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Bio- & MedizinethikSterbehilfe und SuizidbeihilfeAktive Sterbehilfe

Aktive Sterbehilfe – Ausweg oder Irrweg?

1. Einleitung1Diese gekürzten Ausführungen sind im We­sentlichen dem Buch von Stephan Holthaus / Timo Jahnke, Aktive Sterbehilfe – Ausweg oder Irrweg?, Gießen: Brunnen-Verlag, 2008, entnom­men.

Zur Diskussionslage

In Deutschland gibt es seit längerer Zeit heftige öffentliche Debatten um die Frage einer Legalisierung von aktiver Sterbehilfe. Befürworter, die sich auf das Selbstbe­stimmungsrecht des Menschen beziehen, und Gegner, die den Schutz des Lebens auch bei Schwerstkranken und Sterbenden im Blick haben, stehen sich gegenüber. In Deutschland ist man sich fast überall einig, dass eine kommerzielle Sterbehilfe verbo­ten bleiben soll. Darüber hinaus gibt es aber keinen Konsens, ob aktive Sterbehilfe gene­rell verboten oder eingeschränkt erlaubt werden soll.

Gründe für die kontroverse Diskussion gibt es genug. So macht z.B. die zuneh­mende Technisierung der Intensivmedizin Men­schen Angst, wenn sie an ihr Lebensende denken. Die Überalterung der Gesellschaft und die steigende Lebenser­wartung stellen die Frage nach einem „gnä­digen Sterben“. Die in einigen deutschen Nachbarländern liberale Auffassung zum Thema führt auch hierzulande zum Ruf nach Gesetzesände­rungen. Außerdem hört man immer wieder von erschütternden Ein­zelfällen schwer leidender Menschen, die für ihren „Freitod“ ins Ausland fahren müs­sen. 

Grundsätzlich wird das Vorhaben einer gesetzlichen Regelung seit 2013 auf politi­scher Ebene vorangetrieben. Der Deutsche Bundestag diskutiert in diesem Jahr (2015) über verschiedene Gesetzentwürfe, die das Thema Sterbehilfe bzw. den ärztlich assis­tierten Suizid in geregelte Bahnen lenken sollen. Diese Entwürfe stammen sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern einer ärztlich assistierten Selbsttötung

Auch auf europäischer Ebene werden seit Jahren intensive Diskussionen geführt. Be­sonders innerhalb einiger Gremien der Eu­ropäischen Union  gibt es engagierte Be­fürworter aktiver Sterbehilfe. Die gesetzli­chen Regelungen sind aber immer noch in die Verantwortung der Länder gestellt. 

Die Begriffe

Im Ausland wird für aktive Sterbehilfe in der Regel der Begriff „Euthanasie“ ge­braucht. In Deutschland wird angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit der Begriff dage­gen vermieden. 

Bei „aktiver Sterbehilfe“ sind generell zwei Dinge auseinanderzuhalten: die Tötung eines alten bzw. kranken Menschen auf Verlan­gen und der „ärztlich assistierten Suizid“, der auch „Beihilfe zur Selbsttö­tung“ ge­nannt wird. Dabei besorgt ein Arzt dem Sterbewilligen ein Medikament, das er aber selbständig einnehmen muss. Der Arzt ist beim Suizid nicht anwesend, weil er sich sonst wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen würde.

Von diesen beiden Formen der aktiven Sterbehilfe ist die „passive Sterbehilfe“ zu unterscheiden, das „Sterbenlassen“. Hier geht es um Therapiebegrenzung in aus­weglosen Fällen. Medizinisch beschränkt man sich dabei auf die Basisversorgung des Todkranken. Dies hat nichts mit aktiver Sterbehilfe zu tun.

Ein Sonderfall ist die „indirekte Sterbe­hilfe“. Hier wird dem Patienten eine hohe Dosis von Schmerzmittel verabreicht, auch auf die Gefahr hin, dass dadurch der Tod beschleunigt wird. Dabei ist das Ziel der Behandlung nicht der Tod des Menschen, sondern eine bedauerliche Folgeerschei­nung. „Indirekte Sterbehilfe“ ist von daher ebenfalls keine „aktive Sterbehilfe“.

