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Bio- & MedizinethikAllgemein

Vom Umgang mit Tod und Sterben

Ars Moriendi

I. Einleitung

Mit Tod und Sterben umgehen zu müssen, ist eine Herausforderung, die jedem Menschen im Laufe seines Lebens begegnet. Sie stellt sich sowohl dann, wenn ein nahestehender Mensch verstirbt, als auch beim Nachdenken über das eigene Leben und Sterben. Nicht selten macht sich in solchen Situationen ein Gefühl der Hilflosigkeit bemerkbar. Mit Tod und Sterben umzugehen, will gelernt sein. Der erste Schritt, diesen Umgang zu lernen, besteht in der bewussten Beschäftigung mit dem Thema als solchem. Wer sich bewusst macht, wie unsere heutige Gesellschaft mit Tod und Sterben umgeht und warum, der wird auch sein eigenes Verhalten reflektieren. Dazu ist auch ein Blick in die Vergangenheit hilfreich: Wie sind Menschen früher mit Tod und Sterben umgegangen und was können wir von ihnen lernen? Aus christlicher Sicht stellt sich außerdem die Frage, welche Hilfestellungen zu diesem Thema sich aus der Bibel gewinnen lassen. All diese Aspekte sollen im Folgenden beleuchtet werden, um zu einem bewussteren und konstruktiveren Umgang mit Tod und Sterben zu verhelfen.

II. Bestandsaufnahme: Wie geht unsere Gesellschaft mit Tod und Sterben um?

Unsere heutige Gesellschaft weist im Umgang mit Tod und Sterben ein recht vielschichtiges Bild auf. Ein Stichwort, das in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist das von der Verdrängung oder Tabuisierung des Todes.1Vgl. z.B. Wittkowski, Ars moriendi, 66; Uden, Wohin, 40-43; Völlmicke, Tatort, 89. Damit wird die Tatsache beschrieben, dass Tod und Sterben in unserer realen Alltagswelt kaum noch vorkommen. Wer nicht gerade selber durch einen Todesfall im engeren Umfeld direkt betroffen ist, kommt in der Regel nicht mit dieser Thematik in Berührung. Das ist im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückzuführen: Zum einen treten Todesfälle immer weniger in das Bewusstsein der Öffentlichkeit, weil Trauerprozesse zunehmend privatisiert werden.2Vgl. z.B. Völlmicke, Tatort, 92; Feldmann, Verdrängung, 83. Wer um einen lieben Menschen trauert, tut dies für sich allein oder im engen Familienkreis. Eine öffentliche Trauerbekundung hingegen, wie z.B. früher durch das Tragen von Trauerkleidung, bleibt für gewöhnlich aus. Dass sich ein Todesfall ereignet hat, ist also für Fernstehende oft gar nicht mehr ersichtlich. Der andere Grund für ausbleibende Berührungspunkte mit dem Thema Tod und Sterben ist, dass dieses strukturell immer mehr aus unserer Alltagswelt ausgelagert wird.3Vgl. z.B. Völlmicke, Tatort, 92; Uden, Wohin, 42; Feldmann, Verdrängung, 83. Fast die Hälfte aller Todesfälle ereignet sich in einem Krankenhaus, obwohl über 90% der Menschen am liebsten zuhause sterben würden.4Vgl. Borasio, Über das Sterben, 30; Borasio bezieht sich hier auf Angaben der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Realität wird dies nur für ungefähr jeden Vierten.5Vgl. ebd.

Das zeigt: Unsere Gesellschaft tendiert dazu, Sterbende in spezielle Einrichtungen „abzuschieben“ und ihre Betreuung professionellen Händen zu überlassen. Damit geht einher, dass viele Menschen heutzutage noch nie einen Toten gesehen, geschweige denn einen Sterbenden begleitet haben.6Vgl. Völlmicke, Tatort, 92. Eine derart direkte Berührung mit Sterben und Tod findet, wenn überhaupt, oft erst in hohem Alter statt.7Vgl. Uden, Wohin, 42. Diese beiden Entwicklungen machen es unserer Gesellschaft leicht, das Thema Tod weitgehend aus der Alltagswelt zu verdrängen. 

Den aktuellen Umgang mit Tod und Sterben jedoch allein auf deren Verdrängung zu reduzieren, greift zu kurz.8Vgl. Völlmicke, Tatort, 89 (Anm. 1); Rosenstock, Six, 209; Uden, Wohin, 42. Gerade in den Medien gibt es eine gegenläufige Tendenz.9Vgl. Bieritz, Bestattungsrituale, 133-134; Rosenstock, Six, 210-214, Völlmicke, Tatort, 89. Hier zeigen sich Tod und Sterben geradezu allgegenwärtig: In jeder Nachrichtensendung taucht dieses Thema auf. Berichte über Erkrankungen und Todesfälle von Prominenten werden ausgestrahlt und mit großem Interesse verfolgt. In fast jedem Spielfilm ereignet sich ein tragischer Todesfall. Insbesondere Krimis präsentieren Leichen in Großaufnahme, ohne dass daran jemand Anstoß nimmt.

Fragen nach Tod und Sterben beschäftigen die Menschen unserer Gesellschaft also durchaus. Sie setzen sich damit aber immer weniger in ihrer realen Lebenswelt auseinander. Stattdessen beziehen sie ihre „Erfahrungen“ mit diesem Thema weitgehend aus den Medien. Im Gegensatz zu realen Berührungspunkten ermöglichen die Medien eine Auseinandersetzung auf primär rationaler Ebene und aus emotionaler Distanz.10Vgl. ebd., 98-100.

