Korruption: eine Geißel der Menschheit
Korruption ist seit vielen Jahren ein großes Thema in den Medien.1Zum Thema vgl. Britta Bannenberg / Wolfgang Schaupensteiner, Korruption in Deutschland: Portrait einer Wachstumsbranche, 3. Aufl. München: C.H. Beck, 2006; Britta Bannenberg, Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle: Eine kriminologischstrafrechtliche Analyse, Neuwied: Luchterhand, 2002; Jahrbuch Korruption 2006, Hg. Transparency International, Berlin: Parthas, 2006; Rupert F.J Pritzl / Friedrich Schneider, „Korruption“, Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 4: Ausgewählte Handlungsfelder, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1999, S. 310-333; Korruption: Netzwerke in Politik, Ämtern und Wirtschaft, Hg. Hans Herbert von Arnim, München: Knaur, 2003. Aus theologischer Sicht: Paul Kleiner, Bestechung: Eine theologisch-ethische Untersuchung, Europäische Hochschulschriften: Theologie 459, Bern: Peter Lang, 1992; Karl Rennstich, Korruption: Eine Herausforderung für Gesellschaft und Kirche, Stuttgart: Quell, 1990. Waren es früher nur so genannte „Bananen-Republiken“, die für Schmiergeldzahlungen bekannt waren, so ist mittlerweile längst auch Deutschland betroffen. Spätestens seit der Bestechungsaffäre bei Siemens ist klar: Korruption blüht mitten unter uns. Ob große Konzerne wie VW oder MAN, ganze Branchen wie die Bauwirtschaft und die Pharmaindustrie, ob Parteien, Schiedsrichter oder die kleine Firma um die Ecke – immer mehr scheint das Motto zu gelten: „Schmieren und salben, hilft allenthalben“. 2Daten zur Korruption weltweit und in Deutschland findet man bei Transparency International und im jährlich „Lagebericht Korruption“ des Bundeskriminalamtes.
Was ist Korruption?
„Korruption ist der heimliche Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen und Vorteil“ – so die Definition von „Transparency International“ (TI), der wichtigsten Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) im Bereich der Antikorruptionsforschung.3So auf der Homepage von Transparency International: http://www.transparency.de/UEber-uns.44.0.html Verwandte Tatbestände sind Vorteilsnahme, Erpressung, Unterschlagung, Vetternwirtschaft und Veruntreuung. Der Volksmund redet von „Filz“, „Klüngel“, „Bakschisch-Mentalität“ oder „Amigo-Verhältnissen“. Unter Insidern kursieren Begriffe wie „Anfüttern“, „Klimapflege“ oder „Geierfutter“.
Da Bestechung ein klassisches Heimlichkeitsdelikt ist, kommt nur ein Bruchteil der Tatbestände ans Tageslicht. Mitunter ist Korruption sogar eine Selbstverständlichkeit und damit eine Art „Kavaliersdelikt“, das selbst von Mitwissern geduldet und den Strafbehörden verschwiegen wird. Nicht selten wird Korruption sogar als „notwendiges Übel“ angesehen, insbesondere bei Geschäftsbeziehungen in Ländern des Ostens und der Dritten Welt.
An einem Punkten muss der Definition von Transparency International allerdings widersprochen werden: Nicht immer ist Bestechung mit einem persönlichen Vorteil verbunden. Manchmal wirtschaften die Erpresser nicht in die eigene Tasche, sondern verschaffen selbstlos nur der eigenen Firma oder dem eigenen Verein Vorteile. Außerdem gibt es Firmen, die Korruptionsgeschäfte der Mitarbeiter sogar aktiv unterstützen. In diesen Fällen liegt kein „Missbrauch“ der anvertrauten Macht vor, zumindest nicht ein Missbrauch gegenüber dem Unternehmen. Besser wird die Sache dadurch allerdings nicht.
Es gibt noch eine weiter gefasste Definition von Korruption im Sinne des „Einknicken“ vor der Macht, des Aufgebens eigener Auffassungen und Überzeugungen. Dieses „Sich-korrumpieren-lassen“ ist heute in allen Gesellschaftsschichten verbreitet. Sei es die „Schere im Kopf“ bei Journalisten, seien es devote Doktoranden, die genau wissen, was der Professor hören und lesen möchte oder der „normale“ Arbeitnehmer, der genau weiß, dass der Chef gute Zahlen sehen möchte und man entsprechend „tricksen“ muss – immer handelt man dabei gegen die berufsethische Prinzipien der Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Transparenz. Man lebt gegen seine eigenen Überzeugungen.
