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Politische EthikPolitische Erklärungsschriften

„Sucht der Stadt Bestes“ – Zur Verantwortung der Christen in Staat und Gesellschaft

Eine Stellungnahme der Deutschen Evangelischen Allianz

Präambel1Eine Veröffentlichung des Hauptvorstands der Deutschen Evangelischen Allianz

Die Evangelische Allianz in Deutschland (DEA) ist ein Bund von Christen, die verschiedenen Kirchen, Gemeinden und Gruppen angehören. Die Evangelische Allianz ist eine der ältesten Einheitsbewegungen der Christenheit. In ihr pflegen Christen – über ihre Zugehörigkeit zur eigenen Gemeinde hinaus – Gemeinschaft mit anderen Christen aus anderen Denominationen. Ihre Mitglieder leben in Deutschland sowohl in lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen als auch in verschiedenen Freikirchen, unabhängigen Gemeinden, Hauskirchen und Dienstgruppen sowie in Landeskirchlichen Gemeinschaften und anderen christlichen Denominationen, auch in den orthodoxen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche. Die DEA ist Teil der weltweiten „evangelikalen Bewegung“, die ca. 500 Millionen Christen umfasst. Was die Bewegung inhaltlich eint, ist die Betonung einer persönlichen Hinwendung des Menschen zu Jesus Christus, die Hochachtung der Bibel als Wort Gottes, das Ringen um eine integre und wertebezogene Lebensführung, das Anliegen von Mission und sozialer Verantwortung, eine verbindliche Mitarbeit in einer Kirchengemeinde oder christlichen Dienstgruppe vor Ort sowie das Engagement für ganzheitliche Bildung. Christen der Evangelischen Allianz stehen in der Tradition der historischen Erneuerungsbewegungen des Pietismus und der Erweckung.  Sie arbeiten national und international in verschiedenen Organisationen und Arbeitskreisen zusammen.

Mit dieser Stellungnahme tritt die Deutsche Evangelische Allianz an die Öffentlichkeit, um ihr gesellschaftliches und politisches Engagement bekannt zu machen. Die Erklärung ist Ausdruck unseres Verantwortungsbewusstseins für das äußere Wohlergehen der Gesellschaft, wie es sich bei uns in den vergangenen Jahren verstärkt bemerkbar gemacht hat.

Der Ausgangspunkt unserer Überzeugungen ist die Reflexion über die Aussagen der Bibel. Die Heilige Schrift enthält zwar keine detaillierten Anweisungen für die Alltagspolitik, gibt uns Christen aber Leitlinien und Prinzipien für das richtige Handeln im privaten wie auch im öffentlichen Leben, vor allem durch ihr Menschenbild und ihre Ethik. Darüber hinaus sind auch die politischen Erfahrungen von Christen in der Geschichte sowie ihre sozialen Einsichten Wegweiser für unser politisches und gesellschaftliches Handeln.

Grundlegend für das politische und gesellschaftliche Engagement sind christliche Grundwerte. Freilich lassen sich daraus für viele komplexe Herausforderungen der aktuellen Politik keine direkten Antworten ableiten. Auch wir Christen stehen – wie alle politisch engagierten Menschen – in einem Ringen um den angemessenen Weg, bei dem das verantwortungsvolle Abwägen der Faktenlage im Vordergrund stehen muss. In diesem Sinne ist auch dieses Dokument vorläufig und unvollkommen. Es erhebt nicht Anspruch auf Vollständigkeit, sondern beschränkt sich auf einige wesentliche Überzeugungen der Evangelischen Allianz.

Viele in diesem Dokument enthaltene Überzeugungen unterscheiden sich nicht von den Positionen anderer christlicher Gruppen in unserem Land, insbesondere nicht von Positionen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) oder der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Auch dadurch wird deutlich, dass die Evangelische Allianz Teil der Gesamtchristenheit in unserem Land ist und keinen Sonderweg vertritt. Viele der Allianz verbundenen Christen gehören den Volkskirchen an. Ihre Lebensführung entspricht der allgemeinen Tradition der protestantischen Ethik und der Ethik der Minderheitenkirchen. In einigen Punkten wird man jedoch Unterschiede in der Gewichtung oder sogar eigenständige Positionierungen erkennen können.

Die ca. 1,4 Millionen Christen, die sich nach verschiedenen Schätzungen der Evangelischen Allianz in Deutschland zugehörig fühlen, haben nicht in allen Einzelfragen einheitliche politische Überzeugungen. Sie wählen unterschiedliche Parteien und lassen sich nicht in ein Links-Rechts-Schema oder in andere politische Kategorien einordnen. Innerhalb der Bewegung gibt es in politischen Einzelfragen Auseinandersetzungen und Konflikte, vor allem bei den spezifischen Lösungswegen in der Realpolitik oder bei der Frage nach der Notwendigkeit von „christlichen Parteien“. Trotzdem gibt es politische Grundüberzeugungen, die allen Christen in der Allianz-Bewegung wichtig und die mit ihrem Glaubensverständnis verbunden sind. Diese Schwerpunkte sollen in diesem Dokument dargestellt werden.

Wir hoffen, dass wir damit politisch und gesellschaftlich Interessierten einen sachgerechten Einblick in die Überzeugungen der Evangelischen Allianz geben können. Diese Stellungnahme soll darüber hinaus aber auch Christen der Evangelischen Allianz selbst anregen, sich intensiver mit politischen Fragen auseinanderzusetzen und sich gesellschaftlich und politisch zu engagieren.

Das Verhältnis der Evangelischen Allianz zum Staat 

Die Evangelische Allianz bejaht ohne Einschränkung den freiheitlich- demokratischen Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland und ist dankbar für die Freiheiten und Privilegien, die der Staat einzelnen Bürgern sowie auch christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften einräumt. Zu den von Gott vorgesehenen und legitimierten Institutionen des Gemeinwesens zählt für uns auch der Staat. Ihn zu unterstützen und kritisch zu begleiten gehört für uns zur ethischen Verpflichtung.

