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Paar-, Familien- & SexualethikSexualethikSex vor der Ehe

Vorehelicher Geschlechtsverkehr in der Antike und in der Bibel

Siegfried Zimmer und die biblische Sexualethik

Viele1Der nachfolgende Artikel ist eine Veröffentlichung des Weißen Kreuzes e. V. im November 2016 junge Christinnen und Christen fragen leidenschaftlich danach, wie sie Liebe und Sexualität heute gestalten können. Die meisten von ihnen suchen selbstverständlich eine dauerhafte und verlässliche Partnerschaft fürs Leben. Dennoch scheuen viele den Schritt in die Ehe oder wagen ihn erst nach Jahren des Zusammenlebens.

Im Mai 2016 ist unser Denkangebot 1 „Kein Sex vor der Ehe? – Plädoyer für das Reifenlassen der Liebe“ erschienen, in dem wir dazu ermutigen, Sexualität der Ehe vorzubehalten. Aber ist diese am biblischen Zeugnis gewonnene Position noch zeitgemäß? Oder haben sich die Lebensverhältnisse so verändert, dass die biblischen Aussagen an dieser Stelle nicht mehr gültig sind?

So sieht es jedenfalls Prof. Dr. Siegfried Zimmer (Ludwigsburg) in einem vieldiskutierten Vortrag, in dem er nicht nur ein inakzeptables Zerrbild biblisch begründeter Sexualethik zeichnet, sondern auch kulturhistorische Behauptungen aufstellt, denen aus guten Gründen widersprochen werden muss.

Wir sind dankbar, dass Prof. Dr. Armin Baum (Gießen) sich dieser Aufgabe gestellt hat, und geben diesen Vortrag hiermit sehr gern als Sonderdruck heraus.

Martin Leupold, Weißes Kreuz e. V.

Am 31. Juli 2015 hat Siegfried Zimmer einen Vortrag zum Thema „Christliche Sexualethik – Der Unterschied in den Paarbeziehungen zwischen antiken und modernen Gesellschaften“ gehalten. Siegfried Zimmer ist emeritierter Professor für Ev. Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Sein Vortrag ist im Internet als Audio- und Video-Datei zugänglich2 https://worthaus.org/mediathek/christliche-sexualethik-der-unterschied-in-den-paarbeziehungen-zwischen-antiken-und-modernen-gesellschaften-5-8-1/ (abgerufen am 21. Januar 2023). Auf welche Stellen seines Vortrags ich mich jeweils beziehe, mache ich im Folgenden sichtbar, indem ich die Minuten und Sekunden angebe, an denen die zitierten Aussagen beginnen.

Die konservative christliche Sexualethik

In seinem Vortrag setzt Zimmer sich kritisch mit einer „konservativen“ Sexualethik auseinander (00.56), die seines Erachtens nicht mehr in unsere moderne Zeit und Gesellschaft passt (02.20). Die Position, die Zimmer bekämpft, wird beispielsweise von der Römisch-katholischen Kirche vertreten. Im katholischen Katechismus heißt es:

„Der Geschlechtsakt darf ausschließlich in der Ehe stattfinden“3Katechismus der Katholischen Kirche. Neuübersetzung aufgrund der Editio typica Latina, München: Oldenbourg, 2005, 2390.. „Die leibliche Vereinigung ist nur dann moralisch zu rechtfertigen, wenn zwischen dem Mann und der Frau eine endgültige Lebensgemeinschaft gegründet worden ist. Die menschliche Liebe lässt den bloßen ‚Versuch‘ nicht zu. Sie verlangt eine endgültige und ganze gegenseitige Hingabe der beiden Partner“4Ebd., 2391..

Kürzer hat diese Position der britische Literaturwissenschaftler C. S. Lewis auf den Punkt gebracht: „Der christliche Grundsatz lautet: ‚Entweder Ehe und absolute eheliche Treue oder absolute Enthaltsamkeit‘“5C. S. Lewis, Pardon ich bin Christ, Basel: Brunnen, 61982, 79.. Auch Lewis hielt diese klassische christliche Regel nach wie vor für gültig.

Eine „moderne“ christliche Sexualethik

Zimmers Hauptanliegen besteht darin zu zeigen, dass die christliche Überzeugung „Sex gehört nur in die Ehe“ überholt ist (23.20; 34.55). Er findet, von Singles könne man nicht erwarten, dass sie auf Geschlechtsverkehr verzichten (34.50). Seine Hauptaussage aber ist die These, dass es ethisch in Ordnung ist, wenn Liebespaare vor der Ehe miteinander schlafen (56.00). Eine christliche Mutter, die ihrem Sohn rät, Sex erst in der Ehe zu haben, vertritt nach Zimmer „eine perverse Ethik“ (58.0). Die Vertreter einer „konservativen“ Sexualethik bzw. ihre Überzeugungen und Argumente bezeichnet er als „balla, balla“ (23.30).

Zimmer beginnt in seinem Vortrag bewusst nicht mit den biblischen Aussagen zum Thema, sondern mit einem Blick auf den historischen Wandel, der sich seit der Antike im Blick auf Ehe und Familie vollzogen hat (09.35). Sein Hauptargument lautet, dass der geschichtliche Wandel, dem wir alle unterworfen sind, auch unsere Ethik verändert: Weil heute für Ehe und Sexualität ganz andere Rahmenbedingungen gelten als in biblischen Zeiten, gelten auch ganz andere ethische Regeln als in der Bibel.

In meiner Auseinandersetzung mit Zimmers Argumentation beginne ich (in Teil 1) mit einer kurzen Erklärung der richtigen Methode. Anschließend unterziehe ich zunächst (in Teil 2) Zimmers historische Angaben zu den Unterschieden zwischen der antiken und unserer modernen Kultur einer Überprüfung und anschließend (in Teil 3) seine historischen Aussagen, die er speziell über das Verhältnis zwischen Geschlechtsreife und Heiratsalter in der Antike trifft. Danach werte ich (in Teil 4) erst die indirekt relevanten Bibeltexte und dann (in Teil 5) die direkt relevanten Bibeltexte zum vorehelichen Geschlechtsverkehr aus. Schließlich ziehe ich (in Teil 6) einige praktische Folgerungen für die Gegenwart.

1. Biblische Sexualethik: Eine methodische Klärung

Ein Hauptvorwurf, den Zimmer an die Vertreter einer „konservativen“ Sexualethik richtet, lautet, dass sie ungebildet und bildungsfeindlich sind. Eine konservative Ethik habe kein Interesse an Wissen und Information (19.00). Sie beruhe auf „Dummheit und Naivität“ (39.55) und wolle „möglichst keine Aufklärung“ (31.00). Für die Vertreter einer konservativen Sexualethik sei Unwissenheit ein Vorteil (19.15). Im Gegensatz dazu verspricht Zimmer seinen Hörern „ein bisschen Bildung“ (36.25; 39.50) und „echte Aufklärung“ (18.55; 39.45).

Was verstand man in der Welt der Bibel unter Ehe?

Wie anders Ehe und Sexualität in biblischen Zeiten verstanden und gelebt wurden, verdeutlicht Zimmer anhand von acht Punkten. Eine „konservative“ Sexualethik krankt seines Erachtens daran, dass ihre Vertreter über die großen Unterschiede zwischen der antiken und der modernen Welt nichts wissen oder nichts wissen wollen und die entsprechenden Fakten teilweise bewusst unterdrücken. Zimmer kennt Bibelschulen, an denen die von ihm präsentierten Sachverhalte unbekannt sind (31.10). (Welche Bibelschulen dies sind, sagt er nicht.) Zimmer wirft den Vertretern einer „konservativen“ Sexualethik vor, in manchen ihrer Gruppen werde Dummheit geradezu gefeiert (40.00). (Wer damit gemeint ist, lässt er offen.) Und Zimmer klagt, in manchen christlichen Kreisen dürfe man über die Unterschiede zwischen der Welt der Bibel und unserer modernen Welt im Blick auf Ehe und Sexualität nicht sprechen. (Welche Kreise das sind, bleibt unklar.)

Von den acht Punkten, die Zimmer nennt, haben die meisten nur indirekt mit seiner Hauptthese zu tun. Vier von ihnen erwähne ich nur kurz, ohne näher auf darin enthaltene Übertreibungen und Vereinfachungen einzugehen:

  • In der Antike und in der Bibel gab es keine Liebesheirat, d.h. man wurde verheiratet, ohne sich dagegen wehren zu können.
  • In der Antike und in der Bibel bestand ein „Patriarchalismus“, eine Männerherrschaft, d.h. eine Gesellschaftsordnung, in der die Männer in Staat und Familie eine führende Rolle einnahmen.
  • In der Antike und in der Bibel galt auch Polygamie als Ehe, d.h. einige Männer waren gleichzeitig mit mehreren Frauen verheiratet.
  • In der Antike war ein enormer Kinderreichtum notwendig, d.h. Ehepaare hatten bzw. wünschten sich 10 bis 20 Kinder.

Wie funktioniert eine biblische Sexualethik und wie nicht?

Mir geht es hier zunächst nur darum, wie eine „konservative“ Sexualethik, die sich auf die Bibel stützt, funktioniert und wie nicht. Zimmer meint, dass eine biblische Sexualethik fordert oder eigentlich fordern müsste, dass wir heute alles nachmachen, was die Menschen der Bibel taten: die Vielehe zulassen (26.30), 10 bis 20 Kinder haben usw. „Wollt Ihr in diese Zeit zurück? Das wäre biblisch“ (13.25). Wenn Konservative nicht die von den Eltern arrangierte Ehe zum Ziel erheben, handeln sie inkonsequent. Die Konservativen „picken sich aus der Bibel nur das heraus, was sie gebrauchen können“ (23.00).

Hier stimmt methodisch etwas nicht. Eine biblische Sexualethik muss solche Forderungen keineswegs aufstellen, um konsequent zu sein. Denn sie besteht ja nicht darin, naiv alles nachzuahmen, was von den Menschen der Bibel praktiziert wurde und in der Bibel beschrieben wird. Eine biblische Sexualethik fragt nach den ethischen Prinzipien, die in der Bibel als Gottes Wille präsentiert werden. Sie unterscheidet zwischen den deskriptiven (beschreibenden) und den präskriptiven (vorschreibenden) Aussagen der Bibel und stützt sich auf die Texte der zweiten Gruppe. Darum geht eine biblische Sexualethik keineswegs so vor, wie Zimmer es ihren Vertretern unterstellt. Und sie müsste auch nicht so vorgehen, wenn sie konsequent sein wollte. Zimmers Vorwurf ist nur möglich, weil er die Argumentation einer biblischen Sexualethik bis zur Unkenntlichkeit vereinfacht und entstellt.

2. Ehe und Sexualität in der Welt der Bibel: Ein historisches Verwirrspiel

Zu den drei anderen der acht von Zimmer erwähnten Unterschiede zwischen Antike und Moderne führe ich im Folgenden einen kurzen Faktencheck durch. (Wer sich nur für die wichtigste historische These Zimmers interessiert, kann diesen Teil überspringen und bei Teil 3 weiterlesen.)

Gab es in der Antike keine Familien?

Zimmer behauptet: „Es gibt in der Antike gar keine Familie. Das Wort gibt es gar nicht“ (38.45). Es gab nicht einmal die Großfamilie (wie im 16.-18. Jahrhundert in Europa), die sich (im 19. und 20. Jahrhundert) zur kleinbürgerlichen Kleinfamilie mit zwei Kindern wandelte. Stattdessen gab es das „Haus“. Dazu gehörten Zimmer zufolge 20 bis 50 Personen aus drei bis vier Generationen, einschließlich der Verwitweten, Geschiedenen und Sklaven.