Diese verschiedenen Formen von Sterbe­hilfe müssen klar auseinandergehalten wer­den.

Die Rechtslage in verschiedenen Ländern

In Deutschland ist aktive Sterbehilfe, kon­kret die „Tötung auf Verlangen“, durch § 216 des Strafgesetzbuches derzeit noch verboten. Zudem räumt das Grundgesetz durch die „Unan­tastbarkeit der Menschen­würde“ und durch das „Recht auf körperli­che Unversehrtheit“ dem Lebensschutz hohe Priorität ein. Außerdem ist es in der Bundesrepublik nicht möglich, das für den schmerzfreien Suizid nötige Medikament Natrium-Pentobarbital zu bekommen. 

Urteile aus verschiedenen Strafrechtspro­zessen der letzten Jahre haben jedoch ge­zeigt, dass dem Willen des Patienten mitt­lerweile ein so hohes Recht zugesichert wird, dass ein „ärztlich assistierter Suizid“ auf Wunsch des Patienten in der Praxis straffrei bleibt. Der 66. Juristentag hat 2006 ausdrücklich die Straflosigkeit bei unterlas­sener Hilfeleistung im Fall eines freiver­antwortlichen Suizids gefordert. Die Bun­desärztekammer wandte sich als Standes­vertretung der Mediziner bisher allerdings vehement gegen jede Form einer Freigabe der aktiven Sterbehilfe und hat diese Auf­fassung in jüngerer Vergangenheit mehr­fach bekräftigte.

In den Niederlanden ist die „Tötung auf Verlangen“ dagegen seit 2002 straffrei, wenn auch an strikte Regeln gebunden. So muss ein „unerträgliches und aussichts­loses Leiden“ vorliegen und der Patient wieder­holt Sterbehilfe gewünscht haben. Der Wille des Einzelnen ist dabei oberste Norm der Rechtsprechung. Die Zahl der Fälle aktiver Sterbehilfe liegt derzeit im Jahr bei ca. 4.800. Seit 2002 hat sich die Zahl der Fälle vervierfacht, was deutlich macht, dass eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe den Willen nach der Beendigung des Lebens ansteigen lässt. 

Auch in Belgien ist die aktive Sterbehilfe seit 2002 straffrei. Die Gesetzgebung geht noch deutlich über das niederländische Mo­dell hin­aus. Sie gilt inzwischen auch für unheilbar und psy­chisch Kranke sowie für schwerstkranke Kinder. Als drittes Bene­luxland le­galisierte Luxemburg 2008 die aktive Ster­behilfe. 

In der Schweiz ist nur der „ärztlich assis­tierte Suizid“ straffrei, nicht die „Tötung auf Verlangen“. Jährlich machen davon ca. 300 Menschen Gebrauch. Darüber hinaus ist auch in den amerikanischen Bundes­staaten Oregon, Washington, Montana, Ka­lifornien, New Mexico und Vermont ärzt­lich assistierter Suizid straffrei. 

In fast allen Ländern Europas gibt es mitt­lerweile starke Lobbygruppen, die sich für die Legalisierung aktiver Sterbehilfe einset­zen. Insbesondere in Frankreich und Groß­britannien konnte in den vergangenen Jah­ren eine Freigabe der aktiven Sterbehilfe nur mit Mühe verhindert werden. Der euro­päische Gerichtshof für Menschenrechte fällte zudem im medial stark beachteten „Fall Vincent Lambert“ im Juni 2015 ein Grundsatzurteil, das die letzten juristischen Hürden für die Einstellung künstlicher Er­nährung bei (Wach-)Komapatienten besei­tigt hat. Dieses Urteil, auch wenn es sich nur auf einen Sonderfall bezieht, verstehen nicht wenige als ein deutliches Signal für anzustrebende Gesetzgebung auf Länder­ebene. Generell lässt sich feststellen, dass in Deutschland die Zahl der Befürworter einer Freigabe des ärztlich assistierten Sui­zids zunimmt, wenn auch die Vorbehalte gegen die „Tötung auf Verlangen“ nicht hoch sind. Immer mehr Menschen halten das generelle Verbot für unmenschlich und betonen die Autonomie des Menschen, der auch über seinen Todeszeitpunkt frei ent­scheiden soll. 