Die weltweiten Schäden durch Korruption sind immens. Nach Schätzung der Weltbank werden jährlich 1 Billion Dollar in Korruptionsgeschäfte investiert. Die Folgen für die Volkswirtschaften liegen dementsprechend in der Größenordnung von Hunderten von Milliarden. Man kann die Korruption ohne Übertreibung als eine der größten „Geißeln der Menschheit“ bezeichnen.
Geschichte der Korruption
Dabei ist Korruption kein neues Phänomen. Fälle von Bestechung hat es zu allen Zeiten gegeben. Lakonisch bezeichnet man das „Schmieren“ deshalb auch als das „zweitälteste Gewerbe der Welt“. Schon in Texten aus dem Alten Orient finden wir Anklagen wegen Bestechlichkeit. Aristoteles sah im korrupten Staat eine Entartung der idealen Staatsform und führte den Niedergang des Allgemeinwesens darauf zurück. Im Mittelalter war selbst die Kirche nicht frei davon – die „Simonie“, der Ämterkauf, war damals an der Tagesordnung. Auch der Ablasshandel wird in der Literatur mit Korruption in Verbindung gebracht. Selbst Goethe klagte noch Ende des 18. Jahrhunderts über das Reichskammergericht in Wetzlar, wo Prozesse nur dann beschleunigt durchgeführt wurden, wenn entsprechende Vergütungen flossen: „Bittet man um Beschleunigung, so darf man ja wohl auch um Gunst bitten… und so ist die Einleitung zu allen Intrigen und Bestechung gegeben.“4J.W. Goethe, Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 12. Buch; zur Geschichte der Korruption in der Neuzeit vgl. Geld – Geschenke – Politik: Korruption im neuzeitlichen Europa, Hg. Jans Ivo Engels u.a., Historische Zeitschrift. Beihefte 48. München: Oldenbourg, 2009. Angesichts dessen wurde nicht umsonst die „Justitia“ frühzeitig mit verbundenen Augen dargestellt, als Ausdruck ihrer Unbestechlichkeit.
Arten der Korruption
Grundsätzlich muss man verschiedene Arten von Korruption unterscheiden. Die strukturelle oder schwere Korruption ist ein groß angelegtes System, an dem viele beteiligt sind. Hier ist Korruption im Wirtschaftssystem eines Landes fest verankert. Bestechung wird von vornherein erwartet. Ohne sie geht nichts. Diese Art von Korruption, die eng mit der organisierten Kriminalität verflochten ist, findet man in Ländern wie Russland, aber auch in afrikanischen Staaten.
Davon zu unterscheiden ist die situative Korruption, die ungeplant und häufig einmalig abläuft. Korruption ist hier nicht Teil des Wirtschaftssystems und nicht auf Wiederholung angelegt, sondern ein singuläres Ereignis jenseits der Geschäftsstrukturen. In der Regel erwartet der Geschäftspartner keine Schmiergeldzahl, wird davon mitunter sogar überrascht. Bei solchen Zusammenhängen gibt es auch kein generelles Korruptionssystem in den Wirtschaftsprozessen.
Außerdem unterscheidet man hochschwellige Korruption, bei der große Geldbeträge fließen (z.B. Großprojekte) von der niederschwelligen Korruption mit Bagatellbeträgen. Wieder andere sprechen von aktiver und passiver Korruption, je nachdem, wer Geber und Empfänger der Zahlungen ist. Eine solche Unterscheidung verharmlost jedoch einen Straftatbestand und erweckt den Eindruck, als trüge der Empfänger keine Schuld. Der Empfänger von Bestechungszahlungen trägt aber immer eine Mitverantwortung und ist als Nehmer immer auch aktiv am Geschehen beteiligt.
Davon abzugrenzen ist der „Nepotismus“, die Vetternwirtschaft, also die „Beziehungskorruption“. Hier werden Freunden oder Verwandten lukrative Posten oder Stellen zugeschustert. Diese Form der Korruption ist häufig bei politischen Amtsträgern vorhanden, die über die entsprechenden Beziehungen verfügen.