Die Behauptung, dass es in der Antike keine Familien gab, lässt aufhorchen. Hier stimmt historisch etwas nicht, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Mit dem deutschen Wort „Familie“ bezeichnen wir (dem Duden zufolge) zwei Menschengruppen: entweder eine „aus einem Elternpaar oder einem Elternteil und mindestens einem Kind bestehende (Lebens-) Gemeinschaft“ oder eine „Gruppe aller miteinander (bluts-) verwandten Personen“. Selbstverständlich hat es in der Antike beide Arten von Familien gegeben. Das sollte man nicht bestreiten.

Richtig ist, dass in der Antike teilweise andere Bezeichnungen üblich waren als bei uns heute. Mit dem Wort „Haus“ bezeichnete man schon im archaischen Griechenland (etwa 750-500 v.Chr.) eine Hausgemeinschaft, die sich um die Kernfamilie aus dem Hausvater, seiner Ehefrau und ihren ehelichen Kindern herum gruppierte. Dazu konnten weitere Verwandte und die Sklaven gehören. Solche „Häuser“ gab es auch in der hellenistischen Zeit, in der das Neue Testament entstand6Vgl. W. Schmitz, Haus und Familie im antiken Griechenland (Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike 1), München: Oldenbourg, 2007, 10 und 57-58.. Sie unterschieden sich von der modernen Kleinfamilie, wie wir sie kennen.

Vielleicht meint Zimmer mit seiner Aussage, in der Antike habe es keine Familie gegeben, vor allem die Kleinfamilien aus Vater, Mutter und ihren Kindern. Aber auch die Kleinfamilie war in der Welt der Bibel weit verbreitet. Der Forschungsstand, dass die uns vertraute Kleinfamilie sich erst durch die Industrialisierung entwickelt habe, ist überholt. In der aktuellen Fachliteratur erfährt man, dass bereits in der griechisch-römischen Antike „die meisten Menschen in einer Kleinfamilie“ aus Vater und Mutter und deren Kindern gelebt haben7E. Dassmann / G. Schöllgen, Haus II (Hausgemeinschaft), in: Reallexikon für Antike und Christentum 13 (1986) 801-905, hier 806.. Das gilt auch für die jüdische Kultur, in der Jesus wirkte: „Großfamilien mit verheirateten Söhnen, deren Frauen u[nd] Kindern, einer Vielzahl von Knechten u[nd] Mägden samt deren Angehörigen dürften die seltene Ausnahme gewesen sein. Im Regelfall bildeten Eltern u[nd] Kinder die Familie“8Ebd., 849..

An diesem Beispiel wird sichtbar, dass Zimmer es mit den historischen Fakten nicht immer genau genug nimmt. Mit seinen Aussagen über die Familie stellt er die Unterschiede zwischen der Welt der Bibel und unserer modernen Welt nicht korrekt dar.

Gab es in der Antike keine Singles?

Zimmer behauptet weiterhin: „In der Antike gab es keinen einzigen Single“ und auch keine Single-Wohnungen (34.40). Unter einem Single verstehen wir einen Alleinstehenden, Junggesellen, Ledigen, Unverheirateten, „der ohne Bindung an einen Partner lebt“ (Duden).

Hier stimmt historisch wieder etwas nicht. Wenn es um Singles geht, denkt der Bibelleser sofort an Jesus von Nazareth und Paulus von Tarsus. Wer etwas mehr über die Antike weiß, erinnert sich an eine Angabe des Josephus über die Qumran-Essener, die ohne Frauen lebten (Jüdische Altertümer 18,21).

Und auch Single-Wohnungen hat es gegeben. Wer einen Blick in die wissenschaftliche Fachliteratur wirft, erfährt dort, dass aus dem römischen Ägypten aus den ersten drei Jahrhunderten n.Chr. etwa 300 Papyri mit Zensusdeklarationen erhalten geblieben sind. Sie geben u.a. Auskunft darüber, welche Angaben die antiken Bewohner Ägyptens im Rahmen von Volkszählungen über die Zusammensetzung ihrer Haushalte gemacht haben: 21,0% der Haushalte bestanden aus mehreren verheirateten Ehepaaren der gleichen oder verschiedener Generationen. In 15,0% der Haushalte lebten Kernfamilien mit weiteren Verwandten (wie unverheirateten Schwestern) zusammen. 43,1% der Haushalte bestanden aus reinen Kernfamilien, d.h. vor allem aus Ehepaaren und Alleinerziehenden mit ihren Kindern. In 4,8% der Haushalte wohnten unverheiratete Geschwister zusammen. Und 16,2% der Haushalte bestanden aus Alleinstehenden (mit einem Durchschnittsalter von 40,2 Jahren)9R. S. Bagnall und B. W. Frier, The Demography of Roman Egypt (Cambridge Studies in Population, Economy and Society in Past Times 23), Cambridge: University Press, 1984, 58-67.. Es lässt sich zeigen, dass diese Verhältnisse für vormoderne Gesellschaften des Mittelmeerraums in etwa repräsentativ sind10S. R. Huebner, Household Composition in the Ancient Mediterranean – What Do We Really Know?, in: A Companion to Families in the Greek and Roman Worlds, Hg. B. Rawson (Blackwell Companions to the Ancient World), Chichester: Wiley- Blackwell, 2011, 73-91, hier 77-80..

Die Aussage, dass es in der Antike keine Singles und keine Single- Wohnungen gab, entspricht nicht der historischen Wirklichkeit. Richtig wäre die Aussage, dass in den Gesellschaften der griechisch-römischen und damit auch der biblischen Welt die Zahl der Singles kleiner war als in den westlichen Gesellschaften der Gegenwart.

Gab es in der Antike keine Jugendlichen?

Weiterhin behauptet Zimmer: „Es gibt in der Antike keine Jugendlichen ... Das Wort gibt es gar nicht ...“ (31.30). Auch das ist falsch. Unter der Jugendzeit verstand man in der Antike (wie heute) die Zeit zwischen dem Eintreten der Pubertät und dem psychischen und gesellschaftlichen Erwachsensein. Als Jugend verstand man die ganze Antike hindurch, von Homer bis in die Zeit der Kirchenväter, „die Lebensphase zwischen etwa dem 15. u[nd] 30. Lebensjahr“11E. Eyben, Jugend, in: Reallexikon für Antike und Christentum 19 (2001) 388-442, hier 389-390..

Auch über die typischen Eigenschaften von Jugendlichen war man sich bei Griechen und Römern einig. Beispielsweise Aristoteles hielt fest, dass Jugendliche leicht und heftig erregbar sind, leicht zu überreden und zu täuschen und starken Schwankungen unterworfen. Sie seien eher zukunfts- statt vergangenheitsorientiert und ihre Liebe zu Freunden und Gefährten sei besonders ausgeprägt12Ebd., 402, 406 und 412-413.. Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen den Jugendlichen der Antike und unseren modernen Jugendlichen13Vgl. J. Wiesehöfer, Jugend, in: Der Neue Pauly 5 (1998) 1209-1211.. Aber die historische Aussage, es habe in der Welt der Bibel keine Jugendlichen gegeben, ist historisch falsch.

Hatten Frauen in der Antike kein Scheidungsrecht?

Neben seinen historischen Hauptaussagen stellt Zimmer im Laufe seines Vortrags noch weitere historische Behauptungen auf, die einer Überprüfung nicht standhalten. Drei sind mir besonders aufgefallen.

Zimmer behauptet: „Das Scheidungsrecht hatte in der Antike nur der Mann“ (35.20). Aber in Markus 10,12 spricht Jesus von einer jüdischen Frau, die „ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet“14Vgl. H. L. Strack und P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, München: Beck, 31961, I, 318-319; II, 22-23.. Im antiken Griechenland konnte „die E(hescheidung) von einem der Ehepartner ausgehen oder in beidseitigem Einverständnis geschehen“. Und in Rom wurde die Ehescheidung „auch durch die Frau vollzogen“15G. Delling, Ehescheidung, in: Reallexikon für Antike und Christentum 4 (1959) 707-719, hier 709-710 und 712..

Zimmer behauptet: „Niemand heiratete eine geschiedene Frau“ (36.10). Richtig wäre die Aussage, dass für die römische Antike die Ansicht belegt ist, es gehöre sich nicht, dass eine geschiedene Frau erneut heiratet. Dennoch waren „damals die Ehescheidung und die Wiederverheiratung üblich“16B. Kötting, Die Bewertung der Wiederverheiratung (der zweiten Ehe) in der Antike und in der Frühen Kirche (Vorträge der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Geisteswissenschaften, G 292), Opladen: Westdeutscher Verlag, 1988, 11; vgl. 7, 19, 29.. In den Ehegesetzen des Kaisers Augustus wurden geschiedene Frauen sogar unter bestimmten Voraussetzungen zur Wiederheirat verpflichtet17A. Mette-Dittmann, Die Ehegesetze des Augustus. Eine Untersuchung im Rahmen der Gesellschaftspolitik des Princeps (Historia, Einzelschriften 67), Stuttgart: Steiner, 1991, 132, 166-167.. Auch in den Evangelien übt Jesus mehrfache Kritik an Männern, die eine von einem anderen Mann geschiedene Frau heirateten (Mt 5,32; 19,9; Lk 16,18)18Vgl. Strack/Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament, I, 320-321.. Auch im antiken Judentum gab es demnach Männer, die geschiedene Frauen heirateten.

Zimmer behauptet auch noch: „In der Antike gibt es gar keine Mietwohnungen“ (39.25). Aber Paulus wohnte in Rom zwei Jahre lang „in seiner eigenen Mietwohnung“ (Apg 28,30). Und „für Rom und die Städte des Imperium Romanum ist die Vermietung in den Quellen oft bezeugt“19T. Mattern, Wohnverhältnisse, in: Der Neue Pauly 12/2 (2002) 563-566, hier 566..

Selbstverständlich war in der antiken Welt der Bibel vieles ganz anders als in unserer modernen Welt. Aber Zimmer hat die Unterschiede nicht zutreffend dargestellt. Die antike Welt, die Zimmer seinen Zuhörern vor Augen malt, hat es nie gegeben.

Wie hängen Begriff und Sache zusammen?

Außer mit historischen Behauptungen arbeitet Zimmer mehrfach mit einem sprachwissenschaftlichen Argument, das lautet, weil es in der Antike ein Wort, einen Begriff oder eine Bezeichnung nicht gegeben habe („Das Wort gab es gar nicht“), habe es auch die damit bezeichneten Sachen oder Sachverhalte nicht gegeben. Dieses Argument ist in doppelter Weise unzureichend.

Zum einen hat es in einigen der von Zimmer genannten Fälle durchaus schon in der Antike Bezeichnungen gegeben, die mit denen, die wir verwenden, eng verwandt sind. Beispielsweise das „Jugendalter“ bezeichnete man – entgegen Zimmers Behauptung (31.30) – im Griechischen u.a. alsneotes und im Lateinischen u.a. als adulescentia. Ein Jugendlicher war ein adulescens usw. Dass es solche Begriffe nicht gegeben hat, trifft nicht zu.