Wir sind dankbar für die derzeitige demokratische und rechtsstaatliche Staatsform mit den grundlegenden Prinzipien der Volkssouveränität und Gewaltenteilung. Sie hat sich bewährt und steht im Einklang mit den Werten des christlichen Glaubens. Als überzeugte Demokraten nehmen wir deshalb aktiv politische Verantwortung wahr und beteiligen uns an notwendigen Diskussionsprozessen.

Bei aller Hochschätzung der Souveränität des Volkes sind sich Christen jedoch bewusst, dass ihr Gewissen letztlich an Gott und seine Gebote gebunden ist. Im Sinne der Präambel des Grundgesetzes sehen sie die leitenden Werte des politischen und gesellschaftlichen Handelns „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen“. Wir sind überzeugt, dass unser Staat von Voraussetzungen lebt, die er selber nicht garantieren kann (Böckenförde-Diktum). Diese Voraussetzungen sind aus der geschichtlichen Kultur unseres Landes ableitbar und sowohl vom jüdisch-christlichen Wertekanon wie von den Prinzipien der Aufklärung geprägt. Die Evangelische Allianz redet keinem „christlichen Staat“ das Wort, ermutigt jedoch Regierende, sich der christlichen Wurzeln der modernen Demokratie zu erinnern, sie zu fördern und sich davon leiten zu lassen.

Grundlegend ist für uns: Kirche ist nicht Staat und Staat ist nicht Kirche. Die klare Unterscheidung zwischen dem geistlichen Auftrag der Kirche und dem weltlichen Auftrag des Staates ist elementar. Nach unseren Überzeugungen darf sich weder der Staat anmaßen, als totalitäre Ideologie alle Lebensbereiche seiner Bürger zu bestimmen, noch die Kirche, weltliche Herrschaft im säkularen Staat ausüben zu wollen. Die Vermischung der Verantwortungsbereiche von Kirche und Staat hat in den letzten 2.000 Jahren immer wieder zu tragischen Konsequenzen geführt. Die Evangelische Allianz begrüßt die Trennung von Kirche und Staat, ebenso die Gewaltenteilung und den Föderalismus, die als Kontrollfunktionen dienen und eine Absolutsetzung einer der Staatsgewalten verhindern. Sie bestätigen unsere Überzeugungen, dass wir als Sünder zum Missbrauch von Macht neigen und deshalb Macht beschränkt werden muss. Wir stehen darüber hinaus zum Prinzip der Subsidiarität mit der Stärkung einer selbstverantwortlichen Lebensführung der Bürger.

Der Hauptauftrag der Kirche besteht in der Evangeliumsverkündigung und der Pflege des christlichen Glaubens. Als Glieder der Christengemeinde sind Christen jedoch auch gleichzeitig Teil der Bürgergemeinde. So sind sie als Teil des Staates zu gesellschaftlichem Engagement aufgerufen. Sie verstehen die „Unterordnung unter die staatliche Obrigkeit“ (Römer 13,1) als aktive Mitverantwortung. Ein Rückzug aus der politischen Verantwortung entspricht nicht dem neutestamentlichen Zeugnis und hat in der Vergangenheit oft zu verhängnisvollen Entwicklungen geführt. Die Kirche soll als „Salz“ und „Licht“ dieser Welt (Matthäus 5,13–16) an die guten Ordnungen und Gebote Gottes erinnern und ihre Stimme zur Überwindung von ungerechten Strukturen und Verhältnissen erheben. Darüber hinaus ermutigt sie Menschen durch die Evangeliumsverkündigung und die daraus folgende Hinwendung zu Jesus Christus, ihre Verantwortung als Mitbürger der Zivilgesellschaft wahrzunehmen. Die Kirche macht selbst keine Politik, trägt aber zur Wertorientierung in der Politik bei.

Nach christlicher Überzeugung sind die Hauptaufgaben des Staates die Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens, die Erhaltung der Gerechtigkeit und die Eindämmung von Unrecht in der Gesellschaft (Römer 13,3–4). Auch die Förderung ethischer Grundlagen im Sinne der „Belohnung des Guten“ obliegt dem Staat. Er hat damit die wichtige Aufgabe, Gerechtigkeit und Freiheit in konkreten Lebensordnungen zu gewährleisten.

Mit Dankbarkeit und Respekt sieht die Evangelische Allianz auf die Leistungsfähigkeit der verfassungsrechtlichen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, die durch das Grundgesetz hervorragend geschützt ist, und das Engagement der politischen Verantwortungsträger in unserem Land. Seit vielen Jahren gilt Deutschland als Ort verantwortungsvollen Regierens. Wir wünschen uns auch in Zukunft einen glaubwürdigen und fairen Politikstil, ethisches Verantwortungsbewusstsein in allen politischen. Entscheidungen, Abstimmungen, bei denen die Parlamentarier ihrem Gewissen verpflichtet sind sowie einen vorbildhaften integeren Lebensstil politischer Verantwortungsträger. Auf diese Weise kann der Politikverdrossenheit, die sich auch in unseren Kreisen breitmacht, entgegengewirkt werden.

Bei allen legitimen Unterschieden in der politischen Orientierung halten wir angesichts der derzeitigen großen gesellschaftlichen Herausforderungen ideologische Scheuklappen und Fundamentalopposition für verhängnisvolle Wege. Wir bitten alle Politiker, auf der Basis ihrer Überzeugungen über die eigenen Parteigrenzen hinauszusehen und unvoreingenommen allein aufgrund von Sachargumenten politische Entscheidungen zum Wohl des Ganzen zu treffen.

