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Bio- & MedizinethikOrgantransplantation

Organspende – Tod bei Bedarf?

I. Einführung

Organtransplantationen haben schon seit einigen Jahrzehnten einen etablierten Platz innerhalb der Medizin. Durch die erste erfolgreiche Nierentransplantation im Jahr 1954 eröffnete sich die Möglichkeit, bisher unheilbare Krankheiten wirksam zu behandeln. Seitdem tragen die Erschließung weiterer Anwendungsgebiete und die Entwicklung neuer Verfahren und Techniken dazu bei, dass heute viele schwerkranke Menschen durch den Empfang eines funktionstüchtigen Spenderorgans eine (letzte) Hoffnung auf Heilung haben können. 

Dies hat allerdings zugleich eine ständig wachsende Nachfrage an Organen zur Folge, die jedoch nicht gedeckt werden kann. Immer mehr kranke Menschen stehen auf Wartelisten und hoffen darauf, mit einem passenden Transplantat versorgt zu werden. Allein im Jahr 2010 warteten in Deutschland etwa 8.000 Menschen auf eine Niere, während nur etwa 3.000 Transplantationen durchgeführt werden konnten. Rund ein Drittel der insgesamt etwa 12.000 Menschen auf der Warteliste werden voraussichtlich sterben, ehe ein geeignetes Organ gefunden ist.1Vgl. für diese Informationen sowie weitere aktuelle Statistiken rund um das Thema Organspende www.dso.dewww.organspende-info.de sowie www.eurotransplant.org

Dieser akute Mangel hat u.a. auch damit zu tun, dass die meisten Deutschen (75%) zwar grundsätzlich bereit wären, ihre Organe und ihr Gewebe nach ihrem Tod einem anderem zur Verfügung zu stellen, jedoch nur 20% einen Organspendeausweis besitzen.2Dies kann durchaus mit einer generellen Unsicherheit gegenüber und einer dementsprechenden Nichtbeschäftigung mit dem Tod zusammenhängen.  Zwar ist dies ein weitaus höherer Prozentsatz, als noch vor einigen Jahren. Dennoch liegt Deutschland im internationalen Vergleich mit den 20 stärksten Organspendenationen eher im unteren Mittelfeld. Aus diesem Grund wird auch auf politischer Ebene seit einiger Zeit wieder neu diskutiert, wie man die tatsächliche Spendenbereitschaft der Deutschen erhöhen kann.

II. Woher kommen die Organe?

Obwohl es bereits vereinzelt die Möglichkeit der Verpflanzung künstlicher Organe gibt, ist man in der Transplantationsmedizin doch noch zum größten Teil auf funktiontüchtige Spenderorgane angewiesen. Hierbei gibt es verschiedene Alternativen:

a) Organentnahme von Lebenden: 

Immer wieder kommt es vor, dass Menschen ihre Organe freiwillig einer anderen, meist nahestehenden Person zur Implantation bereitstellen. Um das Überleben des Spenders zu sichern, dürfen dabei nur paarige Organe (z. B. Niere), segmenthaft angelegte Organe (z. B. Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse) und Organe mit einer hohen Regenerationsfähigkeit (z.B. Blut, Knochenmark, Eizellen) gespendet werden. Durch eine Verkürzung der Wartezeit, ein frühzeitiges Eingreifen, eine bessere zeitliche Abstimmung und die Gelegenheit einer sorgfältigen Untersuchung des Transplantats können dabei im Vergleich zur postmortalen Spende weitaus bessere Ergebnisse erzielt werden. 

Dennoch sollte man keineswegs vergessen, dass die Entnahme von Organen und Geweben von Lebenden für den Spender kein Heileingriff ist. Zweifellos trägt dieser das Risiko einer Schädigung oder anderweitiger, teilweise auch langfristiger Nachteile, die unter keinen Umständen zu unterschätzen sind. Hier muss in den betreffenden Fällen der Nutzen für den Empfänger die Schädigung des Spenders aufwiegen sowie die absolute Freiwilligkeit des Spenders gesichert sein.

b) Organentnahme von Toten: 

Die meisten Organe werden durch die Explantation von Organen (Hirn)toter gewonnen. Während die Mehrheit der Menschen durch einen Zusammenbruch des Herz-Kreislauf-Systems stirbt, gibt es eine kleine Minderheit (etwa 1%), die den sogenannten Ganzhirntod erleidet. Dieser wird von der Bundesärztekammer folgendermaßen bestimmt: „Der Hirntod wird definiert als der Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Stammhirns.“3Siehe dazu die Richtlinien zur Feststellung des Hirntods der Bundesärztekammer: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Medizin_und_Ethik/RichtlinieIHA_FuenfteFortschreibung.pdf  Durch die anhaltende Sauerstoffversorgung können die Organe im Gegensatz zum Herztod vor einer unmittelbaren Schädigung und vor dem letztendlichen Absterben bewahrt werden. So bleibt dem Transplantationsteam genügend Zeit für eine angemessene Vorbereitung. Zudem ergibt sich bei einem Hirntoten die Möglichkeit, auch lebenswichtige, nicht-paarige Organe wie z.B. das Herz zu entnehmen. 

In diesem Bereich gibt es nach wie vor große Diskussionen. Die weit verbreitete Unsicherheit in Bezug auf die Feststellung des Todes durch das Ganzhirntodkriterium führt dazu, dass viele Menschen der Organspende grundsätzlich kritisch gegenüberstehen. Dies soll weiter unten näher erläutert werden.

c) Organentnahme von Tieren: 

Neben den herkömmlichen Transplantationsressourcen besteht zur Zeit die Diskussion um die klinische Xenotransplantation, die Übertragung von Zellen, Geweben und Organen tierischen Ursprungs in den Menschen. Vor allem Schweine, aber auch z.B. Affen werden als mögliche „Organlieferanten“ in Betracht gezogen. Insgesamt kam es bei solchen Eingriffen bisher allerdings zu schwerwiegenden Komplikationen, die einige (ethische) Bedenken aufkommen lassen: 

  • technische Probleme: die starke immunologische Abstoßungsreaktion; 
  • medizinische Risiken im Hinblick auf mögliche Infektionen beim Überschreiten der Grenzen von Mensch und Tier;
  • ethisch-moralische Fragen in Bezug auf die Vermischung von Mensch und Tier;
  • rechtliche Fragen nach dem Tierschutz und einer „Instrumentalisierung“ der Tiere.