Beide Tendenzen unserer Gesellschaft – sowohl die zur Verdrängung als auch die zur Inszenierung des Todes – lassen sich auch anhand der aktuellen Bestattungsformen nachweisen. So sind in den letzten Jahren neben klassische Bestattungsformen wie Erd- oder Feuerbestattung alternative Formen getreten. Auf der einen Seite mehren sich extravagante Bestattungsformen wie die Beisetzung im Weltraum oder die Diamantbeisetzung.11Vgl. Klie, Einleitung, 9-10; Fischer, Bestattungskultur, 59.

Auf der anderen Seite wird zunehmend der Wunsch nach einer anonymen Bestattung geäußert.12Vgl. Schäfer, Ars moriendi, 17; Fischer, Bestattungskultur, 54-55. Die Gründe für letztere sind vielfältig. Sie reichen von der entfallenden Grabpflege über die Kostenfrage bis hin zu dem Wunsch nach einer Selbstbestimmung über den Tod hinaus.13Vgl. Fischer, Bestattungskultur, 55; Schäfer, Ars moriendi, 17. Damit werden zwei Extreme deutlich: Während die einen sich durch die gewählte Bestattungsform „verewigen“ wollen14Z.B. durch Weltraumbestattung oder Diamantbeisetzung., wollen die anderen jegliches Andenken an die eigene Existenz auslöschen.15Z.B. durch Zerstreuung der Asche oder anonyme Bestattung. Dem Wunsch nach übermäßiger Inszenierung steht eine Art „Entsorgungsmentalität“ gegenüber, die die Verstorbenen möglichst schnell und kostengünstig „beseitigen“ will.16Vgl. Bieritz, Bestattungsrituale, 123-124; Uden, Wohin, 11-12.

Verdrängung und Inszenierung – diese beiden Begriffe umreißen den aktuellen gesellschaftlichen Trend, sowohl mit Blick auf das eigene Sterben als auch auf das von Anderen. Doch das war nicht immer so.

III. Ein Blick in die Geschichte: Wie ging man früher mit Tod und Sterben um?

Der Umgang mit Tod und Sterben hat sich im Laufe der Geschichte verschiedentlich gewandelt. In ihren groben Zügen stellt diese Entwicklung sich folgendermaßen dar:17Soweit nicht anders angegeben gehen die folgenden Ausführungen auf Philippe Ariès, Geschichte des Todes, zurück. Seine Konklusion (773-789) bietet eine Kurzzusammenfassung seiner Ergebnisse.

3.1 Antike

In der Antike verstand man Sterben und Tod im Gegensatz zu heute nicht in erster Linie als persönliches Schicksal. Vielmehr stand die gesellschaftliche Bedeutung dieser Prozesse im Mittelpunkt. Von Interesse war nicht die Frage, wie eine Einzelperson ihr Sterben, ihren Tod bewältigen kann, sondern wie dies der Gesellschaft gelingt. Der Zusammenhang mit dem damaligen Menschenbild ist offensichtlich: Der Mensch der Antike war zunächst und vor allem Teil der Gesellschaft, nicht wie heute autonomes Individuum. 

Die hohe gesellschaftliche Bedeutung von Sterben und Tod eines Menschen bestand sowohl in linearer als auch in punktueller Hinsicht: Zum einen war der Verstorbene fest in eine Familiengeschichte eingebettet, die weit in der Vergangenheit begonnen hatte und sich über die Nachkommen in der Zukunft fortsetzen würde. Zum anderen war er wichtiger Teil einer gegenwärtigen Gesellschaft, auf die sich sein Sterben ebenfalls erheblich auswirkte.

Es wundert daher nicht, dass Sterben und Tod eines Menschen in der Antike von vielen gesellschaftlichen Ritualen begleitet waren. Allein in der Abgeschiedenheit eines Zimmers zu sterben war undenkbar. Nicht nur die Familie, auch Freunde und Nachbarn versammelten sich um das Sterbebett, um gemeinsam mit dem Sterbenden dem Tod entgegenzusehen. Im Anschluss bereiteten sie selbst den Leichnam, der weiterhin im Wohnhaus verblieb, für das Begräbnis vor und geleiteten ihn schließlich zu seiner letzten Ruhestätte. Diese wurde namentlich gekennzeichnet und war somit deutlich als Grab zu erkennen. Nicht nur das Sterben, sondern auch die Bekundung und die Bewältigung von Trauer geschahen also öffentlich und gemeinschaftlich.

Dass die Gesellschaft an dem Tod eines Menschen Anteil nahm, war in der Antike eine Selbstverständlichkeit. Sterben, Tod und Trauer gehörten zum Leben dazu.

3.2 Mittelalter

Daran änderte sich auch im Mittelalter zunächst nicht viel. Lediglich in der Grabgestaltung fällt auf, dass zwischen dem 5. Jh. und 12. Jh. überwiegend anonym bestattet wurde. Wichtiger als das namentliche Gedenken war den Menschen eine Beisetzung „ad sanctos“, also kirchennah „bei den Heiligen“. Dadurch wollte man Glauben und Heilsgewissheit zum Ausdruck bringen.18Vgl. Ariès, Geschichte, 277. Anonyme Bestattungen fanden damit im Mittelalter aus einem völlig anderen Beweggrund statt als heute (s.o.). Infolge dieser Entwicklung befanden die Friedhöfe sich meistens im Zentrum der Dörfer und Städte. So waren die Toten den Lebenden ständig präsent. Die feste gesellschaftliche Einbindung von Tod und Sterben, wie sie bereits in der Antike bestand, wurde damit noch verstärkt.

