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Paar-, Familien- & SexualethikEhe- und Familienethik

Polygamie

Eine biblisch-theologische Untersuchung

I. Hintergründe

1. Begrifflicher und rechtlicher Rahmen

In den letzten Jahrhunderten war die westliche Welt keineswegs zurückhaltend, das Ausleben der Polygamie in anderen Kulturen als inhuman, rückständig und ethisch inakzeptabel zu verdammen. Doch ist dieses harte Urteil berechtigt oder lediglich das Resultat einer ethnozentrischen Grundhaltung, die die eigene Kultur und Tradition als überlegen einordnet? Und wie kann diese Praxis aus biblisch-theologischer Perspektive bewertet werden? Diese und weitere Fragen sollen in diesem Artikel besprochen werden, um zu einer ethisch angemessenen Einstellung zur Auslebung der Polygamie zu gelangen. 

Ganz allgemein bezieht sich der Begriff Polygamie dabei auf eine Ehe, die mehr als zwei Partner involviert (Griechisch: πολυγαμία [polygamia]: „Vielehe“). Konkret kann dabei zwischen Polygynie (ein Mann mit mehreren Frauen) und Polyandrie (eine Frau mit mehreren Männern) unterschieden werden.1Vgl. Joseph F. Thiel, “Polygamie,” in Religion in Geschichte und Gegenwart IX, 4. Aufl., 1976.

In vielen Staaten werden polygame Ehen jedoch gesetzlich anerkannt oder zumindest nicht als rechtswidrig eingestuft. Dies ist vor allem in Ländern in der Sahara-Zone und auf der arabischen Halbinsel der Fall. Aber auch in Ländern, in denen gesetzliche Prohibitionen vorhanden sind, kann es zu polygamen Ehegemeinschaften kommen, wenn die Forderungen strafrechtlich nicht verfolgt werden.2Vgl. http://worldfocus.org/blog/2009/11/02/is-polygamy-good-for-women/8100/ Schätzungen zufolge leben weltweit etwa zwei Milliarden Frauen und Kinder in polygamen Verhältnissen.3Vgl. http://www.polygamystop.org/history.html [leider ist dieser Link nicht länger verfügbar].  Neben Afrikanern, in deren Tradition sich diese Lebensweise kulturell verfestigt hat, sind es insbesondere Muslime und Mormonen, die die Polygamie bejahen und ausleben. 

In Deutschland ist das Eingehen mehrerer Ehen gemäß §1306 des BGB verboten und kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden (§172 StGB).4Seit 2009 können Paare jedoch eine religiöse Ehegemeinschaft ohne vorherige standesamtliche Trauung eingehen – auch wenn das Paar sich dabei nicht auf die mit der staatlich anerkannten Ehe einhergehenden Privilegien berufen kann. Dies wird vor allem von Muslimen in Anspruch genommen, während die Evangelische Kirche in Deutschland weiterhin die kirchliche Trauung ablehnt, wenn dem keine standesamtliche Eheschließung voranging; vgl. Kirchenamt der EKD, Soll es künftig kirchlich geschlossene Ehen geben, die nicht zugleich Ehen im bürgerlich-rechtlichen Sinne sind? EKD-Texte 101, 2009. Etwas anders gelagert ist eine juristische Beurteilung bereits bestehender Ehen von Einwanderern, die – mit mehreren Frauen verheiratet – aus einem Herkunftsland nach Deutschland einreisen, in denen die Polygamie erlaubt ist. In solchen Fällen werden deutsche Gerichte eine Güterabwägung vornehmen und die Aus-wirkungen einer Scheidung auf alle Beteilig-ten (ggf. auch Kinder) vornehmen. Das rechtliche Verbot, mehrere Ehen einzugehen, schließt in der Praxis die Duldung im Ausland eingegangener Vielehen nicht aus. Zugleich ist unverkennbar, dass insbesondere in westlichen Forscherkreisen die verbreitete Ächtung der Polygamie in den Staaten des Westens in Frage gestellt und für eine differenzierte Neubewertung geworben wird.

2. Gründe für Polygamie

Während monogam geprägte Kulturen häufig wenig Verständnis für polygame Gemeinschaften haben, gibt es legitime Gründe für diese Praxis. Auch wenn sie die Polygamie nicht automatisch rechtfertigen, ist es dennoch hilfreich, sich diese aus kultureller Sicht vor Augen zu führen, bevor die verschiedenen ethischen Alternativen biblisch-theologisch beurteilt werden. Viele der Gründe hängen eng mit anderen, dem sozialen Kontext innewohnenden Aspekten zusammen und müssen daher in ganzheitlicher Weise eingeschätzt werden.

Generell lassen sich die gesellschaftlichen Motive für diese Sitte in vier Kategorien einordnen:5Vgl. Hitchens, Marriage, 52–56; 105–16.