Wenn wir die ausländischen Zahlen auf Deutschland übertragen würden, hieße das: Bei Übernahme der Gesetze von Oregon (den assistierten Suizid) wären es ca. 1.500, der Schweizer Regelung 3.000 und mit der niederländischen Gesetzeslage der Tötung auf Verlangen kämen wir in Deutschland sogar auf über 20.000 Fälle von aktiver Sterbehilfe im Jahr. Darüber muss sich je­der klar sein, der heute behauptet, es handle sich doch nur um eine kleine Gruppe von Menschen, die aktive Sterbehilfe in anderen Ländern in Anspruch nehmen.

2. Was ist gegen aktive Sterbehilfe ein­zuwenden?

Recht auf Autonomie und leidfreies Leben?

Die aktuellen Forderungen nach Freigabe aktiver Sterbehilfe müssen zunächst im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung der Moderne und Postmoderne eingeordnet werden. 

Der moderne Mensch möchte heute um jeden Preis sein Leben autonom gestalten. Jede Form von Fremdbestimmung wird generell als Einengung verstanden. Dies gilt auch für medizinische Behandlungen und für den Sterbeprozess, Bereiche, die in der Vergangenheit eher Tabuthemen waren und dem medizinischen Personal überlassen wurden. 

Von daher überrascht nicht der Unmut, wenn man in bestimmten (Extrem-) Situati­onen des Lebens offenbar nicht frei ent­scheiden und keine Rechte einklagen kann. Konkret fordert man die völlige Au­tonomie darüber, seinem Leben mit Hilfe anderer ein Ende setzen zu dürfen. 

Die Frage nach der Autonomie des Men­schen spielt eine Schlüsselrolle in der Dis­kussion. In wieweit darf und soll der Mensch über sein Leben und dessen Ende frei verfügen? Befürworter aktiver Sterbe­hilfe pochen auf das Selbstbestimmungs­recht als höchstes Gut, auch am Lebens­ende. Andere sprechen davon, dass Auto­nomie in Krisensituationen eine Illusion sei. Der Mensch sei gerade in solchen Situatio­nen oft mehr ein Getriebener der äußeren Umstände und Einflüsse, und nicht ein neut­raler und objektiver Entscheider. Er bleibe auch in extremen Grenzsituationen in Abhängigkeit. Etwa vom Arzt, ohne dessen Hilfe der Mensch im Fall eines assistierten Suizids sein Leben nicht beenden könne, oder von seinem Umfeld und dessen Ein­schätzung der Lage bzw. des Lebenswertes.

Bei der Grundsatzfrage nach der Autono­mie des Menschen und deren Grenzen spielen religiöse und ethische Überzeugun­gen eine wesentliche Rolle. Nach christli­chem Verständnis ist das Le­ben  z.B. ein anvertrautes Geschenk Gottes, mit dem der Mensch verantwortlich umgehen soll. Gott hält als Schöpfer und Erfinder des Lebens sowohl dessen Anfang (Psalm 119,73; 139,13-16) als auch dessen Ende (Psalm 90,3; Prediger 7,17; Matthäus 6,27) in Hän­den und misst dem Leben eine jeweils indi­viduelle Spanne zu. Sogar über den Tod hinaus sorgt er sich um seine Ge­schöpfe (Johannes 3,16).

