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WirtschaftsethikGerechtes Wirtschaften

Eine evangelikale Antwort auf Caritas in Veritate

Die Wahrheit in Liebe praktizieren

Die aktuellen globalen Ereignisse führen uns die Bedeutung vor Augen, Wesen und Ziel der Wirtschaft aus christlicher Sicht gründlich zu überdenken. Demzufolge begrüßen wir als Evangelikale die Veröffentlichung von Caritas in Veritate („Liebe in Wahrheit“) von Papst Benedikt XVI. Wir appellieren an Christen auf der ganzen Welt, aber insbesondere an unsere Mitevangelikalen auf der Nordhalbkugel, Caritas in Veritate zu lesen, sich damit auseinanderzusetzen und darauf zu reagieren. Darin wird die Forderung nach Liebe und Wahrheit in unserem Leben als Staatsbürger, Unternehmer, Arbeiter und - noch viel wichtiger – als Nachfolger Christi laut.

Durch Christi Tod und Auferstehung hat Gott all das weggenommen, was einer funktionierenden Beziehung zwischen Gott und der Welt, zwischen Menschen untereinander und zwischen der Menschheit und dem Rest der Schöpfung im Wege steht. Auch die menschliche Fortentwicklung ist eingeschlossen in diese Wiederherstellung aller Dinge, die zu richtigen Beziehungen führt.

Wir loben die Art und Weise, wie diese Enzyklika wirtschaftliche Entwicklung betrachtet, und zwar mit dem besonderen Augenmerk auf die wahre Grundlage des menschlichen Wohlstandes. Caritas in Veritate, die in der Tradition der Enzyklika Populorum Progressio von Papst Paul VI. steht, argumentiert, dass Entwicklung mit der Veränderung von Personen und Institutionen und mit der Beziehung unter und zwischen ihnen zu tun hat. Wir wiederholen die darin enthaltene Aufforderung zu einer neuen Sichtweise über Entwicklung, die die Würde des menschlichen Lebens in seiner Ganzheit achtet. Dieser Gedanke wird z.B. durch die Sorge um das Leben von der Befruchtung bis zum natürlichen Tod, in der Bemühung um religiöse Freiheit und Verminderung der Armut sowie in der Sorge für die Schöpfung ausgedrückt.

Caritas in veritate stellt ein unerlässliches Modell menschlicher Entwicklung im Kontext der Globalisierung vor, “die Expansion von weltweiter Wechselbeziehung”. Wir bekräftigen mit dieser Enzyklika, dass Globalisierung ein „personenzentrierter und gemeinschaftsorientierter Prozess der Integration“ werden soll. Die Enzyklika stellt treffend fest, dass die Globalisierung in der Tat Millionen Menschen aus der Armut herausgebracht hat, insbesondere durch die Eingliederung der Wirtschaft von Entwicklungsländern in internationale Märkte. Doch die Unausgeglichenheit dieser Eingliederung gibt bei uns Anlass zur Sorge angesichts weiterhin vorherrschender Ungleichheit, Armut, Lebensmittelknappheit, Arbeitslosigkeit und sozialer Benachteiligung – inklusive der anhaltenden sozialen Benachteiligung   von Frauen in vielen Teilen der Welt – und den Materialismus, der weiterhin menschliche Gesellschaften verwüstet, mit negativen Konsequenzen für unseren gemeinsamen globalen Lebensraum.

In Caritas in Veritate finden wir eine Analyse von globalen Herausforderungen, die die zu starke und vereinfachende Polarisierung von freier Marktwirtschaft und aktivem staatlichem Eingreifen ablehnt. Die Enzyklika lehrt, dass „authentische menschlich-soziale Beziehungen von Freundschaft, Solidarität und Reziprozität auch durch wirtschaftliche Aktivität hergestellt werden können, und nicht nur außerhalb davon oder nach ihr.“ Das Wirtschaftsleben ist nicht amoralisch oder autonom. Wirtschaftsinstitutionen und der Markt selber müssen gekennzeichnet sein von inneren Beziehungen von Solidarität und Vertrauen.