  1. Regelung der Fruchtbarkeit: In Schamkulturen sind familiäre Bindungen von hoher sozialer Bedeutung. Das Hervorbringen einer Nachkommenschaft ist dort nicht nur das natürliche Resultat einer geschlossenen Ehebeziehung oder ein Weg zur Selbstverwirklichung, sondern in erster Linie die Verrichtung einer lebensnotwendigen Dringlichkeit. Fehlt es der Familie aufgrund der Unfruchtbarkeit der Frau also an einem Erben, kann dies krisenhafte Implikationen haben. Häufig löst der Mann das Problem dadurch, dass er eine zweite Ehe eingeht. Darüber hinaus strebt der Mann auch oft danach, seinen Nachwuchs durch die Hinzufügung weiterer Frauen zu vergrößern. Denn zum einen steigert eine hohe Kinderzahl in solchen Kulturkreisen das Ansehen und den Schutz der Familie in der Gesellschaft. Zum anderen ist das Zeugen vieler Kinder eine unerlässliche Methode, um die immense Kindersterblichkeitsrate ins Gleichgewicht zu bringen. 
  2. Politik und Wirtschaft: Das Prestige eines Mannes in der Gesellschaft wird häufig an der Anzahl seiner Frauen gemessen, da diese Zeichen materiellen Wohlstands sind und somit in gewisser Weise als Statussymbol dienen. Denn nur wer reich ist, kann sich zum wiederholten Male den Brautpreis sowie die dauerhafte Versorgung der Frauen und Kinder leisten. Langfristig gesehen kann die Familie durch die gewonnen „billigen“ Arbeitskräfte und die erhöhte Produktivität ihr Vermögen ausdehnen. Darüber hinaus bieten arrangierte Ehen zwischen zwei Familien/Stämmen die Möglichkeit „politische“ Allianzen herzustellen. So können Stabilität und Sicherheit im eigenen Geltungsbereich bewahrt werden.
  3. Verbesserung der Lebensumstände der Frauen: Doch auch Frauen können von polygamen Verhältnissen profitieren. Da der komplette Haushalt, die Kindererziehung, sowie die landwirtschaftlichen Pflichten im Verantwortungsbereich der Ehefrau(en) liegen, ist es für die Frauen eine extreme Entlastung, wenn der Mann sich weitere Frauen nimmt.6Vgl. Trobisch, Polygamist. Des Weiteren ist es für Frauen in polygamen Kultur besonders herausfordernd ohne Ehemann zu überleben. Der Wunsch nach einem gesicherten Lebensunterhalt treibt daher viele junge Frauen in polygame Gemeinschaften. Dies hängt häufig allerdings auch damit zusammen, dass durch Kriegssituationen ein Frauenüberschuss entstehen kann, der letzten Endes nur durch Polygamie behoben werden kann.7Im gleichen Atemzug lässt sich die Leviratsehe nennen, die auch heute noch in vielen Stämmen als familiäre (Ehren)pflicht gesehen wird. 
  4. Sexualität: Zuletzt sei noch auf das männliche Sexualbedürfnis verwiesen. Dies hat keineswegs mit einer Sexsucht des Ehemanns zu tun, sondern vielmehr mit den sozialen Verhältnissen in diesen Traditionen. Denn zum einen darf die Frau dort während der Schwangerschaft und Stillzeit sexuell überhaupt nicht berührt werden – häufig ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren. Zum anderen ist die Frau dort aufgrund ihrer Verpflichtungen gegenüber ihrer Ursprungsfamilie in regelmäßigen Abständen von ihrem Ehemann entfernt. Um die dadurch entstehenden langen Perioden sexueller Enthaltsamkeit zu vermeiden, ist es dort Brauch, weitere Ehen einzugehen. 

Während die christliche Ethik sich durchaus darum bemüht, die vielen hier genannten persönlichen, sozialen und ethnologischen Gründe für die Ausübung der Polygamie in ihre Überlegungen miteinzubeziehen – sofern sie jener nicht vollkommen widersprechen –, wird ihnen trotz allem höchstens sekundäre Bedeutung beigelegt. Primäre Quelle und Impetus aller moralischen Fragestellungen sind die biblischen Prinzipien und Rahmenbedingungen sowie ihre konzeptionellen theologischen Implikationen, die es schließlich möglich machen, die entnommen Ergebnisse in die heutige Zeit zu kontextualisieren. Daher gilt unser Augenmerk als nächstes den für das Thema einschlägigen biblischen Texten.

II. Polygamie in der Bibel

1. Theologische Deutungen

Das Vorhandensein der Polygamie im Alten Testament hat zu einem breiten Spektrum an Einschätzungen der der Praxis der Polygamie geführt. Insgesamt schlagen die Autoren dabei drei theologischen Alternativen vor, deren Gültigkeit geprüft werden muss:8Vgl. Redford, Missiological, 140.

  1. Polygamie ist Sünde und daher vollständig und ohne Ausnahme abzulehnen (und rückgängig zu machen);
  2. Während Monogamie Gottes Idealvorstellung für die Ehe entspricht, dürfen polygame Neubekehrte getauft und in die christliche Gemeinschaft aufgenommen werden;
  3. Polygamie darf sowohl von Heiden wie auch Christen ausgelebt werden.

Wie die drei Optionen andeuten, geht es bei dieser ethischen Frage nicht allein darum, wie Polygamie im biblischen Kontext bewertet wird, sondern auch darum, wie man in missionarischen Kontexten mit Polygamie umgehen kann. 

2. Das monogame Idealbild in der Bibel

a. Die Schöpfungsordnung

Gottes (Selbst-)Offenbarung in und durch sein Schöpfungshandeln spielt für die christliche Ethik eine tragende Rolle (1Mo 1–2). Denn die darin enthaltenen Ordnungen lassen erkennen, wie die Welt in Übereinstimmung mit Gottes Idealvorstellungen gestaltet werden soll.9Vgl. Gordon J. Wenham, Genesis 1–15. WBC 1. Waco, TX: Word Books, 1987, 70. Fänden sich also im Schöpfungsbericht klar identifizierbare Hinweise bezüglich der Eheform, wäre dies für die weitere Diskussion äußerst richtungsweisend. 

