Die Embryoadoption als ethisches Dilemma
Das Kind aus dem Kühlschrank
I. Einleitung
„Julia Grünert ist 46, mithilfe einer künstlichen Befruchtung bekam sie mit 40 das erste Kind und mit 45 noch einmal Zwillinge. Sie musste sich täglich Hormone spritzen, damit man ihr möglichst viele Eizellen entnehmen konnte. Von den Hormonen war ihr ständig schlecht, sie bekam Hitzewallungen und hatte Schmerzen von Wassereinlagerungen im Bauch. (…)
Julia Grünert und ihr Mann haben niemandem von der künstlichen Befruchtung erzählt. Bis heute nicht. (…) Von den Ärzten wurde sie zwar über die gesundheitlichen Risiken ihrer Behandlung aufgeklärt, aber dass nach einer künstlichen Befruchtung Embryonen übrig bleiben könnten, sagte ihr niemand. Jetzt hat sie drei Kinder und zwei mögliche auf Eis. Auf dem Küchentisch liegt die Halbjahresabrechnung fürs Einfrieren: 148,75 Euro. Weitere Kinder wollen sie und ihr Mann nicht, mit dreien seien sie finanziell und psychisch am Limit, sagt Julia Grünert. Ihr Arzt hat ihr jetzt vorgeschlagen, ihre Embryonen anderen Paaren zu spenden.“1Ahr, Reproduktionsmedizin, 3.
Julia Grünert und ihr Mann sind kein Einzelfall. Immer wieder kommt es im Zuge der künstlichen Befruchtung dazu, dass Embryonen „übrig bleiben“. Aus christlich-ethischer Perspektive stellt sich die Frage, wie ein ethisch verantwortlicher Umgang mit diesen verwaisten Embryos aussieht. Wir fragen, ob die Freigabe der Embryonen zur Adoption aus christlich-ethischer Sicht erlaubt ist und stellen diese Frage in den größeren Kontext der Reproduktionstechnologien, die dazu führen, dass es verwaiste Embryonen überhaupt gibt.
II. Hintergründe der Embryoadoption
Zunächst müssen wir uns vor Augen führen, wie es zur Entstehung der überzähligen Embryonen kommt und welche Alternativen es zur Adoption überzähliger Embryonen gibt.
2.1 Die Entstehung überzähliger Embryonen bei der künstlichen Befruchtung
Dass überzählige Embryonen anfallen, ist eine unausweichliche Begleiterscheinung der künstlichen Befruchtung2Vgl. zu diesem Thema die Dokumentation „Künstliche Befruchtung: Gezeugt, nicht gemacht!?“ von Eva Dittmann (frei zugänglich unter www.ethikinstitut.de). im Labor (in-vitro-Fertilisation, IVF). Die künstliche Befruchtung gleicht einer Rechnung mit vielen Unbekannten, die nur selten „glatt“ aufgeht. So lässt sich weder genau vorhersagen, (1) wie viele reife Eizellen der Körper der Frau infolge der Hormonbehandlung produziert, noch (2) wie viele davon erfolgreich im Reagenzglas mit den Samenzellen des Mannes befruchtet werden können, noch (3) wie viele der künstlich erzeugten Embryonen nach der Übertragung zu einer Schwangerschaft und Geburt führen.32015 lag die Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer bei 31,9%, die Geburtenrate bei 23,5% (vgl. Deutsches IVF-Register, Jahrbuch 2015, 10). Wurden zu wenige Embryonen hergestellt, muss das Paar sich erneut den mit der Behandlung einhergehenden körperlichen und psychischen Belastungen unterziehen. Wurden zu viele hergestellt, bleiben am Ende Embryonen übrig, wobei die Eltern in Abstimmung mit den Ärzten entscheiden müssen, wie viele und welche4Die Selektionsmöglichkeit wirft eigene ethische Fragen auf, denen hier nicht weiter nachgegangen werden kann. tatsächlich übertragen werden.
Doch selbst in dem unwahrscheinlichen Idealfall, dass sich trotz dieser Variablen die Zahl der erzeugten exakt mit der der gewünschten Embryonen deckt, können diese noch überzählig werden. Ausschlaggebend dafür ist, dass bei der IVF das zwei- bis fünftägige Zeitfenster zwischen der Befruchtung im Reagenzglas und der Übertragung in die Gebärmutter einen Raum für Eventualitäten öffnet, den es bei der natürlichen Empfängnis nicht gibt:
Erkrankt oder verstirbt die Frau in dieser Zeit, ist eine Übertragung unmöglich. Ebenso kann das Paar sich aufgrund des Risikos einer Mehrlingsschwangerschaft kurzerhand entschließen, weniger Embryonen übertragen zu lassen als ursprünglich vereinbart. Gefährdet wird die Übertragung auch durch Konflikte in der Partnerschaft.
Deutlich ist: Solange die IVF praktiziert wird, lässt sich die Entstehung überzähliger Embryonen nicht vollständig vermeiden. Durch entsprechende Regelungen ist es aber möglich, ihre Anzahl gering zu halten:
Mit der sogenannten Dreierregel geht Deutschland restriktiver gegen überzählige Embryonen vor als die meisten anderen Staaten. Diese Regel besagt, dass einer Frau aufgrund des Risikos bei Mehrlingsschwangerschaften pro Zyklus maximal drei Embryonen übertragen werden dürfen (vgl. §1(1)3 des ESchG (Embryonenschutzgesetzes)).
Allerdings wird diese Vorschrift unterschiedlich ausgelegt. Ihre strikte Interpretation verbietet es, pro Zyklus mehr als drei Eizellen zu befruchten, weil sie davon ausgeht, dass die Befruchtung potenziell bei jeder Eizelle erfolgreich verlaufen kann. Da nur drei Embryonen übertragen werden dürfen und die Entstehung überzähliger Embryonen vermieden werden soll, wird der Befruchtungsversuch auf höchstens drei Eizellen begrenzt.
