Ethische Aspekte der Leihmutterschaft
Wenn Kinder mehr als eine Mutter haben
I. Einleitung
Am 4. Januar 1985 brachte die Engländerin Kim Cotton, bereits Mutter eines Sohnes und einer Tochter, in London ein weiteres Baby zur Welt. Was auf den ersten Blick nicht außergewöhnlich scheint, sorgte kurze Zeit später weltweit für Schlagzeilen. Denn ein kinderloses Paar aus Amerika hatte dieses Baby anonym bei Kim Cotton für 6.500 englische Pfund (umgerechnet ca. 12.000 Euro) in Auftrag gegeben. Diese hatte sich daraufhin mit dem Samen des ihr unbekannten Wunschvaters künstlich befruchten lassen mit dem Ziel, das Kind nach der Geburt an die Auftraggeber auszuhändigen. Als die Übergabe durch rechtliche Probleme bei der Ausreise des Kindes erschwert wurde, musste das Kind vorerst in der Obhut des Krankenhauses bleiben. Die Vermarktung ihrer Geschichte an eine Zeitung brachte Kim Cotton weitere 15.000 Pfund ein.1Vgl. Van den Akker, Surrogate, 9+83-84 und Gerecke, Kinder, 233-234+239.
Spätestens seit diesem ersten offiziell bekanntgewordenen Fall ist die kommerzielle Leihmutterschaft ein heftig umstrittenes Thema. Auf der einen Seite steht der verständliche Wunsch eines kinderlosen Paares, eine Familie zu gründen. Dem kommt die Leihmutterschaft entgegen, indem sie den Weg zu einem zumindest teilweise genetisch eigenen Kind eröffnet. Auf der anderen Seite stehen ein Kind, das wie eine Ware gegen Bezahlung in Auftrag gegeben wird, und eine Leihmutter, die ihre reproduktiven Fähigkeiten als Dienstleistung anbietet. Daraus ergeben sich sowohl grundsätzliche ethische Bedenken – z.B. hinsichtlich der Rolle des Kindes und seiner Würde – als auch eine Reihe rechtlicher Probleme – nicht zuletzt die Frage, welche der beteiligten Personen eigentlich als Eltern des Kindes anzusehen sind.
Die folgenden Ausführungen beleuchten die Leihmutterschaft und ihre Folgen aus einer christlich-ethischen Perspektive.
II. Hintergründe der Leihmutterschaft
2.1 Begrifflichkeiten
Im allgemeinen Sprachgebrauch sind neben der Bezeichnung „Leihmutterschaft“ auch Begriffe wie „Mietmutterschaft“, „Ersatzmutterschaft“ oder „Tragemutterschaft“ geläufig. Je nach Situation werden diese noch mit Attributen wie „unecht/echt“, „voll/partiell“ oder „genetisch/austragend“ versehen.
Da diese Bezeichnungen weder einheitlich verwendet werden noch klar voneinander abzugrenzen sind, wird im Folgenden ausschließlich von Leihmutterschaft die Rede sein. Dabei ist die Leihmutter bei der genetischenLeihmutterschaft mit dem Kind verwandt, d.h., die verwendete Eizelle ist ihre eigene. Bei der austragenden Leihmutterschaft hingegen stammt die Eizelle nicht von der Leihmutter, sie trägt ein genetisch fremdes Kind lediglich aus.
Während bei der genetischen Leihmutterschaft in der Regel drei Personen involviert sind (das auftragsgebende Paar mit dem Mann als Samenspender und die Leihmutter), können es bei der austragenden Leihmutterschaft von drei (die Bestelleltern als Samen- und Eizellspender sowie die Leihmutter) bis zu fünf Personen sein, nämlich dann, wenn sowohl Ei- als auch Samenzelle von fremden Spendern stammen und die Auftraggeber nur die soziale Elternrolle übernehmen werden.
2.2 Geschichtliche Entwicklung
Fälle genetischer Leihmutterschaft hat es immer schon gegeben. Bereits die Bibel erzählt, dass Abraham aufgrund von Saras Kinderlosigkeit mit deren Magd Hagar ein Kind zeugte (vgl. 1. Mose 16,1-4). Jedoch waren solche Arrangements lange Zeit nicht ohne Geschlechtsverkehr des Ehemannes mit einer anderen Frau möglich. Nicht nur die fehlenden technischen Möglichkeiten, auch die volkstümliche Vorstellung, die Gesundheit und der Charakter des Kindes würden von den Lüsten und Affekten der Schwangeren bestimmt, ließen den bloßen Gedanken an ein Konzept wie die austragende Leihmutterschaft bis in die Neuzeit gar nicht erst aufkommen.2Vgl. Bernhard, Kinder machen, 289-296.
Das änderte sich, als im 19. Jh. mit der Entdeckung der Vererbungslehre primär die elterlichen Gene für die Entwicklung des Kindes zuständig gemacht wurden3Vgl. ebd. 292-293. und als sich im Laufe des 20. Jhs. (v.a. seit den siebziger Jahren) verschiedene Methoden der assistierten Empfängnis etablierten. Von nun an konnten Schwangerschaften durch Insemination herbeigeführt werden, sprich durch künstliche Verbringung der männlichen Samenzellen in die Gebärmutter oder Eileiter der Frau. Folglich waren genetische Leihmutterschaften jetzt ohne Geschlechtsverkehr möglich, was zu ihrer vermehrten Inanspruchnahme führte. Nicht selten folgten jedoch nach der Geburt Streitigkeiten zwischen Leihmutter und Auftraggebern darüber, wem das Kind denn nun „gehöre“. Solche Auseinandersetzungen konnten durch neue rechtliche Bestimmungen zwar eingedämmt, aber nie vollständig verhindert werden.4Vgl. ebd. 20-21,314-316.