In der Tat findet sich in diesen beiden Kapiteln einige paradigmatischen Äußerungen über die von Gott angelegte Institution der Ehe. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und seine Beziehungsorientierung führt dabei zur Erschaffung der Frau und zur Einführung der Ehe (1Mo 2,8–25). Einige Aspekte scheinen dabei zu implizieren, dass Gott die Monogamie als Ideal für die menschliche Ehe vorgesehen hat. Zum einen verwendet der Autor ausschließlich den Singular, wenn er über die Verbindung zwischen Mann und Frau spricht.10Vgl. du Preez, “Polygamy,” 31 und Davidson, Sexuality, 21–22. Es ist immer nur von einem Mann und einer Frau die Rede. Hier stellt sich die pragmatische Frage: Hätte Gott nicht mehrere Männer oder Frauen erschaffen können oder gar sollen, wenn er die Polygamie befürwortet?11Vgl. Hitchens, Marriage, 15. Zum anderen deutet die Formulierung in 1Mo 2:24 „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden ein Fleisch sein“ auf eine langfristige, intime Bundesbeziehung hin.12Vgl. Kenneth A. Mathews, Genesis 1–11:26. NAC 1A. Nashville, TN: Broadman & Holman, 1996, 222. Dieses „ein-Fleisch-sein“ beschränkt sich dabei keineswegs auf die sexuelle Verbindung, die Mann und Frau durch den Geschlechtsakt zusammenbringt. Vielmehr umschließt dieser Ausdruck die Person als Ganzes. Mann und Frau bilden eine Einheit – geistlich, emotional, intellektuell, physisch und sozial. In dieser Hinsicht kann niemand zur gleichen Zeit einFleisch mit zwei Partnern sein. Denn die verbindliche Vereinigung mit einem der Partner bedeutet zwangsläufig einen Treuebruch gegenüber dem anderen Partner. So werden Ehebruch, Scheidung und Polygamie implizit als Praktiken gekennzeichnet, die nicht dem göttlichen Leitbild für die Ehe entsprechen. 

Die Schlüsselbedeutung des Schöpfungsberichts als biblisches Leitbild für die Ehe wird im Neuen Testament bestätigt. Denn sowohl Jesus als auch Paulus verwenden die darin festgemachte „Ein-Fleisch“-Beziehung zwischen Mann und Frau (1Mo 2,24), um über Ehe, Scheidung und sexuelle Unzucht zu reden (z.B. Mt 19,5–6; Mk 10,6–9; 1Kor 6,16; Eph 5,31). An dieser Stelle eine wesentliche Beobachtung vermerkt werden. Während der Text im Hebräischen die allgemeine Formulierung „und sie werden ein Fleisch werden“ verwendet, drückt das Griechische dies etwas konkreter aus und übersetzt „die zwei werden ein Fleisch sein.“ Diese Übersetzung scheint die Interpretation des Ursprungstextes mit Nachdruck zu bestätigen. Denn nicht drei, vier oder fünf wurden ein Fleisch, sondern lediglich zwei, ein Mann und eine Frau. In gewisser Weise scheint dies also einen polygamen Lebensstil auszuschließen.13Vgl. Craig L. Blomberg, “Matthew.” In Commentary on the New Testament Use of the Old Testament, edited by G. K. Beale and D. A. Carson, 1–109. Grand Rapids, MI: Baker, 2007, 59. Denn auch, wenn keine dieser Perikopen explizit über die Form der Ehe spricht (Poly- vs. Monogamie), ist es aus hermeneutischer Perspektive durchaus akzeptabel, damit einhergehende Implikationen für andere Themen herzuleiten und anzuwenden.14Vgl. du Preez, “Polygamy,” 247.

b. Gesetze gegen die Polygamie

Zwei der fünf alttestamentlichen Gesetze, die über polygame Verhältnisse sprechen, deuten darauf hin, dass Monogamie ethisch gesehen zu bevorzugen ist.

3. Mose 18,18: Das in der Polygamiediskussion wohl umstrittenste Gebot findet sich im Heiligkeitsgesetz im dritten Buch Mose. Während die einen diesen Vers als klares Verbot der Polygynie einordnen, sehen andere darin lediglich die Unterbindung der sororalen Polygynie – eine Form der Vielehe, wobei die Ehefrauen Schwestern sind. Hauptgrund dieser auseinander klaffenden Ansichten ist eine Übersetzungsschwierigkeit. Wörtlich liest sich der Vers wie folgt: „Du sollst nicht eine Frau zu ihrer Schwester nehmen und mit ihr Umgang haben, solange deine Frau noch lebt.“15Vgl. Gordon J. Wenham, The Book of Leviticus. NICOT. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1979, 258 und Jacob Milgrom, Leviticus 17–22: A New Translation with Introduction and Commentary. AB. New York: Doubleday, 2000, 1549. Da Mann und Frau durch ihr „ein-Fleisch-werden“ in gewisser Weise zu Blutsverwandten werden, kann eine Vereinigung mit der Schwester der Frau durchaus als Inzest bezeichnet werden.

Doch diese sehr wörtliche Übersetzung ist nicht zwangsläufig zutreffend. Denn die hebräische Formulierung „eine Frau zu ihrer Schwester“ ist wie das männliche Pendant „ein Mann zu seinem Bruder“ nämlich eine Redewendung, die mit „einer zur anderen“ wiedergegeben werden kann.16Vgl. Schirrmacher, Ethik IV, 400. So würde der Vers die Leser dazu aufrufen, keine andere Frau neben der eigenen Frau als Rivalin zu heiraten, solange die eigene Frau lebt. Für diese Auslegung sprechen auch einige andere Argumente. Zum einen fällt beim Lesen des hebräischen Textes ins Auge, dass in Vers 18 ein formaler Umbruch vorkommt. Denn während der gesamte Inzestskatalog in vv. 6–17 mit dem gleichen Ausdruck beginnt, unterbricht Vers 18 diese Kontinuität und passt sich formal an die ihm folgenden Verse an.17Vgl. Angelo Tosato, “The Law of Leviticus 18:18: A Reexamination.” CBQ 46 (1984): 199–214. Zum anderen stellt sich die Frage, warum eine Rivalität zwischen den jeweiligen Ehefrauen auf schwesterliche Verhältnisse beschränkt sein sollte.18Vgl. Davidson, Sexuality, 197.