Der Mensch ist nach christlichem Ver­ständnis zwar keine willenlose Marionette. Er ist zur Freiheit berufen darf und soll sein Leben selbstständig gestalten, aber immer in der Verantwortung vor Gott, seinem Schöpfer. Ihm gegenüber muss er sich so­gar einmal rechtfertigen (Römer 14,10; 2. Korinther 5,10). Autonomie hat deshalb ihre Grenze in Gott und seinen Geboten. Verantwortlich leben heißt für Christen deshalb, nach Got­tes Bestimmung zu leben. Freiheit bedeutet, sich für Gottes Bestim­mung bewusst zu entscheiden und in die­sem Rahmen das Leben bis zu seinem na­türlichen Ende selbst zu gestalten. Ein be­wusstes Annehmen des natürlichen Sterbe­prozesses ist dabei letztlich nichts anderes als ein Akt wahrer Selbstbestimmung. Ak­tive Sterbe­hilfe widerspricht diesem christ­lichen Men­schen- und Weltbild.

Auch die Einstellung zu Leid und Krank­heit ist bei Befürwortern der aktiven Ster­behilfe von einem bestimmten Weltbild geprägt. Ziel ist es dabei, Schmerzen und Leiden auszuweichen. Nur ein leidfreies Leben sei auch ein glückliches Leben – so meinen viele.

Diese Lebenseinstellung übersieht aller­dings, dass Leid untrennbar zum Leben dazu gehört. Die Unfähigkeit, mit Krank­heit, Leid und Tod umzu­gehen, ist dabei ein gesellschaftliches Phänomen moderner Zeit. Der tiefe Wunsch, Leiden bewusst zu ver­meiden oder zu umgehen ist zwar mensch­lich verständlich, aber als Grundeinstellung des Lebens problematisch. Der „schnelle Tod“ erscheint hier als „Erlösung“, ist es aber in vielen Fällen gar nicht. Zudem: Bei­spiele aus der niederländischen Sterbehilfe­praxis belegen, dass es in etlichen Fällen die Angehörigen sind, die auf aktive Le­bensbeendigung drängen, und nicht die Be­troffenen selbst. Auch bei ihnen kann nicht ausgeschlossen werden, dass als Hauptmo­tiv die möglichen zukünftigen Lasten im Vordergrund stehen, wenn der Schwer­kranke weiterlebt.

Das christliche Zentraldokument, die Bibel, zeichnet ein anderes Bild vom menschli­chen Leben. Leid gehört hier zur begrenz­ten Existenz des Menschen dazu, weil er in einer gefal­lenen Welt lebt. Zwar soll Leid nicht be­wusst gesucht werden und wird keineswegs idealisiert, aber es soll ange­nommen und getragen werden. Im Leid spricht Gott sogar dem Menschen seinen besonderen Beistand zu und steht ihm zur Seite. Das beste Beispiel dafür ist Jesus Christus, der vorbildlich sein Leid bis zum Ende ertrug. 

Am Beispiel der Forderung nach Autono­mie und dem leidfreien Sterben wird deut­lich, wie stark die ganze Debatte um aktive Sterbehilfe von zeitbedingten Lebensein­stellungen geprägt ist.

Unabsehbare Folgen für andere

Die Forderung nach der Freigabe aktiver Sterbehilfe muss auch von den Folgen her beurteilt werden. Betroffen davon sind nicht nur die Suizidwilligen, sondern viele an­dere Menschen im Umfeld. 

Da ist zunächst der behandelnde Arzt. In Deutschland agieren Ärzte beim begleiteten Suizid in einer Grauzone. Beim aktiven Eingreifen in den Sterbeprozess wird er in jedem Fall zum Wegbereiter des Todes, direkt oder indirekt, und verstößt damit schon grundsätzlich gegen seinen ur­sprünglichen ärztlichen Auftrag, Leben zu retten und Leben zu erhalten. Ihm wird die Bürde auferlegt, am Tod eines Men­schen entscheidend mitverantwortlich zu sein. Dies betrifft sowohl den Entscheidungspro­zess, als auch die praktische Ausführung. Es wäre daher im Sinne des ärztlichen Selbstverständnisses wünschenswert, die Grenze zwischen einem natürlichen „ster­ben lassen“ und einer in welcher Form auch immer vollzogenen Tötungshandlung nicht zu überschreiten. Die Ärztevertretungen in Deutschland wenden sich deshalb mehr­heitlich gegen jede Ausweitung des Rechts auf aktive Sterbehilfe, da es dem eindeuti­gen Auftrag eines Arztes widerspricht.

