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Bio- & MedizinethikAllgemein

Der Nutzen des christlichen Glaubens für die Gesundheit

Zu diesem Artikel gibt es einen ergänzenden Podcast

Bis1Der vorliegende Text ist eine Veröffentlichung der © Christian Medical Fellowship 2011 (Übersetzung für das Institut für Ethik & Werte von Michael Ponsford) 1969 fand sich folgende Beurteilung in einem britischen Standardwerk der Psychi­atrie: „Religion ist für Unentschlossene, Schuldbeladene, extrem Zögerliche, für Menschen ohne feste Überzeugungen, um ihnen zu helfen, das Leben zu meistern.“2Mayer-Gross, W., Slater, E., und Roth, M., Clinical Psychiatry. Baillière, Tindall & Cassell 1954-1969. Die stillschweigende Folgerung daraus war unübersehbar: Religion ist etwas für Schwache und schadet womöglich der  Ge­sundheit. Sigmund Freud bezeichnete sie sogar als Neurose.3Freud, S., The Future of an Illusion, 1927. Bis heute wird behaup­tet, religiöser Glauben habe keinen Platz in der medizinischen Versorgung und Ärzte dürften mit den Patienten geistliche The­men nicht einmal besprechen. Andere be­haupten dagegen, Religion verspräche Wunderheilungen, ein langes Leben, Wohlstand und Wohlsein. Zeitgenössische Heilungsveranstaltungen oder Pilgerorte wie Lourdes stehen für Heilung von Körperbeschwerden als zentralen Nutzen des christlichen Glaubens. 

Dieser Text setzt sich mit Veröffentli­chungen zum Thema Glaube und Gesund­heit auseinander, untersucht mögliche Ver­knüpfungen zwischen beiden Bereichen und fragt nach positiven Auswirkungen christli­chen Glaubens auf die Gesundheit.

Gibt es eine ursächliche Verbindung zwi­schen Glauben und Gesundheit?    

 Über 1.200 Studien und 400 Untersu­chungen haben ergeben, dass sich religiöser Glaube positiv auf die Gesundheit auswirkt, indem er vor Krankheit schützt, den Um­gang mit Krankheit positiv beeinflusst und Erholung beschleunigt. Von den herange­zogenen Studien4Koenig, H.G., McCullough, M.E., und Larson, D.B., Handbook of Religion and Faith, Oxford University Press, 2001. belegten 81% positive Auswirkungen, dagegen nur 4% schädliche Folgen religiösen Glaubens. Rohdaten eini­ger groß angelegter  Untersuchungen wei­sen eine Verbindung zwischen Sterblich­keitsraten und religiöser Praxis auf. Eine Studie vergleicht zum Beispiel über 9 Jahre die Sterberate einer repräsentativen Gruppe von 21.204 US-Bürgern mit ihrer religiöser Praxis sowie mehreren anderen Variablen. Überraschenderweise spielten Einkommen und Bildungsstand dabei kaum eine Rolle. Dafür lebten regelmäßige Kirchgänger sieben Jahre länger, bei Farbigen sogar 14 Jahre. Die verantwortlichen Wissenschaftler schrieben diese Wirkung einem gesunden Lebensstil sowie Geborgenheit in persönlichen Beziehungen (z.B. intakten Ehen) zu.5Hummer, R.A. et alReligious involvement and U.S. adult mortalityDemography, 1999, May, Nr. 36(2), 273-285. Allerdings nimmt man erst jüngst den Einfluss des Glaubens auf die Gesundheit ernst. Deshalb tut weitere Forschung Not, um seine Bedeutung und das Zusammenspiel mit anderen Faktoren näher zu bestimmen.6Bagiella, E. et alReligious attendance as a predictor of survival in the EPSE cohortsInt. J. Epidemol., 2005, Apr. Nr. 34(2), 443-451.