Beim Thema Korruption gibt es eine ganze Menge von Grauzonen. Dazu können z.B. große Zuwendungen an Parteien zählen, wenn sich der Geber davon einen gezielten Nutzen verspricht. Der zunehmende Lobbyismus in der Politik gilt ebenfalls als eine solche Grauzone, zumindest dann, wenn er über die reine Interessensvertretung hinausgeht und mit unangemessenen Zuwendungen arbeitet. Einige rechnen auch ausgiebiges „Sponsoring“ zur Korruption, haben doch manche Firmen einen übergroßen Etat für PR, der mitunter gezielt für das „Anfüttern“ von Schlüsselleuten in Industrie und Politik eingesetzt wird (Stichwort Logenkarten für Sportevents). Die Grenzen zwischen notwendiger Beziehungspflege und problematischer Einflussnahme ist hier fließend, auch wenn man Lobbyismus nicht unter einen Generalverdacht stellen darf.
Grundsätzlich unterscheidet man folgende Felder der Korruption: Auftragsvergabekorruption (Verdrängung); Gewinnmaximierungskorruption (z.B. Abrechnung nicht erbrachter Leistungen); Auflagenkorruption (z.B. Umgehung von Umweltschutzauflagen); Genehmigungskorruption (z.B. Baugenehmigung); Aufenthaltskorruption (z.B. Asylrecht); Grenzkontrollkorruption (z.B. Umgehung von Zollbestimmungen) und Bußgeldkorruption (z.B. Vermeidung eines Führerscheinentzuges)
Korruption weltweit und in Deutschland
Transparency International veröffentlicht seit 1995 jährlich einen Index („Corruption Perception Index“) über die weltweite Ausbreitung von Korruption. Dabei wird nicht die wirklich Korruptionsrate gemessen, die in der Regel ja unbekannt ist, auch nicht die Zahl der Strafverfahren, denn das würde Länder benachteiligen, die rigoros gegen Korruption vorgehen. Vielmehr wird die Meinung von Fachleuten erhoben, wie hoch sie die Korruptionsrate einschätzen. Die Marke 10 (dunkelgrün) bedeutet, dass es kaum Korruption gibt, der niedrigste Wert (dunkelrot) markiert die höchste Korruptionsstufe.
Die höchsten Korruptionsraten finden sich in Ländern wie Somalia, Haiti, Nigeria, Irak, Myanmar und dem Tschad. Wenig Korruption gibt es dagegen in den skandinavischen Ländern, weil hier besonders die öffentlichen Verwaltungen großen Wert auf Transparenz bei der Auftragsvergabe legen. Deutschland liegt auf Platz 14.5Daneben gibt Transparency International auch den „Bribe Payers Index“ heraus, ein Index über die Neigung von großen Firmen zur Korruption, sortiert nach Ländern. Deutschland lag hier 2006 auf dem 7. Platz, die Schweiz auf dem ersten. In speziellen Studien wurde herausgefunden, dass in weniger entwickelten Kulturen Korruption so gut wie gar nicht vorkommt, da hier Gemeinwohl dem Eigennutz vorgeordnet ist. Außerdem gilt: Je stabiler und demokratischer die Strukturen, desto geringer ist die Korruptionsrate.
Das Bundeskriminalamt gibt für Deutschland in ihrem regelmäßig erscheinenden „Lagebild Korruption“ die Zahl von jährlich ca. 1.600 Verfahren an. Polizeilich festgestellt wurden 2007 9.563 Korruptionsstraftaten. Die Dunkelziffer liegt jedoch 10 Mal höher, da Bestechung ein typisches „Heimlichkeitsdelikt“ und von daher schwer aufzuspüren ist.
Wie wird bestochen?
Bestechung geschieht in Deutschland häufig durch Sach- und durch Bargeldzuwendungen. Aber auch eine übermäßige Bewirtung sowie Zuwendungen im Sinne von Reisen stehen auf der Liste ganz oben. Weniger verbreitet sind kostenlose Arbeits- und Dienstleistungen oder die bekannt gewordenen Bordellbesuche. Die Einladung in ein Golf-Hotel steht höher im Kurs als der Bargeldumschlag unter dem Tisch.
Weltweit ist die Bargeldzuwendung besonders verbreitet, da die finanziellen Anreize in Entwicklungsländern eine wesentlich größere Rolle spielen als in Deutschland.
Wer besticht?
Korruption gilt in Deutschland als Delikt der oberen Etagen. Die Bestecher werden deshalb auch als „Weiße-Kragen-Täter“ bezeichnet. Meist sind es Geschäftsführer, Firmeninhaber oder leitende Angestellte. Britta Bannenberg, eine der bekanntesten Expertinnen der Korruptionsforschung, unterscheidet zwei Arten von Tätern: den erfolgsbewussten Karrieremenschen und den klassischen Betrüger. Generell kommen fast alle Personen aus den höheren Einkommensschichten. Der „einfache Mann“ besticht selten bis nie. 70% der Vorteilsgeber zeigen kein Unrechtsbewusstsein.
