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Bio- & MedizinethikAbtreibungPräimplantationsdiagnostik

Wunschkind – um jeden Preis?

Daniel Röthlisberger

SPIEGEL,1Der vorliegende Artikel wurde erstmals veröffentlicht in der theologischen Zeitschrift „Bibel und Gemeinde“, 1/2009. Ausgabe 18/2008: „In Großbritannien will ein Paar durch künstliche Befruchtung ein Kind zeugen – und löst damit einen großen Skandal aus.“ Warum? Das Kind soll mithilfe der Präimplantationsdiagnostik (PID) zur Welt kommen. Heute können im Reagenzglas erzeugte Embryonen einem Gentest unterzogen werden. Dabei wählt man nur diejenigen für eine Schwangerschaft aus, die den Ansprüchen der Eltern genügen. So lassen sich beispielsweise Kinder mit schweren Gendefekten „verhindern“. Doch dies ist nicht der eigentliche Skandal. Denn in Großbritannien ist solches längst erlaubt. Der Skandal ist vielmehr der, dass das britische Paar sich ein ganz besonderes Wunschkind aussuchen will: Ein gehörloses Kind.

Die Briten streiten sich: Wenn Gentests und eine Auslese nach bestimmten Kriterien doch ausdrücklich erlaubt sind, warum sollen diese Eltern nicht auch ein behindertes Kind haben dürfen? Haben Behinderte etwa kein Recht auf Leben?

In der Schweiz und in Deutschland ist Präimplantationsdiagnostik im Gegensatz zu anderen Ländern noch verboten. Neue Gesetze, die sie erlauben wollen, sind jedoch in Aussicht und bereits heftig umstritten. Offene Fragen sind zu klären: Was ist Präimplantationsdiagnostik? Was kann sie? Was will sie? Wohin führt sie? Wo liegen ihre Chancen, Grenzen und Probleme? Und schließlich: Wie lautet eine Antwort aus christlich-ethischer Sicht?

1. So funktioniert Präimplantationsdiagnostik

Definition

„In der Präimplantationsdiagnostik werden Embryonen durch In-Vitro-Fertilisation erzeugt, nach Beschaffenheit ihrer Gene selektiert und anschließend transferiert oder vernichtet.“

a. Durch In-Vitro-Fertilisation erzeugt

Im weiblichen Zyklus reift normalerweise nur eine Eizelle heran. Da dies für das Verfahren einer künstlichen Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation, IVF) mit PID jedoch nicht ausreicht, lässt man durch eine Hormonbehandlung mehrere Eizellen gleichzeitig reifen, um sie anschließend im Reagenzglas zu befruchten und einem Gentest, dem „Screening“, zu unterziehen. Der Gentest soll dabei die Auslese der genetisch geschädigten Embryonen ermöglichen und sicherstellen, dass nur gesunde Embryonen für eine Schwangerschaft übertragen werden.

Für eine PID werden pro Vorgang im Minimum zehn Embryonen benötigt und erzeugt (s. Grafik). Dies hat drei Gründe:

  1. Damit eine Schwangerschaft bei IVF überhaupt Aussicht auf Erfolg hat, müssen jeweils drei gesunde Embryonen in die Gebärmutter eingepflanzt werden.
  2. Eine Erbkrankheit wird mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 25 % oder 50 % weiter vererbt, entsprechend fallen 25-50 % aller erzeugten Embryonen sogleich als „genetisch geschädigt“ aus.
  3. Im Prozess der Diagnostik können zudem weitere Embryonen irreparabel geschädigt werden. Daher sind eine gewisse Anzahl gesunder Embryonen als „Reserve“ oder „Puffer“ erforderlich. Diese bleiben nach dem Transfer ggf. übrig und bilden zusammen mit den erbkranken Embryonen sogenannte „überzählige Embryonen“, wobei sich die Frage nach deren weiteren Verwendung stellt.

b. Nach Beschaffenheit ihrer Gene selektiert und anschließend transferiert oder vernichtet