Trotz allem sei an dieser Stelle Vorsicht geboten, das hier argumentativ identifizierte Verbot der Polygamie in übertriebener Weise zu vertreten. Doch selbst wenn sich letzten Endes herausstellt, dass sich dieser Text lediglich auf die sororale Polygamie bezieht, ist es unzulänglich, daraus den Schluss zu ziehen, dass die Heirat anderer Frauen außer der Schwester dementsprechend zulässig ist. Schließlich ist es in den alttestamentlichen Gesetzestextes keine Ausnahme, dass Spezialfälle einer auch allgemein untersagten Praxis gesondert behandelt und mit schärferen Sanktionen versehen werden.19Vgl. Schirrmacher, Ethik IV, 400.

Interessanterweise wird beim Apostelkonzil (Apg 15) auf diesen Text Bezug genommen. Denn die vier Gesetze, die in diesem Text erwähnt werden, spiegeln die generelle Struktur der beiden Kapitel (3Mo 17–18) wider: Opferfleisch (17,7–9), Blut (17,10–13), Ersticktes (17,14–16) und Unzucht (18,1–30).20Vgl. Darrell L. Bock, Acts. BECNT. Grand Rapids, MI: Baker, 2007, 505–7 und Howard I. Marshall, “Acts.” In Commentary on the New Testament Use of the Old Testament, edited by G. K. Beale and D. A. Carson, 513–606. Grand Rapids, MI: Baker, 2007, 593. Letzteres schließt demnach sowohl Inzest (18,7–17) als auch weitere sexuelle Verfehlungen (18,18–23) ein – die Polygamie inbegriffen. 

5. Mose 17,14–20: Das vorliegende Gesetz ist ausdrücklich an Könige in Israel gerichtet. Die darin enthaltenen Anweisungen unterstützen den König, ein gottgefälliger Leiter zu werden, der sein Volk in Demut vor Gott, in Güte und in Gerechtigkeit regiert. Während die positiv formulierten Bestimmungen (V. 18–20) klare geistliche Konnotationen haben, sind diese in Bezug auf die negativen Regelungen nur auf den zweiten Blick erkennbar. In erster Linie geht es nicht nur um die Anhäufung von Pferden, Gold und Frauen. Vielmehr stehen diese drei Kategorien symbolisch für die drei größten Versuchungen eines Königs: (militärische) Macht, Reichtum und (politisches) Ansehen.21Vgl. Daniel I. Block, Deuteronomy. NIVACOT. Grand Rapids, MI: Zondervan, 2012, 419. Alle drei führen nicht nur dazu, dass der König ein eigensüchtiger und tyrannischer Herrscher wird, sondern machen sich auch auf geistlicher Ebene bemerkbar. So verleiten politische motivierte Eheschließungen nicht nur dazu, sich auf seine eigenen Ressourcen zu verlassen, anstatt auf Gott zu vertrauen, sondern auch häufig zu Synkretismus oder sexueller Wollust, die den König von Jahwe abwendet.22Vgl. Ibid., 418–19.

In erster Linie verbietet dieses Gebot also dem König, in polygame Beziehungen zu treten. Von Gott erwählte Monarchen hatten eine große geistliche Verantwortung. Sie sollten nicht nur für Ordnung und soziale Gerechtigkeit im Volk sorgen, sondern waren auch auf geistlicher Ebene Leiter des Volkes. Der König selbst diente dabei als Vorbild. Die Tatsache, dass dem König ein polygamer Lebensstil untersagt wurde, lässt zumindest die Vermutung zu, dass dieses Gesetz auch auf das Volk zu übertragen sein könnte.23Vgl. Heim, “Kings,” 616.

c. Die Propheten

Die Propheten des Alten Testaments waren keineswegs zurückhaltend die geistlichen, sozialen und ethischen Missstände des Gottesvolkes aufzudecken. Daher überrascht es nicht, bei ihnen eindringliche und theologisch tiefgehende Kritik an der Untreue des Volkes zu finden. Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu sehen, dass die Propheten offenbar einen Zusammenhang sahen zwischen der Untreue des Volkes gegenüber dem Gottesbund und der ehelichen Untreue, positiv gewendet: zwischen der Exklusivität der Verehrung des einen Gottes und der Exklusivität des Ehebundes.24Ein ähnliches Bild findet sich auch im Neuen Testament (z.B. Off 19–22; Eph 5,24–41; Mt 9,15; 25,1–13), in dem von Christus und seiner Braut, die Gemeinde, die Rede ist (vgl. Odame, Polygamy, 52–53).

