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Politische EthikGlaube und Politik

Krieg und Frieden im Alten Testament

Ein Thesenpapier

I. Schalom und Gerechtigkeit1Überarbeitete und erweiterte Fassung von »Krieg und Frieden im Alten Testament«, Kriege  und  Frieden –   Thesen aus biblisch-theologischer Perspektive, hrsg. von Horst Afflerbach, Herbert H. Klement und Christoph Stenschke, Idea-Dokumentation 8/2003, Wetzlar: idea 2003, S. 4–7.

  1. Wenn die Formel »Krieg und Frieden« wie bei Tolstoi2Leo Tolstoi, Krieg und Frieden, geschrieben 1868/69, spielt als historischer Roman in der für Russland und Gesamteuropa zentralen Phase von den Napoleonischen Kriegen (1805–1912) bis hin zu dem Krim-Krieg (1853/54) als Merismus verstanden wird, der wie die Wortpaare »Sommer und Winter« oder »Ebbe und Flut« den Ablauf der Zeiten als Einheit beschreibt, dann finden wir dafür keine Entsprechung im AT. Frieden und Krieg stehen nicht zur Beschreibung eines Ganzen zusammen. Dies ist auffällig angesichts der Beobachtung, dass der Parallelismus von Begriffen im AT in gehobener Sprache besonders charakteristisch und häufig ist. Die Begriffe für Frieden und Krieg sind deshalb je für sich zu erfassen.
  2. Das bekannteste Wort für Frieden im AT ist Schalom. Er beschreibt das heilsame Intaktsein einer Gemeinschaft, nicht primär die Abwesenheit von Krieg. Schalom wird als Gabe der Gerechtigkeit ihres Schöpfers erfahren. Friede ist ein Geschenk des gnädigen Gottes, kaum eine menschliche Aufgabe.
  3. Damit Schalom herrscht, muss die Gemeinschaft einzig nach den Wegen und Weisungen Gottes leben und Gerechtigkeit im sozialen Bereich üben, vor allem den gesellschaftlich Schwachen gegenüber.
  4. Nach allem Kampf und Streit ist den Gerechten Israels ein Schalom verheißen, in dem selbst die Gewalt der Tiere aufhört, die Löwen Stroh fressen und Kleinkinder mit Giftschlangen spielen (Jes 11,6–9)
  5. In dieser Welt des Schaloms verlieren Kriegsgeräte ihren Sinn. Hierher gehört das Wort von dem Umschmieden der Schwerter zu Pflugscharen (Jes 2,4). Wenn Schalom herrscht, wird das »Erlernen« von Kriegshandwerk abgelöst durch das »Erlernen« der Tora Gottes – der Weg zum Leben nach der Gerechtigkeit. (hebr. lernen: lamad > Talmud).