III. Rechtliche Lage 

1997 wurde in Deutschland das Transplantationsgesetz (TPG) – das Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben – verabschiedet, das zuletzt 2007 durch ein weitergehendes Gewebegesetz ergänzt wurde.4Das Gesetz kann man auf der Internetseite https://www.organspende-info.de/gesetzliche-grundlagen/gesetze-und-richtlinien/ herunterladen.

Das Gesetz regelt zunächst die generelle Zulässigkeit von Organspenden, wenn die Freiwilligkeit der Spender gesichert werden kann - sowohl bei lebenden als auch bei toten Spendern (§§ 1-2).

Die Bundesärztekammer bestimmt dabei nach § 16 die Richtlinien zur Feststellung des Ganzhirntodes. Grundvoraussetzung für diese ist die zweifelsfreie Diagnose einer schweren Hirnschädigung, die gleichzeitig eine tiefe Bewusstlosigkeit (Koma), den Ausfall der Spontanatmung (Apnoe) und der Hirnstammreflexe beinhaltet. Dabei müssen sowohl die Vollständigkeit des Ausfalls aller Hirnfunktionen als auch die Irreversibilität dieses Zustands nachgewiesen werden.5Ein Hirntodprotokoll dient dabei als Hilfsmittel (vgl. https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Medizin_und_Ethik/RichtlinieIHA_FuenfteFortschreibung.pdf).  

Um jeglichen Missbrauch und eine fälschliche Diagnose zu vermeiden sieht das Gesetz vor, dass zwei qualifizierte Ärzte unabhängig voneinander den Tod feststellen müssen. Diesen Ärzten ist dann jede – auch indirekte – Beteiligung an Organentnahme und -übertragung verwehrt (§ 5). Für Lebendspenden gelten andere Rechtsbestimmungen als bei der postmortalen Spende (§ 8). Hier sind die Richtlinien weitaus verschärfter. Der Spenderkreis wird auf (volljährige) Verwandte, Lebenspartner und enge Bekannte beschränkt. Neben der Qualität und der immunologischen Verträglichkeit der gespendeten Organe wird dabei besonders auf die Freiwilligkeit des Spenders und die Geringhaltung des gesundheitlichen Risikos geachtet.6Dies beinhaltet eine umfassende Aufklärung des Spenders über den Eingriff selbst und mögliche, auch mittelbare Folgen und Spätfolgen sowie eine genaue Untersuchung durch eine Kommission, ob Anhaltspunkte vorliegen, dass der Spender einem solchen Eingriff unfreiwillig zustimmt. 

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil des TPG bezieht sich auf die Aufklärung der Bevölkerung über die Möglichkeiten der Organspende und die generelle Regelung der Zustimmung bzw. des Widerspruchs zu einer Spende nach dem Tod (§ 2). Da die darin festgelegte Lösung im Moment politisch wieder neu diskutiert wird, soll dies an anderer Stelle erläutert werden.

Schließlich wird in §§ 17-18 des TPG jeglicher Handel mit Organen und Gewebe ausdrücklich verboten. Eine Missachtung dieses Gesetzes wird dabei strafrechtlich verfolgt und mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe belegt. 

IV. Ethische Aspekte

Trotz der vorhandenen gesetzlichen Regelungen und einer allgemeinen Zustimmung zur Transplantationsmedizin – auch in der christlichen Ethik – finden sich in der Öffentlichkeit nach wie vor einige Kritiker, die den Hirntod als Todeskriterium ablehnen sowie Befürchtungen hinsichtlich eines möglichen Missbrauchs dieser Behandlung äußern.7Beide großen Kirchen haben 1990 in einem gemeinsamen Papier ihre generelle Befürwortung der Organspende erklärt (vgl. Bischofskonferenz/ Kirchenamt, Organtransplantationen).  Daher ist es sinnvoll, einige ethische Aspekte der Organspende – Grundlagen und Praxis – in den Blick zu nehmen und zu diskutieren.  

a) Das Problem der Risiken

Sowohl für den Lebendspender als auch für den Patienten birgt eine Transplantation gewisse Risiken, die man nicht unterschätzen sollte. 

