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Politische EthikGlaube und Politik

Christsein und Politik: Zum Verhältnis von Staat und Kirche

Das Verhältnis von Glaube und Politik ist eine Zentralfrage des Lebens.1Abdruck mit freundlicher Genehmi­gung aus Bibel und Gemeinde 109 (Nr. 3, 2009), S. 55-62. An dieser Frage haben sich in der Ge­schichte Kriege entzündet, Wohl und Wehe eines Landes entschieden und Kirchen gespalten. Von den Zeiten der frühen Kirche im römischen Reich über die mittelalterlichen Kaiserrei­che bis hin zu den modernen Demokratien wa­ren Christen entweder Förderer oder Geg­ner des Staates, wurden vom ihm ver­folgt oder hofiert. Auch die deutsche Ge­schichte nicht ohne den Einfluss der Kir­chen auf die staatlichen Gewalten zu ver­stehen. Und umgekehrt hat die Poli­tik im­mer wieder Einfluss auf das Le­ben der Christen genommen, mal zum Se­gen, mal zum Fluch. Zwar gibt es in Deutschland schon lange keine „Staats­kirche“ mehr. Trotzdem ist das Bezie­hungsgeflecht zwi­schen weltlichem Staat und christlichen Kirchen immer noch eng, zumindest was die beiden großen „Volkskirchen“ angeht.

Die Grundfrage des Verhältnisses von weltlichem Staat und Gemeinde Jesu ist auch heute noch aktuell und verlangt nach einer Antwort: In welcher Bezie­hung steht der Christen als „Himmels­bürger“ zur „weltlichen Bürgerschaft“? Wie hängen die Ausrichtung auf Gott und das Jenseits mit dem öffentlichen Engagement auf dieser doch so dies­sei­tigen Erde zusammen? Gibt es eine Verbindung zwischen Heil und Wohl, zwischen ewigem Leben im Jenseits und unserem begrenzten Leben im Dies­seits? Welche Beziehung hat das Reich Gottes zu den Reichen der Welt? Sollen Christen sich politisch engagie­ren? Muss der Staat religiös neutral sein? 

Solche Fragen gehen alle an, die sich Christen nennen. Die damit zusammen­hän­genden konkreten Themen werden mal stärker und mal weniger stark dis­kutiert. In den politisch kontroversen 70er und 80er Jahren haben sich zum Beispiel sehr viele Christen mit politi­schen Fragen auseinan­dergesetzt. Da­mals ging es um Aufrüstung, Rassis­mus, Pazifismus und die politische Be­deutung der Bergpredigt. Heute, im Zeit­alter der Politikverdrossenheit, ist es um politische Fragen in der Chris­tenheit eher still geworden. Besonders in evangelikalen Kreisen ist das Inte­resse an politischen Zu­sammenhängen gering. Junge Christen sind selten inte­ressiert am öffentlichen Leben. 

Dabei ist die Existenz des Christen im­mer auch abhängig vom „weltlichen“ Gesche­hen um uns herum. Christen sind immer mit hineingenommen in die politischen Ent­scheidungen des Staa­tes – ob sie wollen oder nicht. Die Gret­chenfrage lautet: Wol­len Christen bei der Gestaltung des Staates mithelfen, oder ist Politik „ein schmutziges Ge­schäft“, aus dem man sich lieber he­raus­halten sollte?

Innerhalb der christlichen Kirchen ha­ben sich in der Geschichte verschie­dene Grund­positionen des Verhältnis­ses von Staat und Politik herauskristal­lisiert. Ich will mich an einer groben Klassifizie­rung versuchen, mit dem Ziel, Hand­lungsanweisungen für heute zu gewin­nen.

