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Paar-, Familien- & SexualethikEhe- und Familienethik

Allein mit Mama

Die Herausforderung der Ein-Eltern-Familien

Immer mehr Kinder und Jugendliche leben Zuhause mit nur einem Elternteil. In 90% der Fälle ist dies die Mutter. Zahlen aus amerikanischen Studien zu Jugendkriminalität, Selbstmordgefährdung von Jugendlichen und Verhaltensauffälligkeiten schwer erziehbarer Kinder und Jugendlichen werfen ein düsteres Licht auf Ein-Eltern-Familien. Und auch deutsche Zahlen scheinen dies zu bestätigen. Ist das Fehlen des Vaters allein Ursache dieser Phänomene?

In diesem Newsletter soll die Familienform ›Alleinerziehend‹ genauer unter die Lupe genommen werden. Wie sehen diese Familien tatsächlich aus? Und wie gefährdet sind Kinder aus Ein-Eltern-Familien? Welchen Beitrag liefern Väter zur Entwicklung ihrer Kinder? Welche Risiken ergeben sich daraus für Kinder, die ohne Vater aufwachsen und wie kann dem entgegengewirkt werden?

I. Einleitung: Familienland Deutschland

Die Lebenswelt ›Familie‹, die heutige Kinder und Jugendliche erleben, hat viele Gesichter. Keine Neuigkeit für jeden, der mit offenen Augen durch unsere Welt geht, seine eigene Herkunftsfamilie in diesem Kontext wahrnimmt oder einfach Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendarbeit ist. 

Man spricht von der »Pluralisierung der Lebens- bzw. Familienformen«. Elternschaft und Ehe sind schon lange nicht mehr zwingend aneinander gebunden, sondern bestehen auch losgelöst voneinander. Folge dieser Auflösung sind seit einigen Jahrzehnten steigende Scheidungsraten, Patchworkfamilien in allen Variationen und immer mehr Kinder und Jugendliche, die in Ein-Eltern-Familien aufwachsen. 

Doch was sagt eine Familienform an sich über die Situation eines Kindes / eines Jugendlichen und seine Entwicklungsmöglichkeiten aus? 

Schnell zeigen zahlreiche Studien und Einschätzungen von Familienforschern und Entwicklungspsychologen, dass Stigmatisierungen und allgemeine Prognosen zur Entwicklung von Kindern und Jugendlichen schwierig sind. Im Umgang mit Kindern und Jugendlichen können solche Verallgemeinerungen die individuelle Wahrnehmung der jeweils ganz besonderen Situation sogar verhindern und somit den Blick für Probleme und Ressourcen versperren, die beide vorhanden sind. Zwar zeigen sich Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster, die beispielsweise für viele Scheidungskinder zutreffen. Es gibt jedoch ganz unterschiedliche Ausprägungen und eine solche Erfahrung ist nie eine Festschreibung des zukünftigen Lebenswegs als »typisches Scheidungskind«. Die Problematik der Scheidungskinder wurde bereits im Newsletter Nr. 3 von Monika Jotter und Tobias Braune-Krickau aufgegriffen (http://www.ethikinstitut.de/index.php?id=251). 

Innerhalb dieses Newsletters nehmen wir die Familienform »Ein-Eltern-Familie« in den Blick. Die aufgeführten Informationen sollen zum besseren Verständnis der Lebenswirklichkeiten der Kinder und Jugendlichen beitragen. Da ca. 59% der Ein-Eltern-Familien auf Scheidungen zurückgehen, bietet der Newsletter Nr. 3 – ›Können Scheidungskinder glücklich werden?‹ – hilfreiche ergänzende Informationen.

                  Ein-Eltern-Familien erweisen sich als höchst unterschiedlich und müssen individuell wahrgenommen werden. Im Vergleich zur Zwei-Eltern-Familie wurde die Ein-Eltern-Familie häufig als Teil- oder gar ›defizitäre Familie‹ bezeichnet – im Gegensatz zur ›Normalfamilie‹ – und per se abwertend wahrgenommen. Es soll nicht geleugnet werden, dass insbesondere Kinder und Jugendliche aus geschiedenen und alleinerziehenden Elternhäusern vermehrt Verhaltensauffälligkeiten zeigen, doch muss eine genaue und individuelle Ursachenforschung betrieben werden. 

Bei Ein-Eltern-Familien werden diese Äußerungen der inneren Zerrissenheit oft allein auf das Fehlen des Vaters zurückgeführt. Viel wichtiger als alle Stigmaitisierung und Pauschalverurteilung ist jedoch, die Kinder konstruktiv in ihrem Heilungsprozess und Familienalltag zu unterstützten. 

Bezüglich der Ein-Eltern-Familie muss hierzu analysiert werden, wie sich das Fehlen des Vaters auf die kindliche Entwicklung und die besondere Entwicklungsphase der Pubertät auswirken kann und welche zusätzlichen Einflussfaktoren und Ressourcen vorhanden sind, um eventuellen gravierenden seelischen Nöten entgegenzuwirken.

II. Ein-Eltern-Familien - keine einheitliche Familienform

Um diesen Weg zu beschreiten, beginnen wir mit der Wahrnehmung der Situation: Wie genau sieht die alleinerziehende Familie des Jugendlichen eigentlich aus? Wie kam es zu dieser Familienkonstellation? Und wann? All dies sind Faktoren, die die Entwicklung des Kindes bzw. Jugendlichen beeinflussen.

Daten & Fakten 

2009 waren 1,56 Millionen Familien, d.h. 19% der 8,2 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern, alleinerziehende Eltern. Somit ist jede fünfte Familie in Deutschland alleinerziehend. Der Anteil der Alleinerziehenden liegt in ostdeutschen Großstädten bei 31%, in westdeutschen bei 23%.1Alleinerziehende in Deutschland, Mikrozensus 2009, 7-9.

In den Statistiken wird jedoch nur die aktuelle Familiensituation erfasst. Die tatsächliche Zahl der Mütter und Väter, die innerhalb ihres Lebens mindestens einmal alleinerziehend sind, ist daher deutlich höher. Oftmals handelt es sich hierbei um eine zeitweilige Lebensphase. 

Betrachtet man die Herkunftsschichten Alleinerziehender, zeichnet sich hier bereits ab, dass die jeweiligen Lebenssituationen sehr unterschiedlich aussehen können. Nach der World Vision Kinderstudie 2010 kommen 30% der Kinder (im Alter von 6 bis 11 Jahren) mit Ein-Eltern-Familien aus der Unter- und 29% aus der unteren Mittelschicht. Doch auch in der Mittelschicht sind Alleinerziehende mit 15% und in der oberen Mittelschicht mit einem Anteil von 11% vertreten (79). Es kann demnach nicht allgemein von ›den‹ Alleinerziehenden gesprochen werden: »Die geschiedene Akademikerin gehört ebenso dazu wie die ledige Auszubildende oder der verwitwete arbeitslose Verkäufer.«2Sozial Spezial, Brandenburger Jugendliche in Ein-Eltern-Familien, Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie, 2011, 3. 

Dennoch ist festzuhalten, dass diese Familienform statistisch aufgrund mehrerer Faktoren eine risikobehaftete Lebensform ist, die in relative Armut führen kann oder mit ihr verbunden ist.

Die Gesundheitsberichtserstattung des Robert Koch-Instituts wies 2003 auf bestehende Gefahren alleinerziehender Mütter hin, die »stärker unter Allgemeinbeschwerden und Beeinträchtigungen ihrer psychischen Befindlichkeit und ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität« (22) leiden, als verheiratete Mütter. Dies wirkt sich auf die Kinder und Jugendlichen aus. Zu einer risikohaften Lebensform wird die Ein-Eltern-Familie vor allem durch das Zusammenkommen mehrerer Faktoren, die besonders bei bildungsfernen und ökonomisch schlechter gestellten Bevölkerungsschichten gegeben sind (3-22).

Zwar bringen 58% der Alleinerziehenden Mütter den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder überwiegend selbst auf, aber 31% sind auf Transferleistungen (Hartz IV, Arbeitslosengeld I) angewiesen und sind damit armutsgefährdet.3Alleinerziehende in Deutschland, Mikrozensus 2009, 21-22.  Untersuchungen im Bundesland Brandenburg ergaben, dass 43,3% der Jugendlichen ab 18 Jahren in einer Ein-Eltern-Familie aufwachsen. Nur 2% davon in einer Vater-Familie. Das ›Phänomen Alleinerziehend‹ betrifft insgesamt in 90% der Fälle die Mütter. 