Zum anderen liegt bei dem Argument, weil es in der Antike ein uns geläufiges Wort nicht gab, habe es auch die von uns so bezeichnete Sache nicht gegeben, ein Denkfehler vor. Das kann man sich leicht an ganz einfachen Beispielen verdeutlichen. Obwohl es in der Antike noch nicht unser modernes Wort „homosexuell“ gab, kannte man sowohl gleichgeschlechtliche Handlungen als auch gleichgeschlechtliche Neigungen20K. Hoheisel, Homosexualität, in: Reallexikon für Antike und Christentum 16 (1994) 289-364, bes. 338.. Und obwohl man in der Antike noch nicht unser modernes Wort „Inzest“ verwendete, kannte man natürlich das Problem sexueller Beziehungen zwischen engen Blutsverwandten (vgl. Lev 18,4-18; 1 Kor 5,1).

Was wissen Vertreter einer „konservativen“ Ethik über die Welt der Bibel?

Zimmer betont in seinem Vortrag mehrfach, dass die Vertreter einer „konservativen“ Sexualethik über die von ihm beschriebenen historischen Sachverhalte nichts wüssten (und auch nichts darüber wissen wollten). Wahrscheinlich meint er damit nicht hochgebildete Zeitgenossen wie C. S. Lewis oder die Verfasser des katholischen Katechismus. Aber auch im Blick auf akademisch ungebildete Christen halte ich Zimmers Einschätzung für verfehlt.

Viele der von Zimmer getroffenen historischen Aussagen kennen die von ihm kritisierten „konservativen“ Christen nicht, weil sie nicht zutreffen. Solche Fehlinformationen sollten sie auch nicht in ihren Wissensschatz aufnehmen. Aber von den zutreffenden Aussagen, die Zimmer macht, dürfte ihnen vieles aus eigenem Bibellesen und dem Hören von Predigten bekannt sein. Ich nenne einige Beispiele.

Dass es in der Welt der Bibel nicht nur die Einehe, sondern auch die Vielehe gab, wissen konservative Christen aus den Patriarchengeschichten des Alten Testaments und seinen Erzählungen über die Könige David (2 Sam 5,13) und Salomo (1 Kön 13,1). Auch dass in der Antike viele Ehen arrangiert wurden, dürfte allen Bibellesern aus entsprechenden Bibeltexten bekannt sein.

Dass Familien in der Welt der Bibel in „Häusern“ bzw. „Hausgemeinschaften“ zusammenleben konnten, wissen Bibelleser aus den biblischen Angaben über Personen wie die Purpurkrämerin Lydia, die mit ihrem „Haus“ getauft wurde (Apg 16,15; vgl. 18,8; 1 Kor 1,16). Viele werden gehört haben, dass zu einem antiken „Haus“ auch die Sklaven gehören konnten.

Dass in der Welt der Bibel ein Patriarchat bestand, wissen Bibelleser aus 1 Mose 3,16, aus den Aufforderungen an Frauen sich unterzuordnen, aus der Tatsache, dass sich die neutestamentlichen Briefe fast nur an „Brüder“ richten usw.

Selbstverständlich gibt es manches, was ein durchschnittlicher Christ über die antike und biblische Kultur nicht weiß. Darum kann jeder Christ davon profitieren, wenn ihm die historischen Hintergründe biblischer Aussagen näher erklärt werden. Aber meiner Erfahrung nach ist es nicht gerechtfertigt, „konservative“ Christen in dieser Hinsicht als mehr oder weniger unwissend darzustellen.

Im Rückblick auf diesen Durchgang durch die historischen Aussagen, die Zimmer in seinem Vortrag über Ehe und Sexualität in der Antike trifft, zeigt sich ein auffälliger Kontrast: Zimmer, der „konservativen“ Christen vorwirft, sie würden wissenschaftlich gesicherte Fakten nicht kennen oder verdrängen, weiß selbst ausgesprochen schlecht über die antike Kultur Bescheid. Wie sich zeigen wird, unterlaufen Zimmer vergleichbar historische Fehler auch an der Stelle, die für seine Argumentation wesentlich zentraler ist.

3. Geschlechtsreife und Heiratsalter in der Antike: Weitere Klärungen

Die für Zimmers Argumentation zentralste historische Argumentation lautet: Erstens erreichten in der Welt der Bibel Frauen die Geschlechtsreife mit 13 bis 14 Jahren und Männer mit 15 bis 16 Jahren. Die Geschlechtsreife wurde damals ein bis zwei Jahre später erreicht als heute, weil die Ernährung nicht so gut war (13.50).

Zweitens war das Heiratsalter „in der Bibel, ... bei den Griechen, bei den Römern, überall das gleiche: ... bei Mädchen höchsten 14 Jahre“ (12.20). Maria war mit 13 Jahren verlobt und hat mit 14 Jahren geheiratet (17.50). „Das Heiratsalter der Jungen war 17 Jahre, vielleicht auch 18, aber wenn man mit 19 noch nicht verheiratet war, dann war man ein Unikum. Das gibt es praktisch nicht“ (14.05). Zimmer zufolge stieg das Heiratsalter erst im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung auf 20 bis 22 Jahre an (14.45).

Aus diesen beiden historischen Voraussetzungen folgert Zimmer: Weil in der Antike Geschlechtsreife und Heirat nahezu gleichzeitig stattfanden, gab es in der Welt der Bibel vorehelichen Geschlechtsverkehr praktisch nicht (13.35). Vorehelicher Sex war darum auch kein ethisches Thema (15.25).

Zimmers Angaben zum Zeitpunkt der Geschlechtsreife sind akzeptabel. Von antiken Physiologen und Ärzten wissen wir, wann in der griechisch- römischen Antike die Geschlechtsreife erreicht war, die für die Frau am Eintreten der Menstruation und für den Mann an der Fähigkeit zur Ejakulation abgelesen wurde. Als Grundregel galt, dass Jungen und Mädchen mit etwa 14 Jahren geschlechtsreif wurden. Antike Autoren waren sich aber dessen bewusst, dass dies teilweise auch schon mit 12 oder 13 Jahren oder erst mit 15 oder 16 Jahren der Fall war, wobei die Frauen im Allgemeinen etwas früher geschlechtsreif wurden als die Männer21E. Eyben, Geschlechtsreife und Ehe im griechisch-römischen Altertum und im frühen Christentum, in: E. W. Müller (Hg.), Geschlechtsreife und Legitimation (Veröffentlichungen des „Instituts für historische Anthropologie e.V.“ 3), Freiburg: Alber, 1985, 403-478, hier 403-409.. In dieser Hinsicht entsprechen Zimmers Angaben dem Quellenbefund und der wissenschaftlichen Fachliteratur.

In welchem Alter hat man in der Antike geheiratet?

Das gilt nicht für Zimmers Angaben zum Heiratsalter. Sie stimmen weder für die griechisch-römische noch für die jüdische noch für die christliche Antike.

Der griechische Dichter Hesiod empfahl den Männern (im 7. Jh. v.Chr.), nicht lange vor oder nach dem 30. Lebensjahr zu heiraten (Werke und Tage 695-698). Im Griechenland der klassischen Zeit (etwa 500-330 v.Chr.) empfahl Plato den Frauen ein Heiratsalter von 16 bis 20 Jahren und den Männern ein Heiratsalter von 30 bis 35 Jahren (Gesetze 785b u.ö.). Aristoteles hielt es für angemessen, wenn Frauen mit 18 und Männer mit 37 Jahren heirateten (Politik 1334b29-1335a35)22Eyben, Jugend, 401..

Der römische Historiker Tacitus (1.-2. Jh. n.Chr.) war bei seiner Eheschließung mehr als 23 Jahre alt, der römische Politiker und Redner Cicero (1 Jh. v.Chr.) heiratete im Alter von 27 bis 29 Jahren. Lateinischen Inschriften zufolge waren römische Frauen bei ihrer Heirat zwischen 10 und 38 Jahre und römische Männer zwischen 15 und 44 Jahre alt. (Es ist allerdings möglich, dass sich einige der untersuchten Altersangaben auf eine zweite Eheschließung beziehen)23M. H. Hopkins, The Age of Roman Girls at Marriage, in: Population Studies 18 (1965) 309-327, hier 321; vgl. B. D. Shaw, The Age of Roman Girls at Marriage. Some Reconsiderations, in: Journal of Roman Studies 77 (1987) 28-46.. Dabei ist mit einer großen Variationsbreite je nach Stadt, Region, Zeitraum und gesellschaftlicher Schicht zu rechnen24J. Wiesehöfer, Heiratsalter, in: Der Neue Pauly 5 (1998) 256-258..

Auch für das antike Judentum sind unterschiedliche Meinungen bezeugt. Dem Alten Testament zufolge heiratete der Erzvater Isaak mit 40 Jahren (Gen 25,20) und Joseph mit 30 Jahren (Gen 41,45-46). Jesus ben Sirach riet Vätern zu Beginn des 2. Jahrhunderts v.Chr., ihre Söhne früh zu verheiraten: „Hast du Söhne, nimm sie in Zucht, und gib ihnen Frauen in jungen Jahren“ (Sir 7,23 [Einheitsübersetzung]). Auch einige Rabbinen empfahlen, Kinder „nahe ihrer Reife“ zu verheiraten (b Sanhedrin 76b). Andere Gelehrte waren der Ansicht, ein junger Mann solle zunächst ein Haus bauen und einen Weinberg pflanzen und erst danach eine Frau nehmen (b Sota 44a). An einigen Stellen der rabbinischen Literatur werden auch konkrete Altersangaben gemacht. Rabbi Jehuda ben Tema (um 160-190 n.Chr.) war der Ansicht, ab einem Alter von 18 Jahren sei man heiratsfähig und mit 20 Jahren in der Lage, einen Beruf zu ergreifen (m Abot 5,21). In einem rabbinischen Text werden zwei verschiedene Ansichten über das geeignete Heiratsalter von Söhnen genannt: Einige Juden plädierten für eine Heirat zwischen dem 16. und dem 22., andere für eine Heirat zwischen dem 18. und 24. Lebensjahr (b Qidduschin 30a). Die jüdischen Mädchen waren bei ihrer Heirat häufig erst zwölf Jahre alt, durchweg aber viel jünger als ihre männlichen Partner25Eyben, Jugend, 429; vgl. Strack/Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament, II, 374-375..

Das heißt: Zimmers Aussage, die Mädchen seien in der Antike spätesten mit 14 Jahren verheiratet gewesen, ist zu pauschal. Tatsächlich heirateten manche Frauen auch erst mit 18 oder 20 Jahren. Völlig unzutreffend ist Zimmers Aussage, Männer hätten in der Antike regelmäßig bereits mit 17 bis 18 Jahren geheiratet. In Wirklichkeit heirateten sie in ganz unterschiedlichem Alter, häufig erst, wenn sie weit über 20 oder sogar über 30 Jahre alt waren.

Fielen in der Antike Geschlechtsreife und Heiratsalter zusammen?

Ganz unbegründet ist daher auch Zimmers These, in der antiken Welt der Bibel sei regelmäßig sehr bald nach Eintritt der Geschlechtsreife geheiratet worden. Im Blick auf die antiken Frauen stellt diese Angabe eine Übertreibung dar. Es wird Frauen gegeben haben, die mit 14 geschlechtsreif wurden und mit 14 heirateten oder mit 16 geschlechtsreif wurden und mit 16 heirateten. Für antike Frauen, die mit 12 bis 14 Jahren geschlechtsreif wurden und mit 18 bis 20 Jahren heirateten, lagen zwischen diesen beiden Entwicklungsstufen jedoch mehrere Jahre.

Vor allem aber ist Zimmers Behauptung im Blick auf die antiken Männer falsch. Das zeigt beispielsweise ein Blick auf das klassische Athen. Dort blieben die Männer nach Eintritt der Geschlechtsreife nicht selten noch 10 bis 20 Jahre lang ledig.