Dem gegenüber steht die erweiterte Interpretation. Auch sie berücksichtigt, dass pro Zyklus maximal drei Embryonen übertragen werden dürfen, kalkuliert aber die Wahrscheinlichkeit mit ein, dass sich nicht jede Eizelle befruchten lässt und dass sich nicht jede befruchtete Eizelle richtig entwickelt. Ziel ist es, am Ende des künstlichen Befruchtungsvorgangs die gewünschte Anzahl übertragbarer Embryonen (höchstens drei) zur Verfügung zu haben. Dazu kann, ausgehend von einer ärztlichen Prognose zu ihrer Entwicklungsfähigkeit, auch an mehr als drei Eizellen ein Befruchtungsversuch unternommen werden.5Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryospende, 42-45. Folglich führt die erweiterte Auslegung der Dreierregel zu mehr überzähligen Embryonen als die strikte.
Halten wir fest: Die Entstehung überzähliger Embryonen im Zuge der IVF wird in Deutschland durch die Dreierregel begrenzt, vermeiden lässt sie sich jedoch nicht. Unabhängig von ihrer Anzahl stellt sich daher die Frage, was mit den unweigerlich entstehenden überzähligen Embryonen geschehen soll.
2.2 Möglichkeiten des Umgangs mit überzähligen Embryonen
Im Falle überzähliger Embryonen ist unverzügliches Handeln geboten, da diese außerhalb des Mutterleibes nur wenige Tage entwicklungsfähig sind. Ab dem siebten Tag müssen sie sich in eine Gebärmutter einnisten, um überleben zu können.6Es sei denn, ihnen würde eine künstliche Einnistung ermöglicht, was Forschern im Rahmen der embryonalen Stammzellforschung 2016 erstmals gelang. Vgl. Schlütter, Menschliche Embryonen. Kommt es nicht zur Übertragung in die Gebärmutter der Frau, gibt es die Möglichkeit, sie mittels Kryokonservierung vor dem Absterben zu bewahren. Dabei werden die überzähligen Embryonen bei minus 196° C in Stickstoff eingefroren. Ihre natürliche Entwicklung wird damit gestoppt, in diesem Zustand können sie gelagert und später wieder aufgetaut werden.
Je nachdem, bei welchem Entwicklungsstand die Kryokonservierung erfolgt, ist zwischen tiefgefrorenen Embryonen und Vorkernstadien zu unterscheiden. Von Vorkernstadien sprechen Mediziner, wenn die Samen- in die Eizelle eingedrungen ist (Imprägnation), beide einen Vorkern entwickelt haben, die Vorkerne aber noch nicht miteinander verschmolzen sind. Erst nach der Kernverschmelzung, etwa 22 Stunden nach dem Eindringen des Spermiums, liegt im Sinne des Gesetzes ein Embryo vor.7Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryospende, 15-16.
Aufgrund des Embryoschutzes wird die Kryokonservierung in Deutschland nach Möglichkeit bereits im Vorkernstadium vorgenommen. Embryonen werden nur in Ausnahmefällen eingefroren, wenn, wie in den o.g. Fällen, die Übertragung unerwartet nicht stattfinden kann. Die gezielte Erzeugung überzähliger Embryonen zum Zweck der Konservierung ist gesetzlich verboten.8Vgl. §1(1)5 ESchG. Vorkernstadien hingegen dürfen mit dem Ziel hergestellt werden, sie anschließend zu konservieren.
Einmal eingefroren, gibt es verschiedene Möglichkeiten, weiter mit diesen Vorkernstadien/Embryonen zu verfahren:
- Ist die Kinderwunschbehandlung noch nicht abgeschlossen, besteht die Möglichkeit, dass die Vorkernstadien/Embryonen zu einem späteren Zeitpunkt für die eigene Fortpflanzung des Paares Verwendung finden. Hat z.B. eine vorausgegangene künstliche Befruchtung nicht zu einer Schwangerschaft geführt oder wünscht ein Paar sich ein weiteres Kind, kann es auf die tiefgefrorenen Vorkernstadien/Embryonen zurückgreifen. Ist diese Möglichkeit noch offen, dann ist noch nicht von überzähligen Embryonen im eigentlichen Sinne zu sprechen. Als überzählig gelten Vorkernstadien/Embryonen erst, wenn eine Verwendung durch die genetischen Eltern nicht mehr in Frage kommt.9Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryospende, 14. Dann bestehen folgende Optionen:
- Paare mit überzähligen Embryonen können deren Freigabe für Forschungszwecke an embryonalen Stammzellen erwägen. Erkenntnisse, die dadurch gewonnen werden, könnten der Medizin zu bedeutenden Fortschritten verhelfen, jedoch auf Kosten des Lebens des Embryos. Ob dies rechtlich eine zulässige Option ist, hängt von der Gesetzgebung des jeweiligen Staates ab. In Deutschland ist die Forschung an überzähligen Embryonen (bislang) verboten, da dem Embryo ab der Kernverschmelzung rechtlich gesehen der volle Schutz der Menschenwürde gilt, in Ländern wie der Schweiz oder Großbritannien hingegen ist die verbrauchende Embryonenforschung erlaubt.
- Die Eltern können sich auch für die dauerhafte Kryokonservierung ihrer überzähligen Vorkernstadien/Embryonen entscheiden. Auf diese Weise kann eine endgültige Entscheidung über Leben oder Tod des Vorkernstadiums/Embryos aufgeschoben werden. Die Aussagen darüber, ob die Dauer der Lagerung sich auf die Lebensfähigkeit der Vorkernstadien/Embryonen auswirkt, sind widersprüchlich.10Vgl. Jofer, Regulierung, 431 mit http://www.muenster-kinderwunschzentrum.de/kinderwunsch/behandlung/kryokonservierung [17.11.2017].
- Sollen die Vorkernstadien/Embryonen nicht auf unbestimmte Zeit ihrem Schicksal überlassen werden, können Eltern sich dafür entscheiden, sie auftauen und sterben zu lassen. Da nach dem Auftauen die natürliche, durch die Kryokonservierung unterbrochene Entwicklung wieder einsetzt, diese jedoch nur bis zu einem bestimmten Stadium außerhalb des Mutterleibes erfolgen kann, hat das Auftauen letztlich die Zerstörung des Embryos zur Folge.
- Die zurzeit einzige Möglichkeit, überzähligen Vorkernstadien/Embryonen die Chance der Weiterentwicklung zu eröffnen, besteht in deren Freigabe zur Adoption. Im Zuge des Heterologen Embryotransfers (HET) werden sie mit Zustimmung der genetischen Eltern auf eine genetisch nicht verwandte Frau übertragen, die das Kind austrägt und anschließend selbst aufzieht oder zur Adoption freigibt. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Adoption von Vorkernstadien/Embryonen rechtlich zulässig ist, ist von Land zu Land unterschiedlich geregelt.