Jenseits des Standesrechts steht der Arzt aber auch für einem generellen ethischen Dilemma: Er verstößt zumindest im Falle der „Tötung auf Verlangen“ gegen das ethi­sche Verbot des Mordens. Der Wunsch des Patienten, getötet zu werden, löst dieses Dilemma kaum auf, ist es doch der Arzt, durch den aktiv und willentlich der Tod des Menschen herbeigeführt wird. 

Was in der Diskussion leider auch häufig übersehen wird: Auch die Angehörigen sind im Falle aktiver Sterbehilfe mit einbezogen. Sie stehen oft unter starken Belastungen. Einerseits sehen sie das Leiden des Patien­ten und fühlen sich hilflos. Andererseits sind viele mit der Ent­scheidung des Kran­ken für einen Suizid überfordert, wenn sie im Vorfeld damit konfrontiert werden. Hier gilt gleiches wie schon zuvor bei den Ärz­ten. Fällt eine Entscheidung für den Tod, bleiben die Angehörigen mit allen offenen Fragen und Gewissensnöten zurück. Stu­dien in diesem Bereich zeigen, dass Ange­hörige oft noch jahrelang unter dem Suizid geliebter Menschen leiden, auch wenn sie diesen Schritt ursprünglich einmal befür­worteten. Trauerarbeit gestaltet sich kom­pliziert, wenn es dabei um den Abschied eines Menschen geht, der nicht ging, weil er musste, sondern es unbedingt wollte. Quelle angeben

Die seelische Motivationslage

Auch die Motivation des Patienten ist völlig unterschiedlich. Warum möchte er sterben? Ist er bei der Entscheidung Herr seiner Sinne? Sind alle medizinischen Möglich­keiten ausgeschöpft? Fühlt er sich mit sei­nen Schmerzen allein gelassen? Meint er, den Angehörigen nur noch zur Last zu fal­len? Diese und viele andere Fragen und Umstände sind häufig der Grund, warum Patienten um aktive Sterbehilfe bitten. 

Die eigentliche Notlage ist vermehrt auch im psychischen statt nur im somatischen Bereich zu suchen. Hier gibt es eindrückli­che Erfahrungen aus der palliativmedizini­schen Praxis. So berichten Schmerzthera­peuten, dass Menschen häufig zu neuem Lebensmut finden, wenn man für Sie die Umstände wie Schmerzen, Luftnot oder auch Einsamkeit mit ganzheitlichen medi­zinischen und menschlichen Zuwendungen verändert. Der Wunsch nach aktiver Sterbe­hilfe nimmt in der Regel ab, wenn medizi­nischer und seelischer Beistand gesichert sind. Je besser ein Patient ganzheitlich be­treut wird, desto weniger fragt er nach akti­ver Sterbehilfe – was zeigt, wie stark die Frage von der Gemütslage des Patienten abhängig ist.

Druck durch die Kostenfalle?

Gegner der Legalisierung von aktiver Ster­behilfe argumentieren nicht zu Unrecht mit der Frage nach den Kosten im Ge­sund­heitswesen. Sie  dürfte in Zukunft tatsäch­lich vermehrt bei Behandlungsentscheidun­gen eine Rolle spielen. Sicher ist: Die Bei­träge der Krankenkassen werden ange­sichts des demographischen Faktors und der ho­hen Kosten der Intensivmedizin unweiger­lich stei­gen. Immer mehr Leistungen wer­den dage­gen gekürzt. Da liegt die Befürch­tung nahe, dass bei einer Legalisierung ak­tiver Sterbehilfe der Ruf nach dem „Ster­ben-Sollen“ lauter wird. 