II. Abwesenheit von Schalom und seine Wiederherstellung

  1. Der Gegensatz zum Schalom ist jedoch nicht der Krieg, sondern der Zustand der Ungerechtigkeit, der Willkürherrschaft und des ethischen Chaos – die Abwesenheit der Tora Gottes. Wo Gottes Ordnung und Weisung nicht respektiert werden, nimmt Unrecht zu. Dies ist der Zustand, der keinen Segen ermöglicht. Er kann nicht Schalom genannt werden, selbst wenn gerade kein Krieg herrscht. »Recht und Gerechtigkeit« sind die unerlässlichen und hervorstechenden Attribute des Schalom.
  2. Paradigmatisch für die Abwesenheit von Schalom wird immer wieder eine frevelhafte, eigennützige Rechtsbeugung genannt,vor allem die Willkür im Umgang mit Waisen, Witwen und Fremden. Wenn die Starken das Recht der Schwachen und Armen unterdrücken, wird an Gott und seiner Tora gefrevelt (Dtn 10,18; Jer 7,3; Ps 146,9).
  3. Alles Unrecht am Nächsten verunreinigt das Land. Betont als Beispiel hervorgehoben wird dabei die Blutschuld. Das unschuldig vergossene Blut schreit zu Gott als dem Richter um Korrektur und Wiederherstellung von Gerechtigkeit (Jes 1,15; Jer 7,6; Gen  4,10; 18,20).
  4. Die Frevler sind Gottlose genannt, selbst wenn die religiösen Feiertage und Opferriten eingehalten werden (Jes 1,11ff; Am 5,21ff). Sie bedrohen und ruinieren mit alltäglicher und spezifischer Gewalt arme und elende Mitmenschen. Damit dokumentieren sie, dass sie die Vorstellung von einem Gott, der sich als Richter um die Schwachen und Marginali- sierten kümmert, nicht ernst nehmen. Sie verhalten sich gottlos.
  5. Ist Gott ein Gott des Rechts und der Schöpfer und Eigentümer der Erde, dann kann und darf es nicht sein, dass das Unrecht ungestraft davonkommt oder sogar Erfolg verspricht. Die Gesetzesbrecher müssen in die Schranken gewiesen werden. Der Zustand von Recht und Gerechtigkeit muss wiederhergestellt werden. Um vom Unrecht zum Schalom zu kommen, muss es gesühnt werden. Dazu wird Gott als Richter aufgerufen.
  6. Gottes Eingreifen gegen das Unrecht bedeutet Hoffnung und Aufatmen für alle, die unter fehlendem Recht leiden: »Saget den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache. Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen« (Jes 35,4).
  7. Gott wird als Völkerrichter gepriesen und erwartet: Ps 94,1: »Gott der Rache, Jhwh, Gott der Rache, strahle hervor!«. Zur Wiederherstellung des Schalom übt Gott wegen des Unrechts an Völkern Gericht (vgl. die Sintflut oder die Zerstörung von Sodom und Gomorra).
  8. Das gerechte Richten Gottes an den frevelnden Völkern geschieht auch durch seinen Gesalbten und durch gewaltsame Herrschaft: »Er hat zu mir gesagt: ›Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Bitte von mir, so will ich dir die Nationen zum Erbe geben und die Enden der Erde zu deinem Eigentum. Du sollst sie mit eisernem Zepter zerschmettern, wie Töpfergeschirr sie zerschmeißen!‹ « (Ps 2,7–9). Ähnlich ist es von dem in Jes 11,1ff erwarteten idealen königlichen Friedensherrscher gesagt, der als »Spross aus der Wurzel Isai« hervorbricht und der von dem Geist Jhwhs bestimmt wird. Dieser befähigt ihn zu unbestechlicher Gerechtigkeit, die den Gottlosen (= Frevler, vgl. These 2.4.) tötet.
  9. Damit Schalom sein kann, muss der Zerstörer des Schalom gestellt und außer Einflussmöglichkeiten gestellt werden. Er darf mit seinem Tun nicht davonkommen. Dies schließt gegebenenfalls Gegengewalt bis zur Tötung, auch durch den idealen israelitischen König von Jes 11, mit ein.