Entstehung & Familientypen

Je nach Entstehungshintergrund ergeben sich sehr verschiedenartige Familienszenarien, die die Heranwachsenden mit unterschiedlichen Fragen und Problemen zurücklassen. Die Ein-Eltern-Familie ist heute hauptsächlich Folge von Trennung und Scheidung (59%), während früher Verwitwung (heute 6%) und ledige Elternschaft (heute 35%) die primären Entstehungsursachen waren.4Ebd., 11-12. So müssen sich die meisten Kinder mit der Trennung ihrer Eltern auseinandersetzen oder mit der Frage, wieso sie niemals einen Vater hatten. Dies sind seelisch sehr unterschiedliche Nöte, verglichen mit dem Vaterverlust aufgrund von Krankheit und Tod.5Dieser Newsletter kann keine ausführliche Erarbeitung all dieser Problemfälle bieten. Mitarbeitern der Kinder- und Jugendarbeit empfehle ich, sich weiterführend mit diesen Themen zu beschäftigen. Im Literaturverzeichnis finden Sie hierzu ausreichend Informationen. 

Die Studie von Schneider und Krüger untersucht die Vielfalt der Lebensformen Alleinerziehender, ihre Entstehungshintergründe und die Auswirkungen auf die Partnerbeziehung und die Vater-Kind-Beziehung. »Freiwillig Alleinerziehende« (ca. 31%), haben sich nach eigenem Empfinden überwiegend selbstbestimmt und aktiv für diese Familienkonstellation entschieden. Kennzeichnend für diese Mütter ist ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit und das Vertrauen, den Herausforderungen gewachsen zu sein. Für 22% war der Schritt zur Ein-Eltern-Familie aufgrund gegebener Umstände die positivere Alternative (»bedingt freiwillig Alleinerziehende«). Weitere 22% sahen sich zwangsläufig zur Entscheidung für die Ein-Eltern-Familie gedrängt – unter starkem seelischen Druck, nicht als positive Lösung, aber als kleineres Übel. 25% der befragten Alleinerziehenden wurden durch Schicksal oder Wahl des Partners »ungewollt alleinerziehend«.Zusätzlich zur Scheidungsproblematik kommt in ca. 30% der Fälle eine neue feste Partnerschaft der Mutter ins Spiel.6Lebenswelten und -wirklichkeiten von Alleinerziehenden, Hg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 2011, 12.  Auch ohne Haushaltsgemeinschaft mit diesem neuen Partner ist das Potenzial für eine neue Vaterfigur gegeben, aber auch die Konkurrenz zum anderen leiblichen Elternteil. 

Kontakt & Erziehungsverantwortung

Nehmen wir diese Daten zum Anhaltspunkt, ergibt sich in etwa folgendes Bild: 

Ein gutes Drittel der Kinder hat zum anderen Elternteil keinen Kontakt mehr. Ca. 15% haben unregelmäßigen oder höchstens zweimal im Jahr Kontakt. 7% treffen den Vater höchstens einmal im Monat, ein Fünftel monatlich ein bis zweimal. Nur 25% haben wöchentlich bis mehrmals wöchentlich Kontakt zum anderen Elternteil. 

Ob und wie die Beziehung der Eltern zum Kind nach der Trennung gestaltet wird, ist von mehreren Faktoren abhängig:

  1. die Verarbeitung der Trennungssituation und die Kooperationsfähigkeit der ehemaligen Partner
  2. das Familienkonzept: Ein traditionelles Familienkonzept vor der Scheidung bringt bereits ein geringes Maß an väterlichem Engagement mit sich und verstärkt somit die Tendenz des Kontaktabbruchs
  3. die geographische Distanz
  4. der sozioökonomische Status des Vaters: Väter mit einem höheren Bildungs- und Einkommensniveau haben generell häufigeren Kontakt
  5. die gemeinsame elterliche Sorge: Die rechtliche Regelung hat für den Vater-Kind-Kontakt eine große Auswirkung
  6. die Leistung von Unterhaltszahlungen: Väter, die regelmäßig Unterhaltszahlungen leisten, haben meist eine engere Verbindung zu ihren Kindern und zeigen ein höheres Engagement
  7. der Einfluss der Mutter: Väter können ihr Vater-Sein nur ausleben und ihre Rolle wahrnehmen, wenn dies die Mütter zulassen – oft ist dies ein großes Problem und vielen willigen Vätern bleibt der Zugang zu ihren Kindern durch die ehemalige Partnerin versperrt
  8. der Ehestatus zum Zeitpunkt der Geburt: Ehelich geborene Kinder haben nach der Trennung der Eltern mit größerer Wahrscheinlichkeit weiterhin Kontakt zum Vater
  9. Wiederheirat von Vater und / oder Mutter: Mit der Gründung einer ›neuen Familie‹ nimmt der Kontakt ab.

Alleinerziehende Mütter sehen je nach Vatertyp und Situation positive und negative Aspekte in der Beziehung des Kindes zum abwesend lebenden Vater. Als positiv werden  genannt: 1. Die emotionale Bindung zum Vater (insbesondere bei Kleinkindern); 2. Der Kontakt zum Vater an sich als männliches Gegenüber (vor allem für Jungs ist er Identifikations- und Vorbildfunktion), Autoritätsperson und Korrektiv für die Mutterfamilie; 3. Der Vater als Spielpartner; 4. Die positiven Auswirkungen auf die emotionale Verfassung des Kindes. 5. Die finanzielle Großzügigkeit sowie das gemeinsame Verbringen von Urlauben und Hilfe bei Schulaufgaben werden nur vereinzelt genannt. 

Schwierigkeiten in der Vater-Kind-Beziehung zeigen sich für Alleinerziehende an folgenden Aspekten: 1. Die geringe Anzahl der Kontakte und Präsenz des Vaters (dies ist oft verbunden mit dem Nicht-Einhalten von Vereinbarungen und Versprechen); 2. Differenzen in der Vater-Mutter-Beziehung; 3. Das veränderte Verhalten von Kindern nach der Rückkehr von den Treffen (Weinen, Aggressivität, Rückzug); 4. Das Kind hat und sieht in der neuen Familie/Partnerin des Vaters Konkurrenz; 5. Das völlige Fehlen der Vater-Kind-Beziehung aufgrund seltener Kontakte; 6. Schwierigkeiten, die sich aufgrund von Alkoholismus des Vaters, Kontaktunterbrechung u.a. ergeben. 

Grundlegend ist festzuhalten, dass der Alleinerziehende den ›fehlenden‹ Elternteil trotz Trennung als Ergänzung wahrnimmt (im Falle regelmäßigeren Kontakts). Die Vorbildfunktion des Vaters spielt hier für die Alleinerziehenden Mütter eine besonders große Rolle. Hauptschwierigkeit in der Vater-Kind-Beziehung ist die geringe Kontakthäufigkeit und das Fehlen des Alltagserlebens mit dem Vater.

Doch Kontakt ist nicht gleichzusetzen mit wahrgenommener Erziehungsverantwortung! Der Wunsch nach einem »aktiven Vater« nach der Trennung bleibt für die Mehrheit der Ein-Eltern-Familien trotz gegebenem Kontakt unerfüllt, denn die Vaterrolle wird in den wenigsten Fällen bewusst und ausreichend ausgefüllt. Fehlende Verantwortungsübernahme, geringes zeitliches Engagement, mangelnde Beteiligung an Erziehungsaufgaben und Teilhabe am Leben der Kinder auf Seiten der Väter lassen ca. zwei Drittel der Mütter mit dem Gefühl zurück, allein-erziehend zu sein. Jedes dritte Kind hat keinen Bezug mehr zum Vater. Auch ein neuer Partner tritt als Vaterersatz nur selten auf. Er bleibt eher der ›gute Freund‹.

III. Vorsicht, Familie im Umbau!

Was kann bisher basierend auf den statistischen Analysen gesagt werden? Aufgezeigt wurde die Unterschiedlichkeit der Elternsituation in alleinerziehenden Familien. Eine pauschale Antwort auf die Frage, welche Auswirkungen die Vaterabwesenheit für die kindliche Entwicklung hat, ist schon von daher nicht möglich. Fassen wir die bisherigen Analysen in einem Schaubild zusammen, ergibt sich folgender Prozess von Einflussfaktoren auf den Familien-Typ und die daraus resultierende Entwicklung des Kindes / des Jugendlichen:7Die Grafik ist entnommen aus: Hilfen für Alleinerziehende, 129. 