Gott hat sich unter allen Völkern allein Israel erwählt, und diese Erwählung soll auch darin ihren Ausdruck finden, dass das Volk allein Jahwe verehrt und jede Form von Götzendienst meidet (Hos 2). Das Volk soll Gott anhängen wie ein Mann der Liebe seiner Brautzeit anhängt (Jer 2,2). Die Verehrung anderer Götter ist Hurerei, Ehebruch, der den von Gott gestifteten Bund verletzt und daher nicht ungesühnt bleiben kann. Für das Miteinander von Frau und Mann bedeutet die Exklusivität des Bundesverhältnisses, dass der jüdische Mann, dem die Tora die Viel-Ehe nicht untersagte, in der Verkündigung der Propheten auf die unbedingte Treue gegenüber der „Frau deines Bundes“ (Mal 2,14) eingeschworen wird. Damit ist deutlich ausgesprochen: Sowohl die Untreue gegenüber der Frau, mit der die (erste) Ehe eingegangen wurde, als auch Untreue gegenüber dem einzigen Gott, finden Gottes schärfsten Widerspruch und ziehen sein Gericht nach sich. So ist die Ein-Ehe des Schöpfungsberichts die von göttlicher Verheißung getragene Ordnung zum Leben, in der Gottes Segen erfahrbar wird.

Gott versteht ihre Bundesbeziehung als geschlossen und er erwartet von seinem Volk absolute Treue und Hingabe. Diese geistliche Analogie verweist jedoch nicht nur auf geistlichen Ehebruch (und Scheidung), in dem sich die Menschen vollkommen von Gott abwenden, sondern auch auf geistliche Polygamie und Hurerei, in dem die Menschen in synkretistischer Weise mehrere Götter gleichzeitig anbeten. Beide Arten der ehelichen Untreue stehen im Widerspruch zum göttlichen Idealbild, das er in der Schöpfungsordnung angelegt hat.

d. Die Weisheitsliteratur

Abschließend sei ein Blick auf die Weisheitsliteratur im Alten Testament geworfen. Die Texte dieser Gattung bestätigen die Eheform der Monogamie als theologische und ethische Norm.25Vgl. Wright, Ethics, 330. So kann zum Beispiel im Buch der Sprüche die Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau und die damit verbundene lebenslange Treue eindeutig als die Norm identifiziert werden. Dies zeigt sich nicht nur in der Offenheit, mit der die Sprüche das Verhältnis zwischen Mann und Frau beschreiben (z.B. 5,15–20; 12,4; 18,22; 19,14; 31,10–31), sondern auch und ganz besonders im ohrenbetäubenden Schweigen über polygame Verhältnisse.26Vgl. Davidson, Sexuality, 209. Denn ein Buch, das göttliche Weisheit für jeden Situation des Alltags vermitteln will, würde doch sicher die Polygamie ansprechen, wäre sie im Volk verbreitet und/oder Teil von Gottes Schöpfungsordnung. 

Auch das Buch Hohelied scheint von der „Überlegenheit der einen tiefen Beziehung gegenüber den ungezählten Frauen“ zu reden.27Schirrmacher, Ethik IV, 412. Die Hauptdarstellerin des Buches wird dabei in 6,9 als die „Einzige“ gerühmt. In einem etwas anderen Licht steht das Buch Prediger. Im Verlauf der einzelnen Kapitel offenbart Salomo seinen vergeblichen Versuch Glück und den Sinn des Lebens zu finden, indem er sich einer hedonistischen Lebensweise hingab (2,1). Hierzu gehörte auch die Praxis der Polygamie (2,8). Doch er musste feststellen, dass die Vielzahl an Frauen und die Oberflächlichkeit seiner sexuellen Aktivität ihn immer weiter von Gott entfernte und er sich innerlich leer fühlte (7,26–28). In 9,9 kommt er zu dem Schluss: „Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst, alle Tage deines nichtigen Lebens.“ 

e. Paulus über die Ehe (1Kor 7)

In seinem Brief an die Gemeinde in Korinth macht Paulus einige Aussagen über die Ehe, die für diese Diskussion von Bedeutung sind. So spricht er zum einen in seinen Ausführungen über die Tugend der Ehelosigkeit (7,1–4) über die Vermeidung von sexueller Unmoral. Da dies für viele eine Herausforderung ist, schlägt er die Ehe als Alternative vor. Hier allerdings verwendet er eine Ausdrucksform, die jede Eheform neben der heterosexuellen Monogamie sehr deutlich ausschließt: „jeder Mann soll seine eigene Frau und jede Frau ihren eigenen Mann haben.“28Vgl. du Preez, “Polygamy,” 260. Paulus betrachtet also das Zölibat und die Monogamie als moralisch und pastoral akzeptable Formen, während jegliche Vereinigungen außerhalb dieses Rahmens zu vermeiden sind.29Vgl. Thiselton, 1. Corinthians, 503.

Zum anderen spricht Paulus im gleichen Kapitel über den angemessenen Umgang mit ungünstigen ehelichen Verpflichtungen, die vor der Bekehrung eingegangen wurden (7,12–24), in diesem Fall die Ehe mit einer/m Ungläubigen. Doch einige Ausleger schlagen vor, diesen Text auch auf das Phänomen der Polygamie zu beziehen.30Vgl. z.B. Wright, Ethics, 551. Dies würde bedeuten, dass sich bekehrte Polygamisten nicht von ihren Partnern scheiden lassen müssen. Zwar widerspricht die Polygamie dem göttlichen Ideal für die Ehe, so dass sich Christen davon fernhalten sollten. Doch Eheversprechen, die vor der Bekehrung eingegangen wurden, sollten auch nach dieser eingehalten werden – es sei denn, der Partner zieht eine Scheidung vor. Diese vorgeschlagene Ausweitung des angeführten Beispiels ist aus hermeneutischer Perspektive keineswegs unangebracht. Denn Paulus fasst in diesem Text seine Ansichten gleich zweimal mit einer relativ allgemeinen Phrase zusammen (7,20.24): „Jeder bleibe in dem Stand, in dem er berufen worden ist.“ Darüber hinaus ist die Aufrechterhaltung der polygamen Vereinigungen nach der Umkehr vermutlich auch aus biblisch-theologischer Perspektive vorzuziehen. Denn während die Scheidung sehr klar und deutlich verworfen wird, findet sich in der Bibel kein einziges, eindeutig identifizierbares Verbot der Polygamie – selbst wenn die Monogamie von Gott eingesetzt wurde. 