Anders als von unverheirateten Frauen verlangte man von geschlechtsreifen Männern während ihrer vorehelichen Lebensphase keine sexuelle Enthaltsamkeit. Zwar waren ihnen keine vorehelichen Beziehungen zu Bürgertöchtern gestattet, sie durften ihre Sexualität aber vor der Ehe mit Prostituierten und in päderastischen Beziehungen mit gleichgeschlechtlichen Partnern ausleben26T. S. Scheer, Griechische Geschlechtergeschichte (Enzyklopädie der griechisch- römischen Antike 11), München: Oldenbourg, 2011, 17-19 und 83-86..

Daraus ergibt sich, dass es in der Antike viele Menschen gab, die vorehelichen Sex praktizierten. Es ist nicht bekannt, wie viele heidnische Männer darauf verzichteten, bereits vor der Ehe ihre Sexualität auszuleben.

War vorehelicher Geschlechtsverkehr in der Antike kein ethisches Thema?

Selbstverständlich war vorehelicher Sex in der Welt der Bibel auch ein ethisches Thema. Im antiken Judentum galt vorehelicher Sex mit Prostituierten nicht als zulässig. Besonders klar hat Philo von Alexandrien (1. Jh. n.Chr.), ein Zeitgenosse des Apostels Paulus, dies formuliert (Über Joseph 42-43):

„Ganz besondere Sitten und Gebräuche haben wir Abkömmlinge der Hebräer. Den andern ist es erlaubt, nach dem vierzehnten Lebensjahr Buhlerinnen, Straßendirnen und andere, die um Lohn ihren Leib feilbieten, ohne jegliche Furcht zu gebrauchen, bei uns aber steht es einer Hetäre nicht einmal frei zu leben, Tod ist als Strafe festgesetzt für die, die solches Gewerbe ausübt. Vor der gesetzlichen ehelichen Vereinigungen kennen wir den Umgang mit einem andern Weibe nicht, sondern rein kommen wir bei Abschluss der Ehe zu reinen Jungfrauen ...“.

Jüdische Männer hatten vor der Eheschließung nicht nur auf Sex mit den Töchtern ehrbarer Familien, sondern – im Unterschied zu ihren heidnischen Zeitgenossen – auch auf Sex mit Prostituierten und erst recht auf homosexuellen Geschlechtsverkehr zu verzichten.

Dass im antiken Judentum vorehelicher Sex ein ethisches Thema war, zeigen auch die bereits erwähnten Ratschläge einiger jüdischer Gelehrter, früh zu heiraten. Und obwohl die jüdischen Frauen relativ früh die Ehe eingingen, sorgten sich jüdische Väter um die Jungfräulichkeit ihrer Töchter. Sie waren bestrebt, sie am vorehelichen Geschlechtsverkehr zu hindern. Im Sirachbuch wurden die Väter ermahnt: „Hast du Töchter, so behüte ihren Leib ...“ (Sir 7,24 [Einheitsübersetzung]). Und Philo von Alexandrien bezeichnete es als Vergehen, wenn Väter ihre Töchter „bis in die wichtige Zeit der Reife hinein nicht beaufsichtigt haben“ (Von den Einzelgesetzen 3,81).

Dieselben ethischen Maßstäbe galten für unverheiratete Christen. Die christliche Reaktion auf die Sexualethik der heidnischen Umwelt bestand darin, geschlechtsreifen Männern voreheliche sexuelle Erfahrungen zu untersagen (1 Kor 6,15-17). Es gab Kirchenväter, die dazu rieten, den Geschlechtstrieb durch eine frühe Eheschließung rechtzeitig in geordnete Bahnen zu lenken27Eyben, Jugend, 435.. Und nicht zuletzt zeigen die alt- und neutestamentlichen Aussagen zum vorehelichen Sex (s.u.), dass dieser in der Antike ein ethisches Thema war.

Eine biblische Welt, in der alle Jungen spätestens mit 17 Jahren verheiratet waren, in der Geschlechtsreife und Heiratsalter zeitlich zusammenfielen, in der vorehelicher Sex praktisch nicht vorkam und in der vorehelicher Sex auch kein ethisches Thema war, hat es nicht gegeben. Eine solche Antike ist eine historische Fiktion. Und eine solche historische Fiktion kann nicht als Ausgangspunkt einer sexualethischen Urteilsbildung dienen.

4. Vorehelicher Sex in der Bibel: Die indirekt relevanten Texte

Zimmer ist der Ansicht: Es gibt keine biblische Sexualethik (20.35). Das Thema vorehelicher Sex könne mit Bibelstellen nicht bearbeitet werden (58.40). Auffällig ist dabei, dass Zimmer die Aussagen, die die Bibel zum Thema vorehelicher Geschlechtsverkehr enthält, fast vollständig übergeht. Er geht relativ ausführlich auf eine Formulierung im Hohelied ein, die er zur Unterstützung seiner Position heranzieht. Aber er lässt alle Stellen weg, die nicht zu seiner „modernen“ Sexualethik passen.

Vorehelicher Geschlechtsverkehr im Hohelied Salomos?

Zimmer ist – wie Helmut Gollwitzer28H. Gollwitzer, Das hohe Lied der Liebe (Kaiser-Traktate 8), München: Kaiser, 1978, 24-25 u.ö., auf den er ausdrücklich verweist – überzeugt, dass das Hohelied Salomos vom Geschlechtsverkehr unverheirateter Partner handelt. Zur Begründung verweist Zimmer auf eine Formulierung des Buches über die Kammer der Mutter (Hld 3,4; 8,2), in die die Liebende ihren Geliebten bringt. Zimmer meint, dort wolle sich das Liebespaar von der Mutter beim vorehelichen Geschlechtsverkehr überraschen lassen, weil dadurch eine spätere Scheidung dieser Beziehung ausgeschlossen war. „Da kannst du mit konservativer Ethik gar nichts machen“ (52.40). Diese phantasievolle Interpretation geht weit über den tatsächlichen Wortlaut des Textes hinaus. Zudem sehen manche Ausleger in Hohelied 3,6-5,1 die Beschreibung einer Hochzeitsfeier: Auf die Ankunft der Braut (3,6-11) und eine Rede des Bräutigams (4,1-16) folge der Vollzug der Ehe in der Hochzeitsnacht (5,1)29Vgl. M. Gerhards, Das Hohelied. Studien zu seiner literarischen Gestalt und theologischen Bedeutung (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 35), Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2010, 380-385; siehe auch J. Steinberg, „Sein“ oder „Sollen“? Das Hohelied Salomos zwischen Sexualanthropologie und Sexualethik, in: T. Arnold u.a. (Hg.), „HERR, was ist der Mensch, dass du dich seiner annimmst...?“ (Ps 144,3). Beiträge zum biblischen Menschenbild, Witten: SCM Brockhaus, 2013, 187-207.. Auch dieser Vorschlag ist aber nicht völlig überzeugend. Und eine klare Unterscheidung zwischen Szenen, die vor der Hochzeitsfeier stattfinden, und solchen, die danach eingeordnet werden müssen, lässt sich, soweit ich sehe, nicht ziehen.

Meines Erachtens sollte man an das Hohelied keine Fragen richten, die es nicht beantworten kann oder will. Als poetisches Buch wollte das Hohelied die Schönheit erotischer Liebe in ihren vielen Facetten beschreiben. Es war nicht dazu gedacht, sexualethische Leitlinien zu vermitteln. Daher lassen sich aus diesem Buch keine sicheren Aussagen über den Zusammenhang von Sexualität und Ehe ableiten, weder in eine konservative noch in eine liberale Richtung. Zu diesem Zweck muss man andere Stellen heranziehen.

Die Strafen für Ehebruch und vorehelichen Sex im Gesetz des Mose

Zimmer erwähnt nur nebenbei, dass in der Bibel der Geschlechtsverkehr zwischen Verlobten untersagt wurde (15.30). Damit dürfte er sich auf die detaillierten Ehegesetze des 5. Mosebuchs (Dtn 22,13-29) beziehen. Darin wurde genau geregelt, wie im alttestamentlichen Volk Israel unterschiedliche sexuelle Vergehen zu ahnden waren30Siehe dazu C. Locher, Die Ehre einer Frau in Israel. Exegetische und rechtsvergleichende Studien zu Deuteronomium 22,13-21 (Obris biblicus et orientalis 70), Freiburg: Universitätsverlag, 1986.: Wenn ein Ehemann nach der Hochzeit nachweisen konnte, dass seine Frau nicht als Jungfrau in die Ehe gekommen war, drohte ihr die Steinigungsstrafe (Dtn 22,20-21). Wenn ein Mann mit der Ehefrau eines anderen Mannes schlief, sollten beide Ehebrecher getötet werden (Dtn 22,22). Wenn ein Mann innerhalb einer Stadt mit der Verlobten eines anderen Mannes schlief, sollten ebenfalls beide getötet werden, denn das Mädchen hätte um Hilfe schreien können (Dtn 22,23- 24). Wenn ein Mann außerhalb einer Stadt mit der Verlobten eines anderen Mannes schlief, sollte nur der Mann getötet werden, denn das Mädchen konnte niemanden zu Hilfe rufen (Dtn 22,25-27).

Abschließend wird geregelt, wie zu verfahren ist, wenn ein Mann mit einer Frau schläft, die weder verheiratet noch verlobt ist. Für diesen Fall war keine Steinigung, sondern eine wesentlich mildere Strafe vorgesehen: „...dann soll der Mann, der bei ihr lag, dem Vater des Mädchens fünfzig Schekel Silber geben, und es soll seine Frau werden, weil er ihr Gewalt angetan hat; er kann sie nicht entlassen all seine Tage“ (Dtn 22,28-29).

Die Verpflichtung des Beischläfers, das vor der Eheschließung entjungferte Mädchen zu heiraten, schützte das Mädchen vor der Gefahr, aufgrund ihrer vorehelichen Entjungferung keinen Ehemann zu bekommen. Und sie schützte den Vater vor der Gefahr, dauerhaft eine unverheiratete Tochter versorgen zu müssen31C. Pressler, The View of Women Found in the Deuteronomic Family Laws (Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 216), Berlin: de Gruyter, 1993, 41.. Falls ihr Vater sich weigerte, ihm seine Tochter zur Frau zu geben, musste der Beischläfer dem Vater trotzdem eine Geldzahlung leisten (Ex 22,15-16).

Der Unterschied zwischen vorehelichem Geschlechtsverkehr und Ehebruch

Allerdings galt das Gesetz des Mose nur dem Volk Israel. Zudem war es aus neutestamentlicher Sicht nur bis zum Kommen des Messias gültig. Der Apostel Paulus hat den mosaischen Bund und das mosaische Gesetz als eine notwendige aber durch das Kommen des Messias abgeschlossene Phase der Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk und der Menschheit angesehen (Gal 3,19-20.23-26; 4,4-5; 5,1; Röm 10,4 u. ö.). Der Alte Bund, zu dem das Gesetz des Mose gehörte, wurde mit dem Kommen Christi beendet (vgl. Hebr 8,13). Darum ist das mosaische Gesetz für die christliche Ethik nicht unmittelbar gültig. Das gilt auch für die Ehegesetzgebung in 5. Mose 22 einschließlich der darin vorgesehenen Todesstrafe für Ehebrecher.

Trotzdem lässt sich an diesem Kapitel etwas Wichtiges ablesen: Nicht alle sexuellen Vergehen galten im Alten Testament als gleichermaßen schwerwiegend. Das zeigen die vorgesehenen Strafen. Während der Einbruch in eine fremde Ehe oder Verlobung mit dem Tod bestraft wurde, kamen Männer, die mit einer ungebundenen Frau schliefen, relativ glimpflich davon. Ihr Verhalten galt nicht als korrekt, aber als weniger gravierend als der Ehebruch.