Zu den vornehmsten Aufgaben der Christen gehört das Gebet für die Obrigkeit (1. Timotheus 2,1–2). Weil sie den Staat als von Gott gesetzte Ordnung und menschliche Einrichtung zugleich verstehen, wird er von ihnen unterstützt (Matthäus 22,15–22; 1. Petrus 2,17), gefördert und kritisch begleitet (Römer 13,1; Titus 3,1). Im demokratischen Staat sind Christen aufgerufen, der „Demokratie zu geben, was der Demokratie ist“ (so der Titel unserer 1994 veröffentlichten Erklärung zur Demokratie), nämlich sich an Wahlen zu beteiligen, sich aber auch darüber hinaus vermehrt in der Öffentlichkeit zu engagieren, weil sie die Verantwortung für die Gesellschaft als Teil ihres Dienstes an den Menschen verstehen (1. Mose 1,27–28), denen sie Gutes zu tun bestrebt sind (1. Petrus 2,15; 3,17). Weil die Herrschaft Christi alle Lebensbereiche umfasst, hat Christsein für die Evangelische Allianz nicht nur eine private, sondern auch eine öffentliche Dimension.

Die Allianz-Bewegung versteht sich grundsätzlich als konstruktiv-kritische Begleiterin aller Regierungen und Parteien, unabhängig davon, welchem politischen Spektrum sie angehören. Immer wieder wird es dabei Situationen geben, in denen Überzeugungen von Regierungen im Kontrast zu Überzeugungen der christlichen Ethik stehen. Christen der Evangelischen Allianz sehen es als ihre politische Verantwortung an, in diesen Fällen respektvoll ihre Positionen ins Gespräch zu bringen. Sie leisten gewaltlosen Widerstand gegen Regierungen, die ihre Macht auf ungerechte Weise ausüben (Apostelgeschichte 5,29). Jede Form von aggressiver oder militanter Einflussnahme auf den Staat oder auf Andersdenkende lehnen wir kategorisch ab, weil sie nicht dem Evangelium entsprechen.

Christen der Evangelischen Allianz stehen als Bürger ihres Landes ihrer eigenen Nation loyal gegenüber. Gerade weil sie sich ihrer Identität als Deutsche bewusst sind, lehnen sie eine Vergötzung des Volkes und eine Profilierung der eigenen Nation auf Kosten anderer Völker ab. Sie treten für die Gleichbehandlung aller Bürger ein.

Menschenrechte und Religionsfreiheit 

Für die Evangelische Allianz ist der Einsatz für Menschenrechte elementar. Dazu zählen für sie Werte wie Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen, wie sie in den klassischen Texten der Menschenrechte formuliert sind. Diese Rechte sind universell, unteilbar und unveräußerlich. Eine Diskriminierung der Menschen auf Grund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Sprache, Religion, nationaler und sozialer Herkunft und sonstiger Überzeugungen lehnen wir daher strikt ab. Der Einsatz für die Abschaffung der Sklaverei und für die weltweite Religionsfreiheit war in der Geschichte untrennbar mit unserer Bewegung verbunden. Die Erfahrungen unterdrückter Minderheitenkirchen haben unsere Bewegung tief geprägt.

Die Grundlage unseres Einsatzes für Menschenrechte finden wir im christlichen Glauben und im christlichen Menschenbild. Weil nach diesem Verständnis Gott die Menschen nach seinem Ebenbild schuf (1. Mose 1,27), hat ausnahmslos jeder Mensch Anteil an der gottgegebenen Würde. Diese Würde erschließt sich nicht aufgrund seiner menschlichen Fähigkeiten und Leistungen, seiner Herkunft oder Dispositionen, sondern allein aufgrund seines besonderen Verhältnisses zu Gott. Diese Personwürde ist unantastbar.

Gott hat den Menschen in Freiheit geschaffen, sein Leben selbstbestimmt leben zu können (1. Mose 1,28). Diese Freiheit schließt auch die Entscheidung ein, ohne Gott leben zu wollen. Die Freiheit des Menschen darf jedoch nicht zum Nachteil des Nächsten missbraucht werden. Sie ist an die Solidarität mit den Mitmenschen gebunden und ist damit verantwortliche Selbstbestimmung (3. Mose 19,18). Einen ausschließlich auf sich selbst bezogenen Individualismus als Lebensprinzip lehnen wir ab. Er entspricht nicht dem sozialen Verständnis des Menschen und schädigt das Wohl der Gemeinschaft.

Christen der Evangelischen Allianz sehen wie viele andere eine besondere Verantwortung für die Schwachen und Ausgegrenzten in der Gesellschaft. Sie wenden sich gegen jede Form von Rassismus und beugen sich unter die Schuld der Christenheit, in der Vergangenheit Rassismus gefördert, unterstützt oder geduldet zu haben. Jede Form von Sklaverei, auch in der modernen Form der Ausbeutung und des Menschenhandels, ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Hass gegen Minderheiten, Juden oder Ausländer widerspricht diametral der biblischen Ethik und ist Schuld vor Gott und den Menschen. Wir fordern, dass Menschen mit Behinderung stärker als bisher am gesellschaftlichen Leben teil- haben können und wollen uns selbst dafür in unseren Gemeinden und Werken aktiv einsetzen. Wir fordern die Regierung auf, sich noch mehr für die Durchsetzung der Menschenrechte weltweit, insbesondere in islamischen Ländern und Ländern des ehemaligen Ostblocks, einzusetzen. Als Evangelische Allianz lehnen wir Folter und Repressalien ab.

Wir wenden uns ebenso gegen die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der geschlechtlichen Orientierung, auch angesichts der verhängnisvollen Unterdrückung der Homosexuellen im Dritten Reich. Wir begegnen Vertretern einer anderen geschlechtlichen Orientierung mit Respekt und Würde, sehen allerdings praktizierte Homosexualität – wie andere Formen der außerehelichen Sexualität – grundsätzlich als unvereinbar mit der für den christlichen Glauben maßgebenden biblischen Ethik an. Wir wenden uns außerdem gegen Versuche, gleich- geschlechtliche Lebenspartnerschaften der im Grundgesetz herausgehobenen klassischen Ehe gleichzustellen, auch wenn wir respektieren, dass sich das Rollenverständnis der Geschlechter im Laufe der Geschichte immer wieder verändert.