Eine weitere Entwicklungsstufe zeichnete sich Ende der achtziger Jahre ab, als ein neues Verfahren der Eizellentnahme zum Durchbruch kam. Da es die Entnahme deutlich vereinfachte, war diese nicht mehr an aufwändige Behandlungen in Spezialkliniken gebunden und konnte einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden, zu dem auch die Klientel bisheriger Leihmutterschaftsverträge gehörte. Hatte eine Frau gesunde Eizellen, konnte aber aufgrund einer Fehlfunktion der Eileiter oder Gebärmutter nicht schwanger werden, wurde den Wunscheltern nun angeboten, eine künstliche Befruchtung mit eigenen Keimzellen sowohl des Mannes als auch der Frau durchzuführen. Durch entsprechende hormonelle Behandlung einer Leihmutter war es bereits 1985 in Ohio erstmals gelungen, ein solches Kind von einer fremden Frau austragen zu lassen. Mit der rein austragenden Leihmutterschaft, bei der das Kind ausschließlich mit den Wunscheltern genetisch verwandt ist, hielt man das große Problem der genetischen Leihmutterschaft – die Frage nach der Zugehörigkeit des Kindes – für behoben.5Vgl. Bernhard, Kinder machen, 316-319.
So hat die austragende Leihmutterschaft die genetische seit Anfang der neunziger Jahre als Standardmethode abgelöst. Ihre Voraussetzung ist die Entwicklung der Reproduktionsmedizin, auf die sie in der Praxis angewiesen ist.
2.3 Aktuelle Rechtslage
Die rechtliche Regelung von Leihmutter-Arrangements war in Deutschland eine Antwort darauf, dass solche Arrangements getroffen wurden. „Von den Anfängen kommerziell vermittelter Leihmutterschaft bis zur Ausarbeitung des Embryonenschutzgesetzes und der Neufassung des Adoptionsvermittlungsrechts, beides Ende der achtziger Jahre erfolgt, vergehen gut fünf Jahre, in denen die Methode praktiziert und gesetzlich noch nicht erfasst wird.“6Ebd. 285.
Probleme, die im Zusammenhang mit der genetischen Leihmutterschaft immer wieder auftreten (wie die Weigerung der Leihmutter, das Kind herauszugeben, oder die nachträgliche Feststellung, dass die entstandene Schwangerschaft gar nicht auf die künstliche Befruchtung, sondern auf Geschlechtsverkehr der Leihmutter mit ihrem Ehemann zurückzuführen ist), führten im Dezember 1989 zur Einführung des §13 Adoptionsvermittlungsgesetz, welcher die Leihmutterschaft in Deutschland verbietet. Das 1991 in Kraft getretene Embryonenschutzgesetz griff dieses Verbot auf und weitete es auf die Eizellspende aus, sodass weder genetische noch austragende Leihmutterschaften in Deutschland praktiziert werden dürfen (§1 ESchG). Unter Strafe gestellt wird durch diese Regelungen jedoch ausschließlich die Leihmutterschaftsvermittlung; die Leihmutter selbst und das auftragsgebende Paar bleiben straffrei.7Vgl. ebd. 285-288.
Infolge des Verbots der Vermittlung ist die Durchführung einer Leihmutterschaft in Deutschland praktisch unmöglich geworden. Die Straffreiheit der Wunscheltern lässt diesen allerdings den Weg ins Ausland, wo oftmals eine liberalere Rechtsprechung herrscht. Ausdrücklich erlaubt sind Leihmutterschaften gegen Bezahlung beispielsweise in einigen US-Bundesstaaten (z.B. Kalifornien, Florida), in Russland oder der Ukraine.8Vgl. die Länderübersicht in Van den Akker, Surrogate, 212-213. Nicht selten reisen deutsche Paare dorthin, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Bei der Rückkehr gab es häufig Probleme mit dem standesrechtlichen Eintrag der Bestelleltern als Kindseltern, weil in Deutschland die Frau als Mutter des Kindes gilt, die das Kind geboren hat.9Vgl. §1591 BGB. Besonders schwierig wird es, wenn beide Regierungen – sowohl des Herkunftslandes der Bestelleltern als auch der Leihmutter – den jeweils anderen für zuständig halten und folglich die Ausstellung eines Passes verweigern. Dann gilt das Kind als staatenlos und kann bis zur Klärung des Sachverhalts nicht nach Deutschland einreisen.10So geschehen im Jahr 2008. Vgl. https://www.zeit.de/2010/17/Leihmutterschaft [09.08.2018]. Viele ausländische Organisationen suchen deshalb nach Hintertüren, um diese rechtlichen Hürden zu umgehen.11Vgl. Bernhard, Kinder machen, 364-369.
III. Biblisch-Theologische Orientierung zum Stellenwert eigener Kinder
Wer die Dienste einer Leihmutter in Anspruch nimmt, sieht darin in der Regel den letzten oder einzigen Ausweg, um zu einem (zumindest teilweise) genetisch eigenen Kind zu gelangen. Dieser Wunsch ist im Licht der biblischen Theologie einerseits als gottgegeben und somit als zutiefst menschlich zu verstehen, ohne dass ihm jedoch andererseits eine unbedingte Bedeutsamkeit zugesprochen würde. Der Stellenwert eigener Kinder stellt sich in der Bibel wie folgt dar:
3.1 Schöpfungstheologische Aspekte
Dass die Menschheit sich vermehrt, entspricht von Anfang an dem Willen und Auftrag ihres Schöpfers (vgl. 1. Mose 1,28). Als Mann und Frau geschaffen, sind die Menschen in der Lage, diesem Auftrag nachzukommen. Sowohl für die Eltern als auch für das heranwachsende Kind gilt: Der Mensch ist von seiner Erschaffung her ein Wesen, das in einer untrennbaren Einheit aus Leib und Seele besteht (vgl. 1. Mose 2,7). Er lässt sich weder allein auf seine Seele noch allein auf seinen Körper reduzieren.12Vgl. Schockenhoff, Ethik, 140-145. Alle seine Erfahrungen, sowohl die körperlich-vitalen als auch die psychisch-geistigen, kann der Mensch nur in seiner leib-seelischen Einheit machen.13Vgl. ebd. 140.
Die Fortpflanzung des Menschen ist eine Idee Gottes, die sich schöpfungsgemäß nur als Paargeschehen zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts ereignen kann. Dass aus dieser Beziehung Kinder hervorgehen, ist keine Selbstverständlichkeit, denn „Kinder sind eine Gabe des Herrn und Leibesfrucht ist ein Geschenk“ (Ps 127,3). Ob ein Kind heranwächst, liegt nicht in der Hand von Menschen, sondern bleibt unverfügbares Handeln Gottes. Aus seiner Hand können Paare dankbar Kinder empfangen, beanspruchen können sie sie jedoch nicht.