Das Gesetz des Mose konzentriert sich jedoch auf die sozialen bzw. gesellschaftlichen Folgen sexuellen Fehlverhaltens. Welche persönlichen bzw. psychischen Folgen der Geschlechtsverkehr für verheiratete und unverheiratete Paare hat, wird an anderen Stellen der Bibel behandelt, vor allem in den Schöpfungserzählungen, von denen gleich die Rede sein soll.

Kein vorehelicher Sex zwischen Verlobten in der Weihnachtsgeschichte

Zuvor werfe ich noch einen kurzen Blick auf einen Text zu vorehelichem Sex in der Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums. Darin wird vorausgesetzt, dass Maria und Joseph während ihrer Verlobungszeit noch nicht miteinander geschlafen haben (Mt 1,18; vgl. Lk 1,26-27). Sie hielten es offensichtlich für selbstverständlich, dies erst nach der offiziellen Eheschließung (der Heimholung der Braut) zu tun. Daher musste Joseph, als seine Verlobte Maria schwanger war, annehmen, dass sie ihm untreu gewesen und mit einem anderen Mann fremdgegangen war. In dieser Situation hatte Joseph zwei Möglichkeiten. Er konnte Maria bei einem Gericht anklagen und ihre Bestrafung fordern, die dem mosaischen Gesetz zufolge in der Steinigung bestand (Dtn 22,23-24). Oder er konnte ihr (unauffällig) einen Scheidebrief ausstellen, um die Verlobung aufzuheben. Joseph entschied sich für die zweite Option (Mt 1,19)32Strack/Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament, I, 51-53.. Erst als ihm im Schlaf ein Engel mitteilte, dass Maria die Verlobung nicht gebrochen hatte, entschloss sich Joseph, Maria bei sich zu behalten (Mt 1,24-25).

Streng genommen stellt jedoch auch die Erzählung über Maria und Joseph, die in ihrer Verlobungszeit noch keinen Sex hatten, kein Gebot dar, an das Christen sich halten müssen. Denn eine christliche Sexualethik kann ja nicht darin bestehen, einfach alles nachzumachen, was uns die biblischen Texte über ihre Protagonisten erzählen. Eine biblische Sexualethik orientiert sich, wie bereits erwähnt, nicht an den deskriptiven, sondern an den präskriptiven Texten der Heiligen Schrift.

5. Vorehelicher Sex in der Bibel: Die direkt relevanten Texte

Mehr ethisches Gewicht haben die Schöpfungserzählungen der Genesis mit den darin enthaltenen Ordnungen und die darauf fußenden Aussagen von Jesus und Paulus über Sexualität und Ehe.

Die Deutung der Sexualität in den Schöpfungserzählungen der Genesis

Zimmer behauptet, es gebe keine Schöpfungsordnungen. Das Argumentieren mit einer Schöpfungsordnung sei ein konservatives Märchen und diene der Manipulation (01.08.10). Schon ein erster Blick in die beiden Erzählungen in 1 Mose 1-2 zeigt aber, dass das nicht zutrifft. Indem das erste Mosebuch von nur einem Mann und einer Frau erzählt, bezeichnet es die Einehe als Willen Gottes, im Gegensatz zur Vielehe. Indem es nicht Mann und Mann (oder Frau und Frau), sondern Mann und Frau zusammenstellt, beschreibt es die heterosexuelle Geschlechterbeziehung als Willen Gottes usw.

Natürlich ist schon vielen Bibellesern aufgefallen, dass es im Paradies kein Standesamt gibt. Das Standesamt bzw. der standesamtliche Eheschluss sind sicher keine Schöpfungsordnung. Durch diese Feststellung werden die Schöpfungserzählungen für unser Thema aber nicht irrelevant. Denn in 1 Mose 2,24 heißt es:

„Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und sich mit seiner Frau verbinden,
und sie werden zu einem Leib werden“.

Hier werden drei wichtige Aussagen getroffen: Erstens verlässt der Mann die Eltern und damit die Personen, die ihm bisher am nächsten standen. Er „löst also die stärksten leiblichen und seelischen Bande“33C. Westermann, Genesis 1-11 (Biblischer Kommentar zum Alten Testament I/1), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1983, I, 318..

Zweitens verbindet er sich fest mit einer Frau, „tritt in eine feste Lebensgemeinschaft mit ihr ein"34Ebd.. Dadurch ändern sich seine Prioritäten. Während der Mann bisher in erster Linie seinen Eltern verpflichtet war, hat jetzt die neue Bindung an seine Frau das größte Gewicht. (Über die Art, wie diese feste Verbindung geschlossen wird, gibt der Vers keine Auskunft. Es ist nicht ausdrücklich von Verlobung und Heimholung die Rede wie im übrigen Alten Testament.)

Drittens werden Mann und Frau „ein Fleisch“ bzw. „ein Leib“, d.h. „ein Körper“ oder „ein Organismus“. Damit ist eine ganzheitliche leibliche und seelische Gemeinschaft zwischen den beiden Partnern gemeint35Ebd.. Auch Paulus hat die Formulierung in 1 Mose 2,24 im Sinne einer engen Verschmelzung zweier Personen verstanden, die sogar beim Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten entsteht: „Wisst ihr nicht, dass, wer der Hure anhängt, ein Leib mit ihr ist?“ (1 Kor 6,15-17).

In den biblischen Schöpfungserzählungen wird also betont, dass der Geschlechtsverkehr nicht ein oberflächlicher körperlicher Kontakt zwischen zwei Menschen ist, dessen Wirkung schnell wieder verfliegt, sondern zwischen den Sexualpartnern eine einzigartige und ganzheitliche Verbindung herstellt, die bis tief in die Seelen der beiden Partner hineinreicht. Zwei Menschen verschmelzen zu einem Organismus.

Die Unauflöslichkeit der Ehe in der Sexualethik Jesu

Darum ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass Jesus aus der Aussage in 1 Mose 2,24 über die sexuelle Verbindung zwischen Mann und Frau abgeleitet hat, dass Menschen diese Beziehung nicht wieder zerreißen sollen. (Dieses Jesuswort spielt in Zimmers Vortrag nicht die geringste Rolle.) Den Pharisäern, die ihn danach fragten, ob er es für gerechtfertigt hielt, eine Ehe leichtfertig aufzulösen, antwortete Jesus mit einem Verweis auf die Schöpfung (Mt 19,4-6):

„Habt ihr nicht gelesen, dass der, welcher sie schuf,
sie von Anfang an als Mann und Frau schuf und sprach:
‚Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und sich mit seiner Frau verbinden,
und die zwei werden zu einem Leib werden’ (Gen 2,24).
Daher sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Leib.
Was nun Gott zusammengefügt hat,
soll der Mensch nicht trennen“.

Gerade weil sich Jesus auf das Ein-Leib-Werden bezieht, also die körperliche Vereinigung, warnt Jesus mit dieser Aussage nicht nur davor, eine vor einem Standesamt geschlossene Ehe zu zerreißen, sondern auch davor, eine ohne Standesamt eingegangene sexuelle Beziehung zu zerstören.

Wie einschneidend es ist, wenn ein Paar, das „ein Fleisch“ bzw. „ein Leib“ geworden ist, wieder auseinandergerissen wird, hat C. S. Lewis anschaulich beschrieben: „Die christliche Auffassung von der Ehe beruht auf den Worten Christi: Mann und Frau sollen ein Leib sein ... Deswegen lehrt die christliche Religion, dass eine Ehe für das ganze Leben gilt ... Das heißt, alle Konfessionen sehen in der Ehescheidung so etwas wie einen Schnitt in den lebendigen Körper, eine Art Operation. Die einen halten diese Operation für lebensgefährlich und nehmen sie grundsätzlich nicht vor. Die anderen lassen sie im äußersten Fall als verzweifeltes Hilfsmittel zu. Alle betrachten die Ehescheidung mehr als eine Amputation beider Beine denn als Auflösung einer Partnerschaft im Geschäft oder als Fahnenflucht. Alle aber widersprechen der modernen Auffassung, die in der Ehescheidung lediglich einen Wechsel der Partner sieht, den man vornimmt, sobald zwei Menschen sich nicht mehr lieben, oder wenn einer der beiden Partner sich in einen Dritten verliebt“36Lewis, Pardon ich bin Christ, 85-86..

Damit ist im Unterschied zum mosaischen Gesetz auch die seelische Dimension angesprochen. Es geht in der zweiten Schöpfungserzählung und in der Lehre Jesu beim Thema Sexualität und Ehe nicht primär um die Kinder des Paares, die eine stabile Familie brauchen. Von den Kindern und ihren Bedürfnissen ist weder in 1 Mose 2,24 noch in Matthäus 19,4-6 die Rede. Es geht um die Bedürfnisse der beiden Partner, die weder den anderen noch sich selbst schwer und dauerhaft verletzen sollen.

Im Unterschied zum mosaischen Gesetz, das für ein bestimmtes Volk (Israel) in einer bestimmten Zeitepoche (des Alten Bundes) bestimmt war, werden die Schöpfungserzählungen im Neuen Testament nirgends in ihrer Bedeutung eingeschränkt oder gar für überholt erklärt. In den biblischen Schöpfungserzählungen begegnet uns ein allgemeingültiger ethischer Anspruch, der sich an alle Menschen aller Zeiten und Kulturkreise richtet. Das gilt auch für die Aussagen Jesu über Ehe. Auch sie gelten nicht nur für die Menschen der Antike, sondern für die Menschen aller Zeiten und Kulturen.

Kein vorehelicher Geschlechtsverkehr in festen Partnerschaften bei Paulus

Auf dem Hintergrund dieser Schöpfungsordnung und der Lehre Jesu hat sich auch der Apostel Paulus im siebten Kapitel des 1. Korintherbriefs zum vorehelichen Sex geäußert. (Auch diese Aussage erwähnt Zimmer mit keinem Wort.) In 1 Korinther 7,1-7 hat Paulus verheirateten Christen untersagt, aufgrund eines falschen Keuschheitsideals in ihrer Ehe auf Geschlechtsverkehr zu verzichten. Anschließend hat er unverheirateten Christen, die sich moralisch verpflichtet fühlten, unverheiratet zu bleiben, erlaubt, zu heiraten und Sex zu haben (1 Kor 7,8-9):

„Ich sage aber den Unverheirateten und den Witwen:
Es ist gut für sie, wenn sie (unverheiratet) bleiben wie ich.
Wenn sie sich aber nicht enthalten können, so sollen sie heiraten, denn es ist besser, zu heiraten als vor Verlangen zu brennen“.

Diese Aussage (vgl. 1 Kor 7,36-38) zeigt: Für Paulus stand außer Frage, dass Geschlechtsverkehr nur zwischen Verheirateten stattfinden sollte. Dass ein Paar, das sich sexuell nicht zurückhalten kann oder will, miteinander schläft, ohne zuvor zu heiraten, kam für den Apostel nicht in Frage. Er hat von solchen Paaren erwartet, dass sie zunächst gemäß den damals gültigen Regeln eine gültige Ehe eingingen. Auch hier ist deutlich, „dass für die Bibel der Vollzug geschlechtlicher Gemeinschaft eingebettet sein muss in eine umfassende und bis ins Rechtliche hinein verbindliche Lebensgemeinschaft ... Verhältnisse, die nur auf Probe oder zur sexuellen Befriedigung eingegangen werden, entsprechen nicht dem Willen Gottes“37W. Klaiber, Wann beginnt die Ehe und was begründet sie? Material zu einer aktuellen Frage aus der Bibel und ihrer Umwelt, in: Theologische Beiträge 12 (1981) 221-231, hier 230..