Im Spätmittelalter gewann zusätzlich die persönliche mentale Vorbereitung auf den Tod an Bedeutung. Ab dem 14. Jh. wurden Totentanz-Darstellungen angefertigt, um die Lebenden an die Möglichkeit des nahenden Todes zu erinnern. Unter der Bezeichnung „Ars moriendi“ („Kunst des Sterbens“) entstand eine eigene Literaturgattung, die die Menschen zum rechten Umgang mit dem eigenen Tod und Sterben anleiten sollte. Eine solche Vorbereitung war den Menschen damals äußerst wichtig. Plötzlich und unvorbereitet oder ohne Zeugen zu versterben wurde als schlimmer Tod angesehen, den man nach Möglichkeit vermeiden wollte. 

Ebenfalls gegen Ende des Mittelalters vollzog sich eine weitere Entwicklung: Sterben und Tod wurden klerikalisiert. Wo die Toten vormals den Angehörigen „gehörten“, „gehörten“ sie nun immer mehr der Kirche. Deren Rolle beschränkte sich nicht länger darauf, dem Verstorbenen Absolution zu erteilen. Vielmehr übernahm die Kirche die Totenwache, im Zuge der Beisetzung fanden nun Gottesdienste statt und bei der Prozession zum Grab waren neben den Angehörigen Kleriker nicht mehr wegzudenken.

Auch über den Tod und die Beisetzung hinaus spielte die Kirche eine wichtige Rolle. Die Menschen waren von einem individuellen Weiterleben nach dem Tod überzeugt. Die aufkommende Vorstellung vom Fegefeuer ließ es wichtig erscheinen, für die Verstorbenen Fürbitte zu halten. So wurden vor allem im ersten Jahr nach dem Tod regelmäßig Privatmessen für die Verstorbenen abgehalten. Für die Finanzierung dieser ausgedehnten kirchlichen Dienstleistungen sorgten die Verstorbenen zu Lebzeiten selbst. Sie erließen entsprechende Verfügungen, in denen sie der Kirche einen Teil ihres Vermögens vermachten – eine Vorform unserer heutigen Testamente.

Für die lange Zeit des Mittelalters ist somit kennzeichnend, dass Sterben und Tod weiterhin unbedingt zum Leben dazugehörten und man sich bewusst mit ihnen auseinandersetzte. Der steigende Einfluss der Kirche jedoch wirkte sich auf das private Trauerverhalten aus. Aufgaben, die vormals den Angehörigen oder der Gesellschaft zukamen, übernahm nun die Kirche. Die persönliche Trauerbekundung verlor an Intensität und beschränkte sich weitgehend auf das Tragen der schwarzen Trauerkleidung. Anstatt seinem Schmerz öffentlich Ausdruck zu verleihen achtete man nun auf Würde und Selbstkontrolle. Aus einer aktiv gestalteten, öffentlichen Trauer wurde zunehmend eine passive, private. 

3.3 Neuzeit

Dieser erhebliche Einfluss der Kirche wurde in der Frühen Neuzeit relativiert. Die Reformation drängte die Vorstellung vom Fegefeuer zurück, indem sie die Möglichkeit von Vergebung und Erlösung betonte. Der Tod verlor für viele einen Teil seines Schreckens.19Vgl. Schneider-Janessen, Zumutung, 39-40.

Gleichzeitig verlagerte sich das Interesse der Menschen vom Jenseits aufs Diesseits, nicht zuletzt weil christliche Glaubensvorstellungen für viele grundsätzlich an Bedeutung verloren. Der Tod wurde nüchtern als Trennung von Leib und Seele verstanden. Das Hauptaugenmerk galt nicht länger der Seele, sondern dem toten Körper, an dem Fragen der Anatomie untersucht wurden. Die Beisetzung des Leichnams erfolgte aus gesundheitlichen Gründen nun wieder auf Friedhöfen außerhalb der Städte und Dörfer. Sie war schlicht gehalten und kaum noch von Riten begleitet. Man verstand sie als Übergabe des toten Körpers ans Nichts oder als seine Rückgabe an die Natur, sodass zu dieser Zeit erstmals der Wunsch der naturnahen Bestattung aufkam. 

Diese sehr nüchterne, distanzierte Umgangsform mit den Toten wirkte sich auch auf die Trauerbekundung aus. Sie wurde ebenfalls zu einem kalten und unpersönlichen Ritual. Zwar waren die Angehörigen weiterhin zum Todeszeitpunkt um das Sterbebett versammelt, persönliche Gefühlsäußerungen in der Öffentlichkeit kamen aber kaum noch vor.

Dies änderte sich im 19. Jh. Ein wesentliches Merkmal dieser Zeit war das ausgeprägte Familiengefühl. Der Tod eines Menschen machte nun nicht mehr die Gesellschaft als ganze betroffen, sondern in erster Linie die Familie des Verstorbenen. Als schlimm empfand man weniger den Tod selbst, sondern vielmehr dass er die Trennung von einem lieben Menschen mit sich brachte. Zum ersten Mal in der Geschichte unterschied man zwischen dem Tod als solchem und seinen Folgen. Während letztere weiterhin als schmerzhaft und grausam empfunden wurden, konnte die Romantik den Tod selbst als schön verherrlichen. Damit wurde seine wahre Realität erstmals aus dem Bewusstsein der Menschen verdrängt. 