Für die Diagnose der Gene eines Embryos werden im 4-8 Zellstadium ein oder zwei seiner Zellen entnommen. Diese sind zu dem Zeitpunkt noch totipotent, d. h. sie können sich bei entsprechender Kultivierung zu einem lebensfähigen Individuum weiterentwickeln, das mit dem eigentlichen Embryo genetisch identisch ist („Klon“). Von den entnommenen Zellen wird die DNA herausgelöst und mit speziell programmierten Genchips auf ihre Gene hin untersucht. Die totipotente Zelle wird dadurch zerstört, daher auch die Bezeichnung „verbrauchende Diagnose“ und „verbrauchende Forschung“. Veränderungen oder Varianten in den Genen lassen die Forscher nun auf Erbkrankheiten schließen und führen dazu, dass die Embryonen aufgrund des Diagnosebefunds entweder in die Gebärmutter der Frau transferiert oder direkt entsorgt bzw. indirekt durch weitere Forschungen vernichtet werden.

2. Anwendungsspektrum

Wurde IVF ursprünglich für unfruchtbare Paare entwickelt, so war auch PID erst nur für Paare gedacht, die ein erhöhtes Risiko für die Zeugung eines Kindes mit einer genetisch bedingten Krankheit haben. Mit den Gentests sollten dabei behinderte Embryonen erkannt und selektiert werden können.

Heute wird PID jedoch weltweit auf viel breitere Weise eingesetzt, nämlich auch zur Erkennung von späteren Krankheiten, zur Geschlechtswahl sowie für Blut-, Organ- und Gewebespenden für Dritte: In den USA wird PID z. B. für Krankheiten wie Alzheimer angewandt, die gar nicht in der Kindheit, sondern erst im Erwachsenenalter auftreten. Ebenso für Krankheiten, bei denen nur eine genetische Disposition vererbt wird, d. h. bei Krankheiten wie beispielsweise Brustkrebs, der zwar im Laufe des Lebens ausbrechen kann, aber nicht muss. Entsprechende Risikoträger werden bereits vor der Schwangerschaft erkannt und selektiert. In Großbritannien wurde mit PID ein Kind geboren, das zum Zwecke einer Blutspende gezeugt worden war. Dies brachte den Verantwortlichen den Vorwurf ein, das Kind nur als „Ersatzteillager“ missbraucht zu haben. In verschiedenen Ländern wie Indien, China und USA wählt man mit PID das Geschlecht des Kindes – ganz nach den Wünschen und Interessen der Eltern.

In Zukunft soll es möglich sein, sich mit PID auch viele weitere Eigenschaften des Nachwuchses auszusuchen: Durch Auslese soll es gelingen, nebst dem Geschlecht des Kindes auch Eigenschaften wie Haar- und Augenfarbe sowie Musikalität zubestimmen. „Und was das Herz sonst noch begehrt“, so ein Forscher. Dank der jüngst gelungenen Entschlüsselung des Genoms und entsprechend programmierten Gentests liegt ein solch maßgefertigtes Wunschkind durchaus im Bereich des Machbaren.

PID befriedigt aber nicht nur die Wünsche von Eltern, sondern weckt auch weitere Begehrlichkeiten: Da es sich bei IVF und PID um eine sehr aufwändige und daher kostspielige Technik handelt, wittern institutionelle Anbieter hier das große Geschäft. Nicht zuletzt würden auch Krankenkassen von einer breiten Anwendung von PID profitieren: Durch die vorgeburtliche Erkennung Behinderter und durch Beendigung ihres Lebens (im Embryonalstadium) könnten dem Gesundheitswesen und der Gesellschaft mögliche Folgekosten einer Behinderung erspart werden.