In welchen Branchen wird bestochen?
Korruptionsanfällige Branchen sind das Handwerk, der Handel, die Pharmaindustrie und der Bau. Sie zusammen machen mehr als 60% des Korruptionsvolumens aus, gefolgt von Dienstleistungsgewerbe, Technologie und Transport samt Logistik. Insgesamt ist es oft die öffentliche Verwaltung, die in Korruptionsdelikte verstrickt ist. Aus der „öffentlichen Hand“ wird dabei die „offene Hand“. Der Schwerpunkt der polizeilich bekannt gewordenen Fälle von Korruption in Deutschland liegt im Bereich der öffentlichen Verwaltung.
Weltweit sieht die Situation etwas anders aus. Hier werden Politiker und politische Parteien am meisten bestochen, gefolgt von Parlamenten und Gerichten, Polizei und Steuerbehörden. Die Forschungen der letzten Jahre brachte ans Licht, dass die Pharmabranche stark in Korruptionsgeschäfte verwickelt ist.
Wann wird bestochen?
Die korruptionsanfälligen Jahre liegen zwischen dem 6. und 10. Jahr der Beschäftigungsdauer im Unternehmen. Man hat festgestellt, dass in diesen Jahren die Bereitschaft am höchsten ist, Korruption anzunehmen oder anzuwenden. In den ersten Jahren ist man an diesen Stellen vorsichtiger, später hat man es offensichtlich nicht mehr nötig.
Siemens – das deutsche Paradebeispiel
Siemens ist ein deutscher Mythos. Wohl kaum ein anderer Name steht für deutsche Gründlichkeit, Pflichtbewusstsein und preußische Tugenden. 430.000 Beschäftigte weltweit, 77 Milliarden Euro Umsatz. Ein Unternehmen mit langer Tradition.
2006 schockte die Aufdeckung eines Bestechungsgeldsystems nie gekannten Ausmaßes die Welt.6Zum Korruptionsskandal bei Siemens vgl. Der Korruptionsfall Siemens: Analysen und praxisnahe Folgerungen des wissenschaftlichen Arbeitskreises von Transparency International Deutschland, Hg. Peter Graeff u.a., Baden-Baden: Nomos, 2009. Die Höhe der Schmiergeldzahlungen von Siemens soll bei 1,3 Milliarden Euro gelegen haben. Davon entfielen allein 450 Millionen auf die Kommunikationssparte und 300 Millionen auf die Kraftwerkstechnik. Insgesamt gab es 300 Beschuldigte. Das System der schwarzen Kassen war dabei bis ins Letzte ausgetüftelt: Es reichte von Österreich über die Schweiz, Liechtenstein, Moskau bis nach Afrika und Südamerika. Dubiose Geldtransaktionen wurden in mehr als 50 Ländern feststellen. Selbst Zuwendungen an eine willige Gewerkschaft wurden registriert.
Die Entschuldigung der Beschuldigten hieß: „Wir wussten, das es illegal war, aber es ging nicht anders.“ Die Folgen für das deutsche Vorzeigeunternehmen waren drastisch: die Gesamtkosten für die Aufdeckung sowie die Strafzahlungen beliefen sich auf ca. 3 Milliarden Euro. Die Umsatzzahlen des Konzerns brachen nach 2006 allerdings nicht ein – ein Beleg dafür, dass man auch ohne Korruption international gute Geschäfte machen kann.7Die Antikorruptionsmaßnahmen wurden bei Siemens seither drastisch verschärft. Vgl. http://www.siemens.de/ueberuns/responsibility/Documents/Siemens_BCG_2009_d.pdf (leider nicht mehr online verfügbar)
Korruption – die Schäden
Die Negativeffekte von Korruption sind den meisten Managern bis heute nicht bewusst. Bestechung hat nur auf den ersten Blick keinen Geschädigten. In Wirklichkeit ist Korruption eine der folgenreichsten Delikte der Wirtschaftskriminalität.
Zunächst gehen durch Korruption dem Staat Steuereinnahmen verloren. Damit schwächt man die öffentliche Hand und nimmt ihr Gestaltungsspielräume. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezession mit zurückgehenden Staatseinnahmen ist das kein Kavaliersdelikt.
