavenhändler kann letztlich nur durch den Einfluss und die Entscheidungen von einflussreichen Politikern und Regierungen zerschlagen werden.56Zu der Frage, was die UNO und die nationalen Regierungen tun müssten, um Menschenhandel uns Sklaverei effektiver zu bekämpfen, siehe Kara, Sex Trafficking, S. 200ff; Shelley, Human Trafficking, S. 302ff; Bales, Modern Slavery, S. 148ff. Im Fall Deutschland müsste man beispielsweise nach Meinung vieler die Migrationsgesetze überarbeiten, damit Opfer von Menschenhandel nicht als illegale Einwanderer behandelt und abgeschoben werden. Das hätte zur Folge, dass sie von Justiz und Polizei besser geschützt würden (vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 42ff). Eine Überarbeitung bzw. Aufhebung des Prostitutionsgesetzes (2002), das Prostitution in Deutschland legalisiert, könnte ebenfalls im Zusammenhang mit der Eindämmung von Menschenhandel nützlich sein. Nach Ansicht einiger Frauenrechtler deutet vieles „darauf hin, dass eine Legalisierung lediglich der Mafia Tür und Tor öffnet und die Sklaverei eher noch erleichtert“ (Cacho, Sklaverei, S. 309). Dass die Legalisierung von Prostitution den Menschenhandel entscheidend begünstigt, ist allerdings umstritten (vgl. Kara, Sex Trafficking, S. 105; Shelley, Human Trafficking, S. 206).   So schreibt Arlacchi, dass auf UN-Ebene ein weiterer „Ausbau eines Systems an Abkommen [vonnöten ist], mit denen sich Unterzeichnerländer verpflichten, bestimmte Standards einzuhalten und ihnen Geltung zu verschaffen“, und auf nationaler Ebene „großangelegte Initiativen des Gesetzgebers und der Strafverfolgungsbehörden“ erforderlich seien.57Arlacchi, Ware Mensch, S. 194. 

Der Einflussbereich des Einzelnen ist also beschränkt. Das bedeutet aber nicht, dass man selbst überhaupt nichts gegen Sklaverei und Menschenhandel unternehmen kann. Folgende Möglichkeiten bieten sich an:

  • Öffentliche Aufmerksamkeit fördern: Verbreiten Sie die erschütternden Fakten über Menschenhandel und Sklaverei in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis. Ein Hauptproblem der mangelnden Bekämpfung ist die Unkenntnis und das Desinteresse der Öffentlichkeit. Wenden Sie sich an die Medien und fordern Sie bessere oder eine stärkere Berichterstattung, z.B. durch Leserbriefe. Oder wenden Sie sich direkt an Politiker, damit diese die auf nationaler und internationaler Ebene mehr Druck ausüben. 
  • Verdächtige Situationen melden: Wenn Sie bei Angestellten im gastronomischem Gewerbe, in Hotels oder Privathäusern (Haushaltshilfen) Anzeichen für Zwangsarbeit sehen, dann zögern Sie nicht, diese Fälle der Polizei zu melden. Wenn Sie diese Beobachtungen im Urlaub machen, oder Touristen beobachten, die Sex mit Kindern planen, dann melden Sie sich bei Ihrem Reiseveranstalter oder der Polizei.58Vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 77ff. 
  • Menschenrechtsorganisationen unterstützen: Sie können Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Abschaffung von Sklaverei und Hilfe der Opfer einsetzen, unterstützen, entweder mit einem finanziellen Beitrag oder mit Ihrem persönlichen Einsatz.
  • Nachfrage nicht fördern: Laut einer Statistik sehen sich 42,7 Prozent aller Internetnutzer pornographische Seiten an.59http://www.dijg.de/pornographie-sexsucht-pornosucht/editorial/ Streng genommen fördert jeder, der Internetpornographie konsumiert, indirekt das organisierte Verbrechen mit Menschenhandel. Dies ist ein wichtiger Grund von vielen anderen,60Für mehr Gründe siehe Meves/Schirrmacher, Ausverkaufte Würde?, S. 24ff.  warum Christen Pornographie ausdrücklich meiden und ihre Mitmenschen über die kriminellen Implikationen der Pornoindustrie aufklären sollten.    

Christen sind aufgerufen, den internationalen Kampf gegen Sklaverei und Menschenhandel zu unterstützen, und damit das Erbe von Wilberforce weiterzutragen:

„Wilberforce hat in seiner Zeit Großartiges erreicht. Heute ist es an uns, den Staffelstab zu übernehmen und seine Arbeit für die Menschenrechte weiterzuführen - mit Geschick und mit Menschenliebe.“

Vorwort von Martin Lessenthin in Metaxas, Wilberforce, S. 21. 