Zur Zeit des Alten Testaments war es für Paare in vieler Hinsicht bedeutsam, Kinder zu haben. Neben dem natürlichen Wunsch, eine Familie zu gründen, spielten auch wirtschaftliche und soziale Aspekte eine Rolle. Kinder waren wichtig, um im Alter die Existenz ihrer Eltern zu sichern, sie garantierten den Fortbestand der Familie und führten die religiöse Tradition weiter.14Vgl. Maier, Kinder, 293. Zudem war die biologische Fortpflanzung des Volkes Israel eine unabdingbare Voraussetzung für das Erlösungshandeln Gottes, denn der Messias war ausdrücklich als leiblicher Nachkomme verheißen.
3.2 Erlösungstheologische Aspekte
Bis zur Geburt Jesu spielt die leibliche Fortpflanzung des Menschen erlösungstheologisch eine wichtige Rolle, die jedoch mit der Menschwerdung Jesu endet. Jesus selbst begegnet Kindern mit großer Wertschätzung (vgl. Mt 19,13-15), misst einer eigenen Nachkommenschaft jedoch keine heilstheologische Bedeutung bei. Indem er selbst kinderlos lebt, macht er deutlich, dass im Angesicht des Reiches Gottes neue Maßstäbe gelten. Die irdische Familie wird keineswegs bedeutungslos, aber zugunsten der geistlichen Familie, die Jesus aus seinen Nachfolgern begründet, in ihrer Gewichtigkeit relativiert. Der Zusammenhang in dieser Gemeinschaft des Gottesvolkes ist nicht länger genetisch, sondern im Glauben an Jesus Christus grundgelegt. Nicht die tatsächliche Blutsverwandtschaft ist hier auschlaggebend, sondern die Verbindung im Blut Jesu.15Vgl. Banner, Ethics, 59. Diese Zugehörigkeit der Gläubigen sowohl zu Jesus als auch zueinander wird im Abendmahl deutlich, wenn sie Brot und Wein miteinander teilen (vgl. Mt 26,26-28).
Die Aufnahme in die Familie Gottes geschieht durch den Glauben bzw. durch die Taufe, in der der Täufling sich zu seinem Glauben bekennt (vgl. Apg 2,38), und steht grundsätzlich jedem Menschen offen (vgl. 1Kor 12,13; Gal 3,26-27). Bezeichnenderweise spricht Jesus in diesem Zusammenhang von einer Neugeburt (vgl. Joh 3,3-5), wendet also Vokabular aus dem Bereich der biologischen Fortpflanzung bildhaft auf die geistliche Familie an.
Der Zugehörigkeit zu dieser Glaubensfamilie räumt Jesus in seiner Lehre Priorität gegenüber den leiblichen Herkunftsverhältnissen ein16Vgl. ebd. 37. – sowohl mit Blick auf sich selber (vgl. Mt 12,46-50) als auch mit Blick auf seine Nachfolger (vgl. Mk 10,28-31). Damit rückt er auch den Stellenwert leiblicher Kinder in ein neues Licht. Zwar ist es für Christen erstrebenswert, eigene Kinder zu haben, in der Perspektive des Glaubens an Jesus kommt es jedoch entscheidend darauf an, selbst Kind Gottes zu sein.
Wer die Freude erlebt hat, die diese Gotteskindschaft mit sich bringt, wird den Wunsch entwickeln, dass Außenstehende ebenfalls den Weg in die Familie Gottes finden und sein Kind werden. Auch Paulus greift an dieser Stelle auf die schon bei Jesus begegnende Metaphorik zurück, indem er vom Zeugen und Gebären geistlicher Kinder spricht (vgl. 1. Kor 4,15; Gal 4,19). Wie die leibliche Geburt zunächst mit viel Mühe und Schmerzen verbunden ist, dann aber zu großer Freude führt, so ist auch das Hervorbringen geistlicher Kinder mühsam und erfüllend zugleich. Während die biologische Kindschaft jedoch eine rein irdische und damit vergängliche Angelegenheit ist, hat die Gotteskindschaft einen Wert für die Ewigkeit (vgl. Offb 21,7).
Auf diesem Hintergrund wird es für Christen denkbar, (freiwillig) auf die Ehe und/oder leibliche Kinder zu verzichten, um stattdessen wie Paulus ganz für den Dienst am Reich Gottes zu leben (vgl. Mt 19,12; 1Kor 7,1-8+25-40).
3.3 Kirchengeschichtliche Auswirkungen
In der Geschichte des Christentums hat dieses Verständnis einer neuen, geistlichen Verwandtschaft nicht nur in der freiwilligen Ehe- und Kinderlosigkeit des Zölibats Niederschlag gefunden, sondern ebenso in der späteren Ausgestaltung des Taufrituals:Als am Ausgang der Antike die Kindertaufe zum Regelfall wurde, nahm damit auch die Bedeutung des Patenamtes zu. Die Paten bekannten stellvertretend für den Täufling den Glauben und wurden für das Kind zu geistlichen Vätern und Müttern.17Vgl. Wallraff, Taufe, 62.
Für das frühe Mittelalter lässt sich nachweisen, dass die Täuflinge von ihren Paten zur Taufe gebracht wurden. Vielerorts wurde nicht einmal die bloße Anwesenheit der leiblichen Eltern während der Taufe geduldet. Auffallend ist außerdem, dass – im Gegensatz zu heute – Verwandte üblicherweise vom Patenamt ausgeschlossen waren. Sowohl die Abwesenheit der Eltern als auch das Patenverbot für Verwandte sind in Zusammenhang mit den vorgenannten erlösungstheologischen Aspekten zu verstehen: Es sollte deutlich werden, dass es in der Taufe nicht darum geht, bestehende verwandtschaftliche Verhältnisse zu intensivieren, sondern diese, wenn nicht zu ersetzen, so doch zumindest zu relativieren.18Vgl. zu diesem Absatz Banner, Ethics, 46.