1. Politisierter Glaube:

Die Herr­schaft der Christen (Kirche) über den Staat

Wir beginnen mit einer auf den ersten Blick exotischen Einstellung, der Herr­schaft der Kirche über den Staat. Das Prinzip dieses Verhältnisses ist uns heute, in einem demo­kratischen Verfas­sungsstaat mit religiöser Neutralität, völlig fremd. Aber eine solche Kons­tellation hat es über viele Jahrhunderte der Weltgeschichte gegeben. Damals stand die Kirche, konkret in der Form der römi­schen Kirche, über dem Staat und bestimmt seine Politik. Die bibli­schen Prinzipien des Zusammenlebens sollten auch für den welt­lichen Staat gelten. Der Papst, als Reprä­sentant der Kirche, fungierte auch als ent­scheiden­der „Strippenzieher“ der säkularen Macht. Der Einfluss der Kurie reichte bis in die entlegenen Königreiche. Der geistliche Herrscher stand über dem weltlichen Herr­scher, das „Reich Got­tes“ dominiert das „Reich der Welt“.

In der Geschichte hat es eine solche Kons­tellation seit dem 4./5. Jahrhundert n. Chr. immer wieder gegeben. Spätes­tens als die Kirche unter Theodosius Staatsreligion wurde, begann sie mit einer ausgeprägten Einflussnahme auf die Politik und deren Entscheidungsträ­ger. Dabei gab es natürlich immer wie­der Konflikte, denn die Könige und Kai­ser wollten sich keineswegs immer von der Kirche reinreden lassen. Der be­kannte Machtkampf des Papstes ge­gen den König im so genannten „In­vestitur­streit“ oder die schon viel früher statt­gefundene Debatte um den „Cäsa­ropa­pismus“ in der Ostkirche sind nur zwei Bespiele für die Spannung zwi­schen Krone und Altar. Auch bei den Kreuz­zügen sehen wir die Verqui­ckung von geistlicher und weltlicher Macht mit ei­nem starken Einfluss der Kirche und des Klerus. Aber auch in der Re­forma­tions­zeit gab es ähnliche Erschei­nun­gen. Das „Täuferreich von Müns­ter“, eine radikale Form der an sich friedli­chen Täufer, verstand sich als Aus­druck des „neuen Je­rusalems“ und wollte das Reich Gottes schon hier auf der Erde errichten, eine Schwärme­rei, die sich auch in vielen Ideo­logien der Neuzeit widerspiegelt.

Die Dominanz der Kirche und des christli­chen Glaubens über den Staat ist eine Posi­tion, die geschichtlich gese­hen in der rö­misch-katholischen Kirche und ihrem Machtanspruch verwurzelt war. Aber nicht nur dort. Auch in neue­rer Zeit gibt es im­mer wieder Positio­nen, die die Gemeinde Jesu als die ei­gentli­che Autorität in politi­schen Fragen sieht. Dabei werden biblische Aussa­gen, die sich auf die zukünftige Kö­nigs­herrschaft Christi beziehen, ohne Skru­pel schon auf das Hier und Jetzt bezo­gen und damit indirekt eine „Theokra­tie“ (Kö­nigsherrschaft Gottes) prokla­miert, die doch eigentlich nur für das Volks Israel galt. 

Die Ausdrucksformen dieses weltlichen Universalanspruchs des Christentums sind in der Regel machtpolitische An­sprüche der Kirche. Man möchte das Reich Gottes schon hier auf Erden schaffen und gestal­ten. Sich selber sieht man als ausführendes Organ des göttli­chen Willens in der Welt. In der bibli­schen Begründung bezieht man sich auf alttestamentliche Stellen über die Herr­schaft Gottes. Oder man be­zieht sich auf neutestamentliche Belege über die (doch eigentlich zukünftige) Königs­herr­schaft Jesu Christi mit der Beto­nung des Christus als „imperator“ über alle Völker.Die Gefahren einer solchen Dominanz der Kirche über den Staat sind offen­sichtlich. Der Glaube wird hier zum in­nerweltlichen Machtfaktor, der dann mitunter auch miss­liebige Personen verfolgt (Stichwort Inqui­sition). Politi­sches Handeln wird religiös sanktio­niert, weil es von der Kirche ausgeht oder sich (scheinbar) vom Glauben le­giti­miert weiß. Die Innerweltlichkeit des Glau­bens verdrängt dabei die Jen­sei­tigkeit. Das Wohl verdrängt das Heil, die Vorläufigkeit der Welt gerät aus dem Blickwinkel, der „Wille zur Macht“ erfasst den Gläubigen. Der Glaube ver­strickt sich in Ränkespiele und politi­sche Abhängigkeiten.