f. Qualifikationen eines Leiters 

Während Paulus im 1.Korintherbrief über den Ehestatus von Gläubigen im Allgemeinen spricht, wird er in den Pastoralbriefen etwas konkreter und listet wesentliche Qualifikationen für Bischöfe und Diakone auf (1Tim 3,2.12; Tit 3,2). Was meint er aber mit der Formulierung „Mann einer Frau“? Impliziert diese Bedingung das Verbot von Polygamie, Ehelosigkeit, Wiederheirat (nach Scheidung oder Tod der Ehefrau) oder ehelicher Untreue?31Vgl. Redford, Missiological, 178. Der spezielle Wortlaut lenkt die Aufmerksamkeit durchaus in die Richtung der Polygamie. Doch in christlichen Kreisen (im Römischen Reich) waren polygame Eheverhältnisse eine vollkommene Seltenheit und es wäre verwunderlich, wenn Paulus dies als erste Voraussetzung für ein Leitungsamt in der Gemeinde aussondert.32Vgl. I. Howard Marshall, The Pastoral Epistles. ICC. Edinburgh: T&T Clark, 1999, 155. Im Kontext paulinischer Theologie macht es an dieser also Stelle mehr Sinn, diesen Punkt im Rahmen ehelicher Treue zu verstehen.33Vgl. George W. Knight III, The Pastoral Epistles: A Commentary on the Greek Text. NIGTC. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1992, 157. Der Singular in diesem Wortlaut schließt dabei jedoch nicht nur sexuelle Unmoral als akzeptablen Lebensstil für den Leiter aus, sondern auch die Polygamie.34Vgl. William D. Mounce, Pastoral Epistles. WBC 46. Nashville, TN: Thomas Nelson, 2000, 172.

Die Tatsache, dass sich diese Liste speziell auf geistliche Ämter bezieht, bedeutet jedoch keineswegs, dass „normale“ Gemeindeglieder berechtigt sind, ehelich untreu zu sein. Denn obwohl von Leitern kein höherer ethischer Standard abverlangt wird, nehmen sie als geistliche Leiter in der Gemeinde eine Vorbildrolle ein, die ein moralisch einwandfreies Leben fordert – sowohl in den Augen der Gläubigen wie auch der Ungläubigen.

3. Das polygame Realbild in der Bibel

Trotz all dieser biblischen Andeutungen für das göttliche Idealbild der Monogamie meinen einige Ausleger, dass die Polygamie zumindest im Alten Testament eine von Gott anerkannte Eheform war. Dies hat zum einen mit einigen Gesetzestexten zu tun, die diese Praxis scheinbar bejahen, zum anderen mit den vielen Israeliten, deren polygamer Lebensstil oft unkommentiert erwähnt wird. Doch ein genauer Blick auf die jeweiligen Perikopen ergibt ein anderes Bild. Denn unterschwellig verleihen diese Texte diesem Ehestand eine klare negative Konnotation, wie die nächsten – apologetisch ausgerichteten – Abschnitte verdeutlichen.

a. Drei kasuistische Rechtssätze

Einige der vielen Gesetze im Pentateuch sind sogenannte „kasuistische Rechtssätze“, Bestimmungen, die bestimmte Fälle besprechen. Hierbei handelt es sich meist um Konditionalsätze, die mit „wenn/falls“ eingeleitet und mit einem „dann“-Satz abgeschlossen werden. Drei dieser Gesetze beschäftigen sich mit (möglicherweise) polygamen Verhältnissen. Grundsätzlich gilt im Umgang mit diesem Recht, dass die beschriebene Situation, die durch die Folgebestimmung geregelt oder bestraft wird, nicht unbedingt von einem Idealzustand ausgeht oder das darin beschriebene Phänomen legitimiert. Die Bestätigung als solche, dass bestimmte Zustände in der Bundesgemeinschaft durchaus vorkommen, lässt also erst einmal nicht auf eine Bewertung schließen. In bestimmten Fällen kann jedoch der Kontext eine Beurteilung implizieren. 

5Mose 21,15–17: Der erste Text verweist dabei mit Nachdruck auf das Erstgeburtsrecht, das auch bei mehreren Ehefrauen angewendet werden muss. Unter keinen Umständen darf der Mann den jüngeren Sohn bevorzugen, weil dieser von der Lieblingsfrau geboren wurde. Sicherlich ist nicht in allen Fällen davon auszugehen, dass der Mann mit beiden Frauen zur gleichen Zeit verheiratet war, da erstere bereits verstorben (oder von ihm geschieden) sein könnte. Ausschließen kann man polygame Verhältnisse hier jedoch in keiner Weise. Während dieser Text von der Existenz der Polygamie ausgeht, finden sich im Kontext jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass diese Praxis positiv bewertet wird. Ganz im Gegenteil: Die Tatsache, dass die möglichen emotionalen (geliebte und gehasste Frau) und finanziellen (Erbstreitigkeit) Gefahren einer polygamen Ehegemeinschaft geregelt werden (müssen), kann zumindest subtil als Kritik eines solchen Lebensstils verstanden werden.35Vgl. Christopher J. H. Wright, Deuteronomy. NIBC. Peabody, MA: Hendrickson, 1996, 235.