Die Grafik zeigt deutlich, dass die Kernbeziehung – die Mutter-Kind-Beziehung – sowohl beeinflusst wird durch den Prozess der Familienentstehung der Ein-Eltern-Familie, als auch durch ganz individuelle Faktoren auf Seiten von Mutter und Kind. Die Qualität der Vater-Kind-Beziehung hängt außerordentlich stark von der Beziehung der ehemaligen Partner zueinander ab. 

Bevor wir die Vater-Kind-Beziehung näher betrachten, wollen wir einen allgemeinen Blick auf die Folgen und Begleiterscheinungen werfen, die mit der Veränderung der Familiensituation einhergehen können. 

Folgen für die Kindesentwicklung 

Während der Reorganisation der Familie befindet sich Kinder und Jugendliche in einer empfindsamen Lage. Man spricht von einer hohen Verletzbarkeit (Vulnerabilität). Sie reagieren darauf sehr unterschiedlich: Angstzustände, Schlafprobleme, psychosomatische Störungen, Verhaltensprobleme wie Aggressivität, Trotz, Leistungsdefizite. Diese Auswirkungen sind oft nur temporär, da Kinder fähig sind, sich an die neue Situation anzupassen bzw. neu einzuleben (Adaption). Dazu müssen die Bedingungen und die Unterstützung von außen jedoch stimmen. Zudem ist dies wiederum sehr von der Persönlichkeit des Kindes abhängig. Insbesondere in altersspezifischen Entwicklungsphasen können langfristige Folgen für die psychische Entwicklung entstehen:

Im Säugling- und Kleinkindalter

  1. Störungen der Nahrungsaufnahme 
  2. Schlafstörungen
  3. Bindungsstörung (unsichere Bindung) durch Wechsel zwischen den Elternteilen

Im Schulalter

  1. geringe soziale und kognitive Fähigkeiten von Vorschul- und Grundschulkindern
  2. Unfähigkeit zur Dritten-Person-Perspektive bei Kindern unter zehn Jahren führt zur eigenen Schuldzuweisung für die Trennung der Eltern
  3. Loyalitätskonflikte zu einem oder beiden Elternteilen
  4. geschlechtstypisch unterschiedliche psychische Störungen: Mädchen vermehrt internalisierende Störungen (z.B. Rückzug; Neigung zur Depression); Jungen externalisierende Störungen (Aggressivität, dissoziales Verhalten)
  5. Rollenumkehr und Parentifizierung: Kinder übernehmen Rolle der Eltern, der Elternteil fällt in die Rolle des Kindes und erwartet vom Kind ein unangemessenes Verhalten. Oft wird das Kind mit dem fehlenden Elternteil verglichen („Du bist wie dein Vater!“), was die Angst auslösen kann, dass auch die Eltern-Kind-Beziehung nicht von Dauer ist. Parentifizierung nimmt Kindern und Jugendlichen den Raum und die Sicherheit, um sich angemessen entwickeln zu können. 

Im Jugendalter

  1. s. die letzten drei Anführungen im Schulalter
  2. Drogenmissbrauch; Essstörungen (geschlechtsspezifische Raten)
  3. Beziehungsprobleme und Unzufriedenheit in eigenen Partnerschaften
  4. geringere Lebenszufriedenheit
  5. vermehrt Depressionen und andere psychische Symptome

Wichtig: Dies sind kein unvermeidliches Schicksal, das mit einer Scheidung oder der Bildung einer neuen Familie (Stieffamilie) einhergehen muss! Je nach Situation und Ablauf dieses Prozesses kann eine solche Reorganisation der Familie auch langfristig wieder in eine Stabilität des Kindes einmünden. 

Risiken & Ressourcen

Im Umfeld des Kindes / des Jugendlichen gibt es  Faktoren, die diese Verletzungen und ihre Folgen maßgeblich verursachen und verstärken (= Risiken). Ebenso gibt es aber selbst in dieser schwierigen Zeit risikovermindernde Faktoren (= Ressourcen):

Risiken

  1. niedriger sozioökonomischer Status der Familie
  2. niedriges Qualifikationsniveau (Elternkompetenz)
  3. ungünstige Wohnsituation
  4. Konfliktniveau der Elternbeziehung
  5. Kommunikationsstil / Erziehungsverhalten Alleinerziehender:
    1. ein zu partnerschaftliches Verhalten der Mutter führt auf der Seite des Kindes zur ›Parentifizierung‹. Das Kind kann nicht mehr Kind sein und muss die Rolle des Erwachsenen übernehmen. 
    1. zu Beginn der Ein-Eltern-Phase zeigt sich meist ein schwankender Erziehungsstil zwischen Nachgiebigkeit und Strenge. Die Verunsicherung des Kindes / des Jugendlichen zeigt sich in unterschiedlichen Verhaltensauffälligkeiten. 

Ressourcen

  1. geringes Konfliktniveau der Elternteile (mehr psychisches Wohlbefinden)
  2. stabile Eltern-Kind-Beziehung (Wohlbefinden im Erwachsenenalter zusammengesetzt aus: Selbstwert, erlebte Belastungssymptome, Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen, eingeschätztes Glück)
  3. Kommunikationsstil / Erziehungsverhalten des Alleinerziehenden 
    • Ein verstärktes Eingehen auf die persönlichen Bedürfnisse des Kindes ist in der Reorganisationsphase von großer Bedeutung
    • Die Eltern-Kind-Unterschiede müssen gewahrt werden, damit das Kind / der Jugendliche die nötige Stabilität erfährt
    • viele Ein-Eltern-Familien weisen während der Pubertät ein geringes Konfliktniveau mit den Heranwachsenden auf als Zwei-Eltern-Familien. Dies ist jedoch ein trügerisches Bild. Gerade die Auseinandersetzung mit den Regeln der Eltern und ein kommunikativ-autoritativer Umgang der Eltern trägt zur Persönlichkeitsentwicklung des Jugendlichen bei. Regeln geben Orientierung! Alleinerziehende Mütter tendieren dazu, dem Jugendlichen zu viel Freiraum zu geben, um Harmonie zu wahren, aber errungene Konfliktlösungen und eine gewisse Wahrung der Eltern-Kind-Dynamik helfen dem Jugendlichen auf seinem Weg. Zudem zeigt sich in Streitsituationen in Ein-Eltern-Familien eine sehr emotionale Ebene, die verhindert, dass Konflikte auf der Sachebene ausdiskutiert werden können. Für Kinder und Jugendliche schwebt hierbei die Angst mit, dass Beziehungen kündbar sind, wie sie am Beispiel der Eltern bereits erfahren haben. 
  4. vertrauensvolle Eltern-Kind-Beziehung
    • viele Eltern sind in dieser Phase viel mit sich selbst beschäftigt. Dies ist äußerst gefährlich für die Eltern-Kind-Beziehung. Auch die Väter sollten sich in dieser Phase nicht aus Frust von ihren Kindern zurückziehen, sondern versuchen, die Beziehung aufrecht zu erhalten. 

Fazit: Risiko ›Ein-Eltern-Familie‹?!

Mit den Daten & Fakten im Hinterkopf lassen die Risiken bezüglich vieler Ein-Eltern-Familien nichts Gutes vermuten. Sind Kinder aus Ein-Eltern-Familien allgemein als vulnerabler einzuschätzen? Pauschal lässt sich das nicht für jede Ein-Eltern-Familiensituation sagen. Doch die Risiken sind von der Familienform ›Alleinerziehend‹ auch nicht komplett zu trennen. Denn die Risikofaktoren gehen überwiegend mit dem Prozess einher, der zu dieser Familienform führt (insbesondere das Konfliktniveau) bzw. sind charakteristisch für jene Gesellschaftsschichten, denen alleinerziehende Mütter überwiegend angehören.