Darüber hinaus führt Bestechung aber auch zu überhöhten Preisen, denn die Korruptionskosten müssen ja wieder hereingeholt werden. Die Betrogenen sind die Kunden, sei es der einkaufende Betrieb oder die Endverbraucher, die einen höheren Preis zahlen müssen.
Bestechung ist generell eine „Sünde“ am freien Wettbewerb. Der Mitbieter geht leer aus, nicht aber, weil er ein schlechteres Angebot vorgelegt hat, sondern weil er beim Gezocke um Schmiergeld nicht mitmachte oder davon nichts wusste. Die freie Marktwirtschaft beruht jedoch auf der ethischen Grundlage von Fairness und Gerechtigkeit mit gleichen Chancen für alle. Ohne solche gemeinsamen Überzeugungen kann das System der Marktwirtschaft nicht funktionieren.
Außerdem schreckt Korruption Investoren ab – ein Bespiel dafür sind viele Staaten des ehemaligen Ostblocks. Wenn von vornherein bekannt ist, dass bestimmte Projekte nur mit Hilfe von dubiosen Gratifikationen durchgeführt werden können, ziehen sich ehrliche Wettbewerber zurück oder mischen gar nicht erst mit. Auch dadurch ist ein echter Wettbewerb von Anbietern von vornherein ausgeschlossen – zu Lasten der Kunden und Bürger.
Bestechung verschlimmert nachgewiesener Maßen weltweit die Armut und führt zu Qualitätsminderung, Sicherheitsrisiken und Umweltverschmutzung, weil Auflagen nicht eingehalten werden. Nicht mehr der Anbieter, der höchste Qualität und nachhaltige Werkstoffe einsetzt, wird bevorzugt, sondern Anbieter mit niedrigerer Wertschöpfung. Auch die Armut wird durch Korruption gefördert, da meist nur die Oberschicht profitiert.
Viel schlimmer sind jedoch die immateriellen Schäden. Korruption führt zu einem kapitalen Vertrauensverlust. Käuflichkeit von Beamten untergräbt den Glauben an die Überparteilichkeit des Staates und vertieft somit die Politikverdrossenheit. Auf wirtschaftlicher Ebene gilt: Nicht mehr Qualität und Preis entscheiden, sondern die Höhe der als Bonus abgeführten Schmiergelder. Die mangelnde Transparenz des Marktes führt zu Resignation und Verbitterung, letztlich zu Passivität und Frustration, da man ja doch nichts tun kann. In Staaten mit struktureller Korruption liegt die Resignation der Bevölkerung wie ein Mehltau über dem Land.
Bestechung zerstört außerdem die Integrität des Menschen. Wer käuflich ist oder andere kauft, wird zum Spielball der Macht und zum Sklaven der eigenen Begierden. Korrupte Persönlichkeiten sind deshalb oft auch in anderen Bereichen des Lebens prinzipienlos.
Angesichts dieser materiellen und immateriellen Folgen von Korruption wird verständlich, warum Bestechung in der Literatur auch als „soziale Sünde“ bezeichnet wird.
Maßnahmen gegen Korruption
Auf nationaler wie auf internationaler Ebene werden seit Jahren große Anstrengungen übernommen, um Korruption zurückzudrängen.8Vgl. Ingo Pies, Wie bekämpft man Korruption: Lektionen der Wirtschafts- und Unternehmensethik für eine „Ordnungspolitik zweiter Ordnung“, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag, 2008.
… international
2003 veröffentlichten die Vereinten Nationen die „UN-Convention against Corruption“.9Vgl. https://www.unodc.org/documents/treaties/UNCAC/Publications/Convention/08-50026_E.pdf Schon sechs Jahre vorher hatte die OECD eine Übereinkunft gegen Bestechung verabschiedet (1998), die auch Mandatsträger in Parlamenten mit einbezog.10Vgl. https://www.oecd.org/berlin/themen/konvention-gegen-die-bestechung-auslaendischer-amtstraeger.htm Außerdem verbietet der „Global Compact“ der Vereinten Nationen jede Form von Korruption.11Vgl. http://www.unglobalcompact.org/languages/ german/de-gc-flyer-05.pdf Zu beachten sind das für Deutschland verabschiedete „Gesetz zur Bekämpfung der internationalen Bestehung“12Vgl. https://www.gesetze-im-internet.de/intbestg/BJNR232729998.html (IntBestG) und das „EU-Bestechungsgesetz“13Vgl. http://www.lexsoft.de/cgi-bin/lexsoft/justizportal_nrw.cgi?xid=138834,1 (EUBestG). Beide Gesetze machen deutlich, dass auch Korruption im Ausland eine strafbare Handlung ist, nicht nur im Inland. Sie kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in schweren Fällen bis zu zehn Jahren geahndet werden. Ebenso beteiligt sich die „Weltbank“ an der Korruptionsbekämpfung, z.B. mit einer schwarzen Liste von Firmen, die für Korruptionsgeschäfte bekannt sind. Jenseits dieser „politischen“ Organisationen hat seit 1993 vor allem Transparency International das Bewusstsein für die Problematik Korruption geschärft – ein Beweis für die große Bedeutung von NGOs.