Gefühle der Trauer wurden nun, im Zeitalter der Romantik, wieder öffentlich geäußert. Man fühlte sich mit dem Verstorbenen auch über den Tod hinaus verbunden, was man u.a. durch häufige Friedhofsbesuche deutlich machte. Das Jenseits stellte man sich ausführlich vor und verband mit ihm die Hoffnung auf ein einstiges Wiedersehen. Dahinter stand aber weniger eine christliche Glaubensüberzeugung als vielmehr romantisches Gedankengut, das dem Glauben an das Böse oder eine Hölle keinen Raum mehr ließ.

Dass die Rolle der Kirche, im Gegenteil, weiter abnahm, lässt sich auch daran erkennen, dass Mitte des 19. Jhs. das private Bestattungsgewerbe entstand.20Vgl. Mädler, Die Urne, 63. Die Totenfürsorge, die in der Antike und im Mittelalter Aufgabe von Gesellschaft und Kirche gewesen war, wurde in der Neuzeit zu einer religionsunabhängigen Dienstleistung.

Im 20. und 21. Jh. änderte sich der Umgang mit Tod und Sterben erneut. Noch mehr als bisher wurden sie in das Privatleben der Familie verlagert. Die Unterstützung der Gesellschaft war und ist in diesen Zusammenhängen nicht mehr gefragt. Selbst die öffentliche Trauerbekundung, die es – mal authentisch, mal bloßes Ritual – immer gegeben hatte, fand in der ersten Hälfte des 20. Jhs. ihr jähes Ende.21Vgl. Ariès, Geschichte, 736. Man hörte auf, die Fenster eines Trauerhauses zu verdecken. In Schwarz hüllte man sich meist nur noch an dem Tag der Beisetzung, nicht mehr in den Wochen und Monaten danach. Äußere Anzeichen von Trauer wurden auf ein Minimum begrenzt. Während in den Dörfern zum Teil bis heute Todesfälle durch Glockengeläut bekannt gegeben werden, erinnert in den Städten fast nichts mehr an den Tod. Selbst der Leichenwagen ist oft nicht mehr als solcher zu erkennen.22Vgl. ebd., 716. Es scheint, „als ob niemand mehr stürbe“.23Vgl. ebd.

Doch auch innerhalb des vertrauten Kreises der Familie kam es in den letzten 100 Jahren zu erheblichen Veränderungen. Alleine zu sterben, ohne dass die Angehörigen um das Sterbebett versammelt waren, war in der Geschichte bislang undenkbar. Jetzt wurde es zum Normalfall. Zunehmend wurde der Tod nicht nur aus der Öffentlichkeit verdrängt, sondern sogar aus den Familien.24Vgl. ebd., 736. Todkranke versorgte man nicht länger zuhause, sondern lieferte sie in Krankenhäuser ein, die so zum üblichen Ort des Sterbens wurden. 

Folglich begann man, den Tod in erster Linie aus medizinischer Sicht zu betrachten. Durch Medikamente und technische Apparate sollte er so lange wie möglich hinausgezögert werden. Ließ er sich nicht mehr vermeiden, sah man in ihm das natürliche Ende eines erfüllten Lebens. Indem man ihn humanisierte und wissenschaftlich-nüchtern betrachtete, versuchte man, sich mit dem Tod zu versöhnen oder zumindest abzufinden. Dadurch änderte sich auch der Bezugspunkt der Angst des Menschen: Fürchtete man früher vor allem den Tod selbst und die Ungewissheit, was danach kommen würde, so verlagerte die Angst sich jetzt auf den Prozess des Sterbens: auf die damit möglicherweise einhergehenden Schmerzen, das Alleinsein und die eigene Hilfsbedürftigkeit. Infolgedessen wurde der schnelle, schmerzlose Tod, den das Mittelalter vermeiden wollte, mit der Zeit zum Idealbild eines schönen Todes. 

Am Ende dieser langen Entwicklung steht heute eine Gesellschaft, die – wie oben beschrieben – Sterben und Tod aus Alltagswelt und Öffentlichkeit verdrängt hat und hinter Krankenhausmauern verborgen hält. Für einen offenen Umgang mit Trauer bietet sie keinen Raum mehr.

IV. Ein Blick in die Bibel: Was sagt sie über Tod und Sterben?

Vor der Frage nach dem, was die Bibel inhaltlich zu Tod und Sterben sagt, steht zunächst einmal die Erkenntnis: Sie redet und schweigt nicht. Die Bibel blendet die Tatsache nicht aus, dass dem Leben des Menschen durch den Tod eine Grenze gesetzt ist. Sie nimmt Tod und Sterben sehr nüchtern und realistisch in den Blick.25Vgl. Uden, Wohin, 177. Wenn Fragen zu diesem Thema aufkommen, werden sie in der Bibel nicht verdrängt, sondern geäußert und besprochen (vgl. z.B. 1Kor 15; 1Thess 4,13-18). 