III. Ursache von Kriegen im Alten Testament

  1. »Der Krieg war und bleibt ein perfekter Verwandlungskünstler« (Holger Mey). Gewalt zwischen einzelnen und Gewalt zwischen sozial organisierten Gruppen (Stämme, Staaten, Staatskoalitionen) kennen unzählige Motivationen und Erscheinungsformen. Kriege passen sich je zweckrational ihrem Umfeld an. Den »Krieg an sich« gibt es so nicht. Jeder Krieg hat eine je eigene Geschichte und Mitwirkende, eigene Beweggründe und Vernetzungen von Ursachen und Zielen. Nicht jeder Krieg ist gleich, jeder Krieg muss einzeln und differenziert gewertet werden.
  2. Trotz ihrer vielen Gesichter haben Kriege etwas gemeinsam. In einer kanonischen Theologie ist dies begründet in dem, was die Urgeschichte so ausdrückt: »Das Herz des Menschen ist böse von Jugend an« (Gen 6,5; 8,21b).
  3. In der Schöpfung ist der Mensch einerseits geschaffen als »Bild Gottes«. Das Mandat zur freien Herrschaft über die ganze Schöpfung ist ihm gegeben. Diese Ordnung nennt Gott »sehr gut«.3Ausführlicher in: Herbert H. Klement, »Adam, wo bist du? – Zur Kommunikation von Gott und Mensch in alttestamentlicher Anthropologie«, in: ders., Hrsg., Evangelisation im Gegenwind: Zur Theologie und Praxis der Glaubensverkündigung in der säkularen Gesellschaft, Berichtsband der 12. AfeT-Studienkonferenz 2001 in Bad Blankenburg, Gießen: Brunnen, 2002, S. 65–86. Statt als Gottes Repräsentant zu herrschen, strebt der Mensch allerdings danach, sich gegen Gott zu stellen und in Rivalität zu ihm »sein zu wollen wie Gott« (Gen 3; Gen 11). Statt Vertrauen wird ungerechtfertigtes und aggressiv den eigenen Vorteil verfolgendes Misstrauen gegen Gott zur Motivation des Handelns. Der Mensch steht damit in Rebellion gegen Gott. Die Personmitte – das Herz – ist korrumpiert.
  4. Die angemaßte Gottesebenbürtigkeit, der »Hochmut gegen Gott«, hat ihre Auswirkung und Parallele in der »Erhebung über den Menschenbruder«. Die Rivalität gegen Gott spiegelt sich in dem Ringen der Menschen um Vorherrschaft übereinander. Der in der Urgeschichte erzählte Kampf vom Bruder gegen den Bruder (Mord: Gen 4)  und Sohn gegen den Vater bzw. Vater gegen den Sohn (Verachtung und Fluch: Gen 9,25; vgl. 1Joh 3,15) veranschaulicht, wie sich die festgestellte Bösartigkeit der Personmitte des Menschen in den Beziehungen der Menschen untereinander konkretisiert.4Ausführlicher in: Herbert H. Klement, »Mensch und Sünde in  der Urgeschichte«,  in:  ders.  mit  Rolf Hille, Hrsg., Ein Mensch – was ist das? Zur theologischen Anthropologie, Berichtsband der 13. AfeT-Studienkonferenz in Bad Blankenburg, FS Helmut Burkhardt zum 65. Geburtstag, Wuppertal: Brockhaus, 2004, S. 60–88.
  5. Die Gewaltanwendung gegen den Menschen wird von Gott selbst eingegrenzt durch die Institution der Blutrache als abschreckender Gegengewalt (Gen 4,15; 9,6). Diese findet damit eine positive Bestätigung. Überzogene Gegengewalt (Gen 4,24: »siebenundsiebzig- fach«) wird in der Tora durch das Maß »Auge um Auge, Zahn und Zahn« als Unrecht zu- rückgewiesen und gebrandmarkt und auf das Gleichmaß von Vergehen und Strafe reduziert (Ex 21,24; Lev 24,20, Dtn 19,21, Mt 5,38).
  6. Das Kernproblem des Krieges ist damit zutiefst begründet in dem Wesen des Menschen, das als Trachten des menschlichen Herzens nach Vorherrschaft über Gott und übereinander beschrieben ist. Die Urgeschichte macht dabei universale Aussagen über alle Menschen und Völker, die ihre Einheit in Adam bzw. Noah haben.
  7. Diese wenig optimistische Analyse der menschlichen Kernmotivation schließt Noah ein, der im Kontrast zu Adam in den urgeschichtlichen Texten als vorbildlich gehorsam und fromm dargestellt ist. In den Geschichten vom Essen der verbotenen Frucht im Garten Eden und vom Turmbau in Babel (Rivalität gegenüber Gott), vom Brudermord und der Eltern-Kinderverfluchung (Rivalität von Brüdern und Generationen) ist der charakterliche Zustand der Menschheit als Ganzes narrativ veranschaulicht – einschließlich der moralisch hochstehenden und religiös vorbildlichen Menschen wie Noah.
  8. Gottes Antwort auf die Boshaftigkeit des menschlichen Herzens ist eine doppelte. Sie wird einerseits sichtbar in dem Gerichtshandeln der Sintflut (Gen 6,5). Andererseits weist die konditionslose Zusage der Erhaltung (Gen 8,21b) auf eine andere Möglichkeit, die angesichts des Wissens um die Qualität des menschlichen Herzens verbunden mit der Erwählung Abrahams den Menschen und Völkern einen Raum zum gesegneten Leben eröffnet. Gott selbst schließt in einem von ihm frei gewährten Bund aus, die Erde und die Menschheit insgesamt zu vernichten.