Dieses Szenario ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Ein Blick ins Ausland, wo es keine medizinische „Rund-um-Versor­gung“ gibt, unterstreicht diese Befürchtung. In Großbritannien muss die Dialyse von den Patienten ab dem 60. Le­bensjahr aus eigener Tasche bezahlt wer­den. In den Nie­derlanden ist es bei älteren Menschen zu­nehmend üblich, eine so ge­nannte „Lebens­verfügung“ mit sich zu füh­ren, in der die Weiterführung lebenserhaltender Maßnah­men ausdrücklich gefordert wird. Der Le­bensschutz von alten und kranken Men­schen gerät dort zuneh­mend unter Druck. Mit solchen und ähnli­chen Fragen wird sich auch Deutschland auseinandersetzen müs­sen, sollte man zu einer liberaleren Gesetz­gebung kommen. 

Leben in Würde – bis zuletzt

Befürworter aktiver Sterbehilfe pochen häu­fig auf die  Würde des Menschen. Selbstbe­stimmtes Sterben bewahre die Würde des Menschen am Lebensende. Ein Leben mit schwerer Krankheit und großen Schmerzen hingegen nehme dem Menschen seine Würde. Solche Menschen würden nur da­hinvegetieren. Ihnen müsse ein Recht auf ein würdevolles Sterben eingeräumt wer­den.

Auch bei der Frage, woran sich die Würde eines Menschen zeigt, spielen ethische Grundüberzeugungen eine wichtige Rolle. Welcher Mensch wie und wann welche Würde hat, entscheidet das Menschenbild.

Würde und Wert sind z.B. nach christli­chem Verständnis unveränderliche Kon­stanten. Selbst schwerste Krankheit oder Behinderung können daran nichts ändern. Der Mensch erhält nach christlicher Sicht seine Würde und seinen Wert nicht aus sich selbst heraus. Sie sind vielmehr eine Gabe Gottes, so wie das menschliche Leben an sich. Der Mensch ist deshalb immer Eben­bild Gottes. Gerade darin liegen seine Würde und sein Wert. Diese unveräußerli­che Würde hat der Mensch bereits vor sei­ner Geburt (Psalm 139,16) und behält sie bis zum Tod (Jesaja 46,4). Der Mensch verliert diese Würde nie, auch nicht, wenn er schwerstkrank ist, nicht einmal, wenn er sich von Gott abwendet. 

Deshalb muss den Befürwortern aktiver Sterbehilfe widersprochen werden, die die Würde des Menschen an seinem Gesund­heitsstatus festmachen. Schwerste Krank­heit oder Behinderung können das Leben un­vorstellbar belasten und zur Qual werden lassen, sie können dem Menschen aber nie­mals seine Würde nehmen. Selbst der schwerkranke und alte Mensch ist nach christlichem Verständnis immer ein von Gott geliebtes Geschöpf und damit wertvoll und einzigartig. Würdelos kann nur der Umgang mit dem Kranken sein, nie aber seine Existenz an sich.

Deshalb ist heute angesichts der Debatten um Sterbehilfe eine neue Wertschätzung der Kranken und Schwachen unbedingt von Nöten. Sie dürfen nicht auf das Abstellgleis geschoben und damit würdelos behandelt werden. Eine Gesellschaft, die Kranke nicht mit Respekt und Hingabe behandelt, wird menschlich und kulturell ärmer. Eine Exis­tenz in Würde hängt aber nicht nur von den äußeren Umständen ab, sondern in erster Linie von der Kernidentität des Menschen. Gerade diese Überzeugung kann davor be­wahren, im Schwerstkranken nur noch ein dahinvegetierendes Nichts zu sehen. 

Neue Wege der Pflege wie die Palliativme­dizin und die Behandlung in Hospizen kön­nen schon heute Kranken und Sterbenden würdevoll begleiten. Aktive Sterbehilfe ist aus dieser Perspektive kein „Töten aus Mit­leid“ oder Respekt vor der Würde des Men­schen, wie oft behauptet wird. Sie ist viel­mehr ein Töten aus verweigertem „mit-lei­den“. Echtes Mitleid zeigt sich gerade in einer ganzheitlichen medizinischen und seelsorgerlichen Begleitung von Kranken und Sterbenden, bis hin zu ihrem natürli­chen Ende, die niemals ihre grundsätzliche Würde verlieren. Selber entscheiden zu wollen, was menschenwürdiges Leben ist und was nicht, ist dagegen ein willkürliches und mitunter sogar gefährliches Unterfan­gen.