Profit, ein notwendiges Mittel im Wirtschaftsleben, kann kein vorrangiges Ziel für wirklich humanes Wirtschaftswachstum sein. Deswegen bekräftigen wir die in Caritas in Veritate vorgenommene Betonung auf soziale Unternehmung, d.h. auf Handelsunternehmungen, die von einem mutualistischen Prinzip geleitet sind, das die Trennung zwischen gewinnorientiert und gemeinnützig übersteigt. Stattdessen sollen soziale Ziele verfolgt werden, während Kosten gesenkt werden und Geld für Investitionen bereitgestellt wird. Ganz allgemein halten wir Evangelikale dazu an, die Einladung von Papst Benedikt zu beachten; er legt nahe, dass man überdenkt, wer zu Interessensgruppen (Stakeholders) der Unternehmen gehören soll und was die moralische Bedeutung von Investitionen ist. Wir hätten uns gewünscht, dass die Enzyklika die Erhebung des Geldes zu einem Götzen und die daraus resultierende gegenwärtige Dominanz der Finanzmärkte über die anderen Elemente der Globalwirtschaft stärker kritisiert hätte.

Wir befürworten die Auffassung, dass eine Wirtschaft der Wohltätigkeit einen Platz fordert für unzählige Gemeinschaften und Institutionen, nicht nur für den Staat und den Markt, sondern auch für Familien und die vielen Beziehungen in Zivilgesellschaften. Es sind in erster Linie die internen Ressourcen der Gemeinschaften, wie zum Beispiel Nachbarschaftsverbindungen, Gemeinderat, Gewerkschaften, kleine Betriebe und mehr, die den Ausbau von regionalen Talenten und Ressourcen ermöglichen. Effektives Regieren und Hilfen sind erforderlich, die die wirtschaftliche Entwicklung unterstützen und dabei die eigenen Begrenzungen erkennen. So kann ein Weg in Richtung einer integralen Entwicklung gebahnt werden. Die Herausforderung, Globalisierung menschlicher zu machen und zu „zivilisieren“ bedeutet nicht notwendigerweise mehr staatliche Regelungen. Es fordert vielmehr ein besseres Regieren – die Herrschaft des Gesetzes anstatt der Personen, die Entwicklung von starken Regierungsinstitutionen, die Wiederherstellung der Balance zwischen konkurrierenden Interessen, die Beseitigung von Korruption. Ethische Globalisierung erfordert faireren und freieren Handel, sodass die Armen der Erde erfolgreich in eine blühende globale Wirtschaft integriert werden. Und ethische Globalisierung fordert von evangelikalen Kirchen auf der ganzen Welt, dass wir dem Aufruf, die Wahrheit in Liebe zu üben, Beachtung schenken. Dies ist die Antwort auf den großen Auftrag, „alle Völker zu Jüngern“ zu machen.

Die Enzyklika weist zu Recht darauf hin, dass Staaten ihre Pflicht, die Gerechtigkeit und das allgemeine Wohl in der globalen Wirtschaftsordnung zu fördern, nicht preisgeben dürfen und sollen. Wir teilen die Sorge des Dokuments um die Abnahme von Sozialversicherungssystemen, um die schrumpfende Macht von Gewerkschaften und angesichts der sozial destruktiven Mobilität auf dem Arbeitsmarkt. Wir teilen jedoch auch die Furcht vor einem anmaßenden Wohlfahrtsstaat, der sozialen und bürgerlichen Pluralismus vermindert. Deswegen stimmen wir mit der Auffassung überein, dass Subsidiarität und Solidarität gleich stark betont werden müssen, wie Caritas in Veritate darlegt.