Diese Regelungen können exemplarisch verdeutlichen, wie in der Kirchengeschichte der Anspruch Jesu umgesetzt wurde, dass bei seinen Nachfolgern der geistlichen Familienzugehörigkeit eine größere Bedeutung zukommen soll als der irdischen.
3.4 Fazit
Zum Stellenwert eigener Kinder ist aus christlicher Sicht festzuhalten:
Leibliche Kinder sind ein wunderbares Geschenk Gottes. Die Sehnsucht danach hat Gott selbst dem Menschen mit der Schöpfung ins Herz gelegt. Gleichzeitig ist erfülltes Leben für Christen nicht von der Erfüllung dieses Wunsches abhängig, weil Gott seinen Kindern durch Jesus Christus den Weg in eine Glaubensfamilie eröffnet, deren Bedeutung die der irdischen Familie übersteigt.
War Kinderlosigkeit im Alten Testament sowohl sozial als auch wirtschaftlich eine Katastrophe, verliert sie mit dem Kommen Jesu und durch die Etablierung der christlichen Gemeinschaft für Gläubige ihren tragischen Charakter.19Vgl. ebd. 44-45. In ihrer unfreiwilligen Form bleibt Kinderlosigkeit auch für Christen eine große Herausforderung, aber der Glaube bietet ihnen einen Sinnhorizont und eine Perspektive, die über das Irdische hinausgehen.
IV. Sozialethische Reflexion der Leihmutterschaft als Weg zum eigenen Kind
Bei der ethischen Einordnung der Leihmutterschaft spielen viele verschiedene Aspekte eine Rolle, die im Folgenden nicht alle beleuchtet werden können. Eine Betrachtung der Rollen der an einer Leihmutterschaft beteiligten Personengruppen kann aber helfen, die grundsätzlichen Tendenzen solcher Arrangements aufzuzeigen und aus christlicher Sicht zu bewerten.
4.1 Die Rolle der Bestelleltern
Der unerfüllte Kinderwunsch der Bestelleltern bildet den Ausgangspunkt dafür, dass die Frage nach Leihmutterschaftsvereinbarungen überhaupt im Raum steht. Befürworter der Leihmutterschaft verweisen auf die große Not, die die Kinderlosigkeit für betroffene Paare bedeutet, und auf die Abhilfe, die eine Leihmutter an dieser Stelle schaffen kann.
Mit Blick auf die Bestelleltern ist diese Argumentation zunächst einleuchtend, denn der Wunsch nach einem eigenen Kind ist zutiefst menschlich. Die ethische Anfrage richtet sich daher nicht an den Wunsch als solchen, sondern an den Stellenwert, den er im Leben der Betroffenen einnimmt, und an die Wege zu seiner Erfüllung:
Das verzweifelte Bemühen um ein eigenes Kind wird für kinderlose Paare schnell zum Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens. Weil sie sich um jeden Preis ein Kind wünschen, sind sie bereit, die erheblichen finanziellen und psychischen Belastungen in Kauf zu nehmen, die mit einer künstlichen Befruchtung einhergehen. Im Gegenzug erwarten sie dann von den Reproduktionszentren die Erfüllung ihres Kinderwunsches.
Diese Entwicklung ist aus verschiedenen Gründen bedenklich. Zum einen wird das Wohl des „Kindes auf Bestellung“ dem absolut gesetzten Kinderwunsch der Eltern untergeordnet (s.u. 4.2). Zum anderen verkehrt sich hier der – verständliche – Wunsch des Paares nach einem Kind zunehmend in einen Anspruch darauf, und von dort ist es nur ein kleiner Schritt zum Anspruch auf ein Kind, das bestimmten Elternerwartungen genügt, z.B. keine Behinderung aufzuweisen hat.20Vgl. den Fall „Baby Gammy“ im Jahr 2014, als eine thailändische Leihmutter Zwillinge zur Welt brachte, die australischen Bestelleltern aber nur das gesunde Kind abholten und den kleinen Gammy mit Down-Syndrom zurückließen. Vgl. Schliesser, Körperlichkeit, 108. Die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin erwecken den Eindruck, wer ein Kind haben wolle, könne auch eines bekommen. Kinderlose Paare stehen daher vor der Herausforderung, sich immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, dass es ein Recht auf ein eigenes Kind nicht gibt.21Vgl. ebd. 115. Der biblischen Bekräftigung, dass Kinder ein Geschenk Gottes sind, kommt hier eine wichtige Korrekturfunktion zu.
Gerade die kommerzielle Form der Leihmutterschaft wirft außerdem die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit auf. Bestelleltern müssen in der Regel eine Summe im mittleren fünfstelligen Bereich aufbringen.22Vgl. https://leihmutterschaft-zentrum.de/preise-fer-leihmutterschaft-in-europa.html. [09.08.2018]. Dass die Leihmutterschaft als Weg zum eigenen Kind somit wirtschaftlich bessergestellten Paaren vorbehalten wird, ist als ethisch problematisch anzusehen.23Vgl. Schliesser, Körperlichkeit, 115. Daraus folgt jedoch nicht, dass sich dieser Missstand mit der nicht-kommerzielle Form der Leihmutterschaft lösen ließe, da auch diese ethische und rechtliche Bedenken mit sich bringt (s. 4.2+4.3).
Darüber hinaus stellt sich mit Blick auf die Bestelleltern die grundsätzliche Frage, warum dem genetisch eigenen Kind ein derart hoher Stellenwert beigemessen wird. Adoption oder Pflegekindschaft sind in unserer Gesellschaft zu einem Mittel zweiter Wahl geworden, auf das vor allem dann zurückgegriffen wird, wenn es mit dem eigenen Kind – auch medizinisch unterstützt – nicht klappt.24Vgl. Banner, Ethics, 54.