Neben dem Operationsrisiko nimmt der Spender weitere, z.T. auch langfristige Nachteile auf sich, die ihn z.B. bei späteren Erkrankungen schaden könnten. Da eine Organentnahme demnach kein Heileingriff ist, widerspricht sie der ärztlichen Grundregel, dass medizinische Interventionen zum Nutzen des Patienten selbst geschehen sollen. Daher muss bei allen Entscheidungen in erster Linie das Wohl des Spenders berücksichtigt werden.  Bevor es zu einem solchen Eingriff kommt, müssen präoperative   Voruntersuchungen sowie langfristige Nachbehandlungen gesichert sein, um das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko möglichst gering zu halten.8Studien haben jedoch ergeben, dass solche (langfristigen) Risiken durch die strengen Auswahlkriterien sehr gering sind (0,03%-2%).  Der jeweilige Nutzen für den Empfänger muss in jedem Fall den möglichen Schaden auf Seiten des Spenders aufwiegen. Aufgrund dieser Sachlage sind die ausführliche Aufklärung des Spenders sowie dessen vollkommene Freiwilligkeit in dieser Angelegenheit von besonderer Bedeutung. Beim Empfänger können verschiedene Komplikationen den Erfolg einer Transplantation beeinträchtigen. Hierzu gehören neben möglichen Konservierungsschäden, operativtechnischen Problemen und einem erhöhten Infektionsrisiko durch die Unterdrückung der Immunabwehr vor allem die Gefahr einer Abstoßungsreaktion – auch Jahre nach der Operation –, die zur letztendlichen Schädigung des Transplantats führt. Aufgrund des sogenannten HLA-Systems (Human Leukocyte Antigen) kann der Körper eigenes Gewebe von fremden unterscheiden und ist von daher in der Lage, bei bzw. nach der Einpflanzung eine komplexe Immunreaktion auszulösen, die zur (chronischen) Abstoßung und zum irreversiblen Funktionsverlust des Transplantats führen kann. Um dieses Risiko möglichst gering zu halten, werden bis heute ausschließlich Menschen mit ähnlichen Gewebeeigenschaften zusammengebracht.9Am erfolgreichsten sind dabei Transplantationen zwischen eineiigen Zwilligen (syngene Transplantation), da diese genetisch identisch sind.  Darüber hinaus müssen Transplantatempfänger meist ein Leben lang mit Medikamenten behandelt werden, die das Immunsystem hemmen und damit die Gefahr einer Abstoßungsreaktion reduzieren. Dies bringt jedoch einige unerwünschte Nebenwirkungen mit sich, die vor allem mit der grundsätzlich geschwächten Immunabwehr zusammenhängen. 

Neben den körperlichen Risiken können auch psychische/psychosoziale Belastungen auf den Patienten zukommen. Bereits die Wartezeit auf ein passendes Transplantat, die von Unsicherheit geprägt ist, kann psychischen Stress auslösen. Darüber hinaus kann es nach der Operation aufgrund des fremden Organs, das sich im Körper befindet, zu seelischen Problemen kommen – insbesondere im Fall einer Spende von einem Toten. 

Insgesamt besteht jedoch kein Zweifel daran, dass eine erfolgreiche Transplantation nicht nur Leben verlängert, sondern auch die physische und psychische Lebensqualität des Empfängers steigert. Durch diese medizinische Errungenschaft haben viele tausend Menschen wieder Hoffnung auf (ein neues) Leben. 

b) Das Problem der Organverteilung

Durch den akuten Organmangel sind Mediziner mit der Herausforderung konfrontiert, die knappen vorhandenen Ressourcen angemessen zuzuteilen (Allokation). Hierbei werden verschiedene Kriterien berücksichtigt, die unterschiedlich gewichtet werden.  Gewebeübereinstimmung (und damit die Erfolgsaussicht), Wartezeit, Dringlichkeit, Gerechtigkeit bzw. Chancengleichheit,  psychosoziale Indikationsmerkmale und räumliche Distanz spielen in dieser Angelegenheit eine wesentliche Rolle. Die Aufgabe der Allokation liegt dabei nicht in den Händen der einzelnen Mediziner oder Transplantationszentren, sondern wird von übergeordneten nationalen bzw. internationalen Institutionen übernommen (z. B. Eurotransplant), die ihre Entscheidungen vollkommen neutral und unparteilich treffen müssen. Grundsätzlich bleiben dabei jedoch immer offene Fragen, da ethische Prinzipien gegeneinander abgewogen werden müssen und Wertentscheidungen dadurch unumgänglich sind. Diskussionen darüber sind demnach in jedem Fall berechtigt und sogar erforderlich. Die Entscheidung, wer das größere „Recht“ auf ein Organ hat, ist allerdings nicht leicht zu fällen. Ist Gerechtigkeit in der Allokation wichtiger als die Erfolgsaussicht? Sollte der soziale Kontext des Patienten eine Rolle spielen, so dass einer Mutter mit Kind eher ein Organ zusteht als einem Alleinstehenden? Sollten Kinder gegenüber Alten oder Menschen mit Behinderung bevorzugt werden? Hat jemand, der sein Organversagen selbst verschuldet hat – z.B. durch Alkoholkonsum – überhaupt ein Recht auf ein neues Organ? Sollte man einem Patienten mit Multiorganversagen mehrere Organe zugestehen oder Menschen, die wiederholt auf ein Spenderorgan angewiesen sind, erneut mit einem Transplantat versorgen? Dies sind nur einige Beispiele für die ethische Komplexität des Allokationsverfahrens.

c) Das Problem des Organhandels

Immer wieder kursieren in den Medien schreckenerregende Berichte über illegalen und oft skrupellosen Organhandel – vor allem in den weniger entwickelten Ländern. Dazu gehören sowohl Fälle, in denen Menschen ihre Organe freiwillig für wenig Geld an einen Händler verkaufen, um sich selbst etwas dazu zu verdienen oder das eigene Leben zu sichern, als auch kriminelle Machenschaften, bei denen den Menschen ohne deren Zustimmung Organe entfernt werden – z.T. sogar mit tödlichen Folgen. Meldungen dieser Art führen häufig zu einer generellen Ablehnung der Transplantationsmedizin, anstatt einem Missbrauch dieser Therapie konstruktiv entgegenzuwirken. 

In Deutschland konnte sich der Organhandel aufgrund der rechtlichen Lage und der etablierten (inter)nationalen Organisationen nicht ausbreiten. Dennoch lässt sich natürlich nicht ausschließen, dass Familienangehörige eine Organspende in bestimmten Fällen (finanziell) honorieren. Ebenso kann man nicht verhindern, dass sich Deutsche ohne Wissen oder Zustimmung ihres Arztes in Ländern wie Indien das ihnen fehlende Organ für wenig Geld erkaufen: der sogenannte „Organtourismus“.10Ein über Handel erlangtes Organ bringt sowohl für den Empfänger als auch für den „Spender“ zahlreiche Nachteile und Risiken mit sich. Für den Empfänger: erhöhtes Abstoßungsrisiko durch fehlende Gewebeübereinstimmung, Infektionen und anderweitige Komplikationen; für den Spender: (finanzielle) Ausbeutung und gesundheitliche Schäden durch unzureichende Nachsorge.