Für ein Drittel der Kinder aus Ein-Eltern-Familien zeichnet sich eine strukturelle Lebenslage ab, die gravierenden Einfluss auf deren Entwicklung hat: »Die Abhängigkeit [...] von Arbeitgebern, Wohlfahrtsbehörden, kommunalen Ämtern und väterlichen Unterhaltszahlungen ist charakteristisch. Hoffnungslosigkeit und Ohnmachtshaltung kennzeichnen das Verhalten der Alleinerziehenden und führen zu Nachahmungen bei den Kindern. Die Erwartungen der Kinder an die Mutter werden immer geringer, da diese häufig nicht in der Lage sind, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu befriedigen, denen sie mit Ungeduld und unangemessenen Reaktionen begegnen. Die Kinder übertragen diese Erfahrungen auf ihre Umwelt, auch weil sie von den Eltern nicht zu alternativen Handlungen und Lebensweisen ermutigt werden.«8Braches-Chyrek, Zur Lebenslage von Kindern in Ein-Eltern-Familien, 163. 

Diesen Kindern fehlt es an Lebensspielraum, Bewegungs- und Entfaltungsmöglichkeiten:

  • Das Familienbudget kann für Material und Kleidung kaum aufkommen, was in Schulen zu sozialer Ausgrenzung führt. 
  • Die Freizeit wird von Medienkonsum bestimmt, es fehlt an geistiger Anregung und Umwelterforschung.
  • Der unzureichende Wohnraum führt meist dazu, dass Kontakt zu Freunden eingeschränkt ist. Oft werden Kinder in der Familie ›isoliert‹.

Es sind vor allem diese Rahmenbedingungen, die die Kindesentwicklung beeinflussen!

IV. Fehlende Väter - fehlende Entwicklung?

Die Vaterforschung

Die bisherigen Analysen dürfen nicht zu dem Schluss führen, dass das Fehlen des Vaters im Alltag und Leben des Kindes keinerlei Auswirkungen hat. Die Rahmenbedingungen und einzelnen Faktoren während der Reorganisation sind unmittelbar miteinander verknüpft und beeinflussen einander (s. Daten & Fakten). So ist auch die Vater-Kind-Beziehung und das jeweilige Ausmaß Teil des Familienprozesses – sie wird beeinflusst, beeinflusst aber auch wiederum andere risikohafte Faktoren (Bsp. finanzieller Status).

Die Familienforschung legte in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten einen besonderen Fokus auf die Frage, wie ein Vater die Entwicklung seines Kindes beeinflusst. Es stellte sich die Frage, ob Männer als Väter Funktionen wahrnehmen, die sich in ihrer Wirkung auf die kindliche Entwicklung von denen der Mutter unterscheiden. 

›Richtiges‹ männliches bzw. väterliches Verhalten wurde und wird immer an gesellschaftlichen und kulturellen Normen festgemacht. So war der Mann lange Zeit im Familienalltag wenig präsent und hauptsächlich für den Unterhalt und den Schutz, nicht aber die Erziehung und somit die eigentliche Entwicklung des Kindes verantwortlich. Ihm wurden sogar einige Kompetenzen gänzlich abgesprochen. So hielt man die Fürsorgekompetenz (Sorge um einen Säugling od. ein Kleinkind) für rein ,weiblich‘. Doch auch Väter haben ein »intuitives Elternverhalten« gegenüber Neugeborenen und können, wie Mütter, in vielen Bereichen die Fürsorge übernehmen, d.h. die kindlichen Bedürfnisse wahrnehmen und darauf reagieren. 

Und dennoch ist die Vater-Kind-Beziehung nicht mit der Mutter-Kind-Beziehung gleichzusetzen. Die Vaterforschung lieferte dazu grundlegende Erkenntnisse. Ergebnis: Väter tragen zur Kindesentwicklung auf andere Art und Weise bei, als Mütter! Und: Der Vater ist für eine gesunde seelische und soziale Entwicklung des Kindes existenziell notwendig!

Die Rolle des Vaters

Persönlichkeitsentwicklung im Beziehungsgefüge der Vater-Mutter-Kind-Triade

Noch vor wenigen Jahrzehnten ging die Forschung davon aus, dass dem Vater, insbesondere im Bezug auf die Entwicklung des Kleinkindes, keine überragend wichtige Rolle zukomme. Weit gefehlt! 

Vater und Mutter (sowie weitere Familienmitglieder) stehen in einem Beziehungsgefüge, auf das Kinder von Anfang an reagieren – je nachdem, wie es ihnen geboten wird. Die einzelnen Zweierbeziehungen (Dyaden: Paarbeziehung, Mutter-Kind-Beziehung, Vater-Kind-Beziehung) sind von großer Bedeutung. Aber diese Zweierbeziehungen stehen immer in Relation zum gesamten Beziehungssystem. Wir wollen hier auf zwei grundlegende Entwicklungsfaktoren eingehen: 

1. Kinder reagieren von Anfang an auf die Qualität der Elternbeziehung. Das emotionale Klima ist verantwortlich für die Entwicklung emotionaler und sozialer Kompetenzen des Kindes: »Die Art und Weise, wie die Eltern vor ihm miteinander umgehen, wie sie beispielsweise aufeinander eingehen können oder nicht, wieweit sie bereit sind Kompromisse zu schließen und wie sie ihre Emotionen in der Beziehung zueinander regulieren, dies alles sind Aspekte, die zur Ausbildung von unterschiedlichen Modellen für soziale Interaktion beim Kind führen [...] Die Erfahrung der Kinder mit permanenten Streitigkeiten zwischen den Eltern, negativen Emotionsausbrüchen und der Unfähigkeit, aufeinander einzugehen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß sich beim Kind Schwierigkeiten bei der Persönlichkeitsentwicklung, der Anpassungsfähigkeit und der sozialen Kompetenz zeigen.«9Kreppner, Kurt, Eltern-Kind-Beziehung: Forschungsbefunde, 5-6.  Viele Entwicklungsdefizite und Verhaltensauffälligkeiten kommen also nicht durch das Fehlen des Vaters allein, sondern durch die geringe Beziehungsqualität der Eltern untereinander zustande. Dennoch lassen sich einige spezifische Handlungs- und Wirkungsweisen von Vätern nachweisen. 

2. Insbesondere zu Beginn der Kindesentwicklung kommt dem Vater vorherrschend die Rolle des Dritten im Beziehungsgefüge der Familie zu. Er ›durchbricht‹ die Mutter-Kind-Dyade, die, biologisch bedingt, stark von Nähe und Beziehung geprägt ist. Der Vater bietet dem Kind jetzt die notwendige Komponente der Distanz zur Mutter. Dies ist keine geschlechtsspezifische Zuschreibung, denn im Verlauf der Kindesentwicklung ist es wichtig, dass sowohl vom Vater als auch von der Mutter Nähe und Distanz situationsangemessen geboten werden. Die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes findet gerade in dieser Spannung von Nähe zum einen und Distanz bzw. Ausschluss zum anderen Elternteil statt.10Ein Beispiel: Wenn der achtjährige Sohn mit seinem Vater an einem verregneten Sonntag eine Fahrradtour im Wald unternimmt und beide nass und verdreckt nach Hause kommen, dann könnte es sein, dass die Mutter die beiden Männer als unvernünftig hinstellt und der Sohn sich stolz mit dem Vater gegen die besorgte Mutter verbündet weiß. Das wird den Sohn aber nicht daran hindern, gleich nach der mütterlichen Ansprache eine warme Dusche zu nehmen, sich an die Mutter zu kuscheln und den Vater aus dieser innigen Beziehung auszuschließen (Hildebrand, Kein Kontakt zum anderen Elternteil, 3).  Sind die einzelnen Familienbeziehungen im Gleichgewicht, dann sind diese Koalitionen keine unüberwindbaren Konflikte für das Kind / den Jugendlichen. Ist die emotionale Basis gegeben, d.h. sind die Beziehungen von Dauer und Verlässlichkeit geprägt, dann bieten diese ›Konflikte‹ die Grundlage zur Ausbildung der Identität.

Dies bedeutet, dass der Vater nicht nur eine ergänzende aber im Notfall verzichtbare Rolle einnimmt, sondern dass das Kind von Anfang an auf die Mutter-Vater-Kind-Triade angewiesen ist. Das heißt nicht, dass ein Kind ohne Triade nicht angemessen aufwachsen kann, aber, dass die Position des Vaters eine Kompensation braucht. Außerdem ist bei Vaterverlust das Alter des Kindes entscheidend. Je nach Entwicklungsphase kommen so geringere oder schwerwiegendere Defizite zustande. Hier gilt es nach Lösungen zu suchen: Funktionierendes Unterstützungsnetz (Verwandte, Freunde), Vertrauenspersonen für das Kind, verlässliche männliche Bezugspersonen. 