Strukturelle Korruption ist Ausdruck einer Systemkrise des Staates. Um sie zu überwinden müssen alle Beteiligten, vom Staat über die Wirtschaft bis hin zu religiösen Institutionen und NGOs, an einen Tisch. Transparency International hat für solche Konstellationen einen Integritätspakt entwickelt.14Vgl. als Muster http://www.transparency.de/ fileadmin/pdfs/Themen/Verwaltung/05-02-11_Integrit_tsvertragFBS_fin.pdf Vom „Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie“ gibt es hilfreiche Hinweise für deutsche Unternehmen, die im Ausland tätig sind.15Siehe die Broschüre „Korruption vermeiden: Hinweise für deutsche Unternehmen, die im Ausland tätig sind. Eine Kurzinformation“, erhältlich beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Dass es selbst in Dritte-Welt-Staaten Fortschritte geben kann, zeigt das Beispiel des westafrikanischen Staates Ghana, das erfolgreich gegen Korruption vorgegangen ist. Auch die indische Firma „Tata“ gilt als korruptionsfrei, obwohl sie sich in einem kulturellen Umfeld befindet, in dem Bestehung an der Tagesordnung ist.
… national
Auf nationaler Ebene sind Korruptionszahlungen und die Annahme von Korruptionsleistungen (erst) seit 1999 strafbar. Die Paragraphen 299-300 (für den geschäftlichen Verkehr) und 331-335 (für staatliche Stellen) des Strafgesetzbuches regeln die Einzelheiten.16Außerdem wird die Bestechung von Wähler und Abgeordneten im § 108b und 108e unter Strafe gestellt. Positiv hervorzuheben ist dabei, dass sowohl der Bestechende wie auch der Bestochene bestraft werden.
2004 wurden außerdem „Antikorruptionsrichtlinien für die Bundesverwaltung“ verabschiedet, in denen das Rotationsprinzip und ein Verhaltenskodex festgelegt wurden.17Vgl. http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_30072004_O4634140151.htm Nordrhein-Westfalen ging mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Korruptionsbekämpfung“, das seit 2005 gilt, noch einmal darüber hinaus.18Vgl. http://beck-online.beck.de/?bcid=Y-100-G-NRWKorruptBG Als absolute Notwendigkeit gilt die strikte Anwendung dieser Strafen, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen.
Ein detailliertes Unternehmensstrafrecht, wie es in den USA vorhanden ist, gibt es in Deutschland jedoch nicht. Auch ist es in Deutschland im Vergleich zu den USA nicht möglich, bei Verdacht Anwälte und Wirtschaftsprüfer in Unternehmen zu schicken, um die Vorwürfe zu überprüfen. Seit einiger Zeit wird in Deutschland über die Einführung eines zentralen Korruptionsregisters diskutiert. Es soll unzuverlässige Firmen auflisten. In einigen Bundesländern wurde es mittlerweile eingeführt, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg.19Ein solches Register gibt es schon im Stadtstaat Berlin, in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
… im Unternehmen
Innerhalb des Unternehmens gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Korruptionsbekämpfung. Bei Großunternehmen hat man Anti-Korruptions-Abteilungen (im Rahmen der Compliance-Bemühungen) eingeführt. Selbst einige deutsche Großstädte haben Anti-Korruptions-Abteilungen. Auf juristischer Ebene findet man Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Frankfurt/M. und München. Häufiger als früher wird auch bei Neueinstellungen in den Arbeitsverträgen eine „Anti-Korruptions-Richtlinie“ aufgeführt. Auch helfen regelmäßige Anti-Korruptions-Schulungen der Mitarbeiter. Das „Mehr-Augen-Prinzip“ ist zum Standard geworden, gerade bei größeren Projekten. Klare Regelungen über die Annahme von Geschenken, Firmenspenden, Sponsoring und über die Vermeidung von Interessenskonflikten haben sich ebenfalls als nützlich erwiesen. Darüber hinaus gibt es „Codes of Conducts“ in Unternehmen, die auch Abschnitte über Korruption enthalten. Gleiches gibt es auch für einzelne Branchen. Die Einführung von unabhängigen „Ombudsmännern“ hat sich bewährt, schützten sie doch den „Whistleblower“ vor unangenehmen Überraschungen.