Wir unterstützen den Wunsch nach besseren Modellen für globale Regelungen, sowohl im finanziellen wie auch im politischen Bereich, aber wir zögern, die gegenwärtigen Modelle der Vereinten Nationen, des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Welthandelsorganisation unkritisch zu befürworten. Ein allgemeines globales Wohl der Menschheit ruft in der Tat nach politischer Aktion, um dieses Wohl zu erreichen. Aber neue Modelle einer globalen Regierung müssen zu einer zunehmenden Teilnahme, Transparenz und Verantwortung führen und den nationalen Staat stärken, und zwar relativ zu der Macht der Weltfinanz.

Mit Caritas in Veritate sehen wir uns nicht als die “Opfer” der Globalisierung, sondern als die “Protagonisten” – um uns einzusetzen für globale Solidarität, wirtschaftliche Gerechtigkeit und das allgemeine Wohl. Dies sind die Maßstäbe, die die Motive von wirtschaftlichem Profit und technischem Fortschritt transzendieren und transformieren. Wir rufen zu einem ernsthaften Dialog unter allen Christen auf; und mit vielen anderen rufen wir dazu auf, diese Ziele praktische Realität werden zu lassen.

Die Unterzeichner:

  • Adel Abadeer, Associate Professor of Economics, Calvin College (Grand Rapids, MI)
  • Roy Berkenbosch, Director, Micah Center, King's University College (Edmonton, AB)
  • Elwil Beukes, Professor of Economics, The King's University College (Edmonton, AB)
  • Daniel K. Bourdanné, General Secretary, International Fellowship of Evangelical Students (Oxford, UK)
  • James Bradley, Professor of Mathematics & Statistics Emeritus, Calvin College (Grand Rapids, MI)
  • Paul Brink, Associate Professor of Political Studies, Gordon College (Wenham, MA)
  • Joe Carter, Web Editor, First Things (Manassas, VA)
  • Jonathan Chaplin, Director, Kirby Laing Institute for Christian Ethics (Cambridge, UK)
  • J. Daryl Charles, Director and Senior Fellow, Bryan Institute for Critical Thought & Practice (Dayton, TN)
  • Richard Cizik, President, The New Evangelicals (Washington, DC)
  • Bruce J. Clemenger, President, Evangelical Fellowship of Canada (Markham, ON)
  • Javier Comboni, Jean & E. Floyd Kvamme Professor of Political Economy, Wheaton College (Wheaton, IL)
  • Justin D. Cooper, President, Redeemer University College (Ancaster, ON)
  • Paul R. Corts, President, Council for Christian Colleges and Universities (Washington, DC)
  • Janel Curry, Byker Chair in Christian Perspectives on Political, Social, and Economic Thought, Calvin College (Grand Rapids, MI)
  • Calvin B. DeWitt, Professor of Environmental Studies, University of Wisconsin-Madison (Madison, WI)
  • Brian Dijkema, Labour Activist (Ottawa, ON)
  • Joel Edwards, International Director, Micah Challenge (London, UK)
  • Jacob P. Ellens, Vice President, Academic, Redeemer University College (Ancaster, ON)
  • Bruce Ellis Benson, Professor of Philosophy, Wheaton College (Wheaton, IL)
  • Janet Epp Buckingham, Director, Laurentian Leadership Centre (Ottawa, ON)
  • James Featherby, Fellow, London Institute for Contemporary Christianity (London, UK)
  • Harry Fernhout, President, The King's University College (Edmonton, AB)
  • Brian T. Fikkert, Associate Professor of Economics & Community Development, Covenant College (Lookout Mountain, GA)
  • Richard L. Gathro, Dean, Nyack College (Washington, DC)
  • Ivy George, Professor of Sociology and Social Work, Gordon College (Wenham, MA)
  • Michael W. Goheen, Geneva Professor of Worldview and Religious Studies, Trinity Western University (Langley, BC)
  • Bob Goudzwaard, Emeritus Professor of Economics and Cultural Philosophy, Free University of Amsterdam (Netherlands)
  • Andy Hartropp, Research Tutor in Development Studies, Oxford Centre for Mission Studies (Oxford, UK)