3. Bewertung aus medizinischer Sicht

  1. PID ist grundsätzlich eine rein prädiktive (voraussagende) und selektive Gendiagnostik ohne Therapiemöglichkeiten oder Therapieabsicht. Eine Therapie der von ihr diagnostizierten schweren Gendefekte ist weder beabsichtigt noch möglich. Daher hat die PID medizinisch keinen Nutzen. Als bisherige Ausnahme kann PID Hinweise auf Krebserkrankungen und auf Dispositionen liefern, die nach der Geburt durch Präventivmaßnahmen therapeutisch beeinflussbar wären. Doch PID will keine Therapie. Ihr Ziel bleibt die Auslese der betroffenen Embryonen.
  2. Die PID weist eine erhebliche Quote von Fehldiagnosen auf. Dabei schwanken die Zahlen je nach angewandter Methode und Art der zu erfassenden Störung zwischen 7 und 36 %, manche Publikationen sprechen von 5-10 %. Aufgrund dieser hohen Fehlerquote wendet man meistens zur weiteren „Qualitätskontrolle“ des Embryos noch zusätzlich die üblichen vorgeburtlichen Untersuchungen (Pränataldiagnostik, PND) an, um ggf. abtreiben zu können.
  3. Die hohe Rate an Mehrlingsschwangerschaften führt zu vermehrten Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sowie Frühgeburten mit möglichen Gesundheitsschäden für die Kinder. Durch den Transfer von jeweils mehreren Embryonen kommt es in fast 30 % der Fälle zu sogenannten Mehrlingsschwangerschaften. Diese führen häufig zu Kompli- kationen während der Schwangerschaft. Dazu der Jurist und Spezialist im Bereich PID, Urs Peter Böcher: „Um das Leben eines oder zwei der Foeten retten zu können, müssen vor allem höher gradige Mehrlingsschwangerschaften bisweilen durch selektiven oder nicht-selektiven Fetozid in Einlings- oder Zwillingsschwangerschaften reduziert werden.“ Realisiert wird dies jeweils durch eine Spritze direkt ins Herz der abzutreibenden Mehrlinge.
  4. Die meisten Behinderungen von Kindern sind gar nicht genetisch bedingt, sondern entstehen während der Schwangerschaft sowie während oder nach der Geburt. Gründe für das Entstehen einer Behinderung während der Schwangerschaft sind beispielsweise Viren, Strahlen, Medikamente, Umweltgifte, Nikotin, usw. Körperliche und geistige Behinderungen entstehen ganz allgemein in den meisten Fällen erst bei der Geburt oder durch Unfälle im späteren Leben.

    In diesem Zusammenhang wird von Befürwortern der PID oft geltend gemacht, dass PID Abtreibungen vermeiden könne. Ohne PID würden behinderte Kinder nämlich erst während der Schwangerschaft durch die herkömmliche PND entdeckt. Und da mit dieser erst sehr spät eine sichere Diagnose möglich sei, so führe dies in den meisten Fällen zu einer Abtreibung nach der 20. Schwangerschaftswoche – mit einer großen seelischen Belastung für die Frau und der Tötung eines oft schon lebensfähigen Kindes. Dank PID könne man nun solche Fälle zum größten Teil vermeiden.

    Dem ist aber nicht so: Die meisten Kinder werden auf ganz natürliche Weise gezeugt und nicht im Reagenzglas. Damit aber PID überhaupt angewendet werden kann, ist eine Reagenzglasbefruchtung nötig, die aber vergleichsweise selten vorkommt. Der Beitrag der PID zur Reduzierung von späten Abtreibungen bleibt daher äußerst gering. Letztlich ist PID eine weitere Form von Abtreibung. Sie ist die Tötung eines Menschen direkt am Anfang seines Lebens. Im Gegensatz zur eigentlichen Abtreibung wird hier lediglich der Tötungstermin vorverlegt.
  5. Die Existenz eines kranken oder behinderten Kindes zu verhindern, wie von der PID intendiert, ist nach traditioneller Auffassung keine ärztliche Aufgabe. Diese umfasst traditionell die Prävention und Heilung von Krankheiten sowie die Linderung von Leiden, außerdem die Abwendung von gesundheitlichen Schäden für die werdende Mutter und ihr zukünftiges Kind. Nicht aber die Verhinderung oder gar Tötung behinderten Lebens.
  6. Was oft vergessen wird: Es gibt weder ein Anspruchsrecht auf ein genetisch eigenes noch auf ein gesundes Kind. Obwohl der Kinderwunsch eine sehr hohe Priorität hat und auch der Wunsch nach einem gesunden Kind durchaus berechtigt ist: ein eigentliches Anspruchsrecht kann nicht geltend gemacht werden.