III. Die Rechtslage der Embryoadoption11Soweit nicht ausdrücklich unterschieden, umfasst der Begriff „Embryoadoption“ im Folgenden sowohl Embryonen als auch Vorkernstadien. in Deutschland
Die Handhabung der Embryoadoption wird in Deutschland dadurch erschwert, dass die rechtlichen Bestimmungen auch nach Einschätzung von Fachleuten Regelungslücken aufweisen.
Eindeutig untersagt sind zum Wohl des Kindes bestimmte Handlungen im Umfeld der Embryoadoption, die geeignet sind, eine gespaltene Mutterschaft herbeizuführen.12Durch die Mittel der Reproduktionsmedizin wäre es denkbar, dass ein Kind drei verschiedene Mütter hat: eine genetische, von der die Eizelle stammt; eine Geburtsmutter, die das Kind austrägt und gebiert; und eine soziale Mutter, die das Kind aufzieht. Verboten sind zum Beispiel die Spende unbefruchteter Eizellen,13Vgl. § 1(1)1 ESchG. künstliche Befruchtungen, bei denen von Beginn an die Spende des Embryos intendiert ist,14Vgl. §1(2) ESchG. sowie Heterologe Embryotransfers, wenn die Frau das Kind nur austragen, aber nicht aufziehen möchte.15Vgl. § 1(1)7 ESchG. Ebenso wenig dürfen Embryonen für Zwecke gespendet werden, die nicht ihrer Erhaltung dienen (z.B. für Forschungszwecke).16Vgl. § 2(1) ESchG.
Ausdrücklich erlaubt ist die Embryoadoption in Deutschland nur unter bestimmten Voraussetzungen. Zu differenzieren ist dabei zwischen Embryonen und Vorkernstadien:
Embryonen zu adoptieren, ist zulässig, wenn aus einem der oben genannten Gründe bereits ein überzähliger Embryo vorliegt und die austragende Frau nach der Geburt bereit ist, für das Kind zu sorgen, also nicht lediglich als Leihmutter fungiert.17Vgl. § 1(1)7 ESchG. „In diesen Fällen tritt das Ziel, eine gespaltene Mutterschaft zu verhindern, hinter die im Einzelfall bestehende Chance der Weiterentwicklung des Embryos zurück.“18Deutscher Ethikrat, Embryospende, 34-35.
Rechtlich nicht eindeutig geklärt ist, ob die Freigabe zur Adoption auch für Vorkernstadien zulässig ist, denn die Bestimmungen des ESchG können in dieser Frage unterschiedlich ausgelegt werden. Im Wesentlichen dreht sich die Diskussion um die Frage, wann eine Eizelle als „befruchtet“ gilt:19Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryospende, 37-38.
Das ESchG besagt, dass eine künstliche Befruchtung nur erfolgen darf, um eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt.20Vgl. §§ 1(1)2 und 1(2) ESchG. Eine künstliche Befruchtung mit der Absicht, den Embryo zu spenden, ist nicht erlaubt. Fraglich ist nun, ob Vorkernstadien zum Zeitpunkt der Kryokonservierung bereits befruchtet sind oder erst durch die Weiterkultivierung nach dem Auftauen befruchtet werden.
Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten, weil die Befruchtung ein Prozess ist (man spricht von der „Befruchtungskaskade“), der mit dem Eindringen der Samenzelle in die Eizelle beginnt und erst mit der Verschmelzung der Vorkerne zum Abschluss kommt. Nimmt man den Beginn des Befruchtungsprozesses zum Maßstab, ist die Befruchtung der Vorkernstadien schon vor deren Kryokonservierung erfolgt, und zwar noch in der Absicht, eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt. Folglich läge kein Gesetzesverstoß vor, wenn die Vorkernstadien im weiteren Verlauf überzählig und zur Adoption freigegeben werden. Wird eine Eizelle hingegen erst dann als befruchtet angesehen, wenn der Befruchtungsprozess beendet ist, wären das Auftauen und Weiterkultivieren der Vorkernstadien mit deren Befruchtung gleichzusetzen. Geschieht dies in der Absicht, den daraus folgenden Embryo zu spenden, wäre ein Verstoß gegen das ESchG gegeben.
Da bislang keine gesetzliche Klärung erfolgt ist, ob Vorkernstadien bereits vor der Kryokonservierung als befruchtet gelten oder erst durch die Weiterbehandlung befruchtet werden, bewegen sich die Spende und Adoption von Vorkernstadien rechtlich in einer Grauzone.21Gegen den Vorstand des „Netzwerk Embryonenspende“ wurde im Mai 2017 wegen der Vermittlung von Vorkernstadien Strafbefehl erlassen; eine abschließende Gerichtsverhandlung steht noch aus (vgl. Mück-Raab, Strafbefehl).
IV. Zum Begriff „Embryoadoption“
Vor der Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Embryoadoption ethisch zu bewerten ist, ist es ratsam, den in diesem Zusammenhang allgemein gebräuchlichen Begriff der „Adoption“ zu reflektieren.
Die Adoption von Embryonen weist einerseits Gemeinsamkeiten mit der Adoption bereits geborener Kinder auf, sodass die Bezeichnung „Adoption“ naheliegt:
In beiden Fällen entsteht eine Eltern-Kind-Beziehung, die einer genetischen Verwandtschaft entbehrt. Für die annehmenden Eltern stellt sich gleichermaßen die Herausforderung, das Kind über seine Herkunft aufzuklären, während die abgebenden Eltern jeweils einwilligen, „ihr Kind“ nicht aufwachsen zu sehen und vielleicht nie kennenzulernen. Das Kind muss sowohl bei der Adoption als Embryo als auch bei der nachgeburtlichen Adoption anzunehmen lernen, dass es nicht bei seinen genetischen Verwandten (Eltern sowie möglichen Geschwistern) lebt.22Vgl. Brakman, Introduction, 13.
Aufgrund dieser ähnlichen Folgen wird die Annahme eines Embryos von manchen als Form der klassischen Adoption angesehen, nur dass diese bei Embryonen zu einem sehr frühen Zeitpunkt erfolgt.23Vgl. Waters, Adoption, 46.