Eine weniger radikale Unterform dieser Position liegt in der Überzeugung, der Glaube sei ein Art politisches Pro­gramm. Eine solche Position ist in den so genannten „Genitiv-Theologien“ weit verbreitet gewe­sen, z.B. in der Be­frei­ungstheologie, bei der praktisch je­der Bibeltext unter zeitge­schichtlichen As­pekten befragt wird. Die Umdeutung und Verbiegung von Bibeltex­ten nimmt dabei mitunter abenteuerliche Formen an. Jesus Christus wird in immer neue Schablonen hineingesteckt: Revolutio­när, Feminist, Sozialutopist, Kommu­nist, Pazifist.

Auch bei dieser Unterform liegt die Gefahr darin, dass ein rein innerweltli­ches Enga­gement der Christen zur Ge­fahr wird, wenn der eigentliche Auftrag der Kirche, die Verkündigung des Evangeliums von der erlösenden Gnade Gottes, in den Hinter­grund ge­drängt wird. Der Glaube degene­riert in einem solchen Fall zu einem inner­welt­lichen Programm, er wird zu einem blo­ßen Weltverbesserungssystem. Schlim­mer noch: die eigentliche über­weltliche Botschaft des Evangeliums wird ver­dunkelt und verschleiert. 

2. Verfolgter Glaube:

Die Herrschaft des Staates über die Christen

Jahrhunderte waren die Dominanz der Kir­chen und ihr Einfluss auf den Staat von entscheidender Bedeutung. Aber das war nicht immer so. Am Anfang der Geschichte des Christentums gab es ein ganz anderes Bild. 

In den ersten drei Jahrhunderten der Kir­chengeschichte waren die Christen im rö­mischen Reich eine Minderheit. Mitunter wurden sie brutal verfolgt und unterdrückt, weil sie sich nicht der herr­schenden Ideolo­gie anschließen woll­ten. Opfer für den Kai­ser lehnten sie als Gotteslästerung ab. Eine Anpassung an den Zeitgeist war ihnen aus Glaubens­gründen unmöglich. Demgegen­über forderte der römische Staat und Unter­werfung unter den obersten Souverän, den Cäsar. Damit war der Konflikt vor­pro­grammiert.

Die „Kirche unter dem Kreuz“ der ers­ten drei Jahrhunderte war aber keine geschicht­liche Anekdote. Vergleichbare Situationen hat es zu allen Zeiten gege­ben. Gleiches gilt für nicht wenige Christen in unserer Zeit. Heute werden etwa 10 Prozent aller Chris­ten um ihres Glaubens willen verfolgt oder müssen erhebliche Nachteile in Kauf neh­men. 

In der Regel sind es totalitäre Staaten, die Religion und Glauben als Konkur­renz an­sehen und ihre Ausbreitung und Entfaltung verhindern. Die Methoden dafür sind oft subtil und nicht immer gleich offensicht­lich. Der Staat tritt in der Regel selber mit einem religiösen Anspruch auf, versteht sich als letzte Instanz, die alle Antworten auf die Fra­gen der Menschheit hat. Die Staats­ideologie wird zur Konkurrenz zum Glauben, zu einem Heilsbringer. Für solche Machthaber muss der Glaube anderer als Bedrohung erscheinen. In Staaten, wo es keine offene Verfolgung gibt, hat man an­dere Strategien: Die Christen werden hier „gleichgeschal­tet“, vielleicht eine noch wirksamere Waffe als die Verfolgung.