Der Grund ist auch hier nicht schwer zu erkennen. Weil der Geschlechtsverkehr zwei Menschen besonders tief miteinander verbindet, sollte ihre Verbindung so gut wie möglich gegen ein Zerreißen geschützt werden. Und zu den maximalen Vorkehrungen gegen das Zerreißen einer Ehe gehörte das rechtlich verbindliche Versprechen vor einer öffentlichen Instanz (wie immer diese aussieht). Aus christlicher Sicht reichte dieses Versprechen bis ans Lebensende (Röm 7,1-3). Das Eheversprechen „bis dass der Tod euch scheidet“ ist ganz im Sinne der biblischen Ethik.

Das ethische Prinzip, dass all diesen biblischen Texten gemeinsam ist, lautet: Je weniger Verbindlichkeit, desto weniger Intimität. Je mehr Verbindlichkeit, desto mehr Intimität. Und maximale Intimität verlangt maximale Verbindlichkeit38Vgl. die Formulierung von M. Herbst in seiner Predigt über Mt 19,1-9 zum Thema „Glaube und Sex“ (https://greifbar.net/wp-content/uploads/media/111113%20GreifBar_plus_Mt_19_1-9.pdf - abgerufen am 21. Januar 2023): „Eine maximale Bindung schafft einen Raum, in dem sich maximale Intimität ohne Angst leben lässt“..

Geschlechtsverkehr zwischen Verlobten und mit wechselnden Partnern

Auch an dieser Stelle wird jedoch eine Gewichtung sichtbar. Denn auch im Neuen Testament gelten nicht alle sexuellen Verfehlungen als gleich schlimm. Dies zeigt ein kurzer Gesamtüberblick über die wichtigsten sexuellen Verhaltensweisen und die dafür vorgesehenen Sanktionen39Vgl. R. Deines, Leiblichkeit und Sexualität im Neuen Testament. Christliches Ethos zwischen Schöpfung und Offenbarungswort, in: Christoph Raedel (Hg.), Das Leben der Geschlechter. Zwischen Gottesgabe und menschlicher Gestaltung (im Druck).:

Uneingeschränkt positiv bewertet werden im Neuen Testament die sexuell enthaltsame Ehelosigkeit und die treue Ehe.

Eindeutig negativ beurteilt werden Sex mit wechselnden Partnern und Sex mit Prostituierten (1 Kor 6,15-17), Sex mit engen Verwandten (1 Kor 5,1) und Sex zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern (Röm 1,24-27). Christen, die so handelten und nicht bereit waren, ihr Verhalten zu ändern, konnten nicht Mitglied einer christlichen Gemeinde bleiben.

Ganz unerwähnt bleibt in der gesamten Bibel die Selbstbefriedigung (Masturbation bzw. Onanie)40Zur antiken Bewertung der Selbstbefriedigung siehe W. Krenkel, Masturbation in der Antike (1979), in: Naturalia non turpia. Sex and Gender in Ancient Greece and Rome. Schriften zur antiken Kultur- und Sexualwissenschaft, Hg. W. Bernhard und C. Reitz (Spudasmata 113), Hildesheim: Olms, 2006, 173-204.. Zwar fand Thomas von Aquin in 1 Korinther 6,9 ein biblisches Verbot der Selbstbefriedigung. Auch Martin Luther vertrat diese Deutung. Der Reformator Andreas Bodenstein von Karlstadt war sogar der Ansicht, Selbstbefriedigung sei schlimmer als Hurerei und Ehebruch41A. Angenendt, Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum. Von den Anfängen bis heute, Münster: Aschendorff, 2015, 110-111 und 158.. Aber mit den in 1 Korinther 6,9 erwähnten „Weichen“ waren keine Personen gemeint, die sich selbst sexuell befriedigen, sondern Personen, die beim homosexuellen Geschlechtsverkehr zwischen Männern die weibliche bzw. passive Rolle einnahmen42Siehe Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament 2 (21992) 939..

Wie Paulus oder die paulinischen Gemeinden mit festen Paaren verfahren sind, die unverheiratet Geschlechtsverkehr hatten, wird im Neuen Testament nirgends ausdrücklich gesagt. Am wahrscheinlichsten ist, dass man eine ähnliche Differenzierung vornahm wie im 5. Mosebuch (Dtn 22,13- 29). Man kann daher vermuten, „dass eine christliche Gemeinde, wenn ein solches Verhalten bekannt geworden wäre, es missbilligt und ... auf die Legalisierung des Verhältnisses gedrungen hätte“43Klaiber, Wann beginnt die Ehe, 228.. Die Betroffenen wären aufgefordert worden, ihre Verhältnisse zu ordnen. Wie eine paulinische Gemeinde verfuhr, wenn sich ein Paar weigerte, seine sexuelle Beziehung zu legalisieren, wird nirgends gesagt. Eine solche Weigerung wäre aber kaum ohne Konsequenzen geblieben.

Positiv:

Enthaltsame Ehelosigkeit (Empfehlung)
Treue Ehe (Empfehlung)

Ordnungsfähig:

Vorehelicher Sex mit einem festen Partner (Forderung der Legalisierung)

Negativ:

Sex mit wechselnden Partnern (Gemeindeausschluss)
Sex mit Prostituierten (Gemeindeausschluss)
Sex mit engen Verwandten (Gemeindeausschluss)
Sex zwischen Gleichgeschlechtlichen (Gemeindeausschluss)

Unerwähnt: Selbstbefriedigung

Wie dieser Überblick zeigt, galt vorehelicher Sex mit einem einzigen festen Partner als weniger gravierend als vorehelicher (oder außerehelicher) Sex mit wechselnden Partnern. Aber auch vorehelicher Sex mit einem einzigen festen Partner galt als moralisch verkehrt.

Es ist erstaunlich, dass Zimmer in einem Vortrag, in dem er zeigen will, dass es keine biblische Sexualethik gibt, mit keinem Wort auf biblische Kernstellen wie Matthäus 19 und 1 Korinther 7 zu sprechen kommt. Auch wenn er sie für irrelevant oder überholt hält, hätte er sie behandeln und ethisch einordnen müssen. Indem Zimmer die zentralen biblischen Texte zum Thema einfach übergeht, fehlt seiner Behauptung, es gebe keine biblische Sexualethik, das exegetische Fundament. Seinen sexualethischen Ausführungen fehlt nicht nur die historische, sondern auch eine exegetische Basis.

6. Intimität und Verbindlichkeit: Folgerungen für die Gegenwart

Zum Schluss stellt sich die Frage, welche sexualethischen Folgerungen wir für die Gegenwart aus den biblischen Texten ziehen können. Ich habe schon gesagt, dass das Hohelied, die mosaischen Gesetze und die biblische Weihnachtsgeschichte meines Erachtens (aus unterschiedlichen Gründen) allenfalls indirekt in Frage kommen. In der zweiten Schöpfungserzählung (Gen 2,24), den Aussagen Jesu über die Ehe (Mt 19,3-6) und den Briefen des Apostels Paulus (1 Kor 7,8-9) werden dagegen Grundprinzipien genannt, die für alle Paarbeziehungen aller Zeiten gemeint waren und ihren Wert bis heute nicht verloren haben.

Unbrauchbare Argumente: Geschlechtsreife und Heiratsalter

Zimmer verfährt mit diesen ethischen Kerntexten, indem er sie einfach übergeht. Dies begründet er mit dem Argument, dass wir uns heute in einer völlig anderen Situation befinden als die Menschen der Bibel, für die die biblischen Texte bestimmt waren. Heute liegt das durchschnittliche Heiratsalter bei 28 bis 29 Jahren. Geheiratet wird lange nach dem Eintritt der Geschlechtsreife. Die Frage, wie man es zwischen dem Eintritt der Geschlechtsreife und der durchschnittlich etwa 15 Jahre später erfolgenden Eheschließung mit seiner Sexualität halten soll, ist laut Zimmer ein völlig neues Problem, das die Bibel noch gar nicht kannte und darum auch nicht behandelt hat (27.50). Daher könne es nicht mit Bibelstellen beantwortet werden (58.55). Wie eine historische Überprüfung dieser Behauptung gezeigt hat, lässt sie sich wissenschaftlich nicht halten. Für die sexual- ethische Urteilsbildung ist sie daher unbrauchbar. Die biblischen Aussagen zum Thema bleiben relevant und müssen berücksichtigt werden.

Biblische Sexualethik 1: Maximale Intimität

Wie sich gezeigt hat, lassen sich die biblischen Aussagen zum Verhältnis zwischen Geschlechtsverkehr und Eheschließung auf einen einfachen Nenner bringen: Maximale Intimität erfordert maximale Verbindlichkeit.

Was genau ist maximale Intimität? Das hat der britische Zoologe und Verhaltensforscher Desmond Morris sehr differenziert und nachvollziehbar beschrieben. Er unterscheidet zwischen zwölf Phasen der Intimität, die zwei Liebende im Laufe des Paarbildungsprozesses üblicherweise durchlaufen44D. Morris, Liebe geht durch die Haut. Die Naturgeschichte des Intimverhaltens, Stuttgart: Deutscher Bücherbund, (1974), 85-94.. Jede Phase spielt sich auf einer anderen Kontaktebene ab: (1) Auge – Körper, (2) Auge – Auge, (3) Stimme – Stimme, (4) Hand – Hand, (5) Arm – Schulter, (6) Arm – Taille, (7) Mund – Mund, (8) Hand – Kopf, (9) Hand – Körper, (10) Mund – Brüste, (11) Hand – Genitalien, (12) Genitalien – Genitalien.

Zur zwölften Kontaktebene bzw. Phase der Intimität schreibt Morris: „Damit ist schließlich die Stufe der vollkommenen Vereinigung der Partner erreicht“. Dabei „wird mit dem Zerreißen des Jungfernhäutchens durch den eindringenden Penis der erste nicht mehr widerrufbare Akt in der gesamten Sequenz vollzogen. Darüber hinaus ist noch ein weiterer Akt unwiderruflich – nämlich die Schwängerung der Frau. Durch diese unwiderruflichen Konsequenzen unterscheidet sich der abschließende Akt denn doch wesentlich von den vorhergehenden Stufen des sexuellen Intimverhaltens ...“45Ebd., 94.. Die sexualethische Frage nach der Bewertung vorehelichen Geschlechtsverkehrs bezieht sich auf diese zwölfte Stufe, der auf der körperlichen und auf der mit ihr eng verbundenen seelischen Ebene eine besondere Qualität zukommt. Erst auf dieser Stufe stellen zwei Liebende maximale Intimität her.

Biblische Sexualethik 2: Maximale Verbindlichkeit

Was ist maximale Verbindlichkeit? Verbindlichkeit in einer Liebesbeziehung entsteht durch ein Versprechen, das sich die beiden Liebenden geben. Auch hier lassen sich unterschiedliche Stufen oder Grade der Verbindlichkeit unterscheiden:

  1. Die geringste Verbindlichkeit besteht, wenn beide Sexualpartner ausschließen, dass sie zusammenbleiben.
  2. Eine etwas höhere Verbindlichkeit ist gegeben, wenn die Partner es für möglich halten, dass sie zusammenbleiben.
  3. Eine wesentlich größere Verbindlichkeit ist gegeben, wenn die Partner sich privat versprechen zu heiraten.
  4. Die Verbindlichkeit eines solchen Verlobungsversprechens kann dadurch gesteigert werden, dass es öffentlich gemacht wird. Aber auch ein öffentliches Verlobungsversprechen ist rechtlich nicht bindend und kann folgenlos zurückgenommen werden.
  5. Die höchste Form der Verbindlichkeit wird erreicht, wenn zwei Liebende sich ein rechtlich bindendes Eheversprechen geben. Dies kann, je nach Zeitepoche und Kultur, vor einer staatlichen oder kirchlichen Instanz erfolgen oder vor beiden. Von den vorangehenden Graden der Verbindlichkeit unterscheidet sich diese fünfte Stufe qualitativ dadurch, dass das Eheversprechen vor dem Standesamt nicht ohne Rechtsfolgen zurückgenommen werden kann. Erst dieses rechtlich bindende Eheversprechen bedeutet maximale Verbindlichkeit.