Daneben gibt es aber auch bedeutende Unterschiede zwischen der Adoption eines Embryos und eines bereits geborenen Kindes:
Im Falle der Embryoadoption übernimmt die annehmende Mutter nicht nur die soziale Mutterrolle, sondern auch eine biologische, indem sie das Kind selber austrägt. Durch die Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt ist die Adoptivmutter eines Embryos physisch und psychisch in ganz anderer Weise und zu einem viel früheren Zeitpunkt mit dem Kind verbunden, als es bei der klassischen Adoption der Fall ist. Spricht die Frau bzw. das Paar nicht über die Umstände der Zeugung, dann begegnet die zunächst schwangere und dann gebärende Frau ihrer sozialen Umwelt zudem als die tatsächliche Mutter des Kindes, wohingegen sich eine Adoption üblicherweise nicht verheimlichen lässt.24Vgl. Brakman, Introduction, 13.
Ein weiterer Unterschied betrifft die Situation des Kindes. Die klassische Adoption bezieht sich auf bereits geboreneKinder, deren Versorgung durch die genetischen Eltern nicht gewährleistet wird. Nicht zu handeln bedeutet, das Kind einer Gefährdung seines Wohls auszusetzen. Die Embryoadoption hingegen bezieht sich auf ungeborenes Leben, dem aufgrund der Kryokonservierung bei Nichthandeln (zumindest mittelfristig) kein Schaden entsteht. Die unterschiedliche Art der Dringlichkeit zeigt, dass der Adoptionsbegriff bei der Embryoadoption auf eine Situation angewendet wird, für die er ursprünglich nicht gedacht ist.25Vgl. Mayoue, Challenges, 279-280.
Die Freigabe überzähliger Embryonen als „Adoption“ zu bezeichnen, wird dem Sachverhalt nicht gerecht. Zwar führen die klassische Adoption und die Embryoadoption zu einem ähnlichen Ergebnis – nämlich einer nicht genetisch grundgelegten Eltern-Kind-Beziehung, die für alle Beteiligten Herausforderungen mit sich bringt –, die Wege dorthin sind jedoch grundverschieden.26Weil es so geläufig ist, wird im Folgenden dennoch weiterhin die Bezeichnung „Embryoadoption“ verwendet.
V. Medizinethische und Biblisch-Theologische Orientierung zum Status embryonalen Lebens
Der Diskussion über den richtigen Umgang mit überzähligen Vorkernstadien/ Embryonen ist eine andere Frage vorgelagert, nämlich die nach deren moralischen Status: Sind Vorkernstadien und Embryonen menschliche Wesen mit vollem Personenstatus, sind sie bloßes Gewebe und damit einem Besitzgegenstand vergleichbar oder sind sie zwischen diesen beiden Polen einzuordnen, also noch kein richtiges menschliches Leben, aber doch mehr als nur ein Ding? Welche Umgangsformen mit überzähligen Vorkernstadien/Embryonen angemessen erscheinen, hängt davon ab, wie man die Frage nach ihrem Status – und ihrer Schutzwürdigkeit – beantwortet.
5.1 Zur Unterscheidung von Mensch und Person
Gibt es einen Unterschied zwischen Menschen und Personen? Wer diese Frage bejaht, verweist als Begründung darauf, dass nicht alle Menschen die Eigenschaften und Fähigkeiten aufweisen, die das Personsein im Allgemeinen kennzeichnen (z.B. das Bewusstsein).27So z.B. Peter Singer (vgl. Spaemann, Personen, 252). Personsein wird damit zu einer Unterkategorie des Menschseins, von der bestimmte Menschen wie auch Frühformen menschlichen Lebens ausgenommen sind. Der Anspruch auf bestimmte Rechte wiederum ist vom Personenstatus abhängig, sodass nicht allen Menschen dieselben Rechte zustehen. Angewendet auf embryonales Leben bedeutet dies, dass solches Leben nicht in demselben Maß schützenswert ist wie das Leben von Personen.Diese Sichtweise ist jedoch problematisch. Dass Personen in der Regel bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten aufweisen, ist nicht notwendigeBedingung, sondern allgemeineFolge ihres Personseins. Das heißt, dass die Gruppe der Personen allgemein, nicht aber jedes einzelne zu ihr gehörende Individuum bestimmte geistige Fähigkeiten ausbildet. Aus dem Fehlen von Eigenschaften und Fähigkeiten (z.B. aufgrund von Fehlentwicklungen) kann deshalb nicht darauf geschlossen werden, dass ein bestimmter Mensch keine Person sei.28Vgl. Spaemann, Personen, 256-258.
Wenn nun nicht Eigenschaften und Fähigkeiten das Personsein begründen, was ist es dann, was den Menschen zur Person macht?Als lebendige Wesen stehen die Menschen in einem Herkunftsverhältnis zueinander. Zur Personengemeinschaft gehören Menschen nicht aufgrund bestimmter sich allmählich ausbildender Eigenschaften und Fähigkeiten, sondern allein aufgrund der ihrer menschlichen Abstammung. Das Personsein muss nicht erst durch bestimmte Leistungsmerkmale unter Beweis gestellt werden, sondern ist bereits mit der Entstehung des Menschen mitgegeben.29Vgl. dazu Spaemann, Personen, 254-264.
Die Ausdrücke „Menschsein“ und „Personsein“ sind also deckungsgleich und nicht voneinander zu trennen, sodass das Personsein mit dem Menschsein beginnt und mit ihm endet.
Wir sehen: Ob Vorkernstadien und Embryonen als Personen zu betrachten und entsprechend zu schützen sind, hängt davon ab, ob man davon ausgeht, dass der Mensch sich erst (und nicht in jedem Exemplar) zur Person entwickelt oder ob er sich von Anfang an als Person entwickelt.
5.2 Zum Beginn menschlichen Lebens
Während die Frage, ob Menschen und Personen zu unterscheiden sind, v.a. von Philosophen diskutiert wird, wird die Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens auch an Mediziner und Naturwissenschaftler gestellt. Auch hier gehen die Auffassungen auseinander, wann überhaupt ein neuer Mensch entsteht. Während die einen in der Befruchtung den Beginn des natürlichen Lebens eines Menschen sehen, sehen andere den Beginn erst in späteren Einschnitten im Verlauf der Schwangerschaft. Die Meinungen dazu umfassen die Einnistung in der Gebärmutter, den Ausschluss der Mehrlingsbildung, die Überlebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes, das Einsetzen von Hirntätigkeit oder Empfindungsfähigkeit, die erste Bewegung sowie die Geburt.30Vgl. Rae, Moral Choices, 138-141.