IV. Die Kriege Israels

  1. In der Geschichte vom Turmbau zu Babel (Gen 11) wird die aus Noah und seinen Söhnen hervorgehende Menschheit mit 70 Völkern (Gen 10) als in Auflehnung gegen Gott abschließend und zusammenfassend charakterisiert. Dieser Menschheit wird als Alternative das aus Abraham hervorgehende neue Volk gegenübergestellt, das sich am Ende der Genesis aus 70 Familien zusammensetzt (Gen 46,27). So wie die Völker als Nachkommen Noahs die Erde bewohnen, wird Abrahams Nachkommen eine eigene Erde (Land) in Aussicht gestellt. Die Erwählung Abrahams erfolgt als Absonderung von den Völkern um dieser Völker willen: »In dir sollen gesegnet werden alle Völker der Erde« (Gen 12,3). Abraham vertraute Gottes Verheißung, das charakterisiert ihn vornehmlich im Kontrast zu Adam, der Gott misstraute (Gen 15,6).
  2. Kriege zwischen Städten und Völkern gehören im Kontext der Abrahamgeschichten zum »normalen« Erscheinungsbild der Beziehungen der Völker untereinander (Gen 14) diesseits von Eden.
  3. Für das in Abraham erwählte Volk Israel führt Gott selber Krieg unter den Völkern. Um es aus der Sklaverei zu befreien, kämpft Gott gegen die ägyptischen Herrscher, Jhwh selbst der Kriegsherr (Ex 15,3): »Jhwh ist der Kriegsherr, Jhwh ist sein Name« (vgl. Dtn 32,40ff; Ps 24,8; Jes 10,21; 42,13; Jer 32,18; Zef 3,17; Neh 1,5; Dan 9,4). Jhwh ist nirgends ein spezifischer Kriegsgott, aber als Bundesgott und König (Ex 15,18; Dtn 33,5) kämpft er kriegerisch für sein Volk. Gott wird König seines Volkes (Ex 15,18; Dtn 33,5; Ex 19,5–6).
  4. Die Kriegsmaßnahmen Jhwhs gegen Ägypten sind abgestuft. Erst nach mehrfacher Vorwarnung und der wiederholten Weigerung, Jhwh zu folgen, wird die Erstgeburt der Ägypter getötet (in Entsprechung zu dem vorausgegangenen Kindermord an den Israeliten) und schließlich das verfolgende Heer im Meer versenkt (passiv: Die Teilung der Wasser war aktive Rettungstat für Israel, die Verfolger stürzen sich selbst in die Flu- ten: Hätten sie auf Jhwh gehört, wären sie am Leben geblieben). Dieser militärische Sieg Jhwhs am Schilfmeer, der die Freiheit Israels zum Ziel hat, nicht die Vernichtung der Ägypter, wird als die zentrale große Befreiungstat an Israel erinnert: »Ich bin Jhwh, dein Gott, der ich dich aus Ägypten, aus dem Haus der Sklaven befreit habe« (Ex 20,1).
  5. Jhwh ist auch der Kriegsherr im Kampf gegen die Völker, die Israel auf dem Weg in sein Land (seine »Erde«) aufhalten wollen, wie die Amalekiter – ihre Bestrafung ist die vollständige Vernichtung (Ex 17,14; 1Sam 15,3.18ff) – oder die Amoriterkönige Sihon und Og (Dtn 2,36).