Besonders das 20. Jahrhundert brachte zwei Ideologien hervor, in denen der Staat sich quasi religiöse Vollmachten anmaßte, die die Situation der Christen schlagartig ver­schlechterte: der Fa­schismus und der Kommunismus. In beiden Systemen wur­den die Kirchen systematisch bedrängt, mitunter bis zur offenen Verfolgung. Die Kirchen hatten in einem solchen System kaum Mög­lichkeiten der politischen Ein­fluss­nahme. Ihr Einfluss ist nicht gewollt und wird deshalb zurückgedrängt.

Wie gesagt ist eine solche Haltung nicht nur ein Relikt vergangener Tage. In Nordkorea, Pakistan, Indien und In­donesien werden heute Christen ver­folgt und mitunter sogar getötet. 80% aller religiös Verfolgten auf der Welt sind Christen. Am Ende bleibt für sie nur der Gang in den Untergrund. Die chinesischen Hauskirchen waren und sind nur bekannte Beispiele für den Leidensweg vieler Christen durch die Jahrhunderte. 

3. Abgesonderter Glaube:

Die Dis­tanz der Christen zu Staat und Poli­tik

Neben der Dominanz der Kirche über den Staat und umgekehrt der Domi­nanz des Staates über die Kirche gibt es eine dritte Position, die weit verbrei­tet ist: Ein be­wusstes Fernhalten von der Poli­tik und von Staatsämtern. Politik gilt als „weltliches Geschäft“. Und von der Welt soll man sich bekanntlich fern­halten. Eine Einmischung in die Politik gilt als ungeistlich oder wird höchstens auf das Gebet für die Regieren­den re­duziert. Eine staatlich registrierte und gesteuerte Kirche wird kategorisch ab­ge­lehnt, aber auch umgekehrt eine Ein­fluss­nahme der Kirche auf die Politik.

In der Geschichte der Christenheit ist diese Einstellung ebenfalls häufig an­zutreffen. Als Beispiel seien die Täufer der Reforma­tionszeit erwähnt. Sie hat­ten die verhäng­nisvolle Verquickung von Staat und Kirche der etablierten Kirchen zum eigenen Nach­teil kennen gelernt und lehnte daraufhin jede Form des politischen Handelns der Kirche radikal ab. Die Gemeinde habe nichts mit dem Staat zu tun, beides dürfe nicht miteinander vermischt werden. Eine solche Nichteinmischung in politische An­gelegenheiten blieb aber nicht auf die Täu­fer und Mennoniten beschränkt, sondern war auch in der Erweckungs­bewegung des 19. Jahrhunderts zu beo­bachten.

Die Ausdrucksformen dieser Frömmig­keit sind offensichtlich: Christen dürfen keine Staatsämter innehaben, keinen Eid schwö­ren und keinen Kriegsdienst leisten. Zur Wahl geht man nicht. Auch so etwas wie „Militärgeistliche“ sind bei dieser Haltung undenkbar. Bei man­chen dieser Christen schwingt ins­ge­heim auch das Prinzip der Resigna­tion mit: Wir können sowieso nichts ändern, die Welt ist wie sie ist. Des­halb nützt öffentliches Engagement nichts.

Heutzutage ist diese Position in konser­vati­ven Kirchen weit verbreitet, ebenso in reli­giösen Bewegungen, die mit dem unmittel­baren Ende der Welt rechnen und sich da­mit mehr auf Endzeitlehren konzentrieren, als auf die Gestaltung staatlicher Verhält­nisse.