  • Peter S. Heslam, Transforming Business, University of Cambridge (Cambridge, UK)
  • John Hiemstra, Dean, Faculty of Social Science, The King's University College (Edmonton, AB)
  • Roland Hoksbergen, Professor of Economics and International Development, Calvin College (Grand Rapids, MI)
  • Dennis Hoover, Vice President for Research and Publications, Institute for Global Engagement (Washington, DC)
  • Robert Joustra, Researcher, Cardus (Hamilton, ON)
  • Timothy A. Kelly, Director, DePree Center Public Policy Institute (Pasadena, CA)
  • David T. Koyzis, Professor of Political Science, Redeemer University College (Ancaster, ON)
  • Tracy Kuperus, Associate Professor, International Development Studies, Calvin College (Grand Rapids, MI)
  • Jamie McIntosh, Executive Director, International Justice Mission Canada (London, ON)
  • Ruth Melkonian-Hoover, Assistant Professor of Political Studies, Gordon College (Wenham, MA)
  • George N. Monsma, Jr., Professor of Economics, Emeritus, Calvin College (Grand Rapids, MI)
  • Stephen V. Monsma, Research Fellow, The Henry Institute, Calvin College (Grand Rapids, MI)
  • Richard Mouw, President, Fuller Theological Seminary (Pasadena, CA)
  • Bryant L. Myers, Professor of International Development, Fuller Theological Seminary (Pasadena, CA)
  • David K. Naugle, Professor of Philosophy, Dallas Baptist University (Dallas, TX)
  • David Neff, Editor in Chief, Christianity Today (Carol Stream, IL)
  • Ray Pennings, Director of Research, Cardus (Calgary, AB)
  • Michael Pollitt, Reader in Business Economics, Judge Business School, University of Cambridge (U.K.)
  • Dan Postma, Managing Editor, Comment Magazine (Hamilton, ON)
  • Vinoth Ramachandra, Author, Subverting Global Myths (Colombo, Sri Lanka)
  • Jonathan S. Raymond, President, Trinity Western University (Langley, BC)
  • Paul W. Robinson, Director, Human Needs and Global Resources Program, Wheaton College (Wheaton, IL)
  • Duncan Roper, Former Professor of Mathematics, University of Western Sydney (now resident of Martinborough, NZ)
  • Michael Schluter, Chairman, Relationships Foundation International (Cambridge, UK)
  • Chris Seiple, President, Institute for Global Engagement (Washington, DC)
  • Timothy Sherratt, Professor of Political Studies, Gordon College (Wenham, MA)
  • Ronald J. Sider, President, Evangelicals for Social Action (Philadelphia, PA)
  • James W. Skillen, President, Center for Public Justice (Washington, DC)
  • John G. Stackhouse, Jr., Sangwoo Youtong Chee Professor of Theology and Culture, Regent College (Vancouver, BC)
  • Glen Harold Stassen, Lewis B. Smedes Professor of Christian Ethics, Fuller Theological Seminary (Pasadena, CA)
  • Elaine Storkey, President, Tearfund (London, UK)
  • Alan Storkey, Economist (Cambridge, UK)
  • Gideon Strauss, President (designate), Center for Public Justice (Washington, DC)
  • Robert Sweetman, Academic Dean and Acting President, Institute for Christian Studies (Toronto, ON)
  • Steven Timmermans, President, Trinity Christian College (Palos Heights, IL)
  • Michael Van Pelt, President, Cardus (Hamilton, ON)
  • Jim Wallis, President, Sojourners (Washington, DC)
  • Alissa Wilkinson, Associate Editor, Comment Magazine (Brooklyn, NY)
  • Paul Williams, David Brown Family Chair of Marketplace Theology and Leadership, Regent College (Vancouver, BC)

July 27, 2009

Die hinzugefügten Angaben zu den Unterzeichnern dienen nur zur Identifizierung der Person und spiegeln keine institutionellen Bevorzugungen wider. Die originale Version dieses Dokuments in englischer Sprache findet man hier.

Genehmigte deutsche Übersetzung: Institut für Ethik & Werte