Hier erhebt nicht nur das Christentum eine Anfrage, indem es die Bedeutung biologischer Verwandtschaft relativiert, sondern auch die Ethnologie mit ihrer Erkenntnis, dass „Verwandtschaft“ je nach Kultur unterschiedlich definiert wird.25Vgl. ebd. 49. Das in westlichen Ländern übliche Verständnis, dass die biogenetische Abstammung die Verwandtschaft begründet, ist demzufolge ein kulturspezifisches Phänomen.26Vgl. ebd. 49. Diese Erkenntnis fordert unsere Gesellschaft heraus, die absolute Relevanz zu überdenken, die sie dem genetisch eigenen Kind beimisst.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die inhärente Widersprüchlichkeit des reproduktionsmedizinischen Systems: Auf der einen Seite wird die Herkunft des genetischen Materials gegenüber der sozialen Elternrolle für nahezu bedeutungslos erklärt. Nur so lassen sich die genetische Form der Leihmutterschaft und die Verwendung gespendeter Ei- oder Samenzellen bei der austragenden Leihmutterschaft rechtfertigen. Andererseits ist es aber gerade der Wunsch nach einem zumindest teilweise genetisch eigenen Kind, der die Bestelleltern zur Inanspruchnahme dieser Methoden veranlasst. Paradoxerweise wird die Bedeutsamkeit der biologischen Herkunft hier gleichermaßen heruntergespielt wie verabsolutiert.27Vgl. dazu ebd. 50-54.
Für kinderlose Paare, die über die Inanspruchnahme einer Leihmutter nachdenken, empfiehlt es sich, diese Zusammenhänge und die eigenen Beweggründe im Vorfeld gründlich zu reflektieren. In die Überlegungen sind außerdem auch die Auswirkungen auf die anderen an einer Leihmutterschaft beteiligten Personen einzubeziehen.
4.2 Die Rolle des Kindes
Mit Blick auf das Kind steht in der Diskussion um die Leihmutterschaft die Frage nach dem Kindeswohl im Mittelpunkt.
Befürworter der Leihmutterschaft sehen das Wohl des Kindes bei diesem Verfahren gewährleistet und weisen vor allem auf folgende Aspekte hin:
- Der unbedingte Wunsch der Bestelleltern nach einem Kind zeigt, wie sehr dieses Kind gewollt ist. Die Umstände seiner Entstehung schaden dem heranwachsenden Kind nicht, sondern helfen ihm, sich geliebt und erwünscht zu fühlen.
- Eine Leihmutterschaft ist, was das Kind betrifft, mit einer Adoption vergleichbar. In beiden Fällen wird das Kind nicht von seiner Geburtsmutter, sondern von sozialen Eltern aufgezogen. Die Leihmutterschaft bietet gegenüber der Adoption sogar einen Vorteil, weil das Kind hierbei zumindest zu einem sozialen Elternteil, unter Umständen auch zu beiden, eine genetische Verbindung haben kann.
- Für das Wohl des Kindes ist die Bindung an die sozialen Eltern ausschlaggebend. Die Bindung an die genetischen bzw. biologischen Eltern kann dem gegenüber vernachlässigt werden.
Angesichts dieser Argumentation ist Folgendes zu bedenken:
1. Obwohl das Kind von den Bestelleltern gewollt ist, können die Umstände seiner Entstehung sich negativ auf das Selbstverständnis des Kindes auswirken. Denn in der eigenen Herkunftserzählung dominieren Verfahrensweisen, bei denen vom personalen Charakter der Weitergabe des Lebens abgesehen wird: Der Vertragsabschluss, die künstliche Befruchtung, die Übertragung der befruchteten Eizelle auf die Leihmutter, die bindungstheoretisch fatale Trennung des Neugeborenen von der Leihmutter, die Übergabe des Kindes an die Bestelleltern und die Zahlung einer Geldsumme. Diese technologischen und kommerziellen Vorzeichen seiner Entstehung vermitteln dem Kind den Eindruck, das Produkt eines Bestellvorgangs zu sein.28Vgl. Maio, Mittelpunkt, 356-357. Dagegen wird das Kind die Frau, die ihm neun Monate lang Mutter gewesen ist, niemals kennenlernen. So wird von der Unterschrift des Vertrages mit der Leihmutter an ohne Rücksicht auf natürliche Lebensvorgänge über das Kind verfügt.
Die Frage nach der Leihmutterschaft berührt daher entscheidende anthropologische Grundfragen nach dem Wesen des Menschen.29Vgl. ebd. Es macht für das Zusammenleben von Menschen einen erheblichen Unterschied, ob eine Gesellschaft ihre Mitglieder als Produkte eines Herstellungsvorgangs begreift oder als Geschöpfe, die sich dem Willen ihres Schöpfers verdanken. Ersteres führt zwangsläufig dazu, dass Menschen übereinander verfügen und ihren Nächsten – bei der Leihmutterschaft: das Kind und die Leihmutter – für die Erfüllung eigener Wünsche instrumentalisieren. Wird der Mensch hingegen als Geschöpf Gottes verstanden, folgen daraus eine unantastbare Daseinsberechtigung und Würde, die an keine Bedingungen geknüpft sind und jegliche Instrumentalisierung verbieten.
Mit der Leihmutterschaft steht daher nicht allein das Wohl der betroffenen Kinder auf dem Spiel, sondern auch das Menschenbild der Gesellschaft, die sie praktiziert.
2. Mögen Adoption und Leihmutterschaft im Ergebnis für das Kind zu einer ähnlichen Situation führen – es wächst nicht bei seinen biologischen, sondern bei sozialen Eltern auf –, so sind die Umstände doch deutlich voneinander zu unterscheiden.
Bei der Adoption erfordert es die Lebenssituation eines bereits existierenden Kindes, dass für dieses Kind neue Eltern gefunden werden. Bei der Leihmutterschaft hingegen setzt das Handeln bei den Eltern an. Weil diese ein Kind wünschen, wird eine Situation geschaffen, die von Anfang an auf eine Aufspaltung zwischen sozialer und genetisch-biologischer Elternschaft angelegt ist. Während diese Aufspaltung bei der Adoption eine Notlösung darstellt, wird sie im Fall der Leihmutterschaft gezielt herbeigeführt.30Vgl. ebd. 356.
Kinder vorsätzlich solchen Situationen auszusetzen, kann für eine Gesellschaft jedoch niemals erstrebenswert sein, weil sie damit das Wohl ihrer jüngsten Mitglieder und die Wahrung der öffentlichen Ordnung aufs Spiel setzt.31Vgl. Merckens, Leihmutterschaft. Zwar mag eine Aufspaltung der Elternschaft in Einzelfällen, wie sie Adoptionen zugrunde liegen, dem Wohl dieses speziellen Kindes dienen. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die gespaltene Elternschaft allgemein dem Wohl von Kindern zuträglich und für diese unschädlich wäre.32Vgl. ebd.