Als biblische Begründung für die Poli­tik­abstinenz gelten Jesus und seine Jün­ger, die ja (nach dieser Interpreta­tion) selber auch nicht politisch aktiv waren. Hinzu kommt eine ausgeprägte Abson­derungslehre. Ver­einzelnd ist dann auch die Position des Pa­zifismus zwingend und konsequent.Diese radikale Verneinung des politi­schen Engagements des Christen hat ebenso radi­kale Schwächen. Denn durch eine einseitige Betonung der Jen­seitigkeit des Glaubens wird die christ­liche Botschaft irrelevant für die prakti­schen Bezüge des irdischen Le­bens. Da Christen keinen Einfluss auf das politi­sche Geschehen nehmen, ist au­ßerdem die Gefahr groß, dass nicht­christliche oder antichristliche Ideolo­gien eine ge­sellschaft­lich beherr­schende Position einnehmen. In Anleh­nung an ein Bild Jesu in der Bergpre­digt gesprochen ent­ziehen hier die Christen der Suppe das Salz.  Statt sich der Unge­rechtigkeit in die Speichen zu werfen und es aufzu­halten, zieht man sich zurück in die warmen Stuben der individuellen Fröm­migkeit. Man ist Salz im Salztrog, Licht im Sonnenschein der selbstge­strickten Kirch­lichkeit. Mit öf­fentlicher Verantwortung hat das nichts zu tun.

4. Gleichgültiger Glaube:

Die Igno­ranz der Christen gegenüber Staat und Politik

In der Literatur werden die eben skiz­zierten Grundpositionen häufig be­schrieben. Aber es gibt zur dritten Po­sition noch eine abge­schwächte Vari­ante, die viel zu wenig be­achtet wird, aber mittlerweile auf dem Vormarsch ist: die Position der Ignoranz der Christen gegenüber Staat und Politik.

Der Unterschied zur dritten Position liegt darin, dass es hier nicht um eine bewusste Ablehnung des politischen Engagements geht. Vielmehr herrscht eine tiefe Gleich­gültigkeit vor. Es inte­ressiert viele Christen einfach nicht, was sich in der Politik tut und wer dort das sagen hat. Je nach Gusto geht man ab und an auch mal wählen, wirk­lich beschäftigen tut man sich mit der Poli­tik jedoch nicht. Wir haben es mit der frommen Variante der säkularen Poli­tikverdrossen­heit zu tun.

In solchen christlichen Gemeinden ist zu­nächst einmal wenig über Politik zu hören. Insgeheim herrscht der Eindruck vor, dass der Staat wird das schon rich­tig machen, wir sollen uns ja nur unter­ordnen. In einer heiligen Einseitigkeit konzentriert man sich auf die Gemein­dearbeit und die eigene Frömmigkeit. Das Geistliche ist das Ent­scheidende, der Staat und damit die Rah­menbedin­gungen unseres Glaubens sind unwich­tig, Reich Gottes ist alles, irdisches Reich ist nichts. Man ist völlig unpoli­tisch, hat auch scheinbar Wichtigeres zu tun. In der Gemeinde kommen poli­tische Themen nie vor – nicht, weil man sie bewusst ab­lehnt, sondern weil es keinen „juckt“. Sol­che Christen sind auch erstaunlich uninfor­miert über ak­tuelle politische Entwicklun­gen. Ihre innenzentrierte Frömmigkeit führt dazu, dass sie zwar intensiv für Christen und die Ausbreitung des Evangeliums beten können, eine Fürbitte für Menschen in Ver­antwortung kommt ihnen aber nur im äu­ßersten Notfall über die Lippen, weil es ihnen einfach nicht einfällt.

Beim seltenen Versuch, eine solche Posi­tion der politischen Gleichgültig­keit zu rechtfertigen, wird auf den Rö­mer­brief hin­gewiesen. Da habe doch Pau­lus von der „Unterwerfung unter die Ob­rigkeit“ gespro­chen (Rö 13,1). Und auch Petrus spräche doch von der „Un­terordnung unter alle menschliche Ein­richtung“ (1Petr 2,13). Mit „Unterord­nung“ wird dann eine Haltung des Ka­davergehorsams verbunden. Die frü­her spöttisch genannten „Stillen im Lande“, damals Pietisten, heute Evangelikale, sind wirklich still: an den Schalthebeln der poli­tischen Macht sind ihre Stim­men nicht zu hören.Die Gefahren dieser fatalistischen Hal­tung müssen deutlich genannt werden. Auch hier ist die Gefahr groß, dass christliche Werte in der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, weil die Stimme der Christen nicht zu hören ist. Man ist dabei dem Staat auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Außer­dem wird eine solche Haltung (eigentlich ist es eine Nichthaltung) der staatspoliti­schen Verantwortung des Christen in keiner Weise gerecht. Die Uninfor­miertheit man­cher Christen in gesell­schaftlichen und po­litischen Fragestel­lungen ist ein Ärgernis. 