4. Bewertung aus christlich-ethischer Sicht

Bioethische Probleme sind Probleme der heutigen Zeit. Sie entstehen durch den technischen Fortschritt, der Menschen eine nie dagewesene Macht über die Natur gibt. Daraus ergeben sich schwierige ethische Fragen. Antworten liefert das jeweilige Menschenbild, das jeder Ethik zugrunde liegt. James Watson, Gen-Pionier und Nobelpreisträger für Medizin, macht deutlich: „Eine zeitgemäße Ethik kann den Menschen nicht mehr länger als Geschöpf Gottes begreifen, sondern allein als Produkt des Genoms. (...) Es wäre unverantwortlich, das Schicksal der Menschen länger der unsicheren Gnade Gottes anzuvertrauen, anstatt es in die eigene Hand zu nehmen.“ Demgegenüber gründen sich ein christliches Menschenbild und christliche Ethik in der Bibel. Doch: Die Bibel benennt viele unserer heutigen ethischen Fragen nicht! Sie liefert aber unverzichtbare Grundlagen, die das Denken und Handeln von Christen bestimmen sollen:

  1. Gott ist der Schöpfer der Welt und der Menschen. Er hat den Menschen das Leben und den Auftrag zur Fortpflanzung gegeben. Christliche Bioethik weiß sich bei der Ausführung dieses Auftrags ganz dem Auftraggeber verpflichtet und wird stets in seinem Sinn handeln. Für die konkrete Ausgestaltung des Auftrags orientiert sie sich an dem in der Bibel offenbarten Willen Gottes und wird nichts unternehmen, was Gottes Vorstellungen zuwiderlaufen könnte.
  2. Gott ist der Schöpfer jedes einzelnen Menschen. Auch bei einer „rein menschlichen“ Zeugung ist Gott stets als Schöpfer und Mitbeteiligter anzusehen (Ps 139,13-16). Die Würde eines Menschen ist daher weder abhängig von dessen aktuellem Entwicklungsstand noch von bestimmten Eigenschaften oder Fähigkeiten. Vielmehr erhält menschliches Leben seinen Wert und seine Würde aus der Tatsache, von Gott geschaffen und als „sehr gut“ befunden worden zu sein (Gen 1,31). Deshalb gilt menschliches Leben als wertvoll und heilig.

    Doch wann ist der Mensch ein Mensch? Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist klar: Der Mensch ist Mensch vom Zeitpunkt der Befruchtung an. Ein Embryo entwickelt sich von Anfang an als Mensch und nicht zum Menschen. Entsprechend ergeben sich sein Wert und seine Schutzwürdigkeit sogleich von Beginn an.
  3. Jede menschliche Existenz ist mit einer göttlichen Bestimmung verbunden, die es im Leben anzunehmen gilt und die erst im ewigen Leben ihre Vollendung findet. Diese Bestimmung wird nicht dadurch hinfällig, dass der Mensch ihr nicht entspricht oder aufgrund von Krankheit, Behinderung u. a. nicht entsprechen kann (Jer 1,5; Röm 8,29- 30.38-39; Eph 1,4ff). Auch wird menschliche Existenz erst in der Herrlichkeit Gottes frei sein von Tod, Krankheit, Leid und Trauer (Offb 21,3-5).
  4. Beginn und Ende des Lebens von Dritten und des eigenen Lebens sind in Gottes Hand und unterstehen seiner Souveränität. (Ps 119,73; 139,13; Dtn 32,39; Ps 90,3; Heb 9,27). Menschliches Leben darf daher nicht autonom und willkürlich begrenzt werden. Dabei gilt behindertem und schwachem Leben Gottes besondere Fürsorge, die solchem auch durch uns zukommen soll (Hes 34,16ff; Mt 15,30; Lk 14,13; 10,27-36 u.v.m.).
  5. Die Bibel erlaubt die bewusste Tötung eines Menschen nur als gesetzlich geregelte Bestrafung von Verbrechern sowie im Kriegsfall. Sie toleriert sie auch in gewissen Fällen von Notwehr. Für Totschlag (unbeabsichtigte Tötung) gelten gesonderte Bestimmungen. Alle anderen vorsätzlichen Tötungen übertreten das Gebot „Du sollst nicht töten!“ (Ex 20,13) und werden als „Mord“ bezeichnet, als solcher absolut verboten und bis hin zur Maximalstrafe (Todesstrafe) sanktioniert (Ex 20,13; Num 35; Ex 21, Lev 24,17, Offb 21,8).
  6. Gott schützt auch vorgeburtliches (!) Leben, indem er hier selbst die unabsichtliche Tötung unter Strafe stellt (Ex 21,22).
  7. Gott fordert einst Rechenschaft über jedes einzelne von Menschen getötete menschliche Leben (Gen 9,5-6).