Alles in allem merken immer mehr Unternehmen, dass Korruption das Ansehen der Firma fundamental schadet.
… auf individueller Ebene
Neben den schon genannten juristischen und unternehmerischen Maßnahmen sind aber noch andere Maßnahmen entscheidend. Die Integrität des Führungspersonals im Unternehmen ist der Schlüssel zur Überwindung von Korruption und muss stärker in den Blick genommen werden. „Für die Überwindung der Korruption bedarf es der Vorbildfunktion von Inhabern von Führungspositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.“20BKA, Bundeslagebild Korruption, 2005. Korruption kann nicht allein durch staatliche Gesetze überwunden werden, sondern vor allem durch das ethische Verantwortungsbewusstsein der Vorgesetzen, gepaart mit Anreizen für „ehrliches Wirtschaften“. Der Vorbildcharakter des gehobenen Managements ist hier besonders zu betonen. Werte und Ziele des Unternehmens müssen individuell gelebt und umgesetzt werden. Nicht anders kann man Korruption wirksam begegnen.
Korruption aus christlicher Sicht
Für diese individuelle Ebene der Korruptionsbekämpfung sind religiöse Fragen nicht unerheblich, ist doch der Glaube eine der wirksamsten Kräfte für die ethische Ausrichtung des Menschen. Im Kulturkreis Mitteleuropas spielt dabei der christliche Glaube immer noch die zentrale Rolle.
Für ihn sind Person und Wesen Gottes Ausgangspunkt der Ethik. Gott wird in der Bibel als unbestechlich vorgestellt (5Mose 10,17; 2 Chronik 19,7). Dementsprechend soll auch der Mensch als Geschöpf und Ebenbild Gottes integer sein: „Ein Bestechungsgeschenk nimm nicht an; denn das Bestechungsgeschenk macht Sehende blind und verdreht die Sache der Gerechten“ (2Mose 23,8).
Schon die Bibel kennt allerdings Korruptionsfälle. Z.B. werden die Wächter am Grab Jesu bestochen (Mt 28,12), um die Auferstehung Jesu zu verschleiern. Der Magier Simon versucht, mit Hilfe von Geldzahlungen die übernatürlich Kraft der Apostel zu erlangen (Apg 8,18-20). Die Folgen von Korruption werden in der Bibel drastisch ausgemalt (z.B. 5Mose 27,25). Habsucht, die Quelle der Korruption, wird in der Bibel scharf gegeißelt (Mk 7,20-22; 1Tim 6,9) und als Wurzel allen Übels dargestellt.
Die alten Kirchenväter und der Reformator Martin Luther (in seiner Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam) verbanden den Begriff „corruptio“ mit der Erbsündenlehre. Auch Thomas von Aquin sprach von der Erbsünde als einem „habitus corruptus“. Der natürliche Mensch sei von Geburt an korrumpt und damit sein Leben lang gefährdet, sich korrumpieren zu lassen. Einer solchen Geistes- und Lebenshaltung stellt der christliche Glaube die Integrität und Wahrhaftigkeit des Menschen gegenüber. Das Gegenbild des „homo corruptus“ ist bei Luther der „homo integer“. Integrität geschehe dabei durch die Erneuerung des Menschen durch Jesus Christus, die jedem Menschen die Kraft verleiht, nach ethischen Prinzipien zu leben.
Epilog
Korruption ist eine Geißel der Menschheit. Ihre verschiedenen Spielarten führen zu materiellen und immateriellen Schäden ungekannten Ausmaßes. Mittlerweile ist kaum ein Bereich des menschlichen Lebens davon ausgenommen. Neben den wirtschaftlichen Schäden führt Korruption zu einem immensen Vertrauensverlust und zu einer starken Resignation der Bevölkerung, Unwerte, die für das soziale Zusammenleben Sprengstoff sind.
Die Überwindung der Korruption ist nur durch ein umfangreiches Maßnahmepaket zu erreichen. Klare Gesetze, die konsequent durchgesetzt werden müssen, gehören genauso dazu wie konkrete Maßnahmen in Verwaltungen und Unternehmen. International sollte noch konsequenter an einer „black list“ für korrupte Unternehmen gearbeitet werden. Ebenso müssen korrupte Politiker stärker isoliert werden. Das Personal entsprechender Strafverfolgungsbehörden ist aufzustocken (hier wird teilweise systematisch geblockt), politische Einflussnahme auf Korruptionsverfahren ist zu verhindern. Bei der Auftragsvergabe müssen wieder Qualität und Preis ausschlaggebend sein.