Neben dem schwerwiegenden moralischen Problem der Ausbeutung der weitgehend finanziell schwachen Spender,11Aus biblischer Perspektive sind Menschen eindeutig dazu aufgefordert, sich um Arme, Kranke, Waisen und Witwen zu kümmern, anstatt sie auszunehmen und auszunutzen (vgl. 5Mo 24,6-22; Jes 1,17; Apg 6,1-7 u. a.). gibt es aus ethischer Sicht einen weiteren Grund, jegliche Form des Organhandels grundsätzlich abzulehnen: die Instrumentalisierung bzw. Kommerzialisierung des menschlichen Körpers, die den Menschen und seine Würde zu einer Ware, zu einem „Ersatzteillager“ reduziert.

Berechtigt bleibt allerdings die Frage, inwieweit der Spender entschädigt werden darf oder soll. In Deutschland wird in der Regel zumindest die Kompensation der erlittenen Nachteile erlaubt und die mit der Organentnahme verbundenen Aufwendungen wie Krankenhausaufenthalt und Dienstausfall werden von der Krankenkasse des Empfängers übernommen. Mit weiteren Vorschlägen der Vergütung – angefangen von besonderen Versicherungsregelungen für den Spender über tatsächliche finanzielle Entschädigungen bis hin zu einem streng überwachten Organmarkt – gehen Ärzte, Gesetzgeber sowie die Weltgesundheitsorganisation allgemein sehr vorsichtig und z.T. sogar kritisch um, da die Grenze zur Kommerzialisierung zu leicht überschritten werden kann.

d) Das Problem der Freiwilligkeit

Die Freiwilligkeit der Spende ist eine unverzichtbare Bedingung für die ethische Legitimität der Transplantationsmedizin. Niemand kann dazu verpflichtet werden, sich als Organspender zur Verfügung zu stellen. Daher ist die sogenannte Widerspruchsregelung, die sich in einigen europäischen Nationen findet (z. B. Spanien, Österreich, Italien), ethisch gesehen problematisch.12Sie erlaubt die Organentnahme, sofern kein schriftlicher Widerspruch des Verstorbenen vorliegt. Der menschliche Körper ist kein Gemeineigentum der Gesellschaft und somit besteht kein Verfügungsrecht eines Fremden über ihn. Zumindest in dieser Hinsicht hat der Mensch ein Recht auf Selbstbestimmung über seinen Körper – wenn auch ein eingeschränktes, da auch der Leib Teil der Schöpfung Gottes ist. Jeder Mensch kann nach dem christlichen Menschenbild in Abhängigkeit von Gottes Plänen sein Leben in Freiheit, Verantwortung und Würde gestalten. Er darf zwar sein Leben niemals eigenständig beenden,13Gott bestimmt Anfang und Ende des Lebens (vgl. Hi 3,3f., Ps 90,3; 139,13-16;  Mt 6,27). kann aber einem kranken Mitmenschen nach einer wohlerwogenen, freien Entscheidung seine Organe zur Verfügung stellen. 

Die bisher noch gültige gesetzliche Regelung, die sogenannte erweiterte Zustimmungslösung, bei der entweder der Patient zu Lebzeiten einer Organentnahme durch eine schriftliche Erklärung (Organspendeausweis) ausdrücklich zugestimmt haben muss, oder – falls dies nicht der Fall ist – Angehörige in eine Entnahme einwilligen müssen, ist unter diesen Gesichtspunkten als freie Entscheidung des Einzelnen unproblematisch.14Einen Organspendeausweis kann man z.B. unter 15https://www.organspende-info.de/organspendeausweis-download-und-bestellen/ 16beziehen.

Um die Bereitschaft zur Spende zu fördern, besteht aktuell auf politischer Ebene die Diskussion um eine Gesetzesänderung. Vorgeschlagen wird hier die Entscheidungs- bzw. Erklärungslösung, die jeden Bürger dazu anhält – z.B. im Rahmen der Krankenversicherungen oder beim Führerschein –, eine persönliche Entscheidung darüber zu fällen, ob er Spender sein will oder nicht. Allerdings besteht dabei auch die Möglichkeit, keine Entscheidung zu treffen. Unter der Bedingung, dass in diesem Zuge auch sachgerecht, vollständig und ehrlich über das Thema informiert wird, gibt es gegen diese Regelung trotz der Kritik, die es bereits in der Öffentlichkeit gibt, aus ethischer Perspektive eigentlich keine Einwände. Die periphere Berührung des Selbstbestimmungsrechts wird hierbei gegen die ethische Verantwortung gegenüber dem Kranken aufgewogen. Von daher bietet diese Lösung einen guten, ethisch vertretbaren Mittelweg.

e) Das Problem der Todesdefinition

Am umstrittensten ist jedoch die Frage nach der Todesdefinition: Wie sicher ist das Hirntodkriterium wirklich? Können sich Patienten und Angehörige darauf verlassen, dass die behandelnden Ärzte den Tod nicht (bewusst) zu voreilig diagnostizieren und die kurative Behandlung einstellen, um einem anderen Menschen durch die Organe zu retten? Tod bei Bedarf also? Handelt es sich bei dieser Definition nicht um eine unzulässige und rein pragmatisch begründete Vorverlegung des Todes? 