5. Transformierender Glaube:

Chris­ten durchdringen die Politik

Nach dem bisher Gesagten darf nun nicht zum ersten Punkt zurückgefallen werden, der Macht der Kirche über den Staat. Eins muss an dieser Stelle fest­gehalten werden: Glaube und Politik sind zwei getrennte Dinge. Beim Glau­ben geht es um das ewige Heil, bei der Politik um das irdische Wohl. Gott ist das Letzte, der Staat ist immer das Vorletzte. Die Erlösung des Menschen durch Jesus Christus ist die zentrale Mitte aller Geschichte, nicht irgendwel­che welt­politischen Ereignisse. Die Re­geln der Po­litik sind andere als die Re­geln der Ge­meinde. Glaube und Politik müssen ge­trennt werden, Politik und Evangelium dür­fen nicht vermischt werden. Politiker müs­sen wissen: Es gibt jemand über mir, vor dem ich mich für mein Handeln rechtferti­gen muss. Gott ist allmächtig, nicht ich. Christen müssen wissen: die Obrigkeit ist nicht Gott. Es geht um die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat. Dazu ist alle Anstrengung nötig. 

Diese fundamentale Erkenntnis der Tren­nung von Glaube und Politik, Kir­che und Staat, die Augustin und Luther je auf ihre Weise in hervorragender Weise formuliert haben, wurde in der Geschichte sowohl von vielen politi­schen wie auch vielen kirchli­chen Ver­antwortungsträgern mit Füßen getreten. Wer die Politik mit Glauben ver­wech­selt, überfordert den Staat und schafft totalitäre Ideologien. Wer Glaube mit Poli­tik verwechselt, entleert das Evan­gelium und schafft totalitäre Kirchen. Diesen Ge­fahren sind leider Christen und Politiker zu allen Zeiten nicht ent­kommen.

Aber das andere muss genauso gesagt wer­den: Der Glaube hat etwas mit der Politik zu tun. Es gibt gemeinsame Schnittmengen. Das Reich Gottes ist natürlich ein jenseiti­ges Reich, nicht von dieser Welt. Aber es bricht sich auch schon im Diesseits Bahn. Das Heil ist das eigentliche Ziel Gottes mit der Welt, was aber das Wohl der Erde nicht vollständig ausschließt. Das Heil der Seele ist primär, aber das Heil des Kör­pers ist nicht unwichtig. Der Glaube ist keine abge­hobene rein geistliche Größe, sondern eine irdisch fassbare Wirklich­keit. Gott kam bewusst in Jesus Chris­tus in die Welt und wurde Mensch, ob­wohl er ganz Gott war. Christus jam­merte über die verlorenen Seelen, aber auch über die kranken, ver­schmachte­ten und ruhelosen Geister seiner Zeit. Er lehrte das Volk, heilte Kranke, speiste die Armen, zahlte Steuern, wies politi­sche Machthaber in ihre Schran­ken, vertrieb die Wechsler aus dem Tempel – wenn das keine politischen Handlun­gen waren, was sonst? Paulus berief sich auf sein römisches Bürger­recht, wies die da­maligen Herrschen­den mit aller Deutlich­keit und Einfühl­samkeit zurecht, diskutierte mit der geistigen Elite in Athen.