Positive Auswirkungen des Glaubens auf psychische Erkrankungen     

Im Volksdenken haben psychische Er­krankungen wie z.B. Psychosen oft einen religiösen Hintergrund. Doch in Wirklich­keit schützt Religion gegen Psychosen. Pa­tienten, die mit Hilfe ihres Glaubens mit solchen Beschwerden fertig wurden, waren einsichtiger und nahmen williger ihre Me­dizin ein.7Kiroy, G. et alReligious faith after psychotic illness,  Psychopathology 1998; Nr. 31, 234-245. „Die Mehrzahl der Untersuchun­gen brachten eine religiöse Praxis in Verbindung mit Wohlsein, Glück und Zu­friedenheit; Hoffnung und Optimismus; Lebenssinn und –zweck; mit mehr Selbst­achtung. Patienten wurden mit Trauerfällen eher fertig, genossen mehr soziale Unter­stützung und fühlten sich weniger einsam; sie waren weniger depressiv und erholten sich schneller von etwaigen Depressionen; sie wiesen eine niedrigere Selbstmordrate auf und waren der Selbsttötung eher abge­neigt; sie litten weniger unter Angst oder Psychosen und hatten weniger psychotische Neigungen; bei ihnen kam Alkohol- und Drogenmissbrauch, aber auch (Ju­gend)Kriminalität weniger vor; Patienten genossen mehr Stabilität und Zufriedenheit in der Ehe“8Koenig, H.G. et alOp cit, p. 228. – so lautet die zusammenfas­sende Schlussfolgerung der größten Unter­suchung zu diesem Thema. Ihr pflichtet der frühere Präsident des Royal College of Psy­chiatrists bei und beklagt, dass die eindeu­tigen Ergebnisse solcher Studien zu wenig Aufmerksamkeit fänden: „Handelte es sich um andere Einflüsse als Religion und Spi­ritualität, würden Regierung und Gesund­heitswesen alles in die Wege leiten, sie zu fördern.“9Sims, A., Is Faith Delusion? Why Religion is good for your health, Continuum, 2009.

Positive Auswirkungen im Falle schwe­rer oder unheilbarer Krankheit     

Palliative Fürsorge nimmt Spiritualität sehr ernst und hat den Begriff des Schmer­zes erweitert. Unter „umfassendem Schmerz“ bei unheilbar Kranken versteht man nicht nur Leibesschmerzen, sondern auch Angst, gesellschaftliche Entfremdung und geistliche Not.10World Health Organisation. WHO definition of palliative care, https://www.who.int/health-topics/palliative-care. Geistliches Wohlsein hilft nachweislich, Verzweiflung und Nei­gung zum Selbstmord am Lebensende zu bekämpfen11McClain, C. et al, Effect of spiritual well-being on end-of-life despair in terminally-ill cancer patients,  Lancet 2003 May 10; Nr. 361(9369), 1603-7., während geistliche Not (zum Beispiel Todesangst, fehlender Lebenssinn) zu Schlaflosigkeit, Angst und Verzweiflung führt.12Grant, E. et al, Spiritual issues and needs: perspectives from patients with advanced cancer and nonmalignant disease. A qualitative study, Palliative Support Care, 2004 Dec. Nr. 2(4), 371-8.

Gibt es schädliche Auswirkungen des Glaubens auf die Gesundheit?     

Vier der 86 Untersuchungen entdeckten mehr psychisch erkrankte Menschen unter Anhängern von religiösen Gruppierungen, wo es eine schroffe, verurteilende und auto­ritäre Leitung gab.13Sims, A., Op cit, Chapter 5. Verglichen mit dem obigen überwältigenden Befund kommen Berichte über nachweisliche Schäden des Glaubens relativ selten vor, meistens bei Einzelfällen oder untypischen religiösen Gemeinschaften. Die Verweigerung von Impfungen unter den Anhängern der „Amish-People“ führte zu vermehrten Fällen von Röteln. Der Widerstand der so genannten „Zeugen Jehovas“ gegen Blutübertragung ist hinlänglich dokumentiert. Die Vorstellung der Anhänger der kaum zum rechtgläubigen christlichen Glauben zählenden „Christlichen Wissenschaft“, Krankheit sei eine Sinnestäuschung, mag dazu führen, dass sie medizinische Hilfe zu spät in Anspruch nehmen, mit möglicherweise tödlichen Folgen.14Center for Disease Control, 1991, Comparative mortality of two college groups, CDC Mortality and Morbidity Weekly Report 40, 579-582.