Diesen Erwägungen ist die Befruchtung als Beginn des menschlichen Lebens aus mindestens zwei Gründen vorzuziehen:
- Die vorgeschlagenen Zäsuren im Schwangerschaftsverlauf bergen das Risiko menschlicher Willkür. Ihre Vielzahl zeigt, dass der Beginn menschlichen Lebens sich auf diese Weise nicht eindeutig bestimmen lässt. Der willkürärmste Zeitpunkt für den Beginn des Lebens ist die Befruchtung, von der ausgehend die gesamte Schwangerschaft ihren Lauf nimmt.31Vgl. Huber, Mensch, 45.
- Entstünde menschliches Leben erst im Verlauf der Schwangerschaft, wäre damit vorausgesetzt, dass – zu welchem Zeitpunkt auch immer – aus einem „Etwas“ ein „Jemand“ würde. Da nun aber nicht entwickelte Eigenschaften den Menschen zur Person machen, sondern seine von Anfang an bestehende menschliche Abstammung (s.o.), ist ein solcher Statuswechsel während der Schwangerschaft nicht gegeben. Dieser Tatsache wird allein die Befruchtung als Merkmal für den Beginn menschlichen Lebens gerecht.
Da der Begriff „Befruchtung“ auf die gesamte Befruchtungskaskade (von ca. 24 Stunden) angewendet wird, bleibt die Frage, ob menschliches Leben bereits mit dem Eindringen der Samen- in die Eizelle beginnt oder erst mit der Verschmelzung der Vorkerne. Zwar führt erst die Kernverschmelzung dazu, dass sich der genetische Code des neuen Menschen bildet, die spezifischen elterlichen Erbinformationen, die bei der Kernverschmelzung kombiniert werden, sind jedoch mit dem Eindringen eines bestimmten Spermiums in die Eizelle bereits vorgegeben Die Entwicklung dieses (bei Mehrlingen: dieser) speziellen Menschen nimmt also ab dem Befruchtungsbeginn ihren Lauf, sodass trotz der rechtlichen Differenzierung sowohl Embryonen als auch Vorkernstadien Formen menschlichen Lebens sind.
5.3 Zur Unantastbarkeit menschlichen Lebens
Aus theologischer Sicht ist für den Wert menschlichen Lebens ausschlaggebend, dass Gott selbst, als der Schöpfer, den Menschen ins Leben ruft und ihm die Gottebenbildlichkeit zuspricht (vgl. 1. Mose 1,26-27). Dadurch verleiht er ihm eine unschätzbare Würde, die den Menschen als Gegenüber Gottes von der restlichen Schöpfung abhebt (vgl. Ps 8,5-7). Als transzendente Größe kann diese Würde ausschließlich von Gott, nicht aber von anderen Menschen verliehen (oder abgesprochen) werden.
Da das biblische Zeugnis keinen Hinweis darauf gibt, dass die Gottebenbildlichkeit dem Menschen erst ab einer bestimmten Entwicklungsstufe zuteil wird, ist von Anfang an eine tiefe Achtung vor dem menschlichen Leben geboten. Aus dieser Achtung folgt nicht nur das Tötungsverbot (2. Mose 20,13), sondern auch das Gebot, sich besonders für das Leben der Schwachen und Schutzlosen einzusetzen, wie die Verkündigung Jesu deutlich macht (vgl. Lk 10,25-37).32Vgl. Raedel, Lebensbeginn, 21-23. Als frühe Formen menschlichen Lebens sind Vorkernstadien/Embryonen davon nicht ausgenommen.
5.4 Fazit
Weil Menschsein und Personsein nicht voneinander zu trennen sind, das Menschsein jedoch aufgrund der kontinuierlichen Entwicklung ab der Befruchtung mit dieser beginnt, ist der Status embryonalen Lebens nicht von dem Status geborenen Lebens zu unterscheiden. Aus der Gottebenbildlichkeit aller Menschen ergeben sich Folgen für einen christlich-ethisch verantwortbaren Umgang mit überzähligen Vorkernstadien/ Embryonen.
VI. Sozialethische Reflexion: Zum Umgang mit kryokonservierten Vorkernstadien/Embryonen
6.1 Zur Kryokonservierung33Vgl. zu den folgenden Ausführungen Maio, Technik, 11-24.
Wie die Reproduktionsmedizin als Ganze fördert auch die Kryokonservierung die Vorstellung von menschlichem Leben als einem Produkt, das vom Menschen machbar und sodann für ihn verfügbar ist. Mit Blick auf die Machbarkeit wird übersehen, dass die Reproduktionsmedizin dem Leben zwar zur Entstehung verhelfen, dieses aber nicht im technischen Sinne herstellen kann. Hinsichtlich der Verfügbarkeit besteht die Gefahr grundsätzlich darin, dass „das zu ‚produzierende‘ Kind als Mittel benutzt wird zur Erfüllung eines Wunsches“34Maio, Technik, 17.. Konkret äußert sich diese Verfügung über menschliches Leben beispielsweise, indem man es kryokonserviert, um es dann bei Bedarf auftauen und weiterkultivieren zu können bzw. bei ausbleibendem Bedarf als „Überproduktion“ einzulagern oder zu entsorgen.
Eine solche Instrumentalisierung ist nicht mit der Achtung vereinbar, die dem Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes – beides bleibt er auch im Zuge der Reproduktionsmedizin! – gebührt. Wer unterbrechend in die Entwicklung eines Menschenlebens eingreift und über dessen Ob und Wann verfügt, dringt in einen Bereich vor, der allein Gott als dem Schöpfer des Lebens vorbehalten und der Verfügungsgewalt des Menschen entzogen sein sollte.
Da die Kryokonservierung in vielen Fällen jedoch bereits erfolgt ist, stellt sich die Frage, wie aus christlich-ethischer Sicht weiter mit diesen tiefgefrorenen Vorkernstadien/Embryonen verfahren werden kann.