Für eine Bewertung der PID bedeutet dies konkret:

  1. PID setzt voraus, dass Lebensqualität definierbar und eine Unterscheidung zwischen „lebenswertem“ und „lebensunwertem“ Leben objektiv möglich und legitim ist. Aber Lebensqualität lässt sich nicht definieren. Auch Behinderte können glückliche Menschen sein. Es wäre daher falsch zu behaupten, dass Menschen mit Behinderung weniger oder keine Lebensqualität haben. Und schon gar nicht ist es legitim zu sagen, dass Menschen mit Behinderung weniger Lebensqualität und somit keine Existenzberechtigung zukommt. Solche Urteile zu fällen steht dem Menschen nicht zu.
  2. Die Annahme eines Kindes nur unter Voraussetzung einer bestimmten Lebensqualität oder unter Voraussetzung bestimmter Eigenschaften ist abzulehnen. Bei PID werden im Reagenzglas Kinder erzeugt mit der Option, sie nach erfolgter Diagnose im Falle eines genetischen Defekts oder unerwünschter Eigenschaften wieder zu vernichten, insofern sie den Wunschvorstellungen nicht entsprechen. Solche Bedingungen widersprechen der biblisch begründeten Würde menschlichen Lebens.
  3. Die Lebenswerturteile der Eltern und der Gesellschaft beeinflussen sich gegenseitig: Die Zahl von individuellen Entscheidungen der Eltern gegen ein krankes oder behindertes Kind wirkt sich auf Entwicklung der gesellschaftlichen Wertvorstellungen aus. Diese unbiblischen Wertvorstellungen wiederum setzen Eltern zunehmend unter Druck, sich gegen ein behindertes Kind zu entscheiden. Für die künstliche Befruchtung bedeutet das, dass der Druck, gleichzeitig auch PID anzuwenden, weiter wächst und zwar insbesondere dann, wenn die Eltern Träger genetischer Risiken sind. Doch: „Die einzig ethisch angemessene Antwort auf das Wissen um das hohe Risiko der Zeugung eines behinderten Kindes ohne Bereitschaft, dieses Kind auszutragen“, so der renommierte Ethiker Ulrich Eibach, „ist der Verzicht auf ein genetisch eigenes Kind.“ Um dem Kinderwunsch dennoch zu entsprechen, wäre hier für Betroffene die Adoption eines Kindes eine durchaus bedenkenswerte Alternative.
  4. Eine Begrenzung der Anwendung von PID auf bestimmte Risikopaare sowie auf schwere genetische Krankheiten ist auf Dauer unrealistisch und wird durch ein breites Indikationsspektrum ersetzt werden. Eine Begrenzung des Indikationsspektrums auf „schwere Einzelfälle“ bzw. „schwere genetische Krankheiten“ ist unrealistisch: Der heutige Konsens,PID (wenn überhaupt) nur für Einzelfälle zuzulassen, ist auf Dauer nicht praktikabel. Denn: „Schwere“ genetische Krankheiten sind Definitionssache und somit der gesellschaftlichen Akzeptanz unterworfen. Was ist schwer? Was ist zumutbar? Dadurch sind Tür und Tor offen für Subjektivität und Willkür. Eine schleichende Ausweitung ist zu erwarten. Wenn die PID einmal für Risikopaare zulässig ist, gibt es kaum durchsetzbare Gründe, sie nicht auch auf weitere Risikogruppen und beliebige Kriterien auszuweiten und sie jedem zugänglich zu machen im Sinn einer allgemeinen Freigabe – wie es auch in anderen Ländern bereits der Fall ist.