Problembereiche bei der Untersuchung der Auswirkung der Religion auf die Ge­sundheit

Bei der Interpretation solcher Untersuchungen gibt es zwei Hauptprobleme: die Frage der Begriffserklärungen und die Frage der Ursächlichkeit.

1. Das Problem der Definitionen

Um die Auswirkung des religiösen Glaubens auf die Gesundheit festzustellen, ist es notwendig, sowohl Glauben als auch Gesundheit zu definieren und verlässlich zu messen. Im Falle der Gesundheit fällt diese Aufgabe leichter: Lebenserwartung und Erkrankungsziffer lassen sich statistisch erheben. Frömmigkeit dagegen zu definieren ist ungemein schwieriger. Was soll da gemessen werden? 

Die erste Möglichkeit, die religiöse Zugehörigkeit, kann irreführend sein. 70% aller Briten bezeichnen sich als Christen, doch die wenigsten praktizieren aktiv ihren Glauben. Die meisten Untersuchungen zu Fragen der Gesundheit vergleichen in der Tat praktizierende Christen mit ihren nicht religiösen Nachbarn im Abendland.

Eine zweite Möglichkeit untersucht In­halt und Wesen der Frömmigkeit, denn Religionen unterscheiden sich untereinander und vertreten widersprüchliche Lehrmeinungen. Die erhobenen Daten deuten insgesamt darauf hin, dass die günstigsten Auswirkungen auf die Gesundheit bei Menschen zu finden sind, die Gott aufrichtig lieben, die ihren Glauben derart verinnerlicht haben, dass er ihr Denken, Verhalten und ihre Beziehungen prägt (mehr dazu s.u.). Im Gegensatz dazu ist eine rein äußere Reli-gionszugehörigkeit oft von dem Wunsch nach persönlichem Gewinn in Form von sozialem Ansehen und Status gekennzeichnet. Solche differenzierten Daten lassen sich aber nur unter großem Zeit- und Geldaufwand erheben.

Eine dritte Möglichkeit fragt nach den Handlungen religiös motivierter Menschen, die sich objektiv feststellen lassen, zum Beispiel Gottesdienstbesuch. Solche Daten lassen sich zwar leicht erheben, sind aber wenig aussagekräftig. Genauso wenig kann man eheliche Beziehungen danach messen, wie oft der Ehemann seiner Frau Blumen oder Schokolade schenkt. Hier stößt man an die Grenze des statistisch Quantifizierbaren, nach dem Motto: Was sich nicht messen lässt, wird vernachlässigt!

2. Das Problem der Ursächlichkeit

Dass religiöser Glaube mit besserer Ge­sundheit Hand in Hand geht, gibt noch keine Antwort darauf, ob er deren Ursache sei, oder ob andere Faktoren dafür bestim­mend sind. Ein absurdes Beispiel illustriert die Problematik: 90% der Menschen ster­ben im Bett, aber nicht das Bett, sondern die Krankheit, die sie bettlägerig macht, ist Todesursache. Das Verhältnis zwischen Glauben und Gesundheit könnte durch an­dere Variablen beeinflusst werden, z.B. durch den sozialen Stand. Vorausschauende Beobachtung hilft, im Nachhinein keine falschen Schlüsse zu ziehen, indem man andere Risikofaktoren berücksichtigt. Aber auch nach solchen Korrekturen bleiben die positiven Auswirkungen des Glaubens be­stehen.

Wie wirkt sich Glaube auf die Gesund­heit aus?

Vorausgesetzt, religiöser Glaube wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus: Wie könnte man dieses Phänomen erklären? Welche möglichen Einflüsse wären plausi­bel?

1. Mentale Einstellung

Geistliche Überzeugungen führen nicht nur zu subjektiven Erlebnissen, sondern begründen die Einstellungen und Erwar­tungen eines Menschen dem Leben gegen­über. Weltanschauung und Existenzfragen prägen die Lebensauffassung und üben ei­nen starken Einfluss auf die leibliche Ge­sundheit aus.      Eine Studie zu diesem Thema hat nach­gewiesen, dass Hoffnungslosigkeit einen erheblichen Risikofaktor bei Herzanfällen und Krebs darstellt, der sogar bei sonst ge­sunden Patienten die Sterblichkeitsrate ver­doppelt oder gar verdreifacht, auch wenn andere gewöhnliche Risikofaktoren wie sozialer Stand, Bluthochdruck, Rauchen, Cholesterinspiegel und körperliche Bewe­gung berücksichtigt worden sind.15Everson, S. et al., Hopelessness and risk of mortality and incidence of myocardial infarction and cancer, Psychosom Med 1996 Mar-Apr, Nr. 58(2), 113-21. Eine materialistische Weltanschauung eines öden und unpersönlichen Universums ordnet Ereignisse anders ein, als ein Glauben an Kohärenz und höheren Sinn, der Hoffnung und Trost auch in den widrigsten Umstän­den bietet.