6.2 Zu den möglichen Umgangsformen
(1) Verwendung zur eigenen Fortpflanzung
Im Idealfall entscheidet sich das Paar, von dem die Ei- und die Samenzelle stammen, die tiefgefrorenen Vorkernstadien/Embryonen für seine eigene Fortpflanzung zu nutzen, sodass diese im eigentlichen Sinne gar nicht überzählig werden.
(2) Freigabe für Forschungszwecke
Die Option, überzählige Embryonen (Vorkernstadien sind hier nicht von Bedeutung) für Forschungszwecke freizugeben, ist aus christlicher Sicht abzulehnen. Da der Mensch von Anfang an, damit bereits als Embryo, schützenswert ist, darf er nicht für Zwecke eingesetzt werden, die seinem Leben ein Ende setzen, wie es bei der verbrauchenden Stammzellforschung der Fall ist.
Dieser Sichtweise gegenüber steht der erhebliche medizinische Nutzen, den die Forschung an embryonalen Stammzellen mit sich brächte. Befürworter argumentieren, dass durch die Freigabe ohnehin überzähliger Embryonen für Forschungszwecke unzählig vielen Patienten geholfen werden könne.35In Ländern, die die verbrauchende Stammzellforschung zulassen, bleiben die Ergebnisse allerdings bislang weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück. Vgl. http://www.drze.de/im-blickpunkt/stammzellen/sachstand [23.11.2017, nicht mehr verfügbar Stand 28.06.2023. Aktuelle Ergebnisse einsehbar unter https://www.drze.de/de/forschung-publikationen/im-blickpunkt/stammzellen/stammzellen]
Doch so verlockend diese Aussicht auch scheint: Wer den Tod ungeborenen Lebens zugunsten geborenen Lebens in Kauf nimmt, impliziert damit eine abgestufte Schutzwürdigkeit, die der biblischen Schöpfungstheologie widerspricht. Kein Mensch, ob geboren oder nicht, darf jemals für die Zwecke anderer Menschen instrumentalisiert werden.36Vgl. Meilaender, Not by Nature, 99-102.
(3) Dauerhafte Kryokonservierung
Die dauerhafte Kryokonservierung ist eine Option, die überzähligen Vorkernstadien/ Embryonen weder das Leben ermöglicht noch gezielt deren Tod herbeiführt. An einer solchen Entscheidung ist gutzuheißen, dass sie es vermeiden möchte, den Vorkernstadien/Embryonen über ihre Kryokonservierung hinaus weiteres Unrecht zuzufügen, konkret: sie ohne Überlebensperspektive aufzutauen. Doch bedeutet die dauerhafte Kryokonservierung für die Vorkernstadien/Embryonen auch, dass ihre durch Menschentun eingeleitete Entwicklung unterbrochen bleibt und ihnen damit ihre natürliche Entwicklung verwehrt wird. Abgesehen von den praktischen Problemen37Zum Beispiel die Frage, wer die Verantwortung für die eingefrorenen Vorkernstadien/Embryonen trägt, nachdem die genetischen Eltern verstorben sind (vgl. Keenan, Development, 223). wird das andauernde Einfrieren der Würde embryonalen Lebens nicht gerecht, denn dieses ist kein Produkt, das unbeachtet in Tiefkühlvorrichtungen lagern sollte, weil niemand es mehr braucht.
(4) Auftauen und sterben lassen
Die Möglichkeit, überzählige Vorkernstadien/Embryonen aufzutauen und sterben zu lassen, findet unter Christen sowohl Befürworter als auch Gegner.
Befürworter argumentieren, dass das Auftauen und Sterbenlassen angesichts der Alternativen die würdevollste Art sei, mit überzähligen Vorkernstadien/Embryonen umzugehen. Sie schlagen vor, ihr Sterben liturgisch zu begleiten und sie so bewusst Gott anzubefehlen.38Vgl. Meilaender, Not by Nature, 105-106.
Andere halten ein solches Vorgehen für mit dem biblischen Tötungsverbot unvereinbar, weil der Auftauprozess und somit das Sterben gezielt ausgelöst werden. Zudem sei es verwerflich, die Vorkernstadien/Embryonen sterben zu lassen, wenn in Form der Embryoadoption eine Möglichkeit besteht, ihr Leben zu retten.39Vgl. Rae, Moral Choices, 170; Brown, Ethical Considerations, 105-108.
Der Frage, ob die Embryoadoption tatsächlich eine ethisch vertretbare Alternative darstellt und daher dem Sterbenlassen vorzuziehen ist, wird im Folgenden weiter nachgegangen.
(5) Freigabe zur Adoption
Die Freigabe zur Adoption ist das (bislang) einzige Mittel, überzähligen Vorkernstadien/Embryonen das Leben zu ermöglichen. Die Tatsache, dass alle anderen Optionen letztlich deren Tod bedeuten, fällt in der Diskussion um die Embryoadoption stark ins Gewicht. Wenn embryonales Leben von seinen ersten Anfängen an schützenswert ist, wie die Bibel es nahelegt, dann scheint klar, dass die Entscheidung zwischen Tod und Leben aus christlicher Sicht immer für das Leben gefällt werden muss.
Ein weiteres Argument für die Embryoadoption ist die große Zahl kinderloser Paare, die sich sehnlichst ein Kind wünschen. Die Adoptionsmöglichkeit von Vorkernstadien/Embryonen würde ihrer Not abhelfen und zugleich das Leben des Kindes retten.40Vgl. von Hagens, Kinderlosigkeit, 132-133.
Unter diesen Gesichtspunkten scheint es wünschenswert, neben der Adoption von Embryonen auch die Adoption von Vorkernstadien gesetzlich freizugeben. Jedoch ist auch die Praxis der Adoption nicht frei von ethischen Bedenken:
Die katholische Kirche beispielsweise lehnt die Embryoadoption aus grundsätzlichen ethischen Erwägungen ab. Weil die sexuelle Vereinigung (in der Ehe) und die Weitergabe des Lebens aus ihrer Sicht untrennbar zusammengehören, betrachtet sie jede Form künstlicher Befruchtung als moralisch unerlaubt. Ihrem Verständnis nach ist die menschliche Sexualität exklusiv auf die beiden Ehepartner beschränkt, sodass eine Frau nur auf natürlichem Wege und nur durch ihren Ehemann schwanger werden darf.41Vgl. die Stellungnahme „Donum Vitae“ des Vatikans, II(A)1. S. auch Pacholczyk, Moral Objectionability, 69-77. Im Zuge der Embryoadoption hingegen kommt es dazu, dass eine Frau ein Kind in sich trägt, das nicht Frucht der elterlichen Liebe und weder mit der schwangeren Frau noch mit ihrem Ehemann genetisch verwandt ist.