  6. Um Jhwh-Krieg handelt es sich auch bei der Eroberung Kanaans und der Voll- streckung des »Bannes« an den kanaanäischen Völkern (Dtn 7,1–11). Bann heißt, dass die gesamte Bevölkerung getötet und die Beute ausschließlich dem Kriegsherrn Jhwh über- lassen bzw. geheiligt wird. Die hinter Jhwh kämpfenden Krieger Israels gehen leer aus.
  7. Die Vernichtung der kanaanäischen Völker in ihrem Land ist u.a. auch begründet mit den »Greueln«, die sie verüben. Ähnlich wie an der Generation der Sintflut und den Städten Sodom und Gomorra wird auch an den kanaanäischen Völkern von Gott Gericht vollzogen (Dtn 18,9–13; Gen 15,16b; 18,20). Ihr Land fällt Jhwh zu, der es an Israel als Erbe weitergibt. Auch im Erbbesitz Israels bleibt es jedoch Jhwhs Land, das unveräußerlich ist.
  8. Die Landeinnahme und Landgabe an Israel und die damit verbundenen Kriege sind in ihrer Art als Überlebenskriege und in der theologischen Bewertung im AT singulär und abgeschlossen. Sie sind keinem anderen Kriegsgeschehen in biblischen oder heutigen Zeiten vergleichbar. Die Rückkehr der Israeliten aus dem Exil in der Perserzeit unter Serubbabel, Esra und Nehemia erfolgt nicht mehr im Zeichen des Krieges, sondern der vertraglichen Vereinbarung. Dieser zweite Exodus wird theologisch als ein vorher von Propheten angekündigtes Handeln Jhwhs zugunsten seines Volkes gewertet (Esr 1,1).
  9. Die Kriege Davids, die kurzzeitig zu einem israelitischen Imperium vom Euphrat bis zum Bach Ägyptens führten, sind beschrieben als in der Abwehr der Feinde motiviert.  Als Verteidigungskriege sind sie im Sinne des Jhwh-Krieges interpretiert (1Sam 18,17; 25,28; 2Sam 5,19.24). Die Unterwerfung der Völker führt zu Tributabgaben an Israel, nicht zur Eingliederung der Länder in das Erbland Israels, noch zur Vollstreckung des Bannes an der jeweiligen Bevölkerung, obwohl auch dabei die Zahl der Toten hoch ist (2Sam 8,2.13; 12,31; 1Kö 11,15–16).
  10. Der erst in den Texten der Königszeit geläufige Name Jhwh-Zebaoth (erstmalig im Samuelbuch) beschreibt den Gott Israels als »Jhwh ist Heeresmacht«. Zebaoth, Heere, ist wohl am besten als Metapher für Jhwh zu verstehen. Der Name bezeichnet Gott selbst als die Schutzmacht Israels, er ist das Heer Israels: »Jhwh wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein« (Ex 14,14; vgl. 2Kön6,16–17).
  11. Auch die von den Propheten angekündigten künftigen Kriege der Weltreiche haben ihre Stunde und ihr Maß von Jhwh her (Dan 7–12). Er wird in den erwarteten großen Völkerkriegen gegen Israel der siegreiche Überwinder sein (Hes 38–39; Sach 12; 14).
  12. Im Umfeld dieser Texte werden die Völkerkriege auch im Horizont von Kämpfen nicht-irdischer, unsichtbarer Mächte gesehen (Dan 9,25.29; 10,13.20f; 12,1; vgl. Jes 14,4ff; 27,1; Ps 89,11).