3. Gerade die Frage nach der Bindung des Kindes an seine Eltern lässt die negativen Folgen der gespaltenen Elternschaft für das Kind besonders deutlich werden, denn bei der Leihmutterschaft steht das Kind zu jedem der beteiligten Erwachsenen in Beziehung, wenn auch in unterschiedlicher Form.33Je nach Konstellation des Leihmutterschaftsarrangements können sich die im Text folgenden Elternrollen überschneiden (z.B. wenn der soziale Vater auch genetischer Vater ist oder die Leihmutter genetische Mutter).
Die sozialen Eltern prägen das Kind wesentlich dadurch, dass es bei ihnen aufwächst und von ihnen erzogen wird. Sie fungieren für das Kind als Vertrauens- und Bezugsperson und werden sowohl vom Kind selbst als auch von Außenstehenden als dessen Vater und Mutter wahrgenommen.
Doch auch die genetischen Eltern prägen das Kind entscheidend. Mit der Bereitstellung des genetischen Materials schaffen sie nicht nur eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das Kind überhaupt entstehen kann, ihre Gene werden auch das Aussehen, die Erbanlagen und Wesenszüge dieses Kindes mitbestimmen.
Nicht zuletzt wird das Kind auch von der Leihmutter geprägt. Durch die organische Verbindung mit dem Ungeborenen trägt auch sie zunächst etwas sehr Wesentliches zur Entstehung des Kindes bei. Da das heranwachsende Kind und der mütterliche Organismus von Anfang an miteinander kommunizieren, entsteht zwischen ihnen unweigerlich „die intensivste Beziehung, die wir jemals hatten, und die wir jemals haben werden“34Hüther, Geheimnis, 95.. Durch ihre Lebensweise während der Schwangerschaft (Stress, Alkoholkonsum etc.) übt die Leihmutter wie jede schwangere Frau großen Einfluss auf die Entwicklung und Gesundheit des heranwachsenden Kindes aus, denn dieses passt sich nachweislich an den seelischen und körperlichen Zustand der Mutter an.35Vgl. ebd. 99-102. Über Gesundheit und Wesenszüge des Kindes entscheiden daher nicht nur seine Gene, sondern auch seine pränatalen Erfahrungen.36Vgl. ebd. 106-110.
Auf diesem Hintergrund ist die Behauptung, entscheidend für die Prägung und Entwicklung des Kindes seien allein die sozialen Eltern, genetische Faktoren seien dagegen unerheblich, zurückzuweisen. Festzuhalten bleibt vielmehr, dass im Fall der Leihmutterschaft sowohl die genetischen Eltern als auch die sozialen als auch die Leihmutter das Kind entscheidend prägen. Für das Kind folgt daraus eine Bindung an bis zu fünf verschiedene Personen, die es alle als seine „Eltern“ ansehen kann. Neben die Folgen, die das für die Identitätsentwicklung des Kindes hat (!), tritt für eine die Leihmutterschaft befürwortende Gesellschaft die Herausforderung, die Abstammung des Kindes regeln zu müssen.37Vgl. Merckens, Leihmutterschaft. So trägt die Leihmutterschaft in der Praxis mit dazu bei, dass die natürliche Ordnung der Familie als Keimzelle der Gesellschaft gezielt unterlaufen wird und personale Beziehungsverhältnisse verwischt werden.
Angesichts dieser Erkenntnisse zeigt sich, dass die Durchführung von Leihmutterschaften dem Wohl des Kindes (und der Gesellschaft) zuwider läuft.
4.3 Die Rolle der Leihmutter
Hinsichtlich der Leihmutter ist in der Diskussion vor allem der Aspekt der Freiwilligkeit zu bedenken. Unterschieden wird dabei meist zwischen der bezahlten/kommerziellen Form der Leihmutterschaft und der unbezahlten/nicht-kommerziellen Form.
Befürworter der Leihmutterschaft argumentieren, dass nicht-kommerzielle Leihmutterschaften ethisch unbedenklich sind, weil die Leihmutter durch den fehlenden finanziellen Anreiz nachweislich freiwillig und uneigennützig handelt. In der kommerziellen Form halten sie Leihmutterschaften dann für vertretbar, wenn die Leihmutter die Schwangerschaft als Dienstleistung versteht, für die sie ihren Körper freiwillig gegen Bezahlung zur Verfügung stellt. Bedenklich sind folglich nur Arrangements, bei denen aufgrund mangelnder Freiwilligkeit von der Ausbeutung der Leihmutter ausgegangen werden muss.
Diese Sichtweise lässt jedoch einige wichtige Aspekte außer Betracht.
Zum einen kann freiwilliges Handeln nicht (ausschließlich) am Kriterium der Vergütung festgemacht werden. Wenn sich Frauen aus dem Bekannten- oder Verwandtenkreis der Wunscheltern etwa aufgrund sozialen Drucks verpflichtet fühlen oder gedrängt werden, sich kostenlos als Leihmutter zur Verfügung zu stellen, steht die Freiwilligkeit ihres Handelns ebenso infrage wie unter dem Angebot einer attraktiven Bezahlung.38Vgl. Jofer, Regulierung, 313-314.
Darüber hinaus wird die Mehrzahl der Leihmutterschaften in kommerzieller Form im Ausland durchgeführt. Da es sich bei den Leihmüttern in der Regel um Frauen aus sehr armen Ländern handelt, muss auch die Freiwilligkeit dieser Dienstleistung angezweifelt werden. Wenn Frauen, deren Familien in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen leben, mithilfe lukrativer Vergütung als Leihmutter angeworben werden, wird deren Notlage ausgenutzt. Die Entscheidung zur Leihmutterschaft erfolgt in diesen Fällen weniger freiwillig als vielmehr aufgrund der als ausweglos empfundenen finanziellen Notsituation.39Vgl. van den Akker, , Surrogate, 91.