Die Rolle des Vaters in der Kleinkindzeit bis zur Pubertät

Väter bieten Kindern die Möglichkeit, sich von der Mutter zu lösen und dennoch Halt und Sicherheit zu haben, denn sie haben nicht nur eine, sondern zwei geliebte Bezugspersonen. Zusammen, als Vater und Mutter bieten Eltern ihren Kindern schon früh zwei verschiedene Identifikationsmöglichkeiten, eine weibliche und eine männliche. Dies braucht ein Kind für ein ›ganzheitliches weiblich-männliches Selbstbild‹ (Petri, Die Bedeutung des Vaters). 

In der Interaktion mit Kindern zeigen sich einige väterspezifische Charakteristika:

  • Ihre spielerische Aktivität fördert die Motorik und den Körper des Kindes. In der Spielsituation zeigt sich ein generell anderer Umgang des Mannes verglichen zur Frau. Sein Spiel mit dem Kind ist herausfordernder;
  • der Vater bewirkt stärkere Stimulierung durch visuelle und akustische Reize;
  • der Körperkontakt ist meist distanzierter und aufregender;
  • Väter zeigen einen geschlechtsspezifischeren Umgang als Mütter:
    • Vater-Sohn-Interaktion ist tendenziell strenger, wilder und direktiver;
    • Vater-Tochter-Interaktion ist tendenziell weicher, vorsichtiger und unterstützender;
  • Väter fördern die Selbstständigkeit durch Herausforderung, Konfrontation und größeren Freiraum für neue Erfahrungen;

»Mit diesen gemeinsamen Aktivitäten lernen Kinder, wie sie starke Emotionen, wie z.B. große freudige Erregung oder Ärger, regulieren können. Eine Erfahrung, die für die spätere Gestaltung sozialer Beziehungen von zentraler Bedeutung ist.«11Limmer, Mein Papa lebt woanders, 249. 

Interessanterweise erweisen sich die Unterschiede mütterlichen und väterlichen Verhaltens – dieses ist generalisierend auf geschlechtsspezifische Unterschiede zurückzuführen – »psychologisch in idealer Weise als komplementär. Sie ergänzen emotionale, soziale, kognitive und instrumentelle Anreize zu einer notwendigen Einheit« (Petri, Die Bedeutung des Vaters).

Die Rolle des Vaters in der Pubertät

Auch hier werden komplementäre Mutter- und Vaterrollen beobachtet. Der Vater repräsentiert trotz der veränderten Frauen- und Männerbilder unserer Kultur stärker zentrale Aspekte der Öffentlichkeit. »Der Vater scheint für die zunehmende emotionale und räumliche Distanzierung und die stärkere Außenorientierung ein sehr gutes Modell zu sein.«12Seiffge-Krenke, Psychotherapie, 206. Der Umgang der Jugendlichen mit dieser neuen Lebensphase und die Frage, ob und wie sie diese gestalten können, hängen entscheidend von der Weichenstellung und Unterstützung des Vaters ab. 

Des Weiteren begünstigt die Präsenz des Vaters neben der Mutter eine positive Entwicklung der eigenen Geschlechtsidentität (psychosexuelle Identität) von Jungen und Mädchen. Väter unterscheiden sich sehr viel stärker als Mütter in ihrem Verhalten gegenüber Mädchen und Jungen. Für die psychosexuelle Entwicklung des Kindes dient dies bei Jungen dazu, ein männliches Rollenmodell und Identifikationsobjekt zu haben. Mädchen werden durch das Verhalten des Vaters in ihrer Geschlechtlichkeit positiv bestätigt: 

»Nur wenn die Tochter durch die Identifikation mit dem Vater und durch seine Bestätigung ein weibliches Selbstbild und ein positives Männerbild verinnerlichen kann und wenn der Sohn zu seiner eigenen männlichen Identität findet, werden beide beim Eintritt in die Gesellschaft und in die Welt der Sexualität über ein stabiles Selbstgefühl als Frau oder als Mann verfügen« (Petri, Die Bedeutung des Vaters). 

Zusammenfassung: Vater-Funktionen

Insgesamt zeigt sich die distinktive Bedeutung des Vaters für die Kindesentwicklung vor allem bei der Stimulation des Kindes auf kognitiver, moralischer, psychosexueller und psychosozialer Ebene. Die folgende Tabelle fasst die spezifischen Rollen des Vaters in den verschiedenen Altersstufen nach Pfaff und Seiffge-Krenke zusammen und zeigt die Weiterführung wichtiger Funktionen für die Entwicklung des Kindes bis ins junge Erwachsenenalter auf:

Tabelle: Funktionen des Vaters in den verschiedenen Altersstufen
KleinkinderSchulkinder
Erforschung der Umwelt Trennung vom Körper der MutterErwerb von RegelnFörderung motorischer FähigkeitenFeinfühlige HerausforderungFörderung motorischer FähigkeitenMentor u. Repräsentant der AußenweltBetonung des Geschlechts
JugendlicheJunge Erwachsene
AutonomieunterstützungModell zur AußenorientierungBetonung des Geschlechts (Haltung einer „kontrollierten Erotik“)Ratgeber AutonomieunterstützungEmotionale Unterstützung Konkurrent

Ziehen wir also Bilanz: Es lässt sich festhalten, dass das grundsätzliche Verhalten von Vätern und Müttern charakteristische Unterschiede aufweist,  die ergänzend auf die Entwicklung des Kindes einwirken.

»Sicherlich gehen Väter zuweilen ›mütterlich‹ mit ihren Kindern um, genauso wie Mütter ›väterlich‹ mit ihren Kindern umgehen können. Bestimmte Bedingungen, etwa Persönlichkeitseigenschaften der Eltern oder spezifische Familienkonstellationen können diese Tendenzen noch verstärken. Kinder können jedoch in dem Beziehungsdreieck Vater-Mutter-Kind wichtige Differenzerfahrungen machen. Erst die ausgewogene Mischung beider Erfahrungen, ›mütterlicher‹ und ›väterlicher‹ Anteile, ermöglicht den für das Kind und jeden Jugendlichen so wichtigen Entwicklungsprozess von Loslösung und Individuation« 

Seiffge-Krenge, Psychotherapie, 208f.

Das ›Kapital‹ getrennt lebender Väter

Ist der Kontakt zum Vater möglich und kann dadurch eine gute Vater-Kind-Beziehung aufgebaut bzw. erhalten werden, kann auch ein getrenntlebender Vater positiv zur Entwicklung seines Kindes beitragen. Dies sowohl ›finanziell‹ (Unterhaltszahlungen), als auch durch sein ›soziales Kapital‹ (Kontakt, Vater-Kind-Interaktion, Erziehungsverhalten). Entgegen der Annahmen zeigten Untersuchungen, dass die Kontakthäufigkeit nur geringe positive Effekte auf die Entwicklung der Kinder hatte. Die Kontaktfrequenz (Quantität) führt nicht automatisch zu einer guten Vater-Kind-Beziehung (Qualität) und zu positiven Entwicklungsbeiträgen. Das ist zum einen von der Vaterperson an sich und seiner väterlichen Kompetenz abhängig. Diese wirkt sich schon vor der Trennung auf die Vater-Kind-Beziehung aus und wird während und nach der Trennung entsprechend wahrgenommen. Zum anderen spielen hier wieder die vielen Kontextbedingungen eine Rolle. Doch Zeit und Beziehungsqualität sind auch nicht ganz voneinander zu trennen. Beziehungsaufbau und -pflege benötigt Zeit!

Im Falle eines hohen Konfliktniveaus der Elternteile zeigt sich, dass häufiger Kontakt mit dem Vater vermehrt zu Problemen für das kindliche Wohlbefinden führt. Kinder und Jugendliche, die dauerhaft der Konfliktsituation zwischen den Eltern ausgesetzt sind, weisen häufiger Depressionen auf. Dies gilt sowohl in Ein-Eltern-Familien, als auch für Kinder in Zwei-Eltern-Familien. Der ständige Loyalitätskonflikt, die Koalitionen im Familiensystem und die Angst, wie der abgewiesene Elternteil zu sein, führen zu schweren seelischen Nöten. 