V. Besonderheiten des Jhwh-Krieges

  1. Weder in Israel noch in den umliegenden Völkern gibt es im AT so etwas wie einen rein säkularen Krieg. Das Schicksal des Volkes Israel steht in biblischen Zusammen- hängen immer in der Gegenwart Gottes. Auch in den kriegerischen Auseinander- setzungen ist der Gott Israels aktiv beteiligt. Ein Sein ohne Gott ist nicht denkbar.
  2. Als Krieg im Angesicht Gottes gehören auch kultische Elemente zur Kriegsführung. Erwähnt werden u.a. ein Opfer bei der Rekrutierung der Soldaten (Ex 30,12–16), die parallele Begleitung der Kampfhandlungen durch prophetisches Gebetshandeln (Ex 17,9– 12; 1Sam 7,8–10), die Beteiligung und teilweise Vorordnung von unbewaffneten Priestern und musizierenden Leviten am Kampfgeschehen (Jos 6; 2Chr 20,20–22). Letzteres ver- deutlicht, dass das entscheidende zum Sieg führende Handeln von Jhwh erwartet wird, die kämpfenden Menschen vollziehen den vom ihm gewährten Sieg irdisch nach (vgl. auch Jos 5,14).
  3. Jhwh-Krieg setzt voraus, dass die militärische Potenz nach Quantität und Qualität den Faktoren der intakten Jhwh-Beziehung nachgeordnet ist: »Es ist Jhwh möglich, durch viel oder wenig zu helfen« (1Sam 14,6b; vgl. Ri 7,3.7). Ein Vertrauen auf militärische Kraft und quantitative Stärke wird verworfen (Ex 14,13–14; Jer 17,5ff; vgl. 2Sam 24).
  4. Auch das Vertrauen auf die Kraft eines eigenen Herrschers wird negativ beurteilt (Ri 8,23, 1Sam 8,7; 10,19; 12,12; Hos 13,9–11), insofern sich dies als Alternative zum Vertrauen auf Jhwh äußert.5Siehe dazu den Beitrag zu »Monarchiekritik und Herrscherverheißung« in diesem Themenbuch.
  5. Koalitionen und militärische Zweckbündnisse mit nichtisraelitischen Armeen werden durchweg negativ gewertet (Jer 17,5–7; Jes 30,1f.15; 39,3ff). Sie stellen das Vertrauen auf Jhwh infrage.
  6. Der Schutz Jhwhs für sein Volk kann von Israel nicht eingefordert werden. Gott lässt sich nicht zwingen. Der Jhwh-Krieg wird nicht von Israel organisiert, die Initiative geht von Gott aus.
  7. Das Vertrauen auf den – im Gegensatz zu den materiellen und toten Götzen – lebendigen und handelnden Jhwh hat bei Kriegsbedrohung den eindeutigen und absoluten Vorrang (1Sam 17,34–37; 23,1.4; 2Sam 5,19.23; Jes 37,6–7). Dabei entscheidet nicht Israel, ob Jhwh Krieg führt, sondern Jhwh gewährt Israel, es zu erleben, dass er zu seinen Gunsten auch kriegerisch rettend eingreift (Ps 136).
  8. Eigenmächtige Kriegsführung ohne Jhwhs Beistand wird als vermessen und verwerflich gewertet (Num 14,44–45; 1Sam 14,18–19; Jes 7,4–9).
  9. Auch wenn die Vorstellung eines rein säkularen Krieges für das AT abzulehnen ist, so ist die Rede von einem israelitischen »Heiligen Krieg« ebenso verfehlt. Weder der Begriff noch die diesbezügliche von Gerhard v. Rad vertretene Hypothese einer quasi liturgischen Abfolge von der Rekrutierung bis zur Entlassung ist in den biblischen Texten so bezeugt. Die Hypothese war an die Vorstellung einer spezifischen sakralen Stämme- amphyktionie geknüpft, beides hat sich weitgehend nicht bestätigt.6Gerhard v. Rad, Der Heilige Krieg im alten Israel, 2. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1952. Jürgen Ebach, Das Erbe der Gewalt: Eine biblische Realität und ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh: Mohn, 1980.