Neben diese ethischen Bedenken tritt die grundsätzliche Frage, welcher Status dem Austragen eines Kindes aneignet: Handelt es sich um ein Geschenk, das Erwachsene einander machen können (so die nicht-kommerzielle Form der Leihmutterschaft), um ein Geschäftsmodell (so die kommerzielle Form) oder nicht doch vielmehr um ein Beziehungsgeschehen?40Vgl. Maio, Mittelpunkt, 354. Kommerzielle wie nichtkommerzielle Leihmutterschaft laufen Gefahr, den Beziehungscharakter einer Schwangerschaft hinter dem eigenen Anspruchsdenken zurücktreten zu lassen.41Vgl. ebd. Der Anspruch an die Leihmutter, lediglich ihren Körper zur Verfügung zu stellen, ohne eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen, ist schon deshalb ethisch zutiefst problematisch, weil der Mensch in einer untrennbaren Einheit aus Leib und Seele geschaffen ist. Die Auflösung der Mutter-Kind-Bindung nach der Geburt wirkt sich nicht nur negativ auf die Entwicklung des Kindes aus, sondern auch Leihmütter bezeugen ein nicht ohne weiteres zu überdeckendes Verlustempfinden:42Vgl. Kelle, Leihmutterschaft. „[D]urch die Freude und den Schmerz des Gebärens wurde mir schlagartig klar, dass ich gerade dabei war, Betsy Stern [der Bestellmutter, Anm. KS] mein Baby zu geben und nicht ihres.“43Zitat entnommen bei Bernhard, Kinder machen, 270. Die Folgen für beide, Leihmutter wie Kind, sind eine deutliche Warnung, den Wert des Austragens eines Kindes nicht zu verkennen, indem man ihn auf ein Geschenk oder eine Dienstleistung reduziert.
4.4 Die Rolle der Vermittlungsagenturen und Kliniken
Den Vermittlungsagenturen und Kliniken kommt in dem Gefüge eines Leihmutterschaftarrangements die Aufgabe zu, die bereits genannten Personen miteinander in Verbindung zu bringen: Sie greifen den Wunsch bzw. Anspruch der Bestelleltern nach einem Kind auf, indem sie bei dessen Erzeugung behilflich sind und eine geeignete Leihmutter engagieren.
Diese Rolle kann unterschiedlich gewertet werden. In den Augen der Befürworter der Leihmutterschaft erweisen die Agenturen und Kliniken allen Beteiligten einen wichtigen Dienst: den Bestelleltern verhelfen sie zu einem Kind, dem Kind zum Leben und der Leihmutter zu finanziellem Wohlstand.
Zusätzlich zu den oben geäußerten Bedenken, inwiefern die Agenturen und Kliniken damit tatsächlich dem Wohl der Beteiligten dienen, ist einzuwenden, dass die Vermittlung von Leihmutterschaften für sie ein sehr lukratives Geschäftsmodell darstellt. Auf diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, ob es ethisch vertretbar sein kann, mit der Vermittlung von Leihmüttern Geld zu verdienen. Der problematische technologische Zusammenhang, unter dem die Familiengründung mit der Leihmutterschaft steht, ist oben bereits angeklungen. Zudem ist zu bedenken, dass ungeachtet der weitreichenden medizintechnischen Möglichkeiten der behauptete Anspruch eines Paares auf ein eigenes Kind keinen Adressaten hat, der die Erfüllung des Anspruchs garantieren könnte. In die Presse schaffen es für gewöhnlich nur die gelungenen Leihmutterschaften, die vielen traurigen, z.T. traumatisierenden Geschichten enttäuschter Hoffnung werden nicht erzählt.
4.5 Fazit
Argumente für die Einführung der Leihmutterschaft können allenfalls bei der isolierten Betrachtung eines Einzelaspekts überzeugen. In der Gesamtschau aller Beteiligten jedoch können sie den erheblichen ethischen Bedenken, die vor allem hinsichtlich des Wohls des Kindes und der Leihmutter bestehen, nicht standhalten. Die Zulassung der Leihmutterschaft fördert Entwicklungen, die gesamtgesellschaftlich nicht erstrebenswert sein können: Der Kinderwunsch wird verabsolutiert, das Kind wird verdinglicht und die Schwangerschaft auf eine Dienstleistung reduziert.
V. Fazit und Ausblick
Aus christlicher Perspektive stellt die Leihmutterschaft keinen ethisch vertretbaren Weg zum eigenen Kind dar. Zu den allgemeinen sozialethischen Einwänden treten die folgenden speziell christlichen hinzu:
- Bei der Leihmutterschaft muss die Fortpflanzung des Menschen aus der Paarbeziehung zwischen Mann und Frau herausgelöst und für die Beteiligung Dritter geöffnet werden.
- Aus Ehrfurcht vor Gott als dem Schöpfer des Lebens steht es dem Menschen nicht zu, sich die Entstehung menschlichen Lebens mit allen Mitteln verfügbar zu machen, denn Kinder sind und bleiben eine Gabe Gottes.
- Die gesellschaftliche Tendenz zur Überhöhung des Kinderwunsches kann aus christlicher Sicht nicht mitgetragen werden. Dreh- und Angelpunkt im Leben eines Christen sollte auch bei bestehendem Kinderwunsch stets der Glaube an Jesus Christus bleiben.
Der christliche Glaube liefert aber nicht nur Einwände gegen die Leihmutterschaft, er bietet auch eine einmalige Alternative:
Die Zugehörigkeit zur Gottesfamilie und die auf ihr ruhende Priorität können von dem Druck befreien, um jeden Preis ein eigenes Kind haben zu müssen. Von Anfang an hat die christliche Tradition den absoluten Stellenwert biologischer Verwandtschaftsverhältnisse hinterfragt. Mit der Möglichkeit der Adoption oder durch die Übernahme des Patenamtes eröffnen sich für ungewollt kinderlose Christen neue Formen der Elternschaft, die nicht weniger erfüllend sein müssen als die Sorge für ein leibliches Kind.
Darüber hinaus möchte der christliche Glaube kinderlosen Paaren helfen, die Kinderlosigkeit anzunehmen, sie in ihr Lebenskonzept zu integrieren und „diese schmerzvoll empfundene Lücke durch die Hinwendung zu anderen höherrangigen Lebenszielen auszufüllen“44Raedel, Lebensbeginn, 47.. Auf diese Weise dem unerfüllten Kinderwunsch ein Stück seiner Verzweiflung und Tragik zu nehmen, ist aus christlicher Sicht dem Bemühen vorzuziehen, ihn mit allen Mitteln erfüllen zu wollen.45Vgl. Banner, Ethics, 57.