© 2013 Institut für Ethik & Werte

Bert Görzen

Bert Görzen

Pastor der FeG Mainz

Endnoten

  • 1
    „Über 30 Millionen“ (Batstone, Not For Sale, S. 1); „27 Millionen“ (Bales, Modern Slavery, S. 18); „28,4 Millionen“ (Kara, Sex Trafficking, viv)
  • 2
    Vgl. Bales, Modern Slavery, vii. 
  • 3
    Kara schätzt den Gewinn auf 152,3 und den Umsatz auf 91,2 Milliarden Dollar (vgl. Sex Trafficking, S. 22).  
  • 4
    Vgl. Shelley, Human Trafficking, S. 1. 
  • 5
    Kara, Sex Trafficking, S. 4. 
  • 6
    Vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 24; Cacho, Sklaverei, S. 335.  An dieser Definition wird von einigen kritisiert, dass sie Dinge wie Sklaverei im häuslichen Bereich oder Zwangsverheiratung nicht miteinschließe, sowie nur Zwangsprostitution verurteile, aber nicht die Käuflichkeit von Sex an sich. „Aber aufs Ganze gesehen war die Definition und ihre internationale Übernahme ein großer Fortschritt“ (Schirrmacher, Menschenhandel, S. 25). 
  • 7
    Bales, Modern Slavery, S. 31. 
  • 8
    So auch Kara (vgl. Sex Trafficking, S. 5).  
  • 9
    Bales, Modern Slavery, S. 35. 
  • 10
    Arlacchi, Ware Mensch, S. 19. 
  • 11
    Bales, Modern Slavery, S. 29. 
  • 12
    Skinner, Menschenhandel, S. 237. 
  • 13
    Vgl. Bales, Modern Slavery, S. 28. 
  • 14
    Vgl. ebd., S. 33.  
  • 15
    Vgl. ebd., S. 18. 
  • 16
    Vgl. ebd., S. 19. 
  • 17
    Beispiele dafür, veranschaulicht an Einzelschicksalen, finden sich in Skinners bewegendem Buch Menschenhandel: Sklaverei im 21.Jahrhundert. Vgl. auch Batstone, Not For Sale, S. 19-136, 183-210.
  • 18
    Schirrmacher, 53. 
  • 19
    Vgl. Bales, Modern Slavery, S. 19. 
  • 20
    Vgl. ebd., S. 20. 
  • 21
    Vgl. Cacho, Sklaverei, S. 19. 
  • 22
    Shelley, Human Trafficking, S. 2.  
  • 23
    Cacho, Sklaverei, S. 20. 
  • 24
    Vgl. Kara, Sex Trafficking, x. 
  • 25
    Vgl. Bales, Modern Slavery, S. 36. 
  • 26
    Vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 53. 
  • 27
    Vgl. Shelley, Human Trafficking, S. 204. 
  • 28
    Vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 13. In der Diskussion werden weit höhere Zahlen genannt. So beruft sich Huland auf „Schätzungen von 500 000 Frauen, die pro Jahr in die Europäische Union gehandelt werden“ (Frauenhandel in Deutschland, 229; so auch Marcovich, „Frauenhandel“, S. 345).   
  • 29
    Vgl. Shelley, Human Trafficking, S. 205. 
  • 30
    Vgl. ebd., S. 210. 
  • 31
    Vgl. ebd., S. 212. 
  • 32
    Vgl. ebd., S. 217. 
  • 33
    Vgl. Kara, Sex Trafficking, S. 89. 
  • 34
    Vgl. Shelley, Human Trafficking, S. 218. 
  • 35
    Vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 15. 
  • 36
    Naim, Schwarzbuch, S. 126. 
  • 37
    Vgl. Shelley, Human Trafficking, S. 42. 
  • 38
    Vgl. Kara, Sex Trafficking, S. 7f. 
  • 39
    Vgl. Bales, Modern Slavery, S. 34. 
  • 40
    Vgl. Skinner, Menschenhandel, S. 274ff. 
  • 41
    Kara, Sex Trafficking, S. 33. 
  • 42
    Meves/Schirrmacher, Ausverkaufte Würde?, S. 68. 
  • 43
    Vgl. ebd., S. 22. 
  • 44
    Shelley, Human Trafficking, S. 224. 
  • 45
    Schirrmacher, Menschenhandel, S. 42. 
  • 46
    Skinner, Menschenhandel, S. 279. 
  • 47
    Shelley, Human Trafficking, S. 19. 
  • 48
    Bales, Modern Slavery, S. 60. 
  • 49
    Vgl. Schirrmacher, Ethik, Bd. 6, S. 10ff. 
  • 50
    Schirrmacher, Ethik, Bd. 5, S. 223. 
  • 51
    Siehe Dokumentation des Ethikinstituts Nr. 16: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – ein inhumanes Rechtssystem?.  
  • 52
    Vgl. Schirrmacher, Ethik, Bd. 5, S. 223-227. 
  • 53
    Vgl. Moo, Colossians and Philemon, S. 369-378. 
  • 54
    Vgl. Schmidt, Christentum, S. 325-347. 
  • 55
    Siehe Dokumentation des Ethikinstituts Nr. 16. 
  • 56
    Zu der Frage, was die UNO und die nationalen Regierungen tun müssten, um Menschenhandel uns Sklaverei effektiver zu bekämpfen, siehe Kara, Sex Trafficking, S. 200ff; Shelley, Human Trafficking, S. 302ff; Bales, Modern Slavery, S. 148ff. Im Fall Deutschland müsste man beispielsweise nach Meinung vieler die Migrationsgesetze überarbeiten, damit Opfer von Menschenhandel nicht als illegale Einwanderer behandelt und abgeschoben werden. Das hätte zur Folge, dass sie von Justiz und Polizei besser geschützt würden (vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 42ff). Eine Überarbeitung bzw. Aufhebung des Prostitutionsgesetzes (2002), das Prostitution in Deutschland legalisiert, könnte ebenfalls im Zusammenhang mit der Eindämmung von Menschenhandel nützlich sein. Nach Ansicht einiger Frauenrechtler deutet vieles „darauf hin, dass eine Legalisierung lediglich der Mafia Tür und Tor öffnet und die Sklaverei eher noch erleichtert“ (Cacho, Sklaverei, S. 309). Dass die Legalisierung von Prostitution den Menschenhandel entscheidend begünstigt, ist allerdings umstritten (vgl. Kara, Sex Trafficking, S. 105; Shelley, Human Trafficking, S. 206).  
  • 57
    Arlacchi, Ware Mensch, S. 194. 
  • 58
    Vgl. Schirrmacher, Menschenhandel, S. 77ff. 
  • 59
  • 60
    Für mehr Gründe siehe Meves/Schirrmacher, Ausverkaufte Würde?, S. 24ff. 