Ob der Kontakt zum Vater positive Auswirkungen auf die Kindesentwicklung hat, ist von der Art der Interaktionsangebote abhängig, d.h. wie die Treffen gestaltet werden und was das Kind mit und durch den Vater erlebt. Getrenntlebende Väter bieten ihren Kindern primär Freizeit und Unterhaltung. Diese Form der Interaktion verzeichnet statistisch keine positiven Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. Alltagsferne Erlebnisse enthalten Kindern wichtige Beziehungserfahrungen vor. 

Hingegen trägt ein autoritatives Erziehungsverhalten, d.h. fordernde und fördernde Interaktionsangebote, dazu bei, Verhaltensprobleme der Kinder zu verringern und Schulleistungen zu stärken.Des Weiteren trägt die Regelmäßigkeit der Unterhaltszahlungen – »sei es als Zeichen seiner aufrecht erhaltenen Verpflichtung gegenüber den Kindern oder aufgrund der verbesserten ökonomischen Ressourcen«13Walper, Kontextmerkmale, 152.  – positiv zur kindlichen Entwicklung und Qualität der Vater-Kind-Beziehung bei.Fazit: Wo es möglich ist, gilt es alles daran zu setzen, dass die Vater-Kind-Beziehung erhalten bleibt und der Vater auch weiterhin seine Rolle einnehmen kann.

»Autoritatives Erziehungsverhalten, das durch hohe Zuwendung und Unterstützung, aber auch bewusste Orientierung an Regeln und einer entsprechenden Überwachung der Kinder charakterisiert ist, hat einen etwa vier- bis fünfmal so starken positiven Effekt auf die Entwicklung der Kinder als die reine Kontakthäufigkeit zum Vater« 

Walper, Kontextmerkmale, 152

Folgen der Vaterentbehrung

Nach all diesen Analysen stellt sich nun die schwierige Frage nach den tatsächlichen Folgen der Vaterentbehrung. Schwierig ist diese Frage aufgrund der Komplexität der Einflussfaktoren, aber auch aufgrund der Gefahr der Stigmatisierung. Letzteres wurde durch die vorangehenden Ausführungen entschärft. Dennoch gilt es, die Ergebnisse der Entwicklungsforschung zu Betrachten und gegebenenfalls gewissen gesellschaftlichen Trends und Meinungen (bzw. Irrungen) entgegenzutreten. 

Kurzfristige Auswirkungen

Aufgrund der Trennungserfahrungen und der Zerrissenheit des Kindes zwischen An- und Abwesenheit des Vaters, zeigen sich vor allem Verhaltensauffälligkeiten während und einige Zeit nach der Trennung. Einige dieser Verhaltensstörungen wurden bereits aufgeführt (s. Risiken und Ressourcen). Diese vermehrt mittelfristigen Folgen gehen vor allem auf die Reorganisation der Familiensituation zurück und nehmen nach einer Stabilisierungsphase von ca. 2 Jahren ab.

Langfristige Auswirkungen

Die folgenden Ausführungen zeigen die Tendenzen auf, die bislang aus den Untersuchungen entnommen werden können. Wichtig ist aber auch hier: Die zusätzlichen Faktoren sind zu beachten! 

+ Zur kognitiven Entwicklung vaterlos aufwachsender Kinder

Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die den Vater entbehren müssen/mussten, weisen oft geringere schulische Leistungen, Bildungserfolge und ein niedriges Leistungsniveau auf. Betrachtet man die jeweilige Trennungsursache (Tod, schwere Krankheit, Trennung), zeigt sich vor allem, dass die Kombination aus familiärem Stress (Trennungskonflikte, chronische Krankheit) und Vaterabwesenheit die kindliche Entwicklung maßgeblich beeinträchtigen. Dies gilt auf kognitiver Ebene besonders für Jungs. Die Forschungsliteratur bietet hier jedoch kein einheitliches Bild und Vergleiche zur Abwesenheit der Mutter zeigen ähnliche Ergebnisse für die kognitive Entwicklung des Kindes (!). Dennoch ist tendenziell festzuhalten, dass der Vater zur kognitiven Entwicklung des Kindes beiträgt und sein Fehlen (ebenso wie das der Mutter) negative Folgen für das Kind haben kann. Weitere Einflussfaktoren sind hierfür jedoch: Die intellektuelle Ausgangskapazität des Kindes; Alter des Kindes bei der Trennung; Sozioökonomische Lage der Familie; Vorhandensein oder Fehlen von fördernden Rahmenbedingungen.

Petri weist zurecht darauf hin, dass das eigentliche Phänomen als Folge von Trennungserfahrungen damit jedoch nicht erklärt wird: 

+ Zur moralischen Entwicklung vaterlos aufwachsender Kinder

Nach der Theorie sozialen Lernens (behavioristische Psychologie) ist der Vater ein wichtiges Modell für Selbstkontrolle, das Erlernen sozialer Normen und Verhaltensstandards. Dies erklärt und stützt die Ergebnisse zur Untersuchung der moralischen Entwicklung von vaterlos aufwachsender Kinder. Insbesondere Jungen zeigen hier eine verstärkt »kriminelle Potenz«, die sich in Regelverletzungen, Grenzüberschreitungen, aggressivem Verhalten und höherer Kriminalität ausdrückt (unterstützt durch negative Umweltbedingungen). Dabei handelt es sich um grundlegende Tendenzen, die vor allem auf Untersuchungen verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher zurückgehen und keineswegs pauschalisierend auf Kinder in Ein-Eltern-Familien zu übertragen sind. 

Die Bedeutung des Vaters zeigt sich hier jedoch verstärkt für die Entwicklung von Jungen. Dies weist auf seine Rolle als »Repräsentant gesellschaftlicher Normen« und als männliche Identifikationsfigur hin.

+Zur Geschlechtsrollenentwicklung vaterlos aufwachsender Kinder

Die Bedeutung des Vaters für die Bildung einer eigenen Geschlechtsidentität wurde bereits herausgestellt. Ein Fehlen bzw. die ungenügende Anwesenheit / qualitative Interaktion der Vaterperson lässt daher diesbezügliche Auswirkungen vermuten. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind jedoch eher uneinheitlich und zeigen vor allem auch die große Bedeutung von Außeneinflüssen. 

Überwiegend wird angenommen, dass durch den fehlenden Vater bei Jungen die positive Identifikation und der Erwerb ihrer männlichen Geschlechtsrolle erschwert wird. Die Unterschiede der Entwicklung bei Vaterverlust durch Tod und Vaterentbehrung durch Scheidung weisen darauf hin, dass vor allem auch das mütterliche Verhalten (z.B. Abwertung des Vaters) einen wesentlichen Beitrag leistet. 

Töchtern fehlt die positive Bestätigung ihrer eigenen Geschlechtsrolle durch den Vater. Dies zeigt sich in partnerschaftlichen Schwierigkeiten, erhöhten Scheidungsraten und oft misslungener Partnerwahl. Wallerstein sieht den entscheidenden Mechanismus für das häufige Misslingen von Partnerschaften, in den Vorbehalten und Zweifeln, die Frauen aus vaterlosen Familien ihren Partnern entgegen bringen.

+ Zur psychosozialen Entwicklung vaterlos aufwachsender Kinder

Statistiken aus Amerika zeichnen ein Horrorszenario vaterlos aufwachsender Kinder: »Aus vaterlosen Familien stammen 63 Prozent der jugendlichen Selbstmörder, 71 Prozent der schwangeren Teenager, 90 Prozent aller Ausreißer und obdachloser Kinder, 70 Prozent der Jugendlichen in staatlichen Einrichtungen, 80 Prozent aller Heimkinder, 85 Prozent aller jugendlichen Häftlinge, 71 Prozent aller Schulabbrecher und 75 Prozent aller Heranwachsender in Drogenentzugszentren.«14Zitiert bei Petri, Drama der Vaterentbehrung, 149. Oder anders gesagt: »Kinder, die ohne Vater aufwachsen, sind 5mal mehr gefährdet, Selbstmord zu begehen; 32mal mehr gefährdet, von zu Hause wegzulaufen; 14mal mehr gefährdet, Vergewaltigungen zu begehen; 9mal mehr gefährdet, frühzeitig aus der Schule auszusteigen; 10mal mehr gefährdet, Drogen zu nehmen, 9mal mehr gefährdet, in einer Erziehungsanstalt zu landen; 20mal mehr gefährdet, sich in Gefängnissen wiederzufinden, 33mal mehr gefährdet, ernstlich körperlich misshandelt zu werden und 73mal mehr gefährdet, Opfer tödlichen Missbrauchs zu sein.«15Zitiert bei ebd., 149-150.