© 2018 Institut für Ethik & Werte
Autorin
Kerstin Schmidt
Endnoten
- 1Vgl. Van den Akker, Surrogate, 9+83-84 und Gerecke, Kinder, 233-234+239.
- 2Vgl. Bernhard, Kinder machen, 289-296.
- 3Vgl. ebd. 292-293.
- 4Vgl. ebd. 20-21,314-316.
- 5Vgl. Bernhard, Kinder machen, 316-319.
- 6Ebd. 285.
- 7Vgl. ebd. 285-288.
- 8Vgl. die Länderübersicht in Van den Akker, Surrogate, 212-213.
- 9Vgl. §1591 BGB.
- 10So geschehen im Jahr 2008. Vgl. https://www.zeit.de/2010/17/Leihmutterschaft [09.08.2018].
- 11Vgl. Bernhard, Kinder machen, 364-369.
- 12Vgl. Schockenhoff, Ethik, 140-145.
- 13Vgl. ebd. 140.
- 14Vgl. Maier, Kinder, 293.
- 15Vgl. Banner, Ethics, 59.
- 16Vgl. ebd. 37.
- 17Vgl. Wallraff, Taufe, 62.
- 18Vgl. zu diesem Absatz Banner, Ethics, 46.
- 19Vgl. ebd. 44-45.
- 20Vgl. den Fall „Baby Gammy“ im Jahr 2014, als eine thailändische Leihmutter Zwillinge zur Welt brachte, die australischen Bestelleltern aber nur das gesunde Kind abholten und den kleinen Gammy mit Down-Syndrom zurückließen. Vgl. Schliesser, Körperlichkeit, 108.
- 21Vgl. ebd. 115.
- 22Vgl. https://leihmutterschaft-zentrum.de/preise-fer-leihmutterschaft-in-europa.html. [09.08.2018].
- 23Vgl. Schliesser, Körperlichkeit, 115. Daraus folgt jedoch nicht, dass sich dieser Missstand mit der nicht-kommerzielle Form der Leihmutterschaft lösen ließe, da auch diese ethische und rechtliche Bedenken mit sich bringt (s. 4.2+4.3).
- 24Vgl. Banner, Ethics, 54.
- 25Vgl. ebd. 49.
- 26Vgl. ebd. 49.
- 27Vgl. dazu ebd. 50-54.
- 28Vgl. Maio, Mittelpunkt, 356-357.
- 29Vgl. ebd.
- 30Vgl. ebd. 356.
- 31Vgl. Merckens, Leihmutterschaft.
- 32Vgl. ebd.
- 33Je nach Konstellation des Leihmutterschaftsarrangements können sich die im Text folgenden Elternrollen überschneiden (z.B. wenn der soziale Vater auch genetischer Vater ist oder die Leihmutter genetische Mutter).
- 34Hüther, Geheimnis, 95.
- 35Vgl. ebd. 99-102.
- 36Vgl. ebd. 106-110.
- 37Vgl. Merckens, Leihmutterschaft.
- 38Vgl. Jofer, Regulierung, 313-314.
- 39Vgl. van den Akker, , Surrogate, 91.
- 40Vgl. Maio, Mittelpunkt, 354.
- 41Vgl. ebd.
- 42Vgl. Kelle, Leihmutterschaft.
- 43Zitat entnommen bei Bernhard, Kinder machen, 270.
- 44Raedel, Lebensbeginn, 47.
- 45Vgl. Banner, Ethics, 57.
Bibliografie
Banner, Michael, The Ethics of Everyday Life. Moral Theology, Social Anthropology, and the Imagination of the Human, Oxford 2014
Bernhard, Andreas, Kinder machen. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie, Frankfurt am Main 2014
Gerecke, Martin / Julia Maria Valentin, Kinder auf Bestellung, in: Gedächtnisschrift für Jörn Eckert, Hg. Andreas Hoyer / Hans Hattenhauer u.a., Baden-Baden 2008, 233-250
Hüther, Gerald / Inge Krens, Das Geheimnis der ersten neun Monate. Unsere frühesten Prägungen, 2005, 2. Aufl. Weinheim 2009
Jofer, Patricia, Regulierung der Reproduktionsmedizin. Fremdsamenspende, Ersatzmutterschaft und Umgang mit überzähligen Embryonen (Schriften zum Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht 15), Augsburg 2014
Kelle, Birgit, Leihmutterschaft. Wie Menschenhandel wieder salonfähig gemacht wird, Vortrag online zugänglich unter https://www.youtube.com/watch?v=gtEUt6p_qyc [18.07.2018]
Maier, Christl / Karin Lehmeier, Kinder, in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, 293-294
Maio, Giovanni, Mittelpunkt Mensch. Lehrbuch der Ethik in der Medizin, 2. Aufl. Stuttgart 2017
Merckens, Stephanie, Leihmutterschaft auf dem Vormarsch. Die rechtlich-ethische Situation, Vortrag online zugänglich unter https://www.youtube.com/watch?v=f34whgVKGPI [17.07.2018]
Raedel, Christoph, Lebensbeginn und Lebensschutz. Eine evangelisch-freikirchliche Position, in: Ethik des Lebensbeginns. Ein interkonfessioneller Diskurs, Hg. Rupert M. Scheule, Regensburg 2015, 15-47
Schliesser, Christine, Körperlichkeit und Kommerzialisierung. Zur theologisch-ethischen Problematik der Leihmutterschaft, in: Zeitschrift für medizinische Ethik 62, 2016, 107-120
Schockenhoff, Eberhard, Ethik des Lebens. Grundlagen und neue Herausforderungen, 2009, 2. Aufl. Freiburg 2013
Van den Akker, Olga B.A., Surrogate Motherhood Families, London 2017
Wallraff, Martin, Taufe III. Kirchengeschichtlich 1. Alte Kirche und Mittelalter, in: RGG 8, 4. Aufl. Tübingen 2005,59-63