Bibliografie

Arlacchi, Pino, Ware Mensch: Der Skandal des modernen Sklavenhandels, München: Piper, 1999.

Bales, Kevin / Zoe Trodd u.a., Modern Slavery: A Beginner’s Guide, Oxford: Oneworld, 2009.

Batstone, David, Not for Sale: The Return of the Global Slave Trade – and How We Can Fight It, revised ed., New York: HarperOne, 2010.

Cacho, Lydia, Sklaverei: Im Inneren des Milliardengeschäfts Menschenhandel, Frankfurt: S. Fischer, 2011.

Huland, Annette, Frauenhandel in Deutschland: Im Spannungsfeld von Abschiebungspolitik und Prostitution, Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Reihe Politikwissenschaften 54, Marburg: Tectum, 2012.

Kara, Siddharth, Sex Trafficking: Inside the Business of Modern Slavery, New York: Columbia University, 2009.

Marcovich, Malka, „Der Frauenhandel in der Welt“, in: Das Schwarzbuch zur Lage der Frauen: Eine Bestandsaufnahme, Hg. Christine Ockrent, München: Pendo, 2007, S. 345-377.

Metaxas, Eric, Wilberforce: Der Mann, der die Sklaverei abschaffte, Holzgerlingen: SCM Hänssler, 2012.

Meves, Christa / Thomas Schirrmacher, Ausverkaufte Würde?: Der Pornographie-Boom und seine psychischen Folgen, Holzgerlingen: Hänssler, 2000.

Moo, Douglas, The Letters to the Colossians and to Philemon, The Pillar New Testament Commentary, Grand Rapids: Eerdmans, 2008.

Naim, Moises, Das Schwarzbuch des globalisierten Verbrechens: Drogen, Waffen, Menschenhandel, Geldwäsche, Markenpiraterie, München: Piper, 2005.

Schirrmacher, Thomas, Ethik, Bde. 5-6, 3. korr. u. erw. Aufl., Hamburg: RVB, 2002.

Schirrmacher, Thomas, Menschenhandel: Die Rückkehr der Sklaverei, 2. Aufl., Holzgerlingen: SCM Hänssler, 2012.

Shelley, Louise, Human Trafficking: A Global Perspective, Cambridge: Cambridge University, 2010.

Skinner, E. Benjamin, Menschenhandel: Sklaverei im 21. Jahrhundert, Bergisch Gladbach: Lübbe, 2008.

Schmidt, Alvin J., Wie das Christentum die Welt veränderte, Gräfelfing: Resch, 2009.