Folglich bilden Alleinerziehende die größte Zielgruppe  erzieherischer Hilfen: Jede zehnte alleinerziehende Familie nahm 2008 erzieherische Hilfe in Anspruch (ca. 2% Zwei-Eltern-Familien). Jedes dritte Kind (37%) der Erziehungsberatung, 56% der Kinder in stationärer Unterbringung in Vollzeitpflege und 52% der Kinder mit ambulanter Unterstützung durch Sozialpädagogische Familienhilfe wächst mit nur einem Elternteil auf.16Alleinerziehende in Deutschland, Mikrozensus 2009, 31. Durchschnittlich zeigen sich bei Kindern aus vaterlosen Familien vermehrt Schwierigkeiten bei der sozialen Anpassungsfähigkeit, Unselbstständigkeit, geringes Selbstbewusstsein etc. Im Erwachsenenalter sind sie häufiger von »Neurosen, Depressionen, schweren Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie, Drogen- und Alkoholsucht und [...] Selbstmordversuchen«17Petri, Drama der Vaterentbehrung, 149. betroffen.

Diese Daten zeichnen ein erschreckendes Bild von Kindern aus Ein-Eltern-Familien. Hier gilt es aber insbesondere die Faktoren der Rahmenbedingungen zu beachten! Es handelt sich hierbei um soziale Randphänomene, sowie, bezüglich der Zahlen amerikanischer Studien, um Gesellschaftskontexte und -Probleme, die in diesem Maß nicht auf den west-europäischen Kontext zutreffen. Dennoch sollten diese Zahlen alarmieren und darauf hinweisen, dass Vaterlosigkeit dramatische Folgen für die Kindheitsentwicklung, aber auch für die gesamte Gesellschaft haben kann. 

»Das Trauma der Vaterentbehrung mit seiner Trennungsangst, dem Trennungsschock und seinen negativen Auswirkungen auf Ichstärke und das Selbstgefühl werden dabei nicht berücksichtigt. So bleibt die selbstverständliche Tatsache unerkannt, dass die traumatisierte Person, die sich von der Außenwelt abgrenzt, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen, auch nicht in der Lage ist, ihre angeborene Leistungsbegabung voll zu entfalten oder zu nutzen« 

Petri, Das Drama der Vaterentbehrung, 146

Zum Schluss

Ein »verloren gegangener Vater« ist nicht nur ein ausgezogener oder nie da gewesener Vater. Auch Kinder in Zwei-Eltern-Familien können ›vaterlos‹ sein, wenn ihre Väter ihre wichtige Rolle im Leben ihrer Kinder und Jugendlichen nicht angemessen wahrnehmen. Hier muss in unserer westlichen Kultur noch einiges getan und repariert werden, damit die Vaterentbehrung kein »kollektives Phänomen« bleibt.

V. Was kann man tun?

Kinder und Jugendliche aus Ein-Eltern-Familien, alleinerziehende Mütter und die Väter brauchen Unterstützung. Christliche Kirchen und Gemeinden sollen auf das Wohl der Stadt und ihrer Menschen ausgerichtet sein (Jeremia 29,7), denn die Botschaft Jesu Christi hat ›Hand und Fuß‹. Hilfe ist nötig und Hilfe ist möglich! Wir wollen diesen Newsletter mit einigen Ideen und Handlungsansätzen beschließen.18Auf unserer Homepage www.wert-voll.info finden Sie in Kürze einen Praxisentwurf für die Jugendarbeit. Hier wird das Thema „Familie und andere Sorgen“ anhand von Spielfilmen mit anschließender Diskussion den Jugendlichen zugänglich gemacht. 

+ Kinder & Jugendliche begleiten

  • Newsletter Nr. 3 – ›Können Scheidungskinder glücklich werden?‹ – gibt Ihnen Einblick in verschieden »Problem-Cluster«, die für Scheidungskinder ebenso wie für viele Kinder aus Ein-Eltern-Familien von Bedeutung sind. Nehmen Sie die  Ausführungen zu Schuld, Scham, Vertrauen, Struktur, Reife und Loyalität als Anhaltspunkte zur sensiblen Wahrnehmung des einzelnen Jugendlichen, damit Sie ihnen hilfreich zur Seite stehen können. Die Problem-Cluster bieten sich ebenso als Grundlage zu Themeneinheiten an. 
  • Viele Jugendliche aus Ein-Eltern-Familien beklagen vor allem mangelnde Unterstützung bei Schulaufgaben und der Zukunftsplanung. Hier können christliche Kirchen und Gemeinden helfen? 
  • Kinder und Jugendliche brauchen Stabilität. In der Gemeinde können Kleingruppen und Jugendhauskreise Vertrauensräume werden. Streben Sie eine gute Strukturierung ihrer Kinder- und Jugendarbeit an und schulen Sie ihre Mitarbeiter. 
  • Väter können nur schwer ersetzt werden. Dennoch sind männliche Bezugspersonen wichtig. Männliche Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendarbeit sind deshalb besonders wichtig. Vermitteln Sie Männern ihrer Gemeinde, wie wichtig sie für Jungen und Mädchen sind. 
  • Suchen Sie weise und reife Christen ihrer Gemeinde, die einem Jugendlichen Mentor sein können. 
  • Kinder und Jugendliche, die ohne Vater aufwachsen oder ein sehr negatives Vaterbild aufgrund ihrer Erlebnisse haben, kämpfen vermehrt mit Schwierigkeiten, Gott als Vater zu verstehen. Hier muss man Sensibilität in der Sprache entwickeln und die Thematik ›Gott der gute Vater‹ in Kinder- und Jugendstunden aufgreifen.
  • Kinder und Jugendliche, die eine Trennung der Eltern hinter sich haben oder durchleben, brauchen Begleitung. Gemeinden können diese Begleitung in Kinder- bzw. Jugendgruppen bieten. Im Literaturverzeichnis finden Sie hierzu Informationen zu Material und Beispielen. 

+ Mütter & Väter unterstützen

  • Informieren Sie sich, welche Angebote ihre Stadt Alleinerziehenden bereits bietet. Kontaktieren Sie diese Arbeiten und halten Sie Adressen bereit für hilfesuchende Mütter und Väter.
  • Alleinerziehende Mütter brauchen finanzielle und zeitliche Unterstützung. Was kann Ihre Kirche und Gemeinde dazu beitragen? Richten Sie einen Unterstützerkreis (Spendenfond) für Alleinerziehende ihrer Gemeinde ein. Organisieren Sie: Babysitterangebote; Putzhilfen; einen Fahrdienst für Kinder- und Jugendgruppen; Tagespflege bei Familien der Gemeinde; Mittagessen am Sonntag für alleinerziehende Familien; Hilfe und Beratung  bei Sozialhilfeanträgen etc. 
  • Angebote, die dem Wohlbefinden der Mütter dienen, dienen auch dem Wohlbefinden der Kinder. Alleinerziehende Mütter brauchen mehr Kapazität für ihre Mutterrolle. 
  • Im Bereich der Familienberatung und -begleitung sollten Gemeinden besser ausgerüstet sein! Alleinerziehende brauchen Erziehungskurse (ebenso Eltern aus Zwei-Eltern-Familien!), Anleitung und Austausch mit anderen Eltern. Da die Mehrzahl alleinerziehender Mütter eine Trennung hinter sich haben, oder gerade durchleben, brauchen Gemeinden Begleitungskurse. Informationen zu Material und hilfreichen Internetadressen, finden Sie im Literaturverzeichnis. 
  • Mütter und Väter müssen über die Rolle des Vaters für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen aufgeklärt werden. Auch Väter brauchen Anleitung und Begleitung, um ihre Rolle als Vater, insbesondere als abwesend-lebender Vater, wahrzunehmen. Die ehemaligen Paare müssen begleitet werden, um gemeinsam Lösungen zu finden und Konflikte zu bereinigen, wo dies möglich ist. 
  • Spezielle Angebote für Väter mit ihren Kindern können helfen, Kontakte zu ermöglichen: Vater-Sohn-Wochenenden; Freizeiten etc. 

Verantwortliche in Kirchen und in der christlichen Jugendarbeit sind aufgefordert, die Nöte der Kinder und Jugendliche von heute zu erkennen und ganzheitliche Hilfe zu bieten. Die größer werdende Gruppe von Kindern aus alleinerziehenden Elternhäuser muss von daher mehr in den Fokus rücken, genauso wie die Nöte von alleinerziehenden Müttern. Dazu will dieser Newsletter erste Anregungen geben.