Daraus ergeben sich auch familienethische Anfragen: Im Gegensatz zur Adoption bereits geborener Kinder sind die Elternrollen bei der Embryoadoption nicht klar definiert:Rechtlich gilt in Deutschland die Frau als Mutter, die das Kind zur Welt gebracht hat.42Vgl. § 1591 BGB. Die Vaterschaft ihres Ehemannes/ Lebensgefährten hingegen kann sowohl durch den biologischen Vater als auch später durch das Kind angefochten werden.43Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryospende, 48-51.
Die rechtliche Regelung der Mutterschaft, die auf die Vermeidung der Entstehung gespaltener Mutterschaften zielt, schafft zwar auf juristischer Ebene Klarheit, die biologische Ambivalenz bleibt jedoch bestehen. Denn das Kind hat nicht nur zu der Frau eine Verbindung, die es geboren hat, sondern auch zu seiner genetischen Mutter. Durch die Adoption als Embryo wird das Kind ebenso wie seine „beiden Mütter“ vor die Herausforderung gestellt, dieses aufgespaltene Herkunftsverhältnis in seine Identität zu integrieren.
Die Folgen, die es für ein Kind hat, weder seinen Vater noch seine Mutter eindeutig benennen zu können, müssen im Interesse des Kindeswohls weiter erforscht, und die Ergebnisse dieser Forschung in der Diskussion berücksichtigt werden.
Ein weiterer Einwand gegen die Adoption von Vorkernstadien/Embryonen betrifft die möglichen Auswirkungen auf den Bereich der Reproduktionsmedizin. Was als Notlösung beginnt, um überzähligen Vorkernstadien/Embryonen das Leben zu ermöglichen, kann sich, wenn die rechtlichen Voraussetzungen erst einmal geschaffen sind, zu einer neuen Behandlungsmethode bei Unfruchtbarkeit entwickeln:
Für kinderlose Paare ist diese Option attraktiv, weil sie trotz ihrer Unfruchtbarkeit eine Schwangerschaft durchleben, „ihr“ Kind selbst austragen und die „Adoption“, wenn gewünscht, leicht geheim halten können. Neben einem Rückgang der Bewerberzahlen für herkömmliche Adoptionen wäre zu erwarten, dass die Nachfrage nach überzähligen Vorkernstadien/Embryonen steigt. Dies wiederum wäre wirtschaftlich gesehen für Reproduktionsmediziner eine attraktive Entwicklung, denn sie könnten die überzähligen Vorkernstadien/Embryonen, die sie an kinderlose Paare vermitteln, zuvor selbst produzieren.44Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryoadoption, 135; Pacholczyk, Moral Objectionability, 80. Damit wäre nicht nur das Bestreben hinfällig, die Entstehung überzähliger Vorkernstadien/Embryonen durch Einhaltung der (strikten) Dreierregel zu vermeiden; es wäre sogar eine gezielte Überproduktion denkbar.
Die Möglichkeit einer derartigen Kommerzialisierung ist ethisch bedenklich, weil embryonales Leben dadurch wie eine Ware gehandelt würde, was seinem Personenstatus klar widerspricht.
Gleichzeitig darf die Erfolgsrate der Embryoadoption nicht überschätzt werden. Eine erste Hürde wäre, dass die genetischen Eltern überhaupt zur Freigabe „ihrer“ Vorkernstadien/Embryonen bereit sein müssten. Zudem liegt die Schwangerschaftsrate je Transfer bei erfolgreich aufgetauten Vorkernstadien/Embryonen in Deutschland lediglich bei 25%; zu einer Lebendgeburt kommt es bei ca. 70% dieser Schwangerschaften.45Vgl. Deutsches IVF-Register, Jahrbuch 2015, 6+25. Mehr als 75% der derzeit kryokonservierten Vorkernstadien/Embryonen würden daher selbst bei flächendeckender Anwendung der Embryoadoption nie das Licht der Welt erblicken.
All diese Bedenken sind eine deutliche Warnung, die Embryoadoption nicht leichtfertig als Lösung für das Problem der überzähligen Vorkernstadien/Embryonen einzuführen.
6.3 Ergebnis
Der Umgang mit überzähligen Vorkernstadien/Embryonen stellt aus christlich-ethischer Sicht ein Dilemma dar, aus dem es keinen guten Ausweg gibt: Im Fall des Auftauens und Sterbenlassens wird der sichere Tod der Vorkernstadien/Embryonen in Kauf genommen, was durch die Embryoadoption vermieden werden könnte. Wer den Weg der Embryoadoption beschreitet, bringt zwar seine Achtung vor der Würde des Embryos zum Ausdruck, stützt aber zugleich ein System, das immer neue und immer mehr verwaiste, praktisch dem Tod geweihte Embryonen hervorbringt.
VII. Fazit und Ausblick
Die Komplexität des Sachverhalts zeigt eindrücklich, welche Probleme sich ergeben, wenn der Mensch in Bereiche eingreift, die Gott als dem Schöpfer und Herrn vorbehalten sein sollten. Die Embryoadoption kann hinsichtlich der überzähligen Vorkernstadien/Embryonen allenfalls als Versuch bewertet werden, ein praktisch bestehendes Dilemma zugunsten des Rechts des verwaisten Embryos auf Leben aufzulösen.
Die Lösung ist ethisch jedoch anders zu bewerten als die Adoption eines bereits geborenen Kindes. Erstens ist die Freigabe zur Adoption zumeist die Folge einer ungewollten Schwanger-, jedenfalls ungewollten Mutterschaft, während der Embryo erst auf Verlangen der Eltern erzeugt wurde. Zweitens ist dem Kind seine Adoptivsituation eher zumutbar, wenn diese einem „Unfall“ geschuldet ist, nicht dem geplanten menschlichen Handeln seiner genetischen Eltern. Schließlich ist die Gefahr der Kommerzialisierung deutlich größer, wenn es um verwaiste Embryonen geht, an denen diejenigen, die ihnen gegenüber in der Pflicht stehen, kein Interesse mehr haben.