3. Was zu tun ist

Um die Forderung nach aktiver Sterbehilfe unnötig zu machen, braucht es neben der ganzheitlichen Zuwendung gegenüber den Kranken eine Stärkung der Palliativmedizin und einen Ausbau der Hospize. 

Auch muss einer gesellschaftlichen Tabui­sierung von Leid, Sterben und Tod entge­gengewirkt werden. Eine „Kunst des Ster­bens“ ist nicht mit einer „Kunst des Tötens“ zu verwechseln. Stattdessen müssen Men­schen mit  Themen wie Krankheit, Leid und Tod  frühzeitig konfrontiert werden. Wer diese Dinge als natürlichen Bestandteil des Lebens schon lange vor Krankheit und Sterben wahrnimmt, kann gelassener damit umgehen. 

Nicht selten ist die Angst vor einer unge­wissen Zukunft im Krankheitsfall Auslöser für einen Sterbewunsch. Oder die Tötungs­handlung soll nach Wunsch der Betroffenen gewissermaßen prophylaktisch erfolgen, um eventuell eintretenden Verschlechterun­gen des aktuellen Zustandes vorzubeugen. Diesen Unsicherheiten soll und kann entge­gengewirkt werden. Dazu dienen engma­schige medizinische Beratung und Betreu­ung nach ganzheitlichem Konzept, das alle (Lebens-)Belange des kranken und leiden­den Menschen in den Blick nimmt. Wer sich verstanden und gut begleitet fühlt, lässt sich häufig von seinem Sterbewunsch ab­bringen, wie zahlreiche Beispiele aus der Palliativ- und Hospizpraxis belegen. Ster­bebegleitung statt Sterbebeschleunigung ist hier ein möglicher Schlüssel zur Lösung.

In der Vor­bereitung auf das natürliche Ster­ben ist auch die Beschäfti­gung mit einer Patientenverfügung hilf­reich, wobei man sich bewusst machen muss, dass nicht jede Krankheitssituation im Vorfeld am Schreibtisch abgeschätzt werden kann. Der Sachverstand der Ärzte sollte durch eine Patientenverfügung nicht unterlaufen wer­den. Ebenso wichtig ist eine Betreuungsre­gelung bzw. eine Vorsorgevollmacht.

Die Forderung nach einer Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids, so wie es in verschiedenen Gesetzentwürfen angestrebt wird, steht aus verschiedenen Gründen da­gegen auf tönernen Füßen. 

Die Alternative heißt nicht: „Leben um je­den Preis“, sondern ganzheitliche Betreu­ung der Alten und Kranken. Was wir des­halb brauchen ist eine „aktive Sterbebe­gleitung“, nicht eine „aktive Sterbehilfe“. Viele Erfahrungen aus der Palliativmedizin und der Hospizarbeit zeigen: Wer im Ster­ben gut begleitet wird, fragt nicht nach ak­tiver Sterbehilfe.

 

© 2008/2015 Institut für Ethik & Werte

Prof. Dr. Stephan Holthaus

Prof. Dr. Stephan Holthaus

Dr. Timo Jahnke

Dr. Timo Jahnke

Büroleiter des Ethikinstituts

Endnoten

  • 1
    Diese gekürzten Ausführungen sind im We­sentlichen dem Buch von Stephan Holthaus / Timo Jahnke, Aktive Sterbehilfe – Ausweg oder Irrweg?, Gießen: Brunnen-Verlag, 2008, entnom­men.

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Links

Deutsche Hospiz Stiftung: www.hospize.de

Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin: www.dgpalliativmedizin.de

International Task Force on Euthanasia: www.internationaltaskforce.org

Care NOT Killing: www.carenotkilling.org.uk