5. Ethische Orientierung und Praxistipps

Die PID ist höchst problematisch. Zahlreiche Gründe aus medizinischer und christlich-ethischer Sicht legen daher eine ablehnende Bewertung nahe. Sollte in der Schweiz und in Deutschland PID dennoch gesetzlich möglich werden, könnte für Christen ein Umgang mit PID wie folgt aussehen:

  1. Christen, die sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, sollten in jedem Fall auf eine Anwendung von PID verzichten und sicherstellen, dass keine Embryonen erzeugt werden, deren Ziel nicht die Erhaltung und Schwangerschaft ist.
  2. Eine vorgeburtliche genetische Diagnostik (Screening) ist abzulehnen, solange dabei totipotente Zellen extrahiert (geklont) und zwingend verbraucht werden.
  3. Screenings dürfen – wenn überhaupt – ausschließlich für vorgeburtlich therapierbare Krankheiten zur Anwendung kommen mit dem Ziel, frühzeitig Maßnahmen zur Therapie und Erhaltung des Lebens einleiten zu können.
  4. Screenings für Krankheiten, die vorgeburtlich nicht medizinisch beeinflussbar sind, aber nach der Geburt zufrieden stellend therapiert werden können und deren Leidensmaß man dadurch erträglich gestalten kann, sollten von christlichen Eltern abgelehnt werden.
  5. Voraussetzung zu Screenings (auf therapierbare Krankheiten) muss in jedem Fall (!) die Bereitschaft seitens der Eltern zur Schwangerschaft sein.
  6. Wertorientierte Beratung: Eltern, die eine Inanspruchnahme von PID erwägen, ist eine wertorientierte Beratung nahezulegen. Auch ist es wünschenswert, dass von christlichen Institutionen kompetente und wertorientierte Beratungen angeboten werden: Diese sollten psychologische, medizinische, rechtliche sowie biblisch-ethische Fragen beinhalten. Auch hat eine Beratung deutlich auf den gesetzlich gebotenen Vorrang des Lebensrechts eines behinderten Lebens hinzuweisen sowie auf das Recht, ein behindertes Kind auszutragen. Paaren ist der Verzicht auf eine Anwendung von PID zu empfehlen und somit der Verzicht auf die Sicherheit eines gesunden, genetisch eigenen Kindes. Die Beratung sollte ebenso die Alternative der Adoption einbringen, die auch ermöglicht, zu einem gesunden (jedoch nicht genetisch eigenen) Kind zu kommen. Zu betonen ist zudem, dass auch für Träger genetischer Risiken ein Recht auf Fortpflanzung besteht, jedoch kein Recht auf ein gesundes Kind um den Preis der eingeplanten Tötung behinderten bzw. überzähligen Menschenlebens. Ebenso, dass sowohl bezüglich PID und PND ein „Recht auf Nichtwissen“ der Resultate sowie ein „Recht auf Nichtinanspruchnahme“ der PND und PID existiert.
  7. Nach dem Vorbild der Schweiz wäre auch für Deutschland die Gründung alternativer Krankenversicherungsmodelle wünschenswert. PRO LIFE ist in der Schweiz ein christlicher Verein, der wie eine normale Krankenversicherung funktioniert bzw. die entsprechenden Leistungen durch Verträge bei großen Versicherern einkauft, jedoch ohne die (Mit- oder Quer-)Finanzierung von Abtreibungen. Ein Mitglied von PRO LIFE weiß: Mit meinen Krankenkassenbeiträgen wird keine Abtreibung finanziert. Ähnliches wäre auch für PID denkbar.
  8. Nach wie vor brauchen die Schweiz und Deutschland Christen, die sich politisch engagieren. Auch sind die katholischen und evangelischen Kirchgemeinden sowie Freikirchen herausgefordert, kompetente Vorträge über aktuelle sozialpolitische Themen anzubieten, damit sich Menschen hier biblisch geprägte Meinungen bilden und eine (Werte- )Orientierung für das Leben finden können.

Der vorliegende Artikel wurde erstmals veröffentlicht in der theologischen Zeitschrift „Bibel und Gemeinde“, 1/2009.

Eine ausführliche Fassung des Artikels bewertet die Präimplantationsdiagnostik zusätzlich aus rechtlicher und gesellschaftspolitischer Sicht (für Deutschland) und behandelt vertieft weitere ethische Aspekte. Bestellungen (gegen Unkostenbeitrag) sind direkt an den Autoren zu richten.

Endnoten

  • 1
    Der vorliegende Artikel wurde erstmals veröffentlicht in der theologischen Zeitschrift „Bibel und Gemeinde“, 1/2009.

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