4.1 Das Wesen von Tod und Sterben

Die Bibel beschreibt das Leben als eine Zeit, deren Anfang und auch Ende von Gott festgesetzt ist (vgl. Ps 39,5-6; 90,3; 104,29-30).Dem Tod als natürlicher Grenze des irdischen Lebens kann sich niemand entziehen. Er betrifft ausnahmslos alle (vgl. Gen 3,19; Ps 89,49; Röm 5,12; 7,24; Hebr 7,23).Sterben und Trauern gehören fest zum Leben dazu (vgl. Pred 3,2-4).26Vgl. Uden, Wohin, 178.

Jedoch entspricht dieser Zustand nicht dem ursprünglichen Willen Gottes. Er ist ein Gott, der das Leben will und nicht den Tod (vgl. Gen 2,16-17; Dtn 30,19; Hes 18,23; 18,32; 33,11; Röm 6,23). Dieser wird, wie angekündigt (vgl. Gen 2,17), erst zur Realität, als der Mensch sündigt. So lautet eine der Konsequenzen des Sündenfalls: „Du bist Erde und sollst zu Erde werden“ (Gen 3,19). Dieser Zusammenhang von Tod und Sünde wird in der Bibel immer wieder betont (vgl. Spr 12,28; Röm 5,12; 6,23; Jak 1,15).

Der Tod ist daher stets Strafe für den Menschen. Das zeigt sich nicht nur auf allgemeiner Ebene – im Zusammenhang von Sündenfall und Vergänglichkeit –, sondern auch im Konkreten, wenn der Tod als Strafmaßnahme angedroht oder eingesetzt wird (vgl. Ex 11,1-10; Ex 21,12-17; Lev 20,1-27; Esr 7,26; Jer 18,21; Offb 18,8). Er ist ein Umstand, den der Mensch als negativ empfindet (vgl. 1Sam 15,32), weil er an ihm und seinen Folgen leidet (vgl. Röm 8,20-23). 

Doch der Tod ist nicht nur Feind des Menschen, er ist auch Feind Gottes (vgl. Hos 13,14; 1Kor 15,26). Er wird dem Machtbereich von Gottes Gegenspieler, dem Teufel, zugeschrieben und steht in unmittelbarer Verbindung mit dem Bösen (vgl. Spr 11,19; Hebr 2,14). Dass Gott in Jesus den Kampf gegen diesen Feind aufgenommen und bereits für sich entschieden hat (vgl. Mt 4,16; Apg 2,23-24; Röm 6,9; 1Kor 15,55-57; 2Tim 1,10; Hebr 2,14; Offb 1,18), ist die zentrale Botschaft der Bibel. 

Dieser Sieg Gottes über den Tod wirkt sich auch auf den Menschen aus. Als Jesus am Kreuz die Strafe für alle Sünde auf sich nimmt, verändert sich die Rolle des Todes im Leben des Menschen. Zwar bleibt er weiterhin als Ende des irdischen Lebens eine Realität, die jeden Menschen trifft, verliert jedoch mit seiner Straffunktion auch seine Endgültigkeit. Durch den Glauben an Jesus kann der Tod Durchbruch zum ewigen Leben werden (vgl. Joh 5,24), denn Jesus hat die Menschen mit Gott versöhnt und lässt sie an seinem Sieg über den Tod teilhaben (vgl. Röm 5,10; 6,4-5; 8,2; Kol 1,21-22; Hebr 9,15).

Tod und Sterben bleiben damit in der Bibel keine hoffnungslose Angelegenheit. Der Mensch, der gegenwärtig die Realität des Todes noch schmerzlich am eigenen Leibe erfährt, darf auf ein ewiges Leben nach dem Tod hoffen. Für die gesamte Schöpfung wird der besiegte Tod - heute noch Gegenstand des Glaubens und Wartens – eines Tages erfahrene Realität sein (vgl. Röm 8,18-25; Offb 20,14; 21,4).

Dieser Überblick zeigt: Wenn die Bibel das Wesen von Tod und Sterben beschreibt, hat sie sowohl die diesseitige Gegenwart als auch die jenseitige Zukunft im Blick. Beide Aspekte wirken sich auch darauf aus, wie Menschen in der Bibel mit Tod und Sterben umgehen. 

4.2 Der Umgang mit Tod und Sterben 

Die Bibel macht kein Geheimnis daraus, dass der Umgang mit Tod und Sterben den Menschen zu schaffen macht. Selbst große Persönlichkeiten der Bibel wie David und Paulus sprechen von der Angst, die angesichts des Todes über sie gekommen ist (vgl. Ps 55,5; 2Kor 11,23). Auch Jesus leidet unheimliche Todesangst, als er im Garten Gethsemane auf seine Gefangennahme wartet (vgl. Mt 26,36-39; Lk 22,44).27Vgl. Schneider-Janessen, Zumutung, 100. Angst vor dem Tod zu haben, ist für die Bibel normal. Bisweilen kann diese Angst sogar so groß sein, dass sie das ganze Leben eines Menschen beherrscht (vgl. Hebr 2,15).

Während die Angst vor dem Tod in erster Linie das eigene Sterben betrifft, führt der Tod eines anderen Menschen laut Bibel zu Betroffenheit. Gerade wenn ein Mensch unerwartet früh verstirbt, wird das als ein Skandal empfunden, der Bestürzen auslöst und nur schwer zu akzeptieren ist (vgl. 1Kön 17,17-24; 2Kön 4,18-37; Lk 7,11-17).28Vgl. Roser, Ars, 174. Doch nicht nur der Mitmensch, auch Gott steht dem Tod eines Menschen nicht gleichgültig gegenüber (vgl. Ps 116,15).