Immer wieder werden ernstzunehmende Bedenken gegen das Hirntodkriterium geäußert, die sich inhaltlich auf verschiedenen Ebenen befinden. Kritiker nennen dabei folgende Argumente, die im Folgenden untersucht werden sollen:

Allgemeine Bedenken:
  • Die Einführung dieser Definition kam von einer Gruppe Medizinern, die in direkter Weise mit der Transplantationsmedizin in Verbindung standen (Harvard Medical School).
  • Die Angst vor einer unaufhaltsamen weiteren Aufweichung der Todeskriterien.
  • Die Unanschaulichkeit des Todes: Hirntote sehen nicht tot aus!
Medizinische Bedenken:
  • Behauptung: Hirntote sind nicht tot, sondern Menschen in einem irreversiblen Sterbeprozess. Das heißt, sie sind Lebende: 97% des Organismus sind noch lebendig. Dabei sind Sterbende noch zu erstaunlichen Dingen fähig: Fingernägel und Haare wachsen weiter, Verdauung, Reaktion auf Schmerzen, Erektion, Kinder gebären usw.
  • Die Zentralstellung des Gehirns für die Koordination aller Teilfunktionen des Organismus wird in Frage gestellt.
  • Die Kompetenz der heutigen Medizin: Wie kann man sicherstellen, dass die Diagnosetechniken und Geräte exakt genug sind, um tatsächlich das Absterben aller Hirnfunktionen zu beurteilen?
Anthropologische Bedenken:
  • Beim Hirntodkriterium werden Leib und Seele zu stark voneinander getrennt. Die Seele wird zu sehr auf das Gehirn fixiert und das Menschsein zu stark mit höheren kognitiven und geistigen Fähigkeiten, also einem (Selbst)bewusstsein, in Verbindung gebracht. Dies führt zu einem unreflektierten Dualismus, der im Widerspruch zur leib-seelischen Einheit des Menschen  steht.
  • Die strikte Parallelität zwischen Lebensanfang und Lebensende: Wenn menschliches Leben vom Abschluss der Befruchtung uneingeschränkt schützenswert ist und menschliche Würde hat, kann ein Hirntoter nicht tot sein, da ein Embryo noch kein Gehirn hat und trotzdem schon ein Mensch ist.

Um die Auseinandersetzungen um die Todesfeststellung nachzuvollziehen, ist es sinnvoll, vier methodische Diskussionsebenen zu unterscheiden, anhand derer man eine angemessene Todesdefinition erarbeiten kann:17Vgl. Schlich, Transplantation, 57-61. 1. Definition des Menschenbilds: Wer stirbt eigentlich? (Attribution); 2. Todesdefinition: Was ist der Tod und wann ist der Mensch tot?; Diese beiden Punkte lassen sich nicht rein naturwissenschaftlich-medizinisch beantworten, sondern implizieren auch weltanschauliche, kulturelle, philosophische und theologische Aspekte. Bei den folgenden Ebenen ist man jedoch auf die Erkenntnisse der Wissenschaft angewiesen: 3. Todeskriterium: Welches ist der entscheidende Schritt zum Tod?; 4. Diagnostische Tests: Wie kann der Tod festgestellt werden?

1. Menschenbild: Wer stirbt eigentlich? (Attribution)

Der Mensch ist nach christlichem Verständnis Gottes Ebenbild (1Mo 1,26-27; Jak 3,9 u. a.). Diese Ebenbildlichkeit bezieht sich dabei auf den Menschen als Ganzes – d. h. auf seinen Leib und seine Seele. Eine Reduzierung des Menschen auf seine kognitiv-geistigen Fähigkeiten bzw. seine Bewusstseinsleistungen wäre demnach vollkommen unzulässig. Zudem kann man den Menschen biblisch gesehen als eine leib-seelische Einheit und Ganzheit verstehen: der Mensch ist Leib und Seele – er hat sie nicht nur. Beide Aspekte gehören untrennbar zusammen. Besonders eindrücklich wird dies durch den biblischen Sprachgebrauch. Hier bezeichnen die Begriffe für die Organe gleichzeitig die dahinterstehende lebenserhaltende Kraft (ein „psychophysischer“ Sprachgebrauch). So steht das Wort für „Kehle“ auch für den „Atem“ oder sogar das menschliche Leben (1Mo 2,7; Ps 63,2; 84,3 u. a.). Ähnliches gilt für Begriffe wie „Lebensodem“, „Herz“, „Nieren“ und „Fleisch“, die auch mit dem Menschen als Ganzes in Verbindung gebracht werden (vgl. z. B. 1Mo 17,3; Hi 10,12; Ps 16,9; Spr 23,16).18Auch im Neuen Testament lässt sich diese leib-seelische Einheit und Ganzheit nachweisen (vgl. z. B. Lk12,20; Apg 20,10; Röm 13,1; Offb 16,3). 

Auf der biologisch-medizinischen Ebene bedeutet dies, dass ein funktionierender Organismus vorhanden sein muss, um diese leib-seelische Einheit zu gewährleisten. Denn der Leib ist das Ausdrucksfeld der Seele. Der Organismus besteht dabei aus vielen stufenförmig angeordneten Einheiten – von Zellen bis hin zu den Organen –, die jeweils ihren Zweck in Bezug auf das Ganze, den Organismus, erfüllen. Nur durch die Integration aller dieser Teile zum Organismus ist Leben überhaupt möglich. Daher hat der Organismus eine seinsmäßige Priorität vor dem Leben der einzelnen Teile. 

Das Gehirn als die zentrale Schaltstelle des Nervensystems spielt dabei eine wesentliche Rolle, da die Hirntätigkeit die Autonomie und Spontanität des Organismus, die Steuerung des Lebewesens, die Anpassung und Abgrenzung des Ganzen und die Integration als Organismus ermöglicht.19Vgl. Angstwurm, Hirnausfall, 44. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass das Gehirn nicht deshalb so wichtig ist, weil im Gehirn der Sitz der Persönlichkeit oder des Bewusstseins ist. 