2. Gesundes Verhalten     

Gelebte Frömmigkeit geht oft Hand in Hand mit Verhalten, das mit weniger Risi­ken für die Gesundheit verbunden ist.16Mellor, J., Freeborn, B., Religious participation and risky health behaviours among adolescents, in Health Econ 2010 Sep 29 [Epub ahead of print]. Dazu zählen zum Beispiel eine niedrigere Rate bei Alkoholmissbrauch17Borders, et al, Religiousness among at-risk drinkers: is it prospectively associated with the development or maintenance of an alcohol-use disorder? J Stud Alcohol Drugs, 2010  Jan Nr. 71(1), 136-142., Rauchen18Whooley, M. et al, Religious involvement and cigarette smoking in young adults: the CARDIA study (Coronary Artery Risk Development in Young Adults study), Arch Intern Med 2002 Jul 22, Nr. 162(14), 1604-1610. und weniger sexuelle Freizügigkeit. Die Auswirkungen können mitunter dramatisch sein. Regelmäßige Gottesdienstbesucher hatten einer Studie zufolge 90% weniger Fälle von Meningitis mit Blutvergiftung bei Teenagern. Diese Zahlen korrelierten mit einem genau so guten Schutz wie eine Imp­fung.19Tully, J. et al, Risk and protective factors for meningococcal disease in adolescents: matched cohort study, BMJ 2006, Nr. 332(7539), 445-450.  Menschen, die ihren Glauben ausü­ben, nehmen außerdem nachgewiesener Maßen ihre Medikamente gewissenhafter ein.20McCann, T. et al, A comparative study of antipsychotic medication taking in people with schizophrenia, Int J Ment Health Nurs 2008 Dec, 17(6), 428-38. Park, J., Nachman, S., The link between religion and HAART adherence in pediatric HIV patients, AIDS Care 2010 Apr 15, 1-6 [Epub ahead of print].Stewart, W. et al, Association of strength of religious adherence with attitudes regarding glaucoma or ocular hypertension, Ophthalmic Res 2011; 45(1), 53-6. Epub 2010 Aug 11.

3. Bessere soziale Beziehungen     

Eine US-amerikanische Untersuchung stellte heraus, dass ein längeres Leben z.T. auf erhöhte gesellschaftliche Kontakte und größere Stabilität in der Ehe zurückzufüh­ren sei.21Strawbridge, W. et al, Frequent attendance at religious services and mortality over 28 years, Am J Public Health 1997 Jun, 87(6), 957-61. Eine rein biologisch-medizinische Betrachtungsweise der Gesundheit unter­schätzt dagegen oft die Bedeutung von zwi­schenmenschlichen Beziehungen.

4. Immunologische Effekte     

Der  rasch wachsende Forschungsbe­reich der Psychoneuroimmunologie unter­sucht die komplexen Querverbindungen zwischen mentalem Zustand, Gehirn und Immunsystem sowie den dazugehörigen Mechanismen, darunter Stresshormone wie Cortisol. Studien zufolge kann emotionaler Stress verantwortlich sein für Ansteckungs­krankheiten im Allgemeinen und sogar für Erkältungen.22Cohen, S. et al, Psychological stress and susceptibility to the common cold, NEJM 1991, 325(9), 606-12. Andere Untersuchungen wiesen niedrigeres Auftreten entzündlicher Zellen und Indikatoren von Störungen des Immunsystems nach.23Koenig, H. et al, Attendance at religious services, interleukin-6, and other biological parameters of immune function in older adults, Int J Psychiatry Med. 1997, 27(3), 233-50. Eine eindrückliche Studie von HIV-Patienten zeigte, dass ver­mehrtes spirituelles Bewusstsein und eine entsprechende Lebensführung nach der Di­agnose zu einer bedeutsam Reduktion in der Abnahme der CD4-Werte führte und die Verschlechterung ihres Zustandes über ei­nem Zeitraum von vier Jahren verlang­samte.24Ironson, G. et al, An increase in religiousness/spirituality occurs after HIV diagnosis and predicts slower disease progression over 4 years in people with HIV, J Gen Intern Med2006 Dec, 21 Suppl 5, S62-8.