Das exegetisch gewonnene Prinzip, dass maximale Intimität maximale Verbindlichkeit voraussetzt, legt eine Reihenfolge fest: Erst verspricht sich ein Liebespaar lebenslange Treue, dann schläft es miteinander. Die Absicht dieser Reihenfolge besteht darin, die wichtigste und tiefste Beziehung, die ein Mensch eingehen kann, so gut wie möglich vor dem Zerreißen zu schützen und ihre Exklusivität zu bewahren. Erst der Tod soll sie auflösen. Darum versprechen sich Paare im Traugottesdienst, einander treu zu sein, bis der Tod sie scheidet.

Aus diesem Grund konfrontiert die biblische Sexualethik jeden Liebenden mit einer doppelten Frage. Erstens: „Wenn Du nicht bereit bist, Dich lebenslang auf Deinen Partner festzulegen, warum bist Du dann nicht bereit, auf maximale Intimität zu verzichten? Nur dadurch achtest Du die Exklusivität sowohl Deiner zukünftigen Ehebeziehung als auch der Deines Partners“. Zweitens: „Wenn Du mit Deinem Partner maximale Intimität herstellen willst, warum bist Du dann nicht bereit, ihm mit maximaler Verbindlichkeit lebenslange Treue zu versprechen? So kannst Du Eure Beziehung am besten vor dem Zerreißen schützen“.

Eine „moderne“ christliche Sexualethik: Geringe Verbindlichkeit

Zimmer gibt die biblische Verknüpfung maximaler Intimität mit maximaler Verbindlichkeit auf. Seines Erachtens ist es kein Problem, wenn Liebespaare unverheiratet miteinander schlafen (56.20). Allerdings sollen sie sich dabei an einige Regeln halten (1.14.00). Zwei dieser Regeln sind so allgemein, dass sie nicht nur für unverheiratete, sondern auch für verheiratete Paare gelten. Diese beiden Regeln sind nicht kontrovers:

  1. Niemand soll den Partner zu etwas bringen, was dieser im Tiefsten nicht will (1.14.55). Auch in einer vorehelichen Beziehung darf der Partner also weder zu etwas gezwungen noch manipuliert werden.
  2. Niemand darf den Partner belügen oder durch Fremdgehen hintergehen (1.16.00). Auch in einer vorehelichen Beziehung darf der Partner also nicht mit einem anderen Menschen betrogen werden.

Drei weitere Regeln, auf die Zimmer Wert legt, betreffen speziell unverheiratete Liebespaare:

  1. Erstens sollte das Körperliche dem Seelischen nicht meilenweit vorauseilen (1.14.40). Konkret heißt das: Liebespaare sollten erst nach drei bis sechs Monaten miteinander schlafen. Diese Regel meint Zimmer aber nicht besonders streng. Denn wenn es gleich am dritten Abend passiert, sei es aber auch nicht schlimm (1.00.10).
  2. Zweitens soll ein unverheiratetes Liebespaar, das miteinander schläft, dies nicht heimlich tun, sondern es Eltern und Freunden mitteilen (1.05.00). Diese Regel soll offensichtlich ein gewisses Maß an Öffentlichkeit herstellen.
  3. Drittens soll ein unverheiratetes Liebespaar, das miteinander schläft, eine langfristige Beziehung anstreben (1.06.00) und „hoffen, dass es was wird“ (1.04.40). Konkreter wird an diesem Punkt Helmuth Gollwitzer, auf dessen Position sich Zimmer an dieser Stelle ausdrücklich beruft. Gollwitzer empfiehlt, beim Geschlechtsverkehr zwischen Unverheirateten solle wenigstens „die Frage ... lebendig sein“, ob ihre Beziehung zu einer ganzheitlichen leiblich-geistigen Begegnung „tendiert“. Denn „erst die Hoffnung, es entstehe mehr als nur das Vergnügen zweier Leiber“, führe aus dem Egoismus heraus46H. Gollwitzer, Das hohe Lied der Liebe, 33-34.. Durch Eheschließung gesellschaftlich legalisiert werden solle eine sexuelle Partnerschaft erst, wenn die Partner sich lebenslange Treue versprochen haben47Ebd., 54-55..

Für Zimmer ist es demnach ethisch unproblematisch, wenn ein Mensch (vor seiner Heirat) nacheinander mit mehreren Partnern intim wird und jede dieser Beziehungen wieder zerreißt, weil sie nicht zu einer ganzheitlichen Begegnung tendieren und er sich nicht zu lebenslanger Treue entschließen will oder kann.

Die Schwäche der „modernen“ christlichen Sexualethik: Keine Exklusivität

Eine weitere Aussage Zimmers betrifft die Ehescheidung. Zimmer berichtet von einem 23-jährigen Mann, der meint, er habe unter pseudo- christlichem Druck geheiratet und nach seiner Heirat andere, interessantere Frauen kennenlernt. Diesem Ehemann riet Zimmer, seiner Ehe ein Jahr lang jede Chance zu geben. Weil der junge Ehemann sich nach einem Jahr immer noch nicht vorstellen konnte, mit seiner Frau alt zu werden, empfahl Zimmer ihm, sich scheiden zu lassen.

Da es mir in diesem Vortrag nicht um das Thema Ehescheidung geht, beschränke ich mich auf Zimmers „moderne“ Position zur Eheschließung. Seine „moderne“ Sexualethik verlangt Liebespaaren weniger Selbstdisziplin ab als die biblische Sexualethik. Statt maximaler Verbindlichkeit (auf Stufe 5) wird nur eine sehr geringe Verbindlichkeit (auf Stufe 2) erwartet. Das lässt diese Ethik auf den ersten Blick attraktiv erscheinen.

Aber Zimmers Sexualethik leistet auch erheblich weniger als die biblische Sexualethik: Sie ist nicht in der Lage, die Exklusivität und Unauflöslichkeit der tiefsten menschlichen Beziehung wirksam zu schützen. Sie nimmt in Kauf, dass Frauen und Männer mehrere maximal intime Beziehungen eingehen und wieder zerreißen, bevor sie heiraten. Das Ziel, die Exklusivität der durch den Geschlechtsverkehr bedingten Beziehung zwischen zwei Liebenden zu wahren, wurde aufgegeben. Der Wert ethischer Regeln bemisst sich aber nicht daran, ob sie leicht zu halten sind, sondern daran, welchen Zweck sie verfolgen und wie gut sie ihren Zweck erfüllen.

Der richtige Weg für die christliche Gemeinschaft

Eine weitere Frage lautet: Wie soll sich eine christliche Gemeinde gegenüber Paaren verhalten, die miteinander schlafen, aber nicht bereit sind, sich öffentlich ewige Treue zu versprechen?

Siegfried Zimmer ist der Meinung: „Daraus, wie erwachsene Menschen ihre Erotik gestalten, soll sich die Gemeindeleitung raushalten“ (56.30). Wie die oben erwähnten neutestamentlichen Aussagen über den Umgang mit sexuellem Fehlverhalten zeigen, ist eine solch indifferente Haltung biblisch nicht zu rechtfertigen. Die Frage ist aber, wie eine Gemeinde am besten reagieren sollte.

Im Katechismus der Katholischen Kirche ist vorgesehen, dass unehelich Zusammenlebende nicht zum Abendmahl zugelassen werden: „... wenn ein Mann und eine Frau sich weigern, ihrer auch die sexuelle Intimität einbegreifenden Beziehung eine öffentliche Rechtsform zu geben“, muss die Kirche mit einer strengen Maßnahme reagieren: Der Geschlechtsakt ist „außerhalb der Ehe ... stets eine schwere Sünde und schließt vom Empfang der Heiligen Kommunion aus“48Katechismus der Katholischen Kirche, 2390.. Auch der Ehebruch wird im katholischen Katechismus als „schweres Vergehen“ bezeichnet49Ebd., 2380 und 2386..

Diese Gleichsetzung ist aus biblischer Sicht nicht gerechtfertigt. Wie wir gesehen haben, wurde im alttestamentlichen Gesetz für den Ehebrecher eine viel härtere Strafe vorgesehen als für den, der mit einer nicht- verlobten Frau schlief. Während dem einen die Steinigung drohte, war der andere nur zur Heirat verpflichtet. Und während Paulus unbußfertigen Ehebrechern den Ausschluss aus dem Himmelreich ankündigte, dürfte er von unverheirateten Paaren, die miteinander intim wurden, lediglich verlangt haben zu heiraten. Der Grund für diese unterschiedliche Behandlung ist leicht zu erkennen. Während der Ehebrecher eine exklusive und als unauflösbar gemeinte Partnerschaft zerstört, ist dies beim vorehelichen Sex eines fest befreundeten oder verlobten Paares nicht der Fall. Aus demselben Grund ist es moralisch verwerflicher, vor der Ehe mit wechselnden Partnern Sex zu haben als mit einem.

Gemeindeordnung mit Augenmaß

Diese Differenzierung sollte sich auch im Verhalten einer Gemeinde gegenüber ihren Mitgliedern niederschlagen. Ehebrecher müssen wissen, dass sie nicht zum Abendmahl zugelassen werden und keine Mitglieder bleiben können, wenn sie ihr Verhalten nicht bereuen und ändern. Dasselbe gilt für unverheiratete Christen, die mit wechselnden Partnern intim sind. Im Unterschied dazu, können Paare, die in einem exklusiven sexuellen Verhältnis leben, aber eine öffentliche Verpflichtung zur lebenslangen Treue ablehnen, aus der verantwortlichen Mitarbeit ausgeschlossen werden, solange sie diese Verpflichtung nicht eingegangen sind. So hat es beispielsweise Michael Herbst in einer sehr empfehlenswerten Predigt zum Thema „Glaube und Sex“ formuliert:

„Wir sagen als Gemeinde ...: Uns ist jeder willkommen, egal mit welcher Lebenslage und Vorgeschichte. Und wir sagen: Wer bei uns Verantwortung übernimmt, ein Team oder einen Hauskreis leitet und einen Partner hat, kann das nur, wenn er an dieser Stelle auch diesem Willen Gottes gemäß lebt“50https://greifbar.net/wp-content/uploads/media/111113%20GreifBar_plus_Mt_19_1-9.pdf (abgerufen am 19. August 2016)..

Dadurch wird signalisiert, dass Ehebruch wesentlich schwerer wiegt als Sex zwischen Verlobten, dass aber auch von Verlobten erwartet wird, sich an die biblischen Maßstäbe zu halten und ihre Verhältnisse zu ordnen.