Diese Angst und Betroffenheit, die Tod und Sterben auslösen, müssen bewältigt werden. Die Menschen der Bibel tun dies, indem sie klagen. Vor Gott und anderen Menschen verleihen sie ihrer Trauer, ihrem Schmerz und ihrer Hilflosigkeit Ausdruck (vgl. Hiob 3,1-26; 7,11; Ps 55,5; Ps 88,4+16). Dabei wird der Verlust geliebter Menschen ebenso beklagt wie die eigene Sterblichkeit (vgl. Num 20,29; Dtn 34,8; Ps 90,3-10).

Für den Umgang mit trauernden Menschen fordert die Bibel zu Mitgefühl auf (vgl. Röm 12,15).Dieses muss nicht zwangsläufig durch Worte vermittelt werden. Es kann auch darin bestehen, die Trauer eines anderen einfach wahrzunehmen und sie gemeinsam schweigend auszuhalten (vgl. Hiob 2,11-13).

Angst, Betroffenheit, Klage und Mitgefühl sind natürliche Reaktionen, die sich vor allem dann einstellen, wenn Menschen direkt mit dem Thema Tod– sei es der eigene oder der eines anderen Menschen – konfrontiert werden. 

Doch auch unabhängig von der aktuellen Lebenssituation ist es den Menschen der Bibel wichtig, sich mit dem Thema Tod und Sterben zu beschäftigen. Sie bitten Gott gezielt, sie immer wieder an ihre Vergänglichkeit zu erinnern (vgl. Ps 39,5; 90,12). Das Nachdenken darüber soll ihnen helfen, ihr Leben weise zu führen und das Vertrauen allein auf Gott zu setzen (vgl. Ps 39,7-8; Ps 90,12).

Das Neue Testament fügt diesem Nachdenken über den eigenen Tod einen weiteren Aspekt hinzu: das Nachdenken über den Tod Jesu. Damit die Gläubigen die hohe Bedeutung seines Todes nicht aus dem Blick verlieren, wird zur regelmäßigen Erinnerung das Abendmahl eingesetzt (vgl. 1Kor 11,26).

Dieses Gedenken bewirkt, dass die Gläubigen ihrem Erlöser die gebührende Ehre erweisen und gleichzeitig an die Hoffnung erinnert werden, die sie durch seinen Tod erhalten haben. Schon im Alten Testament schimmert im Umgang der Menschen mit Tod und Sterben diese Hoffnung auf die Hilfe Gottes durch (vgl. Ps 16,10; 49,16; Spr 14,32; Jes 25,8). Doch ihr volles Ausmaß wird erst durch die Ereignisse des Neuen Testaments deutlich. Dadurch, dass Jesus den Tod besiegt und Vergebung und ewiges Leben möglich macht, wird diese Hoffnung erstmals greifbar. Nichts kann die Menschen mehr von der Liebe Gottes trennen, auch der Tod nicht (vgl. Röm 8,38-39).Diese Erkenntnis wirkt sich auch auf den Umgang der Gläubigen mit Tod und Sterben aus. Er wird jetzt von einer nie da gewesenen Hoffnung begleitet, denn durch den Tod wird das Leben nicht mehr verloren, sondern überhaupt erst gewonnen (vgl. Phil 1,21).

Es zeigt sich: Das Thema Tod und Sterben spielt in der Bibel eine zentrale Rolle. Seine irdische Seite wird ernst genommen und treffend beschrieben, für den Umgang wird praktische Hilfestellung geboten. Gleichzeitig geht die Bibel weit über das irdisch Wahrnehmbare hinaus: Sie betrachtet das Wesen des Todes und den Umgang mit ihm aus geistlicher Sicht. Dabei wird eine Hoffnung deutlich, die das irdische Leben verändert, indem sie das ewige Leben verheißt.

V. Fazit 

Sowohl der Blick in die Bibel als auch der Blick in die Geschichte hat gezeigt, dass der richtige Umgang mit Tod und Sterben schon immer eine Herausforderung für den Menschen war. Wo die speziellen Herausforderungen unserer heutigen Gesellschaft liegen und wie der christliche Glaube bei ihrer Bewältigung helfen kann, soll abschließend anhand von drei Fragen angedeutet werden.

1. Scheitert unsere Gesellschaft im Umgang mit Tod und Sterben, weil der Mensch sterblich bleibt?

Unsere Gesellschaft betrachtet Tod und Sterben in erster Linie aus medizinischer Sicht. Mit dem medizinischen Fortschritt geht einher, dass der Tod immer länger erfolgreich bekämpft werden kann. Das höchste Ziel wäre, den Tod eines Tages vollends zu besiegen. 

Auch außerhalb seiner medizinischen Forschungsbemühungen zeigt sich, dass der Mensch die Sehnsucht nach Unsterblichkeit in sich trägt. Moderne Bestattungsformen, die der eigenen Verewigung dienen sollen – z.B. Weltraum- und Diamantbeisetzung–, deuten ebenfalls in diese Richtung.

Daher stellt sich die Frage: Fällt dem heutigen Menschen der Umgang mit Tod und Sterben deshalb so schwer, weil er diesen Wunsch nach Unsterblichkeit nicht los wird? Denn das wäre ihm nur möglich, wenn er seinen Wunsch entweder aufgibt oder ihn sich selbst erfüllt. Jedoch stößt der Mensch bei beiden Optionen an seine Grenzen, sodass die Spannung zwischen Wunsch und Realität stets erhalten bleibt. 