2. Todesdefinition: Was ist der Tod und wann ist der Mensch tot?

Aus biblisch-theologischer Perspektive lässt sich die Frage nach der Todesdefinition nur schwer beantworten, da die Leute zu biblischen Zeiten auf Naturbeobachtung angewiesen und somit nur in sehr begrenztem Maße in der Lage waren, mit ihren eigenen methodischen Voraussetzungen differenzierte Schlüsse in dieser Frage zu ziehen. Der Atem war dabei ein wichtiges Zeichen der Lebendigkeit. Sein Verschwinden wurde daher als Zeichen des Todes angesehen (vgl. 1Mo 7,22; Hi 27,3; Ps 150,3) und könnte somit Aufschluss über eine Todesdefinition geben. Allerdings war der Atem ein Todeskriterium, nicht aber eine Todesdefinition.

Menschen werden in der Bibel als tot beschrieben, wenn ihnen z. B. die nepeś (Kehle, Atem, Leben) genommen wird (vgl. Jo 4,3; 1Mo 35,18; 1Kö 19,4; Ps 146,4 u. a.). Da die Bibel durch diese und ähnliche Konzepte auf die leib-seelische Einheit und Ganzheit des Menschen Bezug nimmt, ist der Mensch demnach tot, wenn jene nicht mehr gewährleistet ist. 

Auf der medizinischen Ebene heißt dies: Fällt der Organismus als übergeordnete Integrationsstufe aus, der genau diese Einheit und Ganzheit aufrecht erhält, kann kein Leben mehr stattfinden. 

3. Todeskriterium: Welches ist der entscheidende Schritt zum Tod?

Wann aber kommt es zum totalen und irreversiblen Funktionsverlust des Organismus? An dieser Stelle gewinnt das Gehirn als die organische Instanz, die für die Aufrechterhaltung des Organismus als Ganzes zuständig ist, eine besondere Bedeutung. Das heißt: Wenn das Gehirn nicht mehr funktioniert, kann es keinen funktionierenden Organismus geben. Sobald die Gesamtfunktion – nicht nur eine Teilfunktion! – des Gehirns unwiederbringlich erloschen ist, d. h. sobald der sogenannte Ganzhirntod eingetreten ist, ist der Mensch tot.20In manchen anderen Ländern gilt der sogenannte Teilhirntod (Stammhirn-, Hirnrinden oder Großhirntod). Die dahinterliegende „ontologische“ Todesdefinition bezieht sich auf den Verlust der Bewusstseinsfähigkeit. Diese Reduzierung des Menschen auf seine kognitiv-geistigen Fähigkeiten kann jedoch weitreichende Folgen für andere Krankheitsbilder haben, z. B. Menschen im Wachkoma, im Locked-in-Syndrom, anenzephale Säuglinge und auch fortgeschrittene Alzheimer-Patienten. Bei allen diesen ist der Organismus jedoch noch zu einer Integrationsleistung fähig. Daher ist dieses Todeskriterium ethisch fragwürdig. Zu diesem Zeitpunkt kann der Mensch nicht mehr dafür sorgen, dass seine Organe und Zellen weiterhin selbstständig funktionieren. Ebenso fehlt auch die Fähigkeit zu jeglichen Bewusstseinsleistungen. Der Hirntod erweist sich demzufolge als angemessenes Kriterium, um den Tod des Menschen festzustellen.21Das irreversible Herz-Kreislaufversagen, die klassische Todesdefinition, gilt dabei insofern als ein angemessenes Todeskriterium, als es in absehbarer Zeit den Hirntod zur Folge hat, die sogenannte sekundär-metabolische Hirnschädigung.  

4. Diagnostische Tests: Wie kann der Tod festgestellt werden?

Auf dieser Ebene ist man vollkommen auf die Erkenntnisse der Wissenschaft angewiesen. Die klinischen und apparativen Tests zur Verifizierung des Hirntods müssen so zuverlässig wie möglich sein und die Verantwortlichen sollten kontinuierlich an der Verbesserung der Maschinen und Diagnosetechniken arbeiten, um Fehldiagnosen generell zu vermeiden. Diese Ausführungen zeigen, dass die Sorge vieler Menschen, aufgrund ihrer funktionstüchtigen Organe für tot erklärt zu werden, unbegründet ist. Der Hirntod ist ein angemessenes Kriterium für die Feststellung des Todes. Daher – und nur unter dieser Bedingung – gibt es aus ethischer Perspektive keinen schwerwiegenden Einwand gegen die Explantation von lebenswichtigen Organen von Hirntoten, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, die weiter unten erläutert werden.22In der wissenschaftlichen Diskussion besteht keine Einigkeit zu diesem Thema. So gibt es auch unter Christen neben Befürwortern zugleich konsequente Gegner des Hirntodkriteriums. 

f) Weitere biblische Aspekte

Biblisch gesehen stellt die Integrität bzw. die Unversehrtheit des Leibs für die Auferstehung keine notwendige Voraussetzung dar (vgl. 1Kor 15,35-49), auch wenn dies immer wieder von Gegnern der Organspende behauptet wird. Desgleichen werden auch die Identität und die Einmaligkeit des Organempfängers nicht durch den Empfang eines fremden Organs beeinträchtigt.