Zu unseren Überzeugungen gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Nach unserem Verständnis hat Gott beide Geschlechter gleichberechtigt und gleichwertig geschaffen (1. Mose 1,26–27). Des- halb lehnen wir alle Ungerechtigkeiten, Gewaltanwendungen und Unterdrückungen von und gegen Frauen ab, wie sie in vielen Ländern der Welt geschehen.

Andererseits betonen wir die vom Schöpfer gewollte geschlechtliche Unterschiedlichkeit von Mann und Frau und ihre unterschiedliche Zuordnung in Ehe, Familie und Gesellschaft. Auch wenn sich das Rollen- verhalten soziologisch und kulturell im Lauf der Geschichte gewandelt hat und wandelt, lehnen wir eine prinzipielle Gleichmacherei der Geschlechter und eine Nivellierung der Geschlechtsunterschiede ab, da sie der Natur des Menschen zuwiderlaufen.

Wir bekräftigen die Religions-, Gewissens- und Versammlungsfreiheit, nicht zuletzt auch in Anbetracht der eigenen verhängnisvollen Geschichte der Christenheit mit ihrer gewaltsamen Unterdrückung von Menschen anderer Religionen, aber auch angesichts der heutigen Christenverfolgungen in vielen Ländern der Welt. Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, sich für verfolgte Christen weltweit einzusetzen. Die Religionsfreiheit muss auch die Freiheit zum Religionswechsel beinhalten.

Der Einsatz für Religionsfreiheit schließt für uns ausdrücklich die Freiheit anderer Religionen ein, ihren Glauben in unserem Land auszuüben. Dafür hat sich die Evangelische Allianz seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert eingesetzt. In einer pluralistischen Gesellschaft leben Menschen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen nebeneinander (Matthäus 13,24–30; 5,45). Der Staat hat die Aufgabe, die Freiheit religiöser Standpunkte und Praktiken zu achten und zu schützen, so lange sie nicht der freiheitlichen Verfassung und den Menschenrechten zuwiderlaufen.

Zur Religionsfreiheit gehört auch das Recht auf öffentliche Darstellung des Glaubens, auf friedliche Mission und auf Religionswechsel. Christen der Evangelischen Allianz wollen so unter der Wahrung der Menschenwürde des Anderen ihre Botschaft von der Liebe Gottes „in Sanftmut und Ehrerbietung“ (1. Petrus 3,15f.) weitergeben.

Eine radikal laizistische Staatsordnung, in der der Staat die Religion völlig aus dem öffentlichen Leben ausblendet, lehnen wir ab. Damit würde man sich insbesondere in Europa der kulturellen Wurzeln, die ohne das Christentum undenkbar sind, entledigen. Wir sind dankbar für das in Deutschland vorherrschende Modell der Trennung von Kirche und Staat bei gleichzeitiger enger Zusammenarbeit. Wir begrüßen, dass bei uns die Kirche nicht den Staat und der Staat nicht die Kirche kontrolliert, gleichzeitig aber Kirche und Religion im öffentlichen Raum präsent sind und nicht in den privaten Bereich abgedrängt werden.

Außenpolitik und Weltverantwortung 

Die Bewegung der Evangelischen Allianz ist auf allen Kontinenten verbreitet. Viele von der Evangelischen Allianz geprägte Gemeinden, Gemeinschaften und Werke haben durch Missionare, die im Ausland arbeiten, eine globale Perspektive. Von daher steht die Evangelische Allianz Fragen der internationalen Politik aufgeschlossen gegenüber.

Ein entscheidendes Anliegen ist für sie der Frieden auf der Welt. Christen sind von Gott herausgefordert, Friedensstifter zu sein (Matthäus 5,9). Sie haben in der Vergangenheit aktiv friedensstiftende Aktionen gefördert. Umstritten ist unter ihnen der Weg, wie man zum globalen Frieden kommt. Die meisten Christen sind überzeugt, dass in einer gefallenen Schöpfung Gewaltanwendung als ultima ratio notwendig sein kann. Andere wiederum kommen aus einer pazifistischen Tradition der täuferischen Bewegung und lehnen jede Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele ab. Sie sensibilisieren die ganze Bewegung der Evangelischen Allianz dafür, dass Gewalt und insbesondere Krieg meist nur Ungerechtigkeit hervorbringt. Unterschiedliche Meinungen gibt es auch in der Frage, ob man andere Völker von Unterdrückung befreien soll oder Kriege im Sinne der Prävention durchführen darf.

Abgesehen von diesen Differenzen bleibt es aber der gesamten Evangelischen Allianz in Deutschland ein Anliegen, dass internationale Konflikte, wenn irgend möglich, friedlich gelöst werden sollen. Bei jedem Krieg leiden Unschuldige. Wir rufen daher die Bundesregierung auf, sämtliche Mittel auszuschöpfen, damit bei internationalen Konflikten gewaltfreie Lösungen gefunden werden. Sollte es dennoch zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen, muss darauf gedrungen werden, sie so schnell wie möglich zu beenden und die internationalen Menschenrechte zu achten. Insgesamt sollten weltweit Abrüstungsprozesse beschleunigt werden. Für ein friedliches Miteinander auf dieser Welt ist aber auch ökonomische Gerechtigkeit voranzutreiben. Dabei wissen wir, dass „Friede“ noch eine höhere Qualität hat als den Zustand eines Waffenstillstandes oder den Zustand einer Nicht-Kriegssituation. Er ist ein Zustand des ganzheitlichen Wohlseins des Menschen.

Obwohl es ein globales und in jeder Hinsicht intaktes Friedensreich nach christlichem Verständnis erst in der Ewigkeit geben wird, sind Christen aufgefordert, heute schon aktive Friedensstifter auf Erden zu sein. Dazu setzen sie sich für versöhnte Beziehungen mit den Nächsten ein und nutzen ihre internationalen und interkulturellen Kontakte. Christen der Evangelischen Allianz können hier durch ihre weltumspannenden Beziehungen eine wichtige Rolle spielen.