VI. Gott führt Krieg gegen Israel

  1. Gott kämpft als Kriegsherr für sein Volk, damit es als sein Bundesvolk ein Priestervolk sein kann für die Völker. Bei dieser Perspektive ist die ganze Erde als Raum der Verehrung Jhwhs im Blick (Ex 19,5–6; Dtn 4,5–8).
  2. Israel soll als Volk, das aus Gewalttätigkeit (durch den ägyptischen Staat) befreit ist, die erfahrene Barmherzigkeit Jhwhs weitergeben: Sklaven freilassen, Gerechtigkeit üben für Entrechtete, Witwen, Waisen, Fremdlinge (»Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig«, Lev 19); Israel ist aufgerufen, als ein Modellvolk unter den Völkern nach Gottes Tora zu leben. Dass sich dies auswirkte, verdeutlicht die Erfahrung der Kriegsgegner, wenn sie u.a. bezeugen, dass die israelitischen Könige für ihre Barmherzigkeit im Umgang mit den Unterlegenen bekannt sind (1Kön 20,31).
  3. Wo Israel seiner Berufung (Bundesverpflichtungen) nicht gerecht wird, sprechen die Propheten von einem Kämpfen Jhwh-Zebaoths gegen sein eigenes Volk. Das Erleiden von Krieg und Plünderung wird als Jhwhs richtendes und zurückrufendes Handeln verstanden. Von der Richterzeit über die Besetzung des Landes durch die Assyrer bis zur Zerstörung Jerusalems unter Nebukadnezar und der Überwindung der babylonischen Herrschaft durch die Perser sind die Kriege so gewertet. Jhwh ist auch in diesen Kriegen gegen Israel der Handelnde (Ri 2,14; Jes 10,5; Jer 25,9; Jes 45,1).
  4. Das Ziel dieser von Jhwh gegen Israel geführten Kriege ist, die praktizierte Gottlosigkeit (Schalom-Losigkeit) in Israel zu brechen. Gottlosigkeit äußert sich im Abfall von ihm (Hoffahrt) und in gewalttätigem Unrecht gegen die Schwachen sowie der Hinkehr zu Götzen. Statt Arroganz und Hochmut sucht Jhwh als König Israels das »demütige und zerschlagene Herz« seines Volkes (Jes 2,12–17; 10,12; 57,15; 66,1–2).

VII. Gott als Streiter für seine Gerechten

  1. Als leidendes Israel wendet sich das Volk in der Not an Jhwh als dem gerechten Richter, der auch für das Recht Israels gegenüber seinen Feinden zuständig ist.
  2. Die Feindklage in den Psalmen gibt Ausdruck von der Angst unter den Gewalttätigen und dem Schrei nach Gottes Eingreifen und dem Erweis seinerGerechtigkeit.
  3. Die Angstklagen in den sog. Rachepsalmen, die das Eingreifen Gottes fordern, drücken die schmerzliche Realität aus, dass menschliche Richter und Gerichte nicht ausreichen, um die ersehnte Gerechtigkeit und den Schalom herzustellen. In der Forderung nach Vergeltung angesichts tiefer Erniedrigung und Hilflosigkeit wird der urmenschliche Hang zur Gewalt in der eigenen Brust niedergerungen – indem alles Gott übergeben wird. Und zwar einem Gott, dessen Richterspruch als so universal-gerecht vorausgesetzt wird, dass sich auch die Psalmbeter dieser Gerechtigkeit unterstellen.7Ausführlicher in: Erich Zenger, Ein Gott der Rache?, Herder 1998.
  4. Der mögliche Weg der Eindämmung von Gewalt durch Gegengewalt ist jedoch nicht der einzige. Zu Jhwhs Möglichkeiten gehören nicht nur Krieg, Hungersnot, Pest (2Sam 24,13; Jer 24,10; Hes 6,12; vgl. Offb 7,3–8), sondern auch die Barmherzigkeit (Ex 34,6; Jon 4).
  5. Der Gottesknecht in Jes 52,13 – 53,12 trägt stellvertretend die gerechte Strafe für das Unrecht seines Volkes (Jes 1,4ff) und schafft so Gerechtigkeit und damit Schalom für die vielen, auch für die Völker und ihre Könige (Jes 49,6; 53,11f).
  6. Die Völker sind eingeladen, die gerechten Ordnungen Gottes zu lernen. Dazu gehört, Jhwh allein anzubeten und das Zusammenleben der Menschen in Verantwortung vor ihm zu gestalten. Geschieht dies, dann wird Kriegsgerät überflüssig (Jes 2,1–5;48,17–18.22).