Solche Maßnahmen müssen jedoch auf individueller Ebene gekoppelt sein mit der Stärkung ethischer Überzeugungen des Einzelnen. Das Vorbild der Verantwortlichen wird Mitarbeiter motivieren, sich an ethische Verhaltensgrundsätze zu halten. Eine Atmosphäre der Verantwortung, des Respekts und Vertrauens, der Ehrlichkeit und Integrität, gelebt im Unternehmensalltag, sind die beste Prävention für Korruption. Solch ein Unternehmensklima ist der Schlüssel zur Überwindung von Bestechung.
Wirtschaftsethik benötigt immer eine weltanschauliche Grundlage mit erprobten ethischen Prinzipien. Hier kann der christliche Glaube eine wesentliche Rolle spielen.
© 2009 Institut für Ethik & Werte
Autor
Prof. Dr. Stephan Holthaus
Endnoten
- 1Zum Thema vgl. Britta Bannenberg / Wolfgang Schaupensteiner, Korruption in Deutschland: Portrait einer Wachstumsbranche, 3. Aufl. München: C.H. Beck, 2006; Britta Bannenberg, Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle: Eine kriminologischstrafrechtliche Analyse, Neuwied: Luchterhand, 2002; Jahrbuch Korruption 2006, Hg. Transparency International, Berlin: Parthas, 2006; Rupert F.J Pritzl / Friedrich Schneider, „Korruption“, Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 4: Ausgewählte Handlungsfelder, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1999, S. 310-333; Korruption: Netzwerke in Politik, Ämtern und Wirtschaft, Hg. Hans Herbert von Arnim, München: Knaur, 2003. Aus theologischer Sicht: Paul Kleiner, Bestechung: Eine theologisch-ethische Untersuchung, Europäische Hochschulschriften: Theologie 459, Bern: Peter Lang, 1992; Karl Rennstich, Korruption: Eine Herausforderung für Gesellschaft und Kirche, Stuttgart: Quell, 1990.
- 2Daten zur Korruption weltweit und in Deutschland findet man bei Transparency International und im jährlich „Lagebericht Korruption“ des Bundeskriminalamtes.
- 3So auf der Homepage von Transparency International: http://www.transparency.de/UEber-uns.44.0.html
- 4J.W. Goethe, Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 12. Buch; zur Geschichte der Korruption in der Neuzeit vgl. Geld – Geschenke – Politik: Korruption im neuzeitlichen Europa, Hg. Jans Ivo Engels u.a., Historische Zeitschrift. Beihefte 48. München: Oldenbourg, 2009.
- 5Daneben gibt Transparency International auch den „Bribe Payers Index“ heraus, ein Index über die Neigung von großen Firmen zur Korruption, sortiert nach Ländern. Deutschland lag hier 2006 auf dem 7. Platz, die Schweiz auf dem ersten.
- 6Zum Korruptionsskandal bei Siemens vgl. Der Korruptionsfall Siemens: Analysen und praxisnahe Folgerungen des wissenschaftlichen Arbeitskreises von Transparency International Deutschland, Hg. Peter Graeff u.a., Baden-Baden: Nomos, 2009.
- 7Die Antikorruptionsmaßnahmen wurden bei Siemens seither drastisch verschärft. Vgl. http://www.siemens.de/ueberuns/responsibility/Documents/Siemens_BCG_2009_d.pdf (leider nicht mehr online verfügbar)
- 8Vgl. Ingo Pies, Wie bekämpft man Korruption: Lektionen der Wirtschafts- und Unternehmensethik für eine „Ordnungspolitik zweiter Ordnung“, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag, 2008.
- 9
- 10
- 11
- 12
- 13
- 14
- 15Siehe die Broschüre „Korruption vermeiden: Hinweise für deutsche Unternehmen, die im Ausland tätig sind. Eine Kurzinformation“, erhältlich beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.
- 16Außerdem wird die Bestechung von Wähler und Abgeordneten im § 108b und 108e unter Strafe gestellt.
- 17
- 18
- 19Ein solches Register gibt es schon im Stadtstaat Berlin, in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
- 20BKA, Bundeslagebild Korruption, 2005.