Aus diesem Dilemma kann der christliche Glaube einen Ausweg aufzeigen. Die Bibel betrachtet es einerseits als Gegebenheit, dass der Mensch sterblich ist. Damit macht sie dem heutigen Menschen unmissverständlich deutlich, dass er den Tod allenfalls hinauszögern, aber nicht endgültig besiegen kann. Gleichzeitig begegnet der christliche Glaube aber der bleibenden Sehnsucht nach Unsterblichkeit, die zutiefst in jedem Menschen verwurzelt ist. Wer an Jesus Christus glaubt, bekommt die Hoffnung auf ein ewiges Leben geschenkt und wird damit frei von dem Anspruch, das Unmögliche selbst möglich machen zu müssen. So hilft der Glaube dem heutigen Menschen sowohl seine gegenwärtige Sterblichkeit zu akzeptieren als auch seinen Wunsch nach Unsterblichkeit zu stillen.

2. Scheitert unsere Gesellschaft im Umgang mit Tod und Sterben, weil der Tod Feind des Menschen bleibt?

Unserer Gesellschaft gelingt es bis heute nicht, sich mit dem Tod anzufreunden. Diesen Versuch unternahm schon die Romantik im 19. Jh. vergeblich. Das Bild des schönen Todes konnte sich nicht dauerhaft halten, weil bald deutlich wurde, dass es nicht seinem wahren Wesen entsprach. Der Tod ist und bleibt für den Menschen eine Erfahrung, die Schmerz bedeutet und als negativ empfunden wird. Unsere Gesellschaft ist weit davon entfernt, sich mit dem Tod zu versöhnen. Anstatt ihn zu akzeptieren, hat sie ihn nahezu vollständig aus der Alltagswelt verdrängt. Tod und Trauer haben ihren Platz im Leben der Gesellschaft längst verloren. Doch auch wenn er verdrängt wird, hört der Tod damit nicht auf, Feind des Menschen zu sein.

Daher stellt sich hier die Frage: Fällt dem heutigen Menschen der Umgang mit Tod und Sterben deshalb so schwer, weil er sich nicht mit dem Tod anfreunden kann? Auch dazu müsste er seinen Wunsch nach Unsterblichkeit ablegen. Solange das nicht geschieht, wird der Tod als Ende des irdischen Lebens weiterhin sein Feind bleiben. 

Auch in diesem Punkt stimmt die Bibel mit der Erfahrung unserer Gesellschaft überein, wenn sie den Tod als Umstand definiert, unter dem der Mensch in allen Fällen zu leiden hat. Der Tod ist nicht Freund, sondern immer Feind des Menschen. Mit dieser Feststellung bietet der Glaube auch heute den Freiraum, den Tod als negative Komponente empfinden zu dürfen. Damit geht einher, dass auch der Schmerz, den der Tod verursacht, nicht verdrängt werden muss. Die Bibel zeigt, dass der Mensch sein Leid klagen darf. Sie erwartet von niemandem, sich mit dem Tod anzufreunden, weil sie weiß, dass der Mensch damit überfordert ist. Gleichzeitig vermittelt sie angesichts des Todes neue Hoffnung, denn Jesus Christus hat diesen Feind stellvertretend für die Menschen besiegt. Dieser Sieg gilt schon heute, auch wenn seine Tragweite sich in der Zukunft erst noch erweisen wird.

3. Wird unsere Gesellschaft im Umgang mit Tod und Sterben scheitern, solange der Glaube für sie ohne Bedeutung bleibt?

Als der christliche Glaube in der Gesellschaft an Bedeutung verlor, wirkte sich das auch auf den Umgang mit Tod und Sterben aus. Das hat der geschichtliche Überblick gezeigt. Diese Entwicklung ließ eine Gesellschaft zurück, die sich weiterhin nach Unsterblichkeit sehnte, diese Sehnsucht aber nicht mehr stillen konnte. Der Ausweg, den vormals der christliche Glaube bot, entfiel, ohne dass er durch einen neuen ersetzt wurde.

Daher stellt sich zuletzt die Frage: Fällt dem heutigen Menschen der Umgang mit Tod und Sterben so lange schwer, wie der christliche Glaube für ihn ohne Bedeutung bleibt?

Diese Frage scheint berechtigt, da es im Wesentlichen der Wunsch nach Unsterblichkeit ist, der unsere Gesellschaft heute im Umgang mit Tod und Sterben scheitern lässt. Wenn sie diesen Wunsch nicht ablegen kann, braucht sie eine tragfähige Antwort, die ihrer Sehnsucht nach Unsterblichkeit gerecht wird.

Dass der christliche Glaube eine solche Antwort bietet, wurde bereits aufgezeigt. Die Tatsache, dass seine Rolle offensichtlich durch nichts anderes ersetzt werden konnte, hebt umso mehr hervor, wie einmalig und wertvoll der Beitrag des christlichen Glaubens an dieser Stelle ist. Wenn unsere Gesellschaft heute die Lücke schließen will, die die Geschichte ihr überliefert hat, dann wird dies ohne den christlichen Glauben kaum möglich sein.