7. Fazit: Die Welt der Bibel und die biblische Sexualethik

Zum Schluss möchte ich zwei Grundgedanken meines Vortrags noch einmal hervorheben. Sexualethische Aussagen, die sich auf ein antikes Buch wie die Bibel beziehen, brauchen ein solides historisches und ein solides exegetisches Fundament. Eine wesentliche historische Grunderkenntnis, von der eine christliche Sexualethik ausgeht, lautet:

Die Menschen der Bibel standen vor denselben Herausforderungen wie wir

Zimmers historische Angaben, mit denen er die Unterschiede zwischen antiker und moderner Kultur erklären will, sind in weiten Teilen unzutreffend. Die ausschlaggebende historische Fehlinformation, die Zimmer in seinem Vortrag verbreitet, betrifft den Zusammenhang zwischen Geschlechtsreife und Heiratsalter. Eine biblische Welt, in der die jungen Männer allerspätestens mit 19 Jahren verheiratet waren, in der Frauen und Männer geheiratet haben, sobald sie geschlechtsreif waren, in der es praktisch keinen vorehelichen Sex gab und in der vorehelicher Sex auch kein ethisches Thema war, ist eine Fiktion. Eine solche Antike hat es nie gegeben. Derartige historische Fehlurteile eignen sich nicht als Basis für belastbare sexualethische Urteile. In Wirklichkeit durchlebten auch in der Welt der Bibel viele Menschen eine jahrelange Lebensphase, in der sie geschlechtsreif aber nicht verheiratet waren. In dieser Hinsicht erging es ihnen nicht anders als uns heute. Sie standen vor denselben sexualethischen Herausforderungen wie wir. Darum gelten die sexualethischen Anforderungen der Bibel uns in sehr ähnlicher Weise wie ihnen. Die exegetische Grunderkenntnis, von der eine christliche Sexualethik ausgehen sollte, ist das Prinzip:

Maximale Intimität erfordert maximale Verbindlichkeit

Die christliche Sexualethik ruht auf dem schöpfungstheologisch begründeten Satz Jesu, dass zwei Sexualpartner zu einem Organismus verschmelzen, der nicht zerrissen werden soll. Eine Trennung gleicht einem Schnitt in den lebendigen Körper oder der Amputation eines Beines. Darum soll das Zerreißen einer sexuellen Beziehung so gut wie möglich verhindert werden. Eine „moderne“ Sexualethik, die es für unproblematisch erklärt, wenn ein Mensch (mit oder ohne Ehe) mehrere intime Beziehungen eingeht und wieder zerreißt, kapituliert vor dem sexualethischen Anspruch der Bibel. Sie ist nicht in der Lage, die Exklusivität und Unauflöslichkeit der tiefsten menschlichen Beziehung wirksam zu schützen. Eine biblische Sexualethik orientiert sich dagegen an der Regel: Maximale Intimität erfordert maximale Verbindlichkeit. Aus diesem Grund konfrontiert sie jedes Liebespaar mit der ethischen Herausforderung: „Wenn ihr maximale Intimität herstellen wollt, warum seid Ihr dann nicht bereit, Euch mit maximaler Verbindlichkeit lebenslange Treue zu versprechen?“ Aus christlicher Sicht sollen sich Partner, die eine intime Verbindung eingehen, so verbindlich wie möglich versprechen, einander bis zum Tod treu zu bleiben. In unserer Kultur sind die Orte der maximalen Verbindlichkeit das Standesamt und gegebenenfalls zusätzlich der Traualtar.

Drei Literaturempfehlungen

Knapp und zuverlässig über Sexualität, Ehe und Familie in der antiken Welt informiert die Althistorikerin Tanja Scheer, Griechische Geschlechtergeschichte (Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike 11), München: Oldenbourg, 2011.

Einen umfassenden und sehr informativen Gesamtüberblick über den Umgang mit Sexualität in der 2000-jährigen Geschichte des Christentums bietet der Kirchengeschichtler Arnold Angenendt, Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum. Von den Anfängen bis heute, Münster: Aschendorff, 2015.

Ein praktisches und seelsorgerliches Buch zu allen wesentlichen Fragen zum Thema Ehe für verheiratete, unverheiratete Paare und Singles stammt von dem New Yorker Pastor Timothy Keller, Ehe. Gottes Idee für das größte Versprechen des Lebens, Gießen: Brunnen, 32015.

Prof. Dr. Armin D. Baum

Endnoten

  • 1
    Der nachfolgende Artikel ist eine Veröffentlichung des Weißen Kreuzes e. V. im November 2016
  • 2
  • 3
    Katechismus der Katholischen Kirche. Neuübersetzung aufgrund der Editio typica Latina, München: Oldenbourg, 2005, 2390.
  • 4
    Ebd., 2391.
  • 5
    C. S. Lewis, Pardon ich bin Christ, Basel: Brunnen, 61982, 79.
  • 6
    Vgl. W. Schmitz, Haus und Familie im antiken Griechenland (Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike 1), München: Oldenbourg, 2007, 10 und 57-58.
  • 7
    E. Dassmann / G. Schöllgen, Haus II (Hausgemeinschaft), in: Reallexikon für Antike und Christentum 13 (1986) 801-905, hier 806.
  • 8
    Ebd., 849.
  • 9
    R. S. Bagnall und B. W. Frier, The Demography of Roman Egypt (Cambridge Studies in Population, Economy and Society in Past Times 23), Cambridge: University Press, 1984, 58-67.
  • 10
    S. R. Huebner, Household Composition in the Ancient Mediterranean – What Do We Really Know?, in: A Companion to Families in the Greek and Roman Worlds, Hg. B. Rawson (Blackwell Companions to the Ancient World), Chichester: Wiley- Blackwell, 2011, 73-91, hier 77-80.
  • 11
    E. Eyben, Jugend, in: Reallexikon für Antike und Christentum 19 (2001) 388-442, hier 389-390.
  • 12
    Ebd., 402, 406 und 412-413.
  • 13
    Vgl. J. Wiesehöfer, Jugend, in: Der Neue Pauly 5 (1998) 1209-1211.
  • 14
    Vgl. H. L. Strack und P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, München: Beck, 31961, I, 318-319; II, 22-23.
  • 15
    G. Delling, Ehescheidung, in: Reallexikon für Antike und Christentum 4 (1959) 707-719, hier 709-710 und 712.
  • 16
    B. Kötting, Die Bewertung der Wiederverheiratung (der zweiten Ehe) in der Antike und in der Frühen Kirche (Vorträge der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Geisteswissenschaften, G 292), Opladen: Westdeutscher Verlag, 1988, 11; vgl. 7, 19, 29.
  • 17
    A. Mette-Dittmann, Die Ehegesetze des Augustus. Eine Untersuchung im Rahmen der Gesellschaftspolitik des Princeps (Historia, Einzelschriften 67), Stuttgart: Steiner, 1991, 132, 166-167.
  • 18
    Vgl. Strack/Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament, I, 320-321.
  • 19
    T. Mattern, Wohnverhältnisse, in: Der Neue Pauly 12/2 (2002) 563-566, hier 566.
  • 20
    K. Hoheisel, Homosexualität, in: Reallexikon für Antike und Christentum 16 (1994) 289-364, bes. 338.
  • 21
    E. Eyben, Geschlechtsreife und Ehe im griechisch-römischen Altertum und im frühen Christentum, in: E. W. Müller (Hg.), Geschlechtsreife und Legitimation (Veröffentlichungen des „Instituts für historische Anthropologie e.V.“ 3), Freiburg: Alber, 1985, 403-478, hier 403-409.
  • 22
    Eyben, Jugend, 401.
  • 23
    M. H. Hopkins, The Age of Roman Girls at Marriage, in: Population Studies 18 (1965) 309-327, hier 321; vgl. B. D. Shaw, The Age of Roman Girls at Marriage. Some Reconsiderations, in: Journal of Roman Studies 77 (1987) 28-46.
  • 24
    J. Wiesehöfer, Heiratsalter, in: Der Neue Pauly 5 (1998) 256-258.
  • 25
    Eyben, Jugend, 429; vgl. Strack/Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament, II, 374-375.
  • 26
    T. S. Scheer, Griechische Geschlechtergeschichte (Enzyklopädie der griechisch- römischen Antike 11), München: Oldenbourg, 2011, 17-19 und 83-86.
  • 27
    Eyben, Jugend, 435.
  • 28
    H. Gollwitzer, Das hohe Lied der Liebe (Kaiser-Traktate 8), München: Kaiser, 1978, 24-25 u.ö.
  • 29
    Vgl. M. Gerhards, Das Hohelied. Studien zu seiner literarischen Gestalt und theologischen Bedeutung (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 35), Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2010, 380-385; siehe auch J. Steinberg, „Sein“ oder „Sollen“? Das Hohelied Salomos zwischen Sexualanthropologie und Sexualethik, in: T. Arnold u.a. (Hg.), „HERR, was ist der Mensch, dass du dich seiner annimmst...?“ (Ps 144,3). Beiträge zum biblischen Menschenbild, Witten: SCM Brockhaus, 2013, 187-207.
  • 30
    Siehe dazu C. Locher, Die Ehre einer Frau in Israel. Exegetische und rechtsvergleichende Studien zu Deuteronomium 22,13-21 (Obris biblicus et orientalis 70), Freiburg: Universitätsverlag, 1986.
  • 31
    C. Pressler, The View of Women Found in the Deuteronomic Family Laws (Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 216), Berlin: de Gruyter, 1993, 41.
  • 32
    Strack/Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament, I, 51-53.
  • 33
    C. Westermann, Genesis 1-11 (Biblischer Kommentar zum Alten Testament I/1), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1983, I, 318.
  • 34
    Ebd.
  • 35
    Ebd.
  • 36
    Lewis, Pardon ich bin Christ, 85-86.
  • 37
    W. Klaiber, Wann beginnt die Ehe und was begründet sie? Material zu einer aktuellen Frage aus der Bibel und ihrer Umwelt, in: Theologische Beiträge 12 (1981) 221-231, hier 230.
  • 38
    Vgl. die Formulierung von M. Herbst in seiner Predigt über Mt 19,1-9 zum Thema „Glaube und Sex“ (https://greifbar.net/wp-content/uploads/media/111113%20GreifBar_plus_Mt_19_1-9.pdf - abgerufen am 21. Januar 2023): „Eine maximale Bindung schafft einen Raum, in dem sich maximale Intimität ohne Angst leben lässt“.
  • 39
    Vgl. R. Deines, Leiblichkeit und Sexualität im Neuen Testament. Christliches Ethos zwischen Schöpfung und Offenbarungswort, in: Christoph Raedel (Hg.), Das Leben der Geschlechter. Zwischen Gottesgabe und menschlicher Gestaltung (im Druck).
  • 40
    Zur antiken Bewertung der Selbstbefriedigung siehe W. Krenkel, Masturbation in der Antike (1979), in: Naturalia non turpia. Sex and Gender in Ancient Greece and Rome. Schriften zur antiken Kultur- und Sexualwissenschaft, Hg. W. Bernhard und C. Reitz (Spudasmata 113), Hildesheim: Olms, 2006, 173-204.
  • 41
    A. Angenendt, Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum. Von den Anfängen bis heute, Münster: Aschendorff, 2015, 110-111 und 158.
  • 42
    Siehe Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament 2 (21992) 939.
  • 43
    Klaiber, Wann beginnt die Ehe, 228.
  • 44
    D. Morris, Liebe geht durch die Haut. Die Naturgeschichte des Intimverhaltens, Stuttgart: Deutscher Bücherbund, (1974), 85-94.
  • 45
    Ebd., 94.
  • 46
    H. Gollwitzer, Das hohe Lied der Liebe, 33-34.
  • 47
    Ebd., 54-55.
  • 48
    Katechismus der Katholischen Kirche, 2390.
  • 49
    Ebd., 2380 und 2386.
  • 50