5. Göttliches Eingreifen     

Verschiedene Versuche sind unternommen worden, um die Auswirkung des Fürbittegebets auf Gesundheit zu unter­suchen. Eine sog. „Cochrane“- Großaus­wertung kam zum Ergebnis, dass im Endef­fekt bei den Patienten, für die gebetet wurde, keine bedeutsame Besserung festzu­stellen sei. Eine andere Studie meinte, un­heilbar Kranken würde im Endstadium ge­holfen, einschließlich in ihrer Einstellung zum Tod. Eine weitere Untersuchung kam zu dem Ergebnis, Patienten, für die gebetet wurde, erholten sich nach einer Operation besser, aber nur, wenn sie von dieser Für­bitte nichts wussten. Die Verfasser der Auswertung kamen zu dem Schluss, dass weder Vor- noch Nachteile von Gebet sta­tistisch nachweisbar seien25Roberts, L. et al, Intercessory prayer for the alleviation of ill health, Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 2. Art. No.: CD000368. DOI: 10.1002/14651858.CD000368.pub3. und sowohl die Interpretation als auch die Implikationen der entsprechenden Studien kontrovers seien.26Jorgensen, K. et al, Divine intervention? A Cochrane review on intercessory prayer gone beyond science and reason, J Negat Results Biomed. 2009 Jun 10, 8:7.

Die Gründe zu erörtern, wieso Gott manche Gebete um Heilung erhört und an­dere nicht, würde den Rahmen dieses Tex­tes  sprengen. Aber die Vorstellung von Gebet als wirkungsvollem Heilmittel hat mehr mit Zauberei zu tun, als mit christli­chem Gebetsverständnis.

Sollte man den christlichen Glauben für die Heilung von Patienten empfehlen?

1. Die Evidenz

Seelsorge an oder Gebet für Patienten, damit sie sich von einer Krankheit erholen oder damit fertig werden, nennt man „spi­rituelle Fürsorge“ oder „geistliche Beglei­tung“. Die Entscheidung, ob sie Bestandteil medizinischer Praxis werden sollten, ver­langt mehr als die Feststellung einer Ver­bindung zwischen Glaube und Gesundheit. Man braucht Studien, die prüfen, ob eine solche Begleitung tatsächlich Erfolge er­zielt.

Die bisherige Forschung war stark auf das Gebiet der Schmerzlinderung be­schränkt. Hier schätzen Patienten nach­weislich die Gelegenheit, mit ihren Ärzten geistliche Themen zu erörtern.27Grant, E. et alArt cit. Nur we­nige Studien haben dagegen geistliche Be­gleitung unmittelbar untersucht. Eine Studie versuchte, den Einfluss von Krankenhaus­pfarrern nachzuweisen. Demnach verkürz­ten tägliche Besuche tatsächlich den durch­schnittlichen Krankenhausaufenthalt und sie halfen bei Notfällen wie z.B. Lungener­krankungen, die Patienten zu beruhigen.28Iler, W. et al, The impact of daily visits from chaplains on patients with chronic obstructive pulmonary disease (COPD): a pilot study, Chaplaincy Today 2001, 17(1), 5-11.

Besagte Studie hat aber nicht eindeutig klargestellt, welche geistliche Begleitung angemessen ist. Dies lag z.T. an der Schwierigkeit, spirituelle Fürsorge für For­schungszwecke messbar zu definieren. Von daher fehlt der eindeutige Nachweis für oder wider solche geistliche Begleitung in Krankheitsfällen.