2. Mose 21,7–11: Der zweite kasuistische Rechtssatz befindet sich im sogenannten Bundesbuch (2Mo 20,22–23,33). In diesem Fall geht es um die tragische Situation, wenn ein Mann seine Tochter aufgrund seiner Armut als Sklavin verkaufen muss. Häufig implizierte der Kauf auch die Vermählung des Mädchens mit dem Dienstherrn oder einem seiner Söhne.36Vgl. Nahum M. Sarna, Exodus. JPS Torah Commentary. Philadelphia: The Jewish Publication Society, 1991, 120. Der vorliegende Text deutet an, dass der Käufer das Mädchen tatsächlich mit dieser Intention erworben hat, sich dann aber gegen sie entscheidet (V. 8). Der Dienstherr hält also sein Versprechen, sie zur Frau zu nehmen, nicht ein und löst seine Verlobung mit ihr auf. Um das Mädchen in dieser Situation vor Willkür zu schützen, regelt dieses Gesetz genau, wie der Dienstherr mit ihr umgehen soll. Grundsätzlich gilt, dass der Mann die Sklavin in keinem Fall an eine andere Familie weiterverkaufen darf.37Vgl. John I. Durham, Exodus. WBC. Waco, TX: Word Books, 1987, 321. Falls der Mann sich dafür entscheidet eine andere Frau zu heiraten – anstelle der Sklavin –, will das Bundesbuch will jedoch sicherstellen, dass die Eingliederung einer weiteren Frau in den Haushalt des Mannes nicht zu einer vollkommenen Vernachlässigung der Sklavin führt. Der Dienstherr soll sie jedoch mit den Grundbedürfnissen des Lebens versorgen (V. 9–10). Hierzu gehören Nahrung, Kleidung und – vermutlich – Behausung. Da es sich beim letzten Begriff in dieser Reihe um ein hebräisches Wort handelt, das im Alten Testament sonst nicht vorkommt, ist es schwierig, seine Bedeutung akkurat zu bestimmen. Neben der hier bevorzugten Interpretation als „Behausung“ schlagen Ausleger unter anderem „Mitgift“, „Öl“ (im Sinne von „Gesundheit“) und „ehelicher Verkehr“ als mögliche Optionen vor.38Vgl. William H. Propp, Exodus 19–40: A New Translation with Introduction and Commentary. AB. New York: Doubleday, 2006, 202–3. Sprachliche Unterstützung im Hebräischen findet allerdings nur die Übersetzung „Behausung“.39Vgl. du Preez, “Polygamy,” 58–59.

5. Mose 25,5–10: Der dritte kasuistische Rechtssatz beschäftigt sich mit der Leviratsehe. Im vorliegenden Text wird diese Praxis gesetzlich eingeführt und geregelt. Dabei sollte der Schwager der kinderlosen Witwe diese zur Frau nehmen und mit ihr einen Sohn für seinen Bruder zeugen. Doch es stellt sich die Frage: Fordert Gott die Israeliten also in bestimmten Fällen dazu auf, polygame Eheverhältnisse zu schaffen? Auch hier spalten sich die Gemüter der Ausleger. Primärer Streitpunkt ist hierbei die Formulierung in Vers 5 „wenn Brüder beieinander wohnen.“ Die verschiedenen Vorschläge der Ausleger sind allerdings schwer zu bewerten.40Vgl. Phillips, Anthony. Deuteronomy. CBC. Cambridge: Cambridge University Press, 1973, 168. Denn die Formulierung per se kann sich auf eine geographisch gesehen weiträumige Fläche beziehen und lässt definitiv nicht auf den Ehestand des Schwagers schließen. Daher muss man an diesem Punkt zumindest in Erwägung ziehen, dass die Leviratsehe zur Polygamie führen konnte.

Drei Dinge müssen an dieser Stelle vermerkt werden:

  1. Erstens, die Leviratsehe reagiert auf zwei tief in der Kultur verwurzelten Ängste: die Ausrottung des Namens und der Verlust von familiärem Landbesitz.41Vgl. J. Gordon McConville, Deuteronomy. AOTC 5. Leicester: Apollos, 2002, 369. Dies hatte jedoch nicht nur mit persönlichen Präferenzen, familiären Strukturen oder finanziellen Bedenken zu tun. Vielmehr waren das Zeugen einer Nachkommenschaft und die Möglichkeit für diese zu sorgen Ausdruck und Erfüllung des Bundesversprechens an Abraham und hatte daher eine geistlich-theologische Nuance.42Vgl. Peter C. Craigie, The Book of Deuteronomy. NICOT. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1976, 314.
  2. Zweitens wird der Schwager zu keinen Zeitpunkt dazu gezwungen, die Leviratsehe zu vollziehen. Er kann sich durchaus – wenn auch mit Scham verbunden – dagegen entscheiden (5Mo 25,7–10). 
  3. Drittens darf man in der Diskussion um die Polygamie nicht vergessen, dass es sich bei der Leviratsehe um einen Ausnahmezustand handelt, der durch eine Notsituation ausgelöst wurde. Die Tatsache, dass Gott polygame Ehegemeinschaften in diesem Fall toleriert und sogar segnet, lässt also nicht auf die allgemeine Legitimität dieser Praxis schließen.43Vgl. Kaiser, Ethics, 192.

b. Die Geschichte Israels

Im alten Vorderen Orient war die Polygamie zweifellos ein verbreitetes Phänomen, das auch auf Israel einwirkte. Allerdings sollte die Verbreitung von Polygamie auch nicht überschätzt werden. Denn mit wenigen Ausnahmen beschränken sich die narrativen Beispiele der Polygamie auf Könige, Leiter und Männer mit hohem gesellschaftlichem Status.44Vgl. Redford, Missiological, 315–18 für eine Liste aller im Alten Testament bekannten Polygamisten.  Die einfache Bevölkerung hingegen lebte für gewöhnlich in monogamen Verhältnissen.45Vgl. Wright, Ethics, 350.