Eine große Herausforderung unserer Zeit ist die Integration von Migranten. Christen der Evangelischen Allianz haben durch ihre internationalen Aktivitäten viel Erfahrung im Umgang mit anderen Kulturen. Ausländische Mitbürger und Deutsche mit Migrationshintergrund besuchen unsere Kirchen und Gemeinden. Darüber hinaus gibt es viele fremdsprachige evangelikale Migrationskirchen. Die „Liebe zum Fremdling“ ist uns eine Christenpflicht und der Schlüssel zu den Herzen der ausländischen Mitbürger.

Wir fördern bei Migranten die Bereitschaft, sich in die Kultur vor Ort einzufügen und helfen ihnen dabei, keine Parallelgesellschaften zu bilden, die dem Staat das Rechts- und Gewaltmonopol streitig machen. Dabei müssen Migranten unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung anerkennen und die christlichen Wurzeln unseres Staates respektieren. Umgekehrt gehören aber zum rechten Miteinander auch die Bereitschaft zum echten Kennenlernen fremder Kulturen, die Freiheit der Religionsausübung anderer Religionen und die kritische Infragestellung der derzeitigen Lebenswelten unseres Landes. Ein friedliches Miteinander funktioniert nur in einem Geist des Respekts und des offenen Dialogs.

Wir begrüßen, dass der Einigungsprozess der Europäischen Union das friedliche Zusammenleben der Völker Europas nach Jahrhunderten des Krieges gefördert und die Religionsfreiheit gestärkt hat. Eine zunehmende Außerkraftsetzung der Souveränität der Einzelstaaten durch die Europäische Union sollte aber vermieden werden, insbesondere, wenn Fragen der kulturellen Geschichte, Identität und des Werteverständnisses einer Nation betroffen sind.

Nicht nur angesichts der deutschen Vergangenheit, sondern auch durch die geistliche Verbundenheit der Christen mit den Juden als dem alttestamentlichen Gottesvolk, sprechen wir uns gegen jede Form von Antisemitismus aus und treten für das Existenzrecht des Staates Israel ein. Wir stellen uns gegen Bestrebungen in unserem Land, die den Holocaust leugnen und antijüdische Agitationen betreiben. Wir bitten alle Regierenden, sich aktiv für den Frieden im Nahen Osten, das Existenzrecht Israels und für die Eindämmung des Antisemitismus in unserem Land einzusetzen. Gleichzeitig treten wir für Versöhnung zwischen Israel und den arabischen Völkern ein.

Ehe und Familie 

Der Schutz von Ehe und Familie ist uns als Evangelische Allianz ein großes Anliegen. Ehe und Familie sind nach unserer Überzeugung gottgegebene Ordnungen und elementar für das harmonische Zusammenleben der Menschen. Sie sind Eckpfeiler der Stabilität der gesamten Gesellschaft.

Die Ehe ist ein lebenslanger Bund zwischen Mann und Frau, der von Liebe, Fürsorge, Treue und Solidarität geprägt sein soll. Familie ist nach unserem Verständnis der primär von Gott vorgesehene Ort für die Kindererziehung. Hier erleben Kinder Sicherheit, Geborgenheit, Verantwortungsbewusstsein, Vertrauen, Liebe und Gehorsam. Kinder entwickeln und entfalten in und durch die Familie ihre Persönlichkeit und bekommen ein Wertegerüst für ihr Leben. Sie lernen dort Freiheit und Solidarität so- wie auch Grenzen kennen.

Intakte Ehen und Familien sind nicht nur für den einzelnen Menschen von Bedeutung, sondern auch für die Gesellschaft. Sie stabilisieren nicht nur in demographischer, sondern auch in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht das öffentliche Gemeinwesen. Wir sind dankbar für den im Grundgesetz erwähnten Schutz von Ehe und Familie (Artikel 6 Absatz 1) und für entsprechende Gesetze. Gleichzeitig sehen wir mit Sorge in der gegenwärtigen politischen Entwicklung auch Kräfte am Werk, die klassische Ehen und Familien schwächen. Alternative Lebensmodelle, denen gleiche Rechte eingeräumt werden, erbringen nicht vergleichbare Leistungen wie die klassischen Ehen und Familien.

Wir fordern den Staat auf, die klassische Ehe und Familie nicht nur durch Gesetze und Verordnungen weiterhin aktiv zu fördern, sondern vermehrt Anreize zu schaffen, dass mehr Kinder geboren werden, ohne dabei auf die freie Entscheidung der Paare direkt einzuwirken. Weil die Erziehung der Kinder für uns höchste Priorität in der Lebensgestaltung von Eltern hat, wollen wir alles tun, um Ehen und Familien zu stärken. Zu den sozialen Aufgaben des Staates gehört es auch, Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern zu unterbinden und jedem Kind – unabhängig von seiner sozialen Herkunft – beste Bildungschancen zu eröffnen. Viele allianznahe Kinderhilfswerke sind in Deutschland aktiv, um Not zu lindern. Wir bitten die Regierenden, sich weiterhin für ein Verbot der Kinderpornographie und der Pädophilie einzusetzen.

Außerdem muss die soziale Benachteiligung von Familien beendet werden. Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein. Der Staat sollte dabei die Freiheit der Familien nicht unterlaufen, indem er meint, über elementare Bereiche der Erziehung bestimmen zu müssen. Die Erziehung des Kindes, auch die Sexualerziehung, muss in erster Linie in der Hand der Eltern bleiben. Wir fordern eine echte Wahlfreiheit in der Debatte um „Krippenplätze“ und die Einführung eines „Betreuungsgeldes“. Generell sollte die Erziehungsleistung von Vätern und Müttern mehr gewürdigt und Familienzeiten stärker rentenwirksam angerechnet werden. Die Diskussion um die Einführung eines „Erziehungsgehaltes“ zeigt die Notwendigkeit, die Situation von Vätern und Müttern zu verbessern.

Angesichts des „demographischen Faktors“ und der zunehmenden Infragestellung der Generationengerechtigkeit sollten die Regierenden alles in ihrer Macht Stehende tun, damit es in unserem Land wieder zu einem „Ja zu Kindern und Familien“ kommt und die Kinderlosigkeit überwunden wird. Die Bereitstellung von finanziellen Mitteln ist dafür nur ein erster Schritt. Mit der Politik zusammen wollen wir uns dafür einsetzen, dass es auch zu einem Sinneswandel hin zur Familie kommt.