2. Die Kontroversen     

Die Vorstellung, den Glauben „auf Re­zept“ zu verordnen, bleibt unter Medizinern kontrovers. Hier wird weniger auf Grund von Beweisen sondern vielmehr aus prinzi­pieller Angst vor seelischen Schäden argu­mentiert. Die Verfasser eines Artikels zum Thema stufen denen Glauben unter die so­genannten fachfremden Risikofaktoren (wie Familienstand) ein, auch wenn positive Auswirkungen geistlicher Begleitung sta­tistisch nachweisbar wären. Außerdem be­fürchten sie, Glauben verordnen setze den Patienten unter Druck, weil der Arzt eine Autoritätsfigur darstelle. Ärzte könnten womöglich Schäden anrichten, wenn der Eindruck entstünde, die Krankheit eines Patienten würde durch seine mangelnde Frömmigkeit verursacht.29Sloan, R., Bagiella, E., Spirituality and medical practice: a look at the evidence, Am Fam Physician 2001 Jan 1, 63(1), 33-4.

Hintergrund solcher Argumentations­weisen ist nicht selten eine säkulare Ideolo­gie, die verlangt, dass Spiritualität, Glauben und Religion aus der Medizin ausgeschlos­sen werden sollen. Die „National Secular Society“ in Großbritanniens wehrt sich des­halb gegen Zuschüsse der Krankenkasse für Krankenhauspfarrer.30www.cmf.org.uk/media.asp?v=199.

3. Die christliche Perspektive     

Man müsste den Patienten mehr Gehör schenken, die religiöser eingestellt sind als das Pflegepersonal. Bei einer Untersuchung unter Krebskranken erstellten Patienten und Angehörige eine Liste der für sie wichtigs­ten Elemente bezüglich ihrer Therapie. Zur Überraschung der Fachärzte, die den Glau­ben für unwesentlich hielten, erschien er auf Platz zwei der Liste.31Silvestri, G. et al, Importance of Faith on Medical Decisions Regarding Cancer Care, Journal of Clinical Oncology 2003, 21(7), 1379-1382. Auch 76% der Patienten ohne Beziehung zu organisierten Religion gaben an, sie hätten spirituelle Erlebnisse und Glaubensvorstellungen.32Hay, D., Hunt, K., Understanding the Spirituality of People Who Don't Go to Church, Nottingham: University of Nottingham, 2000, In: Spirituality and Clinical Care, BMJ 2002, 325, 1434-1435.

Da das säkulare Medizinstudium einige der tiefsten Sorgen der Patienten ausklam­mert, müssen heutige Ärzte die Anliegen ihrer Patienten mehr berücksichtigen, in­dem sie die „geistliche Fürsorge“ unterstüt­zen. Wenn ein Mensch krank wird, tauchen oft spirituelle Fragen auf: Selbstwertgefühl, Sterblichkeit, Lebenssinn. Ein empfind­samer Arzt wird ihnen nachgehen, den geistlichen Werdegang des Patienten nach­verfolgen und überlegen, welche Auswir­kung dessen spirituelle Ansichten auf den Krankheitsverlauf sowie die Aussichten der Erholung haben könnten.     

Nichtsdestotrotz werden Christen immer dem Vorbild Jesu folgen, der in seinem Umgang mit leidenden Menschen von jeg­lichem Zwang Abstand nahm. Seinen über­zeugten Nachfolger empfahl er, Anfragen über den Glauben „mit Sanftmut und Ehr­erbietung“ zu beantworten.331.Petrus 3,15. Diesem Rat pflichtet Großbritanniens „General Medical Council“ 2.000 Jahre später bei.34General Medical Council, 2008. Personal Beliefs and Medical Practice.

Positive Auswirkungen für die Gesund­heit dürfen nie zur Motivation werden, dass jemand an Jesus Christus glaubt. Jesus kam in diese Welt, um eine viel tiefgreifendere Verwandlung der Menschen zu bewirken, als nur Krankheit zu heilen. Im Gegenteil sagte er seinen Nachfolgern eher Leid als Gesundheit und Wohlstand voraus35Johannes 16,33., eine zutreffende Prophetie, denn viele der ersten Christen litten unter Verfolgung oder bezahlten ihren Glauben mit dem Leben.     