Lesehinweise:

Peter C. Craigie, The Problem of War in the Old Testament, Grand Rapids MI 1978.

Stanley Gundry, Hrsg., Show them no Mercy: Four Views on God and Canaanite Genocide, Contributors:

C.S. Cowles, Eugene Merrill, Daniel Gard, Tremper Longman III, Counterpoints Series, Zondervan: 2003.

T. Raymond Hobbs, A Time for War: A Study of Warfare in the Old Testament, Wilmington DE: Glazier, 1989.

Eckhard Otto, Krieg und Frieden in der hebräischen Bibel und im alten Orient: Aspekte für eine Friedensordnung in der Moderne, Stuttgart 1999.

"Krieg und Frieden im Alten Testament" ist als Thesenpapier veröffentlicht in: Themenbuch zur Theologie des Alten Testaments. Wuppertal: R. Brockhaus 2007, S. 195-206

Herbert H. Klement

Endnoten

  • 1
    Überarbeitete und erweiterte Fassung von »Krieg und Frieden im Alten Testament«, Kriege  und  Frieden –   Thesen aus biblisch-theologischer Perspektive, hrsg. von Horst Afflerbach, Herbert H. Klement und Christoph Stenschke, Idea-Dokumentation 8/2003, Wetzlar: idea 2003, S. 4–7.
  • 2
    Leo Tolstoi, Krieg und Frieden, geschrieben 1868/69, spielt als historischer Roman in der für Russland und Gesamteuropa zentralen Phase von den Napoleonischen Kriegen (1805–1912) bis hin zu dem Krim-Krieg (1853/54)
  • 3
    Ausführlicher in: Herbert H. Klement, »Adam, wo bist du? – Zur Kommunikation von Gott und Mensch in alttestamentlicher Anthropologie«, in: ders., Hrsg., Evangelisation im Gegenwind: Zur Theologie und Praxis der Glaubensverkündigung in der säkularen Gesellschaft, Berichtsband der 12. AfeT-Studienkonferenz 2001 in Bad Blankenburg, Gießen: Brunnen, 2002, S. 65–86.
  • 4
    Ausführlicher in: Herbert H. Klement, »Mensch und Sünde in  der Urgeschichte«,  in:  ders.  mit  Rolf Hille, Hrsg., Ein Mensch – was ist das? Zur theologischen Anthropologie, Berichtsband der 13. AfeT-Studienkonferenz in Bad Blankenburg, FS Helmut Burkhardt zum 65. Geburtstag, Wuppertal: Brockhaus, 2004, S. 60–88.
  • 5
    Siehe dazu den Beitrag zu »Monarchiekritik und Herrscherverheißung« in diesem Themenbuch.
  • 6
    Gerhard v. Rad, Der Heilige Krieg im alten Israel, 2. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1952. Jürgen Ebach, Das Erbe der Gewalt: Eine biblische Realität und ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh: Mohn, 1980.
  • 7
    Ausführlicher in: Erich Zenger, Ein Gott der Rache?, Herder 1998.