In diesem Zusammenhang betonen wir auch die Notwendigkeit, gerade Jugendlichen gute Chancen zu einem selbst bestimmten Leben zu geben. Aus diesem Grund legen wir traditionell besonderen Wert auf gute Angebote christlicher Jugendarbeit, in der die Vermittlung lebensbejahender christlicher Grundwerte und sozialer Kompetenz geschieht. Diese Angebote müssen auch in Zukunft vermehrt gefördert und vielen Jugendlichen zugänglich gemacht werden.

Auch muss das Wohl der zunehmenden Zahl von Senioren in unserem Land stärker in den Blickwinkel der Realpolitik treten. Alte Menschen dürfen nicht allein nach dem Nutzen für die Volkswirtschaft beurteilt werden. Sie sind mit ihrer Lebenserfahrung ein großer Segen für unser Land. Für uns Christen sind Ehrfurcht und Respekt vor alten Menschen eine Verpflichtung. Auch der Staat hat die Aufgabe, Maßnahmen zu fördern, die die soziale Versorgung der Rentner sichern und die wachsende Zahl von Pflegefällen in den Blick nehmen. Über allem sind aber hier Familien gefordert, ihre ganzheitliche Verantwortung und ihre Fürsorgepflicht für Eltern und Großeltern zu übernehmen. Einen „Kampf der Generationen“ darf es in unserem Land nicht geben. In der Realpolitik muss allerdings auch die „Generationengerechtigkeit“ gewährleistet werden.

Lebensrecht und Lebensschutz 

Gott ist der Schöpfer und Erhalter allen Lebens. Von ihm her erhält jeder Mensch seine Würde. Leben darf deshalb nicht als Mittel zum Zweck missbraucht werden. Das Lebensrecht ist für uns ein nicht zu verhandelnder Wert und darf in unserer Gesellschaft nicht an Bedingungen geknüpft werden.

Die Würde des Menschen gilt auch für die Ungeborenen. Gottes Fürsorge beginnt schon beim Kind im Mutterleib (Psalm 139,13). Zu Recht stellt daher das Embryonenschutzgesetz den Menschen ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle unter gesetzlichen Schutz. Wir sind der Meinung, dass Abtreibung, Selektion von menschlichen Embryonen, Forschungen mit embryonalen Stammzellen, die das Töten von Embryonen billigend in Kauf nehmen, menschliches Klonen, Diskriminierung aufgrund genetischer Information und aktive Sterbehilfe die gottgegebene Würde des Menschen verletzen. Wo solche Praktiken gesetzlich legitimiert werden, handelt die Gesellschaft gegen ihre kulturellen Wertegrundlagen und steht in der Gefahr, den Schutz von gefährdeten Menschen zu unterlaufen. Wir übersehen dabei nicht die oftmals spannungsreichen Konfliktsituationen der Betroffenen und spüren unsere Verpflichtung zu gesteigertem Beistand und Hilfe. Der Schutz der Ungeborenen, Behinderten, Alten und Kranken ist uns aber eine unaufgebbare Christenpflicht.

Wir sehen in einer verantwortungsvollen Biomedizin eine notwendige Wissenschaft zur Linderung von Krankheit und Not. Jeder technische Fortschritt bedarf jedoch ethischer Rahmenordnungen, die auch dem Wissenschaftler helfen, mit gutem Gewissen forschen zu können. Menschliche Hybris darf nicht Motiv wissenschaftlicher Forschung werden. Gefördert werden sollten alle Einrichtungen, die dem Lebensschutz dienen und Menschen auch in Krankheit und Schwäche ihre Würde erhalten.

Das gilt auch besonders für das Ende des Lebens. Weil nach christlichem Verständnis Gott der Geber und Vollender des Lebens ist, lehnen wir jede Form aktiver Sterbehilfe ab und treten stattdessen für eine Intensivierung der Palliativmedizin und Hospizarbeit ein. Nicht Hilfe zum Sterben, sondern Hilfe beim Sterben ist für Christen Ausdruck ihres Ethos des Dienens.

Wir fordern die Regierenden auch auf, mehr zu tun, damit Abtreibungen vermieden werden. Die Tötung eines Menschen im Mutterleib ist nach deutschem Recht nach wie vor rechtswidrig, auch wenn sie heute unter bestimmten Umständen straffrei bleibt. Die Beratung hat laut Gesetz zugunsten des ungeborenen Lebens zu erfolgen. Der Tatbestand der Straffreiheit führte in den vergangenen Jahren allerdings dazu, dass in der Bevölkerung Abtreibung als ein „Recht“ verstanden werden konnte. Die Regierung sollte sich dafür einsetzen, dass den Menschen die Tragweite von Abtreibungen wieder bewusster wird. Gewalt gegen Abtreibungsbefürworter lehnen wir ausdrücklich ab, fordern aber das verfassungsgemäße Recht, unsere Auffassung öffentlich artikulieren zu dürfen.

Wirtschaft und Soziales 

Wir sind als Christen dankbar für die positive wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte und den hohen Lebensstandard in unserem Land, nicht nur, weil sie uns selbst einen menschenwürdigen Lebensstandard ermöglichen, sondern auch weil wir dadurch in die Lage versetzt sind, Armen zu helfen. Wir sind der Überzeugung, dass Gott alle Güter dieser Welt gehören und die Menschen letztlich nur Treuhänder der anvertrauten Gaben sind.

Von diesem Grundsatz her sind wir als Evangelische Allianz dankbar für die Soziale Marktwirtschaft. Sie hat sich als eine tragfähige, soziale und wirtschaftliche Aspekte gleicher- maßen berücksichtigende Wirtschaftsform erwiesen, die Deutschland Wohlstand und Stabilität gebracht hat. Sie fußt auf dem christlichen Menschen- und Weltbild. Der geordnete Wettbewerb und die Gesetze von Angebot und Nachfrage werden dabei zur Förderung des Gesamtwohls nutzbar gemacht. Der Staat setzt die Rahmenbedingungen, fördert den Wettbewerb, verhindert Monopole und greift nur in Krisensituationen aktiv in das Wirtschafts- und Finanzsystem ein. Eine totalitäre Steuerung der Wirtschaft widerspricht nach unserem Verständnis dem christlichen Weltbild.