Da jedoch der irdische Tod noch nicht außer Kraft gesetzt ist, bietet der christliche Glaube mehr als nur eine Jenseitshoffnung. Er gibt auch konkrete Hilfestellung, wenn ein Mensch in diesem Leben mit Tod und Sterben konfrontiert wird. Die Bibel zeigt: Angst und Betroffenheit angesichts des Todes sind normal und dürfen zugelassen werden. Schmerz und Trauer sollten nicht verdrängt, sondern ausgedrückt werden. Leid bewältigt man besser gemeinsam als allein.

Auch die Geschichte bestätigt, dass der christliche Glaube für den Umgang mit Tod und Sterben hilfreich ist. Als der Glaube an das Jenseits noch fest im Denken des Menschen verwurzelt war, sah er dem irdischen Tod – sowohl dem eigenen als auch dem eines anderen Menschen – wesentlich gelassener entgegen als heute. Als die Totenfürsorge im Mittelalter zunehmend Aufgabe der Kirche wurde, entwickelten sich neue Rituale, die dem Menschen halfen, seiner Trauer Ausdruck zu verleihen. Viele traditionelle Trauerbräuche waren kirchlich eingebettet.29Vgl. Wittwer, Philosophie, 27.

Unsere Gesellschaft ist daher gut beraten, sich in ihrem Umgang mit Tod und Sterben neu für den Beitrag zu öffnen, den der christliche Glaube liefern kann.

Aber auch Kirchen und Gemeinden sind an diesem Punkt gefordert. Sie haben unserer Gesellschaft etwas zu bieten, was sie an anderer Stelle nicht findet. Durch spezielle Trauergottesdienste beispielsweise können Kirchen und Gemeinden Räume zum Trauern eröffnen, die es sonst nicht gibt. Indem sie Tod und Sterben thematisieren – sei es durch Predigten über entsprechende Bibeltexte oder durch Themenabende –, können sie reden, wo unsere Gesellschaft schweigt. Auch die Seelsorge bietet Gelegenheit, Erlebnisse und Ängste aus dem Bereich Tod und Sterben anzusprechen. Nicht zuletzt verringert die gelebte Gemeinschaft in Kirchen und Gemeinden die Gefahr, dass Menschen in ihrer Trauer alleine bleiben, weil niemand um ihre Not weiß.

Die Vielfalt der Anknüpfungspunkte an der heutigen Lebenswelt zeigt, dass die Bibel keineswegs an Aktualität verloren hat. Wer die Kunst des Sterbens lernen will, darf dieses Thema auch heute nicht verdrängen, sondern muss sich ihm bewusst stellen: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Ps 90,12).

© 2014 Institut für Ethik & Werte

Kerstin Schmidt

Kerstin Schmidt

Endnoten

  • 1
    Vgl. z.B. Wittkowski, Ars moriendi, 66; Uden, Wohin, 40-43; Völlmicke, Tatort, 89.
  • 2
    Vgl. z.B. Völlmicke, Tatort, 92; Feldmann, Verdrängung, 83.
  • 3
    Vgl. z.B. Völlmicke, Tatort, 92; Uden, Wohin, 42; Feldmann, Verdrängung, 83.
  • 4
    Vgl. Borasio, Über das Sterben, 30; Borasio bezieht sich hier auf Angaben der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.
  • 5
    Vgl. ebd.
  • 6
    Vgl. Völlmicke, Tatort, 92.
  • 7
    Vgl. Uden, Wohin, 42.
  • 8
    Vgl. Völlmicke, Tatort, 89 (Anm. 1); Rosenstock, Six, 209; Uden, Wohin, 42.
  • 9
    Vgl. Bieritz, Bestattungsrituale, 133-134; Rosenstock, Six, 210-214, Völlmicke, Tatort, 89.
  • 10
    Vgl. ebd., 98-100.
  • 11
    Vgl. Klie, Einleitung, 9-10; Fischer, Bestattungskultur, 59.
  • 12
    Vgl. Schäfer, Ars moriendi, 17; Fischer, Bestattungskultur, 54-55.
  • 13
    Vgl. Fischer, Bestattungskultur, 55; Schäfer, Ars moriendi, 17.
  • 14
    Z.B. durch Weltraumbestattung oder Diamantbeisetzung.
  • 15
    Z.B. durch Zerstreuung der Asche oder anonyme Bestattung.
  • 16
    Vgl. Bieritz, Bestattungsrituale, 123-124; Uden, Wohin, 11-12.
  • 17
    Soweit nicht anders angegeben gehen die folgenden Ausführungen auf Philippe Ariès, Geschichte des Todes, zurück. Seine Konklusion (773-789) bietet eine Kurzzusammenfassung seiner Ergebnisse.
  • 18
    Vgl. Ariès, Geschichte, 277. Anonyme Bestattungen fanden damit im Mittelalter aus einem völlig anderen Beweggrund statt als heute (s.o.).
  • 19
    Vgl. Schneider-Janessen, Zumutung, 39-40.
  • 20
    Vgl. Mädler, Die Urne, 63.
  • 21
    Vgl. Ariès, Geschichte, 736.
  • 22
    Vgl. ebd., 716.
  • 23
    Vgl. ebd.
  • 24
    Vgl. ebd., 736.
  • 25
    Vgl. Uden, Wohin, 177.
  • 26
    Vgl. Uden, Wohin, 178.
  • 27
    Vgl. Schneider-Janessen, Zumutung, 100.
  • 28
    Vgl. Roser, Ars, 174.
  • 29
    Vgl. Wittwer, Philosophie, 27.

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