Auch wenn die Organspende ein neuartiges Phänomen ist, das erst mit der Entwicklung intensivmedizinischer Techniken ihren Anfang fand, gibt es aus gesamt-biblisch-theologischer Sicht keine gewichtigen Argumente, die Transplantationsmedizin grundsätzlich abzulehnen. Vielmehr finden sich einige Prinzipien in der Bibel, die für die Praxis der Organspende plädieren. Hier sei vor allem das Gebot der Nächstenliebe genannt (vgl. 3Mo 19,18; Mt 22,39). Die Bereitschaft, seine Organe einem anderen Menschen zur Verfügung zu stellen, kann ein völlig legitimer und besonderer Akt der Liebe zum Nächsten sein und viel Leid mindern – auch über den eigenen Tod hinaus. Der Mensch ist vor die Aufgabe gestellt, mit seinem Leib, den er von Gott als Gabe empfangen hat, verantwortlich umzugehen und Gott auch damit die Ehre zu geben (1Kor 6,20). Einem anderem Menschen zu helfen, sich mit den Kranken und Behinderten zu solidarisieren und so letztendlich Leben zu erhalten, kann dabei durchaus Ausdruck dieses Gotteslobes sein. Dennoch kann und darf die Einwilligung in die Organentnahme niemals zu einer Pflicht werden. Es besteht in dieser Hinsicht keine Bringschuld, so dass diejenigen, die sich nach einer ernsthaften und verantwortlichen Prüfung dagegen entscheiden, nicht moralisch abgewertet werden dürfen. 

Neben dem Prinzip der Nächstenliebe kann man auch die „Goldene Regel“ als Argument für die Organspende anbringen (Mt 7,12): „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut ihr ihnen auch!“ Diese Aufforderung lädt zu einem gedanklichen Rollentausch ein, bei dem man sich in die Lage eines potentiellen Organempfängers hineinversetzt, der durch die Hilfsbereitschaft, Uneigennützigkeit und Großzügigkeit eines (fremden) Menschen beschenkt wurde und dadurch sein Leben erhalten konnte.23Vgl. Schockenhoff, Ethik, 429.

IV. Fazit: Ethische Schlussfolgerungen

Die Transplantationsmedizin hat schon vielen Menschen das Leben gerettet. Trotz mancher Herausforderungen in dieser Angelegenheit gibt es aus biblisch-theologischer Sicht keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Organspende – sie kann nach sorgfältiger Gewissensprüfung vielmehr ein Akt der Liebe zum Nächsten sein, der auf Hilfe angewiesen ist.24Sicherlich bestehen noch weitere ethische Fragestellungen wie z. B. die Cross-over-Lebendspende, die Frage nach den sogenannten Non-heart-beating donors, aber auch viele Detailfragen, auf die an dieser Stelle nicht mehr im Einzelnen eingegangen werden kann.

Zusammenfassend sollen einige wichtige ethische Prinzipien genannt werden, die in der Praxis unverzichtbar sind:

  • Die Risiken für den Lebendspender als auch für den Organempfänger müssen sorgsam untersucht werden. Der Nutzen für den Empfänger sollte dabei definitiv das Risiko für den Spender aufwiegen. Folgende Kriterien sollten bei einer Entscheidung für eine Lebendspende beachtet werden: Zumutbarkeit, Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit für den Spender und Alternativlosigkeit für den Empfänger.25Vgl. Schockenhoff, Ethik, 427.
  • Die Organspende muss freiwillig sein und darf keineswegs unter Zwang geschehen. Niemand darf dazu verpflichtet werden, seine Organe einem anderen Menschen zur Verfügung zu stellen. 
  • Der Mensch hat zwar ein Recht auf Leben, aber kein Recht auf Gesundheit und somit auch nicht auf den Empfang eines Spenderorgans. Der Patient darf demnach keine Ansprüche in diese Richtung stellen oder einen möglichen Spender unter Druck setzen.
  • Die regelmäßige sachgerechte und ehrliche Aufklärung der Bevölkerung über Chancen und Möglichkeiten, aber auch Risiken der Organtransplantation, sind unbedingt erforderlich bevor einer Spende eingewilligt werden sollte. 
  • Jegliche Form des Organhandels – auch im familiären Raum – ist ethisch bedenklich und muss (auch international) unterbunden werden. Der Körper ist keine Ware, den man durch eine Kommerzialisierung entwerten darf.
  • Bei der Allokation müssen verantwortliche und gerechte Entscheidungen getroffen und die ethischen Prinzipien und Abwägungen immer wieder neu evaluiert und verbessert werden.  
  • Zusätzlich zu einer kontinuierlich geforderten und notwendigen Verbesserung der Transplantations- und Diagnosetechniken als auch zu einem anhaltenden Streben nach einer Erhöhung der Spenderzahlen ist es Aufgabe und Pflicht der Mediziner, Möglichkeiten zu ergründen, wie man Organschäden und -versagen aufhalten und verhindern kann, um so der Organknappheit entgegenzuwirken. Zudem wäre es sinnvoll, auch weiterhin nach langfristigen Alternativtherapien zu forschen.
  • Sowohl gesetzlich als auch im praktischen medizinischen Alltag muss der Patient sicher sein können, dass der Arzt nicht zu seinem „Henker“ wird. Es muss also darauf gedrängt und auch überprüft werden, dass die bereits bestehenden Richtlinien und Gesetze umgesetzt werden.
  • Im Umgang mit dem Leichnam ist Pietät angebracht. Es sollte vermieden werden, dass man den Leichnam vollständig „ausschlachtet“ oder ihn vollkommen verunstaltet beerdigt. Dies schließt auch die Sensibilität im Umgang mit den Angehörigen ein, die den Verlust eines geliebten Menschen betrauern.