Keine Wirtschaftsordnung trägt allerdings einen Wert in sich selbst. Jede Wirtschaftsordnung kann missbraucht werden, die freie Marktwirtschaft ebenso wie die sozialistische Planwirtschaft. Der Mensch ist Sünder, auch der wirtschaftlich agierende Mensch. Entscheidend für das Gelingen der sozialen Marktwirtschaft sind eine sittliche Grundlage und eine gesicherte Rechtsordnung. Auch die soziale Marktwirtschaft ruht auf einem ethisch-moralischen Konsens, der weltanschaulich bedingt ist. In unserem Fall ist dieser Konsens durch christliche Werte geprägt. Der Verlust dieser moralischen Grundlagen in der neoliberalen Marktwirtschaft führt zu Entartungen wie Habgier und Maßlosigkeit. Deshalb ist der Staat aufgefordert, Initiativen der Wirtschafts- und Unternehmensethik aktiv zu fördern.

Der Staat sollte in Wirtschaftsprozessen als Vorbild vorangehen. Seine Ausgabenpolitik sollte sich nach festen Werten und Überzeugungen gestalten. Mit den Steuern der Bürger muss der Staat verantwortungsvoll und sparsam umgehen. Die andauernde Verschuldung des Staates ist unzulässig, da dadurch spätere Generationen belastet werden. Die ethischen Grundlagen der Staatswirtschaft sollten sich auch in der Zahlungsmoral zeigen.

Nach biblischem Ethos muss das Privateigentum geschützt werden. Deshalb sind eine übermäßige Besteuerung der Bürger und eine ausufernde Umverteilung der Güter zu vermeiden. Die Bibel spricht nicht von wirtschaftlicher Gleichheit aller Menschen. Sie fordert aber sehr wohl Chancengleichheit für alle Menschen und verurteilt die Unterdrückung der sozial Benachteiligten. Nicht das Reichwerden an sich ist verwerflich, sondern der missbräuchliche Erwerb von Vermögen auf Kosten anderer und die fehlende Bereitschaft, einen Teil des Reichtums für die Armen einzusetzen.

Als Christen haben wir ein hohes Arbeitsethos und stehen zu Werten wie Leistungsbereitschaft, Fleiß, Disziplin und Loyalität im Arbeitsprozess (2. Thessalonicher 3,10). Jeder Mensch sollte – wenn irgend möglich – das Recht auf einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz haben. Menschen ohne Arbeit sind nicht nur sozial gefährdet, sondern verlieren häufig auch ihre Würde und ihr Selbstwertgefühl. Die Regierenden sollten deshalb weiterhin alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Wir halten eine angemessene Entlohnung sowie verträgliche Arbeitsplätze und Arbeitszeiten unter Berücksichtigung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage für berechtigte Forderungen.

Christen setzen sich seit Generationen für die Linderung der Armut in der Welt ein. Wir sehen darin einen besonderen Auftrag Gottes an uns und einen Ausdruck unserer Nächstenliebe. Seit ihrer Gründung sind unzählige diakonische Initiativen aus dem Kontext der Evangelischen Allianz heraus entstanden. Sie haben das Anliegen, Menschen ganzheitlich in ihrer Bedürftigkeit zu dienen. Die Evangelische Allianz initiierte die Micha-Initiative zur Unterstützung der Millenniums-Ziele der Vereinten Nationen. Weltweit engagieren sich Christen der Evangelischen Allianz für HIV/AIDS-Kranke, Gefangene und Suchtkranke. Jeder in Not geratene Mensch ist unser „Nächster“ (Lukas 10,29–37). Der Dienst an Armen und Unterdrückten ist ein Dienst an Gott, der sich mit den Armen identifiziert (Psalm 146,5–9; Sprüche 19,17; Matthäus 25,31–46).

Wir erwarten von den Regierungen die Ausweitung einer effektiven Entwicklungshilfe und die Förderung von sozialen Programmen und Organisationen im Inland. Ziel aller Sozialprogramme sollte „Hilfe zur Selbsthilfe“ sein, damit Selbständigkeit und nicht Abhängigkeit erreicht wird. Ziel der Entwicklungshilfe muss es sein, dass sich Menschen wieder selbst versorgen können. Als verantwortliche Christen in unserem Land sind wir bereit, uns in diese Maßnahmen mit einzubringen. Wir glauben aber, dass die Entwicklungshilfe von Regierung zu Regierung oft wenig effektiv und korruptionsanfällig ist. Im Gegensatz dazu empfehlen wir, Entwicklungshilfe direkt an vor Ort verwurzelte kleinere Einheiten, Kirchen oder an erfahrene Hilfswerke zu geben.

Im internationalen Bereich fordern wir, schädliche Regelungen, die auf Kosten armer Länder gehen, abzubauen, Protektionismus einzudämmen und die Bekämpfung der weltweiten Armut zu einem zentralen Anliegen der internationalen Wirtschaftspolitik zu machen. Die Regierung sollte Organisationen, die extreme Armut, mangelnde Gesundheitsfürsorge, HIV/AIDS-Epidemien, Sklaven- und Menschenhandel und Korruption bekämpfen, aktiv unterstützen und begünstigen.

Im Rahmen der Arbeitsprozesse hat sich das System Arbeitgeber – Gewerkschaften zum Ausbalancieren der Interessen bewährt. Beide haben die Aufgabe und Verantwortung, den Erfolg des Unternehmens zu sichern, auf angemessene Vergütung zu achten und gute Arbeitsbedingungen zu sichern, die die Gesundheit der Arbeitnehmer schützen. Ethische Leitlinien wie Wahrhaftigkeit, Transparenz, Fleiß, Maß halten und Vertrauen sollten das unternehmerische Handeln bestimmen. Der Gesetzgeber sollte alles dafür tun, dass Wirtschaftskriminalität eingedämmt und das Vertrauen in die Märkte gestärkt wird. Wir fordern auch internationale Anstrengungen gegen die weltweite Korruption.