Die Bibel enthält viele Heilungsberichte. Außerdem die Verheißung, dass Krankheit und Schmerz im Jenseits nicht mehr bestehen werden. Sie betont aber auch den Stellenwert des Leidens im Leben eines gläubigen Menschen. Leid trägt dazu bei, nicht mehr sich selbst, sondern Gott zu vertrauen362.Korinther 1,9, macht Mitleid mit anderen Betroffenen möglich372.Korinther 1,4, gehört zur Gemeinschaft mit Christus38Philipper 3,10 und zur Stärkung des Glaubens. Deshalb freute sich der Apostel Paulus sogar über Anfechtungen und Schwierigkeiten.392.Korinther 12,10 Ein ganzes Buch der Bibel, das Buch Hiob, ist dem Thema gewidmet, warum auch gute Menschen leiden müssen. Christliche Frömmigkeit ist für die Heilige Schrift deshalb keine Garantie für Gesundheit oder Wohlstand. Hauptgrund dafür, Christ zu sein, ist die Überzeugung der Wahrheit der christlichen Botschaft und nicht etwa die Hoffnung auf Gesundheit.

Schlussfolgerung

Trotz der auffallenden Assoziation zwi­schen Glauben und seinen positiven Aus­wirkungen auf die Gesundheit sollte der christliche Glaube nicht auf Grund etwaiger materieller Vorteile, sondern auf Grund seines Wahrheitsgehalts beurteilt werden. Ein wichtiges Korrektiv zur eingeschränk­ten säkularen Betrachtungsweise der heuti­gen Medizin bietet die ganzheitliche christ­liche Sicht des Menschen. Sie sieht den Menschen in seiner leiblichen, geistigen und geistlichen Dimension sowie seinen sozialen Beziehungen. Der Patient stellt mehr dar als ein zu lösendes biologisches Problem. Medizinische Eingriffe müssen alle Dimensionen des Menschen berück­sichtigen. Die heutigen Patienten begrüßen und suchen eine solche ganzheitliche Für­sorge.

     Im Gegensatz zur volkstümlichen Vor­stellung, christlicher Glaube schade der Gesundheit, deutet die bisherige Forschung bei allen Vorbehalten darauf hin, dass der Glaube nicht ohne Einfluss auf die Lebens­erwartung ist. Er bringt Vorteile für die Gesundheit, besonders im Blick auf psychi­sche Erkrankungen. Auf jeden Fall liegt die Beweislast bei denen, die behaupten, der Glaube schade der Gesundheit und alle Spielarten spiritueller Fürsorge müssten aus der heutigen Medizin ausgeschlossen wer­den.

© Christian Medical Fellowship 2011
Übersetzung: Michael Ponsford für das „Institut für Ethik & Werte“