© 2011 Institut für Ethik & Werte

Eva Dittmann PhD

Eva Dittmann PhD

Dozentin am Theologisches Seminar Rheinland

Endnoten

  • 1
    Vgl. für diese Informationen sowie weitere aktuelle Statistiken rund um das Thema Organspende www.dso.dewww.organspende-info.de sowie www.eurotransplant.org
  • 2
    Dies kann durchaus mit einer generellen Unsicherheit gegenüber und einer dementsprechenden Nichtbeschäftigung mit dem Tod zusammenhängen. 
  • 3
  • 4
    Das Gesetz kann man auf der Internetseite https://www.organspende-info.de/gesetzliche-grundlagen/gesetze-und-richtlinien/ herunterladen.
  • 5
  • 6
    Dies beinhaltet eine umfassende Aufklärung des Spenders über den Eingriff selbst und mögliche, auch mittelbare Folgen und Spätfolgen sowie eine genaue Untersuchung durch eine Kommission, ob Anhaltspunkte vorliegen, dass der Spender einem solchen Eingriff unfreiwillig zustimmt. 
  • 7
    Beide großen Kirchen haben 1990 in einem gemeinsamen Papier ihre generelle Befürwortung der Organspende erklärt (vgl. Bischofskonferenz/ Kirchenamt, Organtransplantationen). 
  • 8
    Studien haben jedoch ergeben, dass solche (langfristigen) Risiken durch die strengen Auswahlkriterien sehr gering sind (0,03%-2%). 
  • 9
    Am erfolgreichsten sind dabei Transplantationen zwischen eineiigen Zwilligen (syngene Transplantation), da diese genetisch identisch sind. 
  • 10
    Ein über Handel erlangtes Organ bringt sowohl für den Empfänger als auch für den „Spender“ zahlreiche Nachteile und Risiken mit sich. Für den Empfänger: erhöhtes Abstoßungsrisiko durch fehlende Gewebeübereinstimmung, Infektionen und anderweitige Komplikationen; für den Spender: (finanzielle) Ausbeutung und gesundheitliche Schäden durch unzureichende Nachsorge.
  • 11
    Aus biblischer Perspektive sind Menschen eindeutig dazu aufgefordert, sich um Arme, Kranke, Waisen und Witwen zu kümmern, anstatt sie auszunehmen und auszunutzen (vgl. 5Mo 24,6-22; Jes 1,17; Apg 6,1-7 u. a.).
  • 12
    Sie erlaubt die Organentnahme, sofern kein schriftlicher Widerspruch des Verstorbenen vorliegt.
  • 13
    Gott bestimmt Anfang und Ende des Lebens (vgl. Hi 3,3f., Ps 90,3; 139,13-16;  Mt 6,27).
  • 14
    Einen Organspendeausweis kann man z.B. unter
  • 15
  • 16
    beziehen.
  • 17
    Vgl. Schlich, Transplantation, 57-61.
  • 18
    Auch im Neuen Testament lässt sich diese leib-seelische Einheit und Ganzheit nachweisen (vgl. z. B. Lk12,20; Apg 20,10; Röm 13,1; Offb 16,3). 
  • 19
    Vgl. Angstwurm, Hirnausfall, 44. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass das Gehirn nicht deshalb so wichtig ist, weil im Gehirn der Sitz der Persönlichkeit oder des Bewusstseins ist. 
  • 20
    In manchen anderen Ländern gilt der sogenannte Teilhirntod (Stammhirn-, Hirnrinden oder Großhirntod). Die dahinterliegende „ontologische“ Todesdefinition bezieht sich auf den Verlust der Bewusstseinsfähigkeit. Diese Reduzierung des Menschen auf seine kognitiv-geistigen Fähigkeiten kann jedoch weitreichende Folgen für andere Krankheitsbilder haben, z. B. Menschen im Wachkoma, im Locked-in-Syndrom, anenzephale Säuglinge und auch fortgeschrittene Alzheimer-Patienten. Bei allen diesen ist der Organismus jedoch noch zu einer Integrationsleistung fähig. Daher ist dieses Todeskriterium ethisch fragwürdig.
  • 21
    Das irreversible Herz-Kreislaufversagen, die klassische Todesdefinition, gilt dabei insofern als ein angemessenes Todeskriterium, als es in absehbarer Zeit den Hirntod zur Folge hat, die sogenannte sekundär-metabolische Hirnschädigung.  
  • 22
    In der wissenschaftlichen Diskussion besteht keine Einigkeit zu diesem Thema. So gibt es auch unter Christen neben Befürwortern zugleich konsequente Gegner des Hirntodkriteriums. 
  • 23
    Vgl. Schockenhoff, Ethik, 429.
  • 24
    Sicherlich bestehen noch weitere ethische Fragestellungen wie z. B. die Cross-over-Lebendspende, die Frage nach den sogenannten Non-heart-beating donors, aber auch viele Detailfragen, auf die an dieser Stelle nicht mehr im Einzelnen eingegangen werden kann.
  • 25
    Vgl. Schockenhoff, Ethik, 427.

Bibliografie

In Auswahl:

Ach, Johann S. / Michael Quante (Hg.), Hirntod und Organverpflanzung. Ethische, medizinische, psychologische und rechtliche Aspekte der Transplantationsmedizin (Medizin und Philosophie 3), Stuttgart: frommann-holzboog, 1997.

Angstwurm, Hans, Der vollständige und endgültige Hirnausfall (Hirntod) als sicheres Todeszeichen des Menschen, in: J. Hoff / J. In der Schmitten (Hg.), Wann ist der Mensch tot? Organverpflanzung und Hirntodkriterium, Reinbeck: Rowohlt, 1994, 41-50.

Deutsche Bischofskonferenz/ Kirchenamt der EKD (Hg.), Organtransplantation: Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, 1990.

Holzienkemper, Thomas, Organsspende und Transplantation und ihre Rezension in der Ethik der abrahamitischen Religionen (Ethik in der Praxis 20), Münster: Lit Verlag, 2005.

Odunco, Fuat S. / Ulrich Schroth u. a. (Hg.), Transplantation. Organgewinnung und
-allokation, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003.

Schlich, Thomas, Transplantation. Geschichte, Medizin, Ethik der Organverpflanzung, Nördlingen, Verlag C. H. Beck, 1998.

Schockenhoff, Eberhard, Ethik des Lebens. Grundlagen und neue Herausforderungen, Freiburg: Herder, 2009.