Als Evangelische Allianz fordern wir den Schutz des Sonntags. Der Ruhetag, ein Kulturgut, schützt die Gesundheit der Menschen, fördert die soziale Gemeinschaft und richtet die Menschen aus auf Gott. Der Ruhetag ist eine schöpfungsgemäße Ordnung zum Wohl aller Menschen. Von daher fordern wir von den Regierenden, dem ausufernden Trend zu Ladenöffnungszeiten am Sonntag zu widerstehen.

Die Schöpfung bewahren 

Christen sehen in der Natur die Schöpfung Gottes. Von daher leitet sich ihre Verantwortung für die Erde und ihre Ökosysteme ab. Die Sorge um unseren Planeten und seine Arten resultiert aus dem Schöpfungs- und Erhaltungsauftrag, den Gott den Menschen gegeben hat (1. Mose 2,15). Die Verwaltung der Erde ist für uns kein Freibrief für ihre Ausbeutung. Der Mensch ist nicht Herr der Schöpfung, sondern ihr Verwalter. Wir beugen uns unter die Schuld, dass auch Christen in der Vergangenheit dem Raubbau an der Natur nicht genügend Einhalt geboten haben. Gott hat die Schöpfung in sein Erlösungshandeln mit hineingenommen (Römer 8,18–23). Obwohl nach christlichem Verständnis eine vollkommene Erde und ein vollkommenes Ökosystem erst mit der neuen Welt verbunden sind, gilt es schon hier und jetzt in unserer Zeit, verantwortungsvoll mit den Ressourcen umzugehen, die Gott uns Menschen anvertraut hat.

Dementsprechend ermutigen wir die Regierenden, sich vermehrt für die Reinerhaltung der Umwelt, für sparsamen Umgang mit Ressourcen und für den Schutz der Tier- und Pflanzenwelt einzusetzen. Konsequente Nachhaltigkeit muss ein leitendes Prinzip aller politischen Entscheidungen werden. Ökologisches Verhalten sollte belohnt werden. Dabei darf es nicht um Zielsetzungen gehen, die von einem idealistischen Naturbild ausgehen und die Belange der Wirtschaft übergehen. Ausgewogene Konzepte tun Not. Die Dringlichkeit des ökologischen Anliegens wird allerdings durch den Klimawandel verstärkt, der in Zukunft besonders die ärmsten Länder treffen wird. Um unserer Verantwortung für zukünftige Generationen willen sind hier harte Einschnitte nicht zu vermeiden.

Epilog 

Das Heil, das Gott den Menschen durch Jesus Christus schenkt, ist das Zentrum unseres Glaubens und Lebens. Darum ist die Verkündigung des Evangeliums die erstrangige Aufgabe der Christen. Als Evangelische Allianz wissen wir aber auch um unsere Verantwortung für Staat und Gesellschaft. Weil Heil und Wohl zusammen gehören, hat das von Gott geschenkte Heil immer auch ethische Auswirkungen auf unsere irdische Existenz.

Wir rufen daher alle Christen in unserem Land auf, sich aktiv für das Wohl unseres Landes und für christliche Werte in der Gesellschaft einzusetzen. Wir verpflichten uns, Politiker in ihren verantwortlichen Aufgaben zu unterstützen. Wir bitten alle Christen, sich nicht nur an Wahlen in unserem Land zu beteiligen, sondern sich aktiv politisch zu engagieren und somit direkten Einfluss auf die Ausgestaltung der Politik zu nehmen. Wir fordern Christen auf, sich ausreichend über die politischen Grundfragen unseres Landes zu informieren und ihren gesetzlichen Vertretern gegenüber ihre Überzeugungen zu vermitteln.

Als verantwortungsvolle Christen wollen wir unseren Beitrag dazu leisten, dass sich in unserem privaten Umfeld Gerechtigkeit und Versöhnung entfalten, Arme und Schwache geschützt, Familien erneuert, die Schöpfung gepflegt und Freiheit und Frieden ausgebreitet werden. Vor allem verpflichten wir uns zum regelmäßigen Gebet für alle Regierenden unseres Landes, damit Gott ihre Bemühungen um Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden gelingen lässt – zum Segen unseres Volkes und unserer Gemeinden.

Weitere Veröffentlichungen 

Diese Stellungnahme der Deutschen Evangelischen Allianz steht in einer Reihe früherer Veröffentlichungen zur gesellschaftlichen Verantwortung, unter anderem:

  • Arbeitslosigkeit – Eine Herausforderung für Christen und Gemeinden
  • Barrierefreiheit – Eine Broschüre des PerspektivForums Behinderung
  • Bielefelder Manifest des PerspektivForum Behinderte – „Wir brauchen einander“
  • Christlicher Glaube und Islam
  • Die Familie braucht Zukunft
  • Die Würde des Menschen ist die Perle des Rechtstaates
  • Mein Kind ist es mir wert
  • Micha-Initiative – Gemeinsam gegen Armut

Impressum

Verabschiedet vom Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz.

Redaktion: Dr. Horst Afflerbach, Dr. Stephan Holthaus und Prof. Dr. mult. Thomas Schirrmacher.

Deutschen Evangelischen Allianz, Esplanade 5–10a, 07422 Bad Blankenburg, Telefon: 03 67 41 / 24 24, Telefax: 03 67 41 / 32 12, e-mail: info@ead.de, www.ead.de.

Bankverbindung: Konto 416 800, Evangelische Kreditgenossenschaft (BLZ 520 604 10). V.i.S.d.P.: Hartmut Steeb, Generalsekretär.

Endnoten

  • 1
    Eine Veröffentlichung des Hauptvorstands der Deutschen Evangelischen Allianz