Die Frage nach der Zulassung der Embryoadoption muss daher in die Diskussion eingebettet werden, wie verhindert werden kann, dass verwaiste Embryonen überhaupt entstehen. Wenn sich die künstliche Befruchtung nicht auf eine Weise durchführen lässt, die überzählige Embryonen praktisch auszuschließen vermag – und nichts deutet darauf hin, dass das möglich ist, dann muss die IVF als Basistechnologie für das Anfallen verwaister Embryonen in Frage gestellt werden. Wird dieser Zusammenhang nicht hergestellt, besteht die Gefahr, dass die einmal zugelassene – und in der Folge unvermeidlich beworbene – Embryoadoption nachträglich die Anwendung von Reproduktionstechnologien legitimiert, die überhaupt erst das Dilemma schaffen, aus dem die Embryoadoption dann der Ausweg sein soll.
Wenn Christen sich dazu entschließen, verwaiste, faktisch dem Tod geweihte Embryonen zu adoptieren, dann können sie dafür mit deren – nicht zu leugnendem – Lebensrecht argumentieren. Das Vorhandensein verwaister Embryonen zu beklagen, ist jedoch nur dann überzeugend, wenn Christen, um die eigens herbeigeführte Erzeugung von Embryonen zu vermeiden, auf die Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin verzichten und darin ein Zeichen für das Leben setzen.
© 2018 Institut für Ethik & Werte
Autorin
Kerstin Schmidt
Endnoten
- 1Ahr, Reproduktionsmedizin, 3.
- 2Vgl. zu diesem Thema die Dokumentation „Künstliche Befruchtung: Gezeugt, nicht gemacht!?“ von Eva Dittmann (frei zugänglich unter www.ethikinstitut.de).
- 32015 lag die Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer bei 31,9%, die Geburtenrate bei 23,5% (vgl. Deutsches IVF-Register, Jahrbuch 2015, 10).
- 4Die Selektionsmöglichkeit wirft eigene ethische Fragen auf, denen hier nicht weiter nachgegangen werden kann.
- 5Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryospende, 42-45.
- 6Es sei denn, ihnen würde eine künstliche Einnistung ermöglicht, was Forschern im Rahmen der embryonalen Stammzellforschung 2016 erstmals gelang. Vgl. Schlütter, Menschliche Embryonen.
- 7Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryospende, 15-16.
- 8Vgl. §1(1)5 ESchG. Vorkernstadien hingegen dürfen mit dem Ziel hergestellt werden, sie anschließend zu konservieren.
- 9Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryospende, 14.
- 10Vgl. Jofer, Regulierung, 431 mit http://www.muenster-kinderwunschzentrum.de/kinderwunsch/behandlung/kryokonservierung [17.11.2017].
- 11Soweit nicht ausdrücklich unterschieden, umfasst der Begriff „Embryoadoption“ im Folgenden sowohl Embryonen als auch Vorkernstadien.
- 12Durch die Mittel der Reproduktionsmedizin wäre es denkbar, dass ein Kind drei verschiedene Mütter hat: eine genetische, von der die Eizelle stammt; eine Geburtsmutter, die das Kind austrägt und gebiert; und eine soziale Mutter, die das Kind aufzieht.
- 13Vgl. § 1(1)1 ESchG.
- 14Vgl. §1(2) ESchG.
- 15Vgl. § 1(1)7 ESchG.
- 16Vgl. § 2(1) ESchG.
- 17Vgl. § 1(1)7 ESchG.
- 18Deutscher Ethikrat, Embryospende, 34-35.
- 19Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryospende, 37-38.
- 20Vgl. §§ 1(1)2 und 1(2) ESchG.
- 21Gegen den Vorstand des „Netzwerk Embryonenspende“ wurde im Mai 2017 wegen der Vermittlung von Vorkernstadien Strafbefehl erlassen; eine abschließende Gerichtsverhandlung steht noch aus (vgl. Mück-Raab, Strafbefehl).
- 22Vgl. Brakman, Introduction, 13.
- 23Vgl. Waters, Adoption, 46.
- 24Vgl. Brakman, Introduction, 13.
- 25Vgl. Mayoue, Challenges, 279-280.
- 26Weil es so geläufig ist, wird im Folgenden dennoch weiterhin die Bezeichnung „Embryoadoption“ verwendet.
- 27So z.B. Peter Singer (vgl. Spaemann, Personen, 252).
- 28Vgl. Spaemann, Personen, 256-258.
- 29Vgl. dazu Spaemann, Personen, 254-264.
- 30Vgl. Rae, Moral Choices, 138-141.
- 31Vgl. Huber, Mensch, 45.
- 32Vgl. Raedel, Lebensbeginn, 21-23.
- 33Vgl. zu den folgenden Ausführungen Maio, Technik, 11-24.
- 34Maio, Technik, 17.
- 35In Ländern, die die verbrauchende Stammzellforschung zulassen, bleiben die Ergebnisse allerdings bislang weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück. Vgl. http://www.drze.de/im-blickpunkt/stammzellen/sachstand [23.11.2017, nicht mehr verfügbar Stand 28.06.2023. Aktuelle Ergebnisse einsehbar unter https://www.drze.de/de/forschung-publikationen/im-blickpunkt/stammzellen/stammzellen]
- 36Vgl. Meilaender, Not by Nature, 99-102.
- 37Zum Beispiel die Frage, wer die Verantwortung für die eingefrorenen Vorkernstadien/Embryonen trägt, nachdem die genetischen Eltern verstorben sind (vgl. Keenan, Development, 223).
- 38Vgl. Meilaender, Not by Nature, 105-106.
- 39Vgl. Rae, Moral Choices, 170; Brown, Ethical Considerations, 105-108.
- 40Vgl. von Hagens, Kinderlosigkeit, 132-133.
- 41Vgl. die Stellungnahme „Donum Vitae“ des Vatikans, II(A)1. S. auch Pacholczyk, Moral Objectionability, 69-77.
- 42Vgl. § 1591 BGB.
- 43Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryospende, 48-51.
- 44Vgl. Deutscher Ethikrat, Embryoadoption, 135; Pacholczyk, Moral Objectionability, 80.
- 45Vgl. Deutsches IVF-Register, Jahrbuch 2015, 6+25.
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