Deshalb ist die Existenz des Christen als Bürger dieser Welt auch immer eine politi­sche. Es gibt kein rein privates Christen­tum. Selbst wenn man nicht zu Wahl geht, wählt man, denn man stärkt dadurch die Stimmen der anderen, die wählen (meist die Stimmen der Par­teien an den Rändern). Christen sind zwar nicht „von“ der Welt, aber sie sind im­mer noch (hoffentlich) „in“ der Welt –  ob sie das wollen oder nicht.

Genau deshalb sagt Jesus Christus in der Bergpredigt zu seinen Jüngern: „Lasset Euer Licht leuchten vor den Menschen“ (Mt 5,16). Genau deshalb heißt die Aufforde­rung Jeremias an seine bedrängten Leidens­genossen in Babel: „Suchet der Stadt Bes­tes“ (Jer 29,7). Wenn Gott diese Welt nicht egal ist, wie viel mehr darf sie Christen nicht egal sein. Es geht um Transformation, um eine Durchdringung der Gesell­schaft mit den Werten des Evangeli­ums. Es geht darum, dem Staat deut­lich zu machen, dass er auf Funda­menten ruht, die er selber nicht schaf­fen kann. In unserer freiheitlichen Staatsordnung hat uns die Politik die Mög­lichkeit ein­geräumt, öffentliche Verant­wortung zu übernehmen. Das kann auf re­gionaler wie auf bundespoli­tischer Ebene ge­schehen, durch das Engagement in Schulen und Vereinen, durch Einfluss­nahme auf Politiker als Volksvertreter, durch Leserbriefe an Zeitungen, Rück­mel­dungen an Fern­sehsender, aber auch durch den Ein­satz für die freiheitlichen Grund­rechte einer Gesellschaft. Beson­ders wich­tige Werte für Christen wie der Lebens­schutz, die Stärkung von Ehen und Familie, der Schutz vor irre­führender Sexualität oder die Religions­freiheit sind heute bedroht. Das soll aber nicht zur Resignation führen, son­dern im Gegenteil zu einem mutigen Engage­ment in und für diese Welt. 

Letztlich wird nicht jedes Engagement von direktem Erfolg gekrönt sein. Auch darf der Einsatz für das Wohl der Welt nicht den Einsatz für deren Heil überla­gern. Jeder Christ weiß, dass paradiesi­sche Zustände erst von Gott geschaf­fen werden, nicht von uns. Aber das ent­bindet uns nicht unserer Verantwor­tung, den Menschen von heute, die ihre Würde durch ihre Ebenbildlichkeit be­kommen haben, helfend bei Seite zu ste­hen, Leid zu lindern, Recht zu schaf­fen und Ungerechtigkeit zu bekämpfen.

Was wir heute brauchen sind hellwache Christen, die bereit sind, sich die Finger schmutzig zu machen im Geschäft der All­tagspolitik, ohne ihre Überzeugun­gen zu verleugnen. Nur wer den Notlei­den­den nicht aus dem Sumpf zieht, be­hält saubere Hände. Wer dagegen zu­packt, macht sich dreckig. Hier ist jeder ein­zelne gefragt, nicht nur die Institu­tion Kirche. Was wir auch brauchen ist eine gemeinsame Strate­gie, wie wir den un­christlichen Entwick­lungen in unse­rer Gesellschaft Paroli bieten können. Dazu müssen Sachverstand und Au­genmaß kommen. Große Aufgaben, aber nicht zu groß für einen Gott, der sich selber für uns die Finger schmutzig machte.

Abdruck mit freundlicher Genehmi­gung aus Bibel und Gemeinde 109 (Nr. 3, 2009), S. 55-62.

© 2010 Institut für Ethik & Werte

Prof. Dr. Stephan Holthaus

Prof. Dr. Stephan Holthaus

Endnoten

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    Abdruck mit freundlicher Genehmi­gung aus Bibel und Gemeinde 109 (Nr. 3, 2009), S. 55-62.

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