© 2011 Institut für Ethik & Werte

Alex Bunn

David Randall

Endnoten

  • 1
    Der vorliegende Text ist eine Veröffentlichung der © Christian Medical Fellowship 2011 (Übersetzung für das Institut für Ethik & Werte von Michael Ponsford)
  • 2
    Mayer-Gross, W., Slater, E., und Roth, M., Clinical Psychiatry. Baillière, Tindall & Cassell 1954-1969.
  • 3
    Freud, S., The Future of an Illusion, 1927.
  • 4
    Koenig, H.G., McCullough, M.E., und Larson, D.B., Handbook of Religion and Faith, Oxford University Press, 2001.
  • 5
    Hummer, R.A. et alReligious involvement and U.S. adult mortalityDemography, 1999, May, Nr. 36(2), 273-285.
  • 6
    Bagiella, E. et alReligious attendance as a predictor of survival in the EPSE cohortsInt. J. Epidemol., 2005, Apr. Nr. 34(2), 443-451.
  • 7
    Kiroy, G. et alReligious faith after psychotic illness,  Psychopathology 1998; Nr. 31, 234-245.
  • 8
    Koenig, H.G. et alOp cit, p. 228.
  • 9
    Sims, A., Is Faith Delusion? Why Religion is good for your health, Continuum, 2009.
  • 10
    World Health Organisation. WHO definition of palliative care, https://www.who.int/health-topics/palliative-care.
  • 11
    McClain, C. et al, Effect of spiritual well-being on end-of-life despair in terminally-ill cancer patients,  Lancet 2003 May 10; Nr. 361(9369), 1603-7.
  • 12
    Grant, E. et al, Spiritual issues and needs: perspectives from patients with advanced cancer and nonmalignant disease. A qualitative study, Palliative Support Care, 2004 Dec. Nr. 2(4), 371-8.
  • 13
    Sims, A., Op cit, Chapter 5.
  • 14
    Center for Disease Control, 1991, Comparative mortality of two college groups, CDC Mortality and Morbidity Weekly Report 40, 579-582.
  • 15
    Everson, S. et al., Hopelessness and risk of mortality and incidence of myocardial infarction and cancer, Psychosom Med 1996 Mar-Apr, Nr. 58(2), 113-21.
  • 16
    Mellor, J., Freeborn, B., Religious participation and risky health behaviours among adolescents, in Health Econ 2010 Sep 29 [Epub ahead of print].
  • 17
    Borders, et al, Religiousness among at-risk drinkers: is it prospectively associated with the development or maintenance of an alcohol-use disorder? J Stud Alcohol Drugs, 2010  Jan Nr. 71(1), 136-142.
  • 18
    Whooley, M. et al, Religious involvement and cigarette smoking in young adults: the CARDIA study (Coronary Artery Risk Development in Young Adults study), Arch Intern Med 2002 Jul 22, Nr. 162(14), 1604-1610.
  • 19
    Tully, J. et al, Risk and protective factors for meningococcal disease in adolescents: matched cohort study, BMJ 2006, Nr. 332(7539), 445-450. 
  • 20
    McCann, T. et al, A comparative study of antipsychotic medication taking in people with schizophrenia, Int J Ment Health Nurs 2008 Dec, 17(6), 428-38. Park, J., Nachman, S., The link between religion and HAART adherence in pediatric HIV patients, AIDS Care 2010 Apr 15, 1-6 [Epub ahead of print].Stewart, W. et al, Association of strength of religious adherence with attitudes regarding glaucoma or ocular hypertension, Ophthalmic Res 2011; 45(1), 53-6. Epub 2010 Aug 11.
  • 21
    Strawbridge, W. et al, Frequent attendance at religious services and mortality over 28 years, Am J Public Health 1997 Jun, 87(6), 957-61.
  • 22
    Cohen, S. et al, Psychological stress and susceptibility to the common cold, NEJM 1991, 325(9), 606-12.
  • 23
    Koenig, H. et al, Attendance at religious services, interleukin-6, and other biological parameters of immune function in older adults, Int J Psychiatry Med. 1997, 27(3), 233-50.
  • 24
    Ironson, G. et al, An increase in religiousness/spirituality occurs after HIV diagnosis and predicts slower disease progression over 4 years in people with HIV, J Gen Intern Med2006 Dec, 21 Suppl 5, S62-8.
  • 25
    Roberts, L. et al, Intercessory prayer for the alleviation of ill health, Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 2. Art. No.: CD000368. DOI: 10.1002/14651858.CD000368.pub3.
  • 26
    Jorgensen, K. et al, Divine intervention? A Cochrane review on intercessory prayer gone beyond science and reason, J Negat Results Biomed. 2009 Jun 10, 8:7.
  • 27
    Grant, E. et alArt cit.
  • 28
    Iler, W. et al, The impact of daily visits from chaplains on patients with chronic obstructive pulmonary disease (COPD): a pilot study, Chaplaincy Today 2001, 17(1), 5-11.
  • 29
    Sloan, R., Bagiella, E., Spirituality and medical practice: a look at the evidence, Am Fam Physician 2001 Jan 1, 63(1), 33-4.
  • 30
  • 31
    Silvestri, G. et al, Importance of Faith on Medical Decisions Regarding Cancer Care, Journal of Clinical Oncology 2003, 21(7), 1379-1382.
  • 32
    Hay, D., Hunt, K., Understanding the Spirituality of People Who Don't Go to Church, Nottingham: University of Nottingham, 2000, In: Spirituality and Clinical Care, BMJ 2002, 325, 1434-1435.
  • 33
    1.Petrus 3,15.
  • 34
    General Medical Council, 2008. Personal Beliefs and Medical Practice.
  • 35
    Johannes 16,33.
  • 36
    2.Korinther 1,9
  • 37
    2.Korinther 1,4
  • 38
    Philipper 3,10
  • 39
    2.Korinther 12,10