Aline Seywald

Endnoten

  • 1
    Alleinerziehende in Deutschland, Mikrozensus 2009, 7-9.
  • 2
    Sozial Spezial, Brandenburger Jugendliche in Ein-Eltern-Familien, Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie, 2011, 3. 
  • 3
    Alleinerziehende in Deutschland, Mikrozensus 2009, 21-22. 
  • 4
    Ebd., 11-12.
  • 5
    Dieser Newsletter kann keine ausführliche Erarbeitung all dieser Problemfälle bieten. Mitarbeitern der Kinder- und Jugendarbeit empfehle ich, sich weiterführend mit diesen Themen zu beschäftigen. Im Literaturverzeichnis finden Sie hierzu ausreichend Informationen. 
  • 6
    Lebenswelten und -wirklichkeiten von Alleinerziehenden, Hg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 2011, 12. 
  • 7
    Die Grafik ist entnommen aus: Hilfen für Alleinerziehende, 129. 
  • 8
    Braches-Chyrek, Zur Lebenslage von Kindern in Ein-Eltern-Familien, 163. 
  • 9
    Kreppner, Kurt, Eltern-Kind-Beziehung: Forschungsbefunde, 5-6. 
  • 10
    Ein Beispiel: Wenn der achtjährige Sohn mit seinem Vater an einem verregneten Sonntag eine Fahrradtour im Wald unternimmt und beide nass und verdreckt nach Hause kommen, dann könnte es sein, dass die Mutter die beiden Männer als unvernünftig hinstellt und der Sohn sich stolz mit dem Vater gegen die besorgte Mutter verbündet weiß. Das wird den Sohn aber nicht daran hindern, gleich nach der mütterlichen Ansprache eine warme Dusche zu nehmen, sich an die Mutter zu kuscheln und den Vater aus dieser innigen Beziehung auszuschließen (Hildebrand, Kein Kontakt zum anderen Elternteil, 3). 
  • 11
    Limmer, Mein Papa lebt woanders, 249. 
  • 12
    Seiffge-Krenke, Psychotherapie, 206.
  • 13
    Walper, Kontextmerkmale, 152. 
  • 14
    Zitiert bei Petri, Drama der Vaterentbehrung, 149.
  • 15
    Zitiert bei ebd., 149-150.
  • 16
    Alleinerziehende in Deutschland, Mikrozensus 2009, 31.
  • 17
    Petri, Drama der Vaterentbehrung, 149.
  • 18
    Auf unserer Homepage www.wert-voll.info finden Sie in Kürze einen Praxisentwurf für die Jugendarbeit. Hier wird das Thema „Familie und andere Sorgen“ anhand von Spielfilmen mit anschließender Diskussion den Jugendlichen zugänglich gemacht. 

Bibliografie

www.familylife.ch (Lieben-Scheitern-Leben. Ein Kurs zur Aufarbeitung von Trennung oder Scheidung)

www.fbs-stadtmitte.de (Evangelische Familienbildung, Kirchenkreis Berlin Stadtmitte)

www.vamv.de (Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e.V.)

»Kinder im Blick«

Das innovative Potenzial von »Kinder im Blick« wurde im Jahr 2007 mit dem Präventionspreis der Deutschen Liga für das Kind gewürdigt:

Bröning, Sonja, Kinder im Blick: Theoretische und empirische Grundlagen eines Gruppenangebotes für Familien in konfliktbelasteten Trennungssituationen, Münster 2009.

Informationen zum Kursangebot und den Kursorten auf www.kinderimblick.de

»PALME-Elterntraining«

Franz, Matthias, PALME – Präventives Elterntraining für alleinerziehende Mütter. Geleitet von Erzieherinnen und Erziehern, Göttingen 2009.

Informationen zum Kursangebot und den Kursorten auf www.palme-elterntraining.de

Literaturempfehlungen

Petri, Horst, Das Drama der Vaterentbehrung, 6. aktualisierte Ausgabe, München 2009.

Fegert, Jörg M. / Ute Ziegenhain (Hg.), Hilfen für Alleinerziehende. Die Lebenssituation von Einelternfamilien in Deutschland,  Berlin 2003.

Wallerstein, Judith S. / Lewis M. Julia u. a., Scheidungfolgen – Die Kinder tragen die Last. Eine Langzeitstudie über 25 Jahre, Münster 2002.

Weitere Literatur

Alleinerziehende in Deutschland. Ergebnisse des Mikrozensus 2009. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 29. Juli 2010 in Berlin, Hg. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2010.

Braches-Chyrek, Rita, Zur Lebenslage von Kindern in Ein-Eltern-Familien, Opladen 2002.

Facetten der Vaterschaft. Perspektiven einer innovativen Väterpolitik, Hg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin 2006.

Fthenakis, Wassilios E. u. a., Engagierte Vaterschaft. Die sanfte Revolution in der Familie, Hg. LBS-Initiative Junge Familie, Opladen 1999.

Fthenakis, Wassilios E., Väter, 2 Bde, Bd. 1: Zur Psychologie der Vater-Kind-Beziehung, München 1985.

Fthenakis, Wassilios E. / Beate Minsel, Die Rolle des Vaters in der Familie, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bd. 213, Stuttgart 2002.

Helfferich, Cornelia / Annelise Hendel-Kramer u.a., Gesundheit alleinerziehender Mütter und Väter, Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 14, Hg. Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt, Berlin 2003.

Hildenbrand, Bruno, Kein Kontakt zum anderen Elternteil – Konsequenzen für Kinder, https://www.familienhandbuch.de/teil-und-stieffamilien/teilfamilien/kein-kontakt-zum-anderen-elternteil-konsequenzen-fur-kinder vom 20.02.2012

Kindler, Heinz / Karin Grossmann, Vater-Kind-Bindung und die Rollen von Vätern in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder, in: Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung, Hg. Liselotte Ahnert, Bonn 2004, 240-255.

Kinder in Deutschland 2010. 2. World Vision Kinderstudie, Hg. World Vision Deutschland e. V., Frankfurt 2010.

Kreppner, Kurt, Eltern-Kind-Beziehung: Forschungsbefunde, http://www.familienhandbuch.de/cms/Familienforschung-Eltern-Kind-Beziehung.pdf vom 20.02.2012

Lebenswelten und -wirklichkeiten von Alleinerziehenden, Hg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin 2011

Limmer, Ruth, Mein Papa lebt woanders – Die Bedeutung des getrenntlebenden Vaters für die psycho-soziale Entwicklung seiner Kinder, in: Väter im Blickpunkt. Perspektiven der Familienforschung, Hg. Tanja Mühling / Harald Rost, Opladen & Farmington Hills 2007, 243-268.

Mühling, Tanja / Harald Rost (Hg.), Väter im Blickpunkt. Perspektiven der Familienforschung, Opladen & Farmington Hills 2007.

Petri, Horst, Die Bedeutung des Vaters, https://www.familienhandbuch.de/elternschaft/vaterschaft/die-bedeutung-des-vaters vom 20.02.2012

Pfaff, Susanne / Inge Seiffge-Krenke, Die Bedeutung des Vaters für die körperliche und psychische Entwicklung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, in: Blickpunkt der Mann 6 (4), 2008, 7-10 http://www.kup.at/kup/pdf/7463.pdf vom 20.02.2012

Schneider, Norbert F./ Dorothea Krüger u. a., Alleinerziehen. Vielfalt und Dynamik einer Lebensform, München 2001.

Seiffge-Krenke, Inge, Psychotherapie und Entwicklungspsychologie. Beziehungen: Herausforderungen, Ressourcen, Risiken, 2. Aufl., Heidelberg 2009.

Sozial Spezial, Brandenburger Jugendliche in Ein-Eltern-Familien. Ein kommentierter Datenreport, Hg. Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg, September 2011 http://www.masf.brandenburg.de/sixcms/media.php/4055/sozial-spezial-01web.pdfvom 20.02.2012

Walper, Sabine, Kontextmerkmale gelingender und misslingender Entwicklung von Kindern in Einelternfamilien, in: Hilfen für Alleinerziehende. Die Lebenssituation von Einelternfamilien in Deutschland, Hg. Jörg M. Fegert / Ute Ziegenhain, Berlin 2003, 148-166.