Vom Sündenfall bis zur Sintflut: Bereits wenige Generationen nach dem Sündenfall, nach der Zeit im Garten Eden, in dem Gott die Institution der Ehe eingerichtet hat, wichen einige Menschen vom Ideal der Monogamie ab. Lamech ist dabei der erste in der Bibel erwähnte Polygamist (1Mo 4,19–25). Von ihm wird nicht nur berichtet, dass er sich zwei Frauen nahm, Ada und Zilla, sondern auch, dass er ein gottloser, rachsüchtiger und überheblicher Mann war.46Vgl. Kunhiyop, Ethics, 228. Zwar wird sein polygamer Lebensstil nicht ausdrücklich kritisiert, doch der gesamte Kontext deutet an, dass dies ein bezeichnender Aspekt seiner Gottlosigkeit war. Denn wesentliches Ziel des narrativen Verlaufs in 1.Mose 4–5 besteht darin, die gottlosen Nachkommen Kains mit den gottesfürchtigen Nachkommen seines Bruders Seths zu kontrastieren. Während Kains Stammbaum in der Darstellung des gewalttätigen Lamech kulminierte, findet sich in Seths Stammbaum eine positive Entsprechung (Henoch [1Mo 5,21–24]) – beide in der siebten Generation nach Adam.47Vgl. Ibid. In diesem Sinn wird hier nicht nur Lamechs Mordtat sondern auch seine Polygamie als gottlos einstuft.48Vgl. du Preez, “Polygamy,” 139–47. Verfolgt man nun den Verlauf des biblischen Textes weiter, stößt man bereits in 6,1–8 auf möglicherweise polygame Beziehungen. In Vers 2 heißt es: „Da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und sie nahmen sich alle, die ihnen gefielen zu Frauen.“ Neben der offensichtlichen Frage, um wen es sich denn bei den „Gottessöhnen“ handelt, ist es an dieser Stelle ebenfalls unklar, ob hier von Polygamie die Rede ist. Wäre dies der Fall, hat das durchaus eine ethische Bedeutung. Denn direkt im Anschluss an diesen Bericht verurteilt Gott die Menschen aufgrund der Bosheit ihres Herzen – ein Urteil, das zur Sintflut, zur Auslöschung der gesamten Menschheit führte und das wohlbemerkt ausschließlich monogame Ehepaare überlebten.49Vgl. Parrinder, Polygamy, 31.

Die Patriarchen: Nach der Sintflut vergingen mehrere hundert Jahre, bis polygame Beziehungen wieder (explizit) in den Schilderungen auftauchten. Die Berichte nehmen hier allerdings eine unerwartete Wendung. Denn zum ersten Mal gingen gottesfürchtige Männer eheliche Bündnisse mit mehreren Frauen zur gleichen Zeit ein. 

Zunächst handelt es sich dabei um den Patriarchen Abraham (1Mo 12–25). Aufgrund der Unfruchtbarkeit seiner Frau Sara entscheiden die beiden sich nach eigenem Ermessen dazu, die Erfüllung von Gottes Versprechen durch Saras Magd Hagar herbeizuführen (1Mo 16,1–4). Hagar wird schließlich durch ihre Schwangerschaft offiziell als Nebenfrau identifiziert zu werden.50Vgl. Kunhiyop, Ethics, 230.

Obwohl Gott Hagars Sohn Ismael nicht als Träger der göttlichen Verheißung erwählt hat, wendet sich Gott an keiner Stelle direkt gegen die Polygamie selbst. Trotz allem hinterlassen einige narrative Indikatoren einen negativen Eindruck in Bezug auf die Polygamie: ein Bruch in der Beziehung zwischen Sara und Hagar (16,4–6), anhaltende Zwietracht zwischen den Kindern und den beiden Frauen (21:9–10) und die innere Zerrissenheit Abrahams (21,11–12), die letztendlich dazu führt, dass er Hagar und Ismael mit Gottes Zustimmung fortschickt (21,10–14).51Vgl. Davidson, Sexuality, 185.

Auch im Falle von Abrahams Enkelkind Jakob, der mit den Schwestern Lea und Rahel verheiratet war und ihre Mägde Bilha und Silpa zu Nebenfrauen nahm, finden sich genügend narrative Hinweise gegen diesen Lebensstil. Denn die desaströsen familiären Konsequenzen der Polygamie sind hier nicht zu übersehen.52Vgl. Davidson, Sexuality, 188.  Für Jakob bestimmten Streit, Eifersucht, Bitterkeit, Rache, Rivalität, Wut, Kränkungen, Angst und mangelnde Selbstbeherrschung das Eheleben und breiten sich schließlich auf die Familie als Ganzes aus.53Vgl. Jasper, “Polygyny,” 46.

Richter- und Königszeit: Elkana, der Mann von Hanna und Pennina, ist dabei der erste, der mit seinem bigamen Lebensstil aus der Reihe fällt (1Sam 1–2). Denn soweit die biblischen Texte Einblick in das Leben des gemeinen Volks geben, scheint er der einzige Nicht-Leiter zu sein, von dem dies berichtet wird. Doch die Annahme scheint berechtigt, dass er Peninna, seine zweite Frau nur geheiratet hatte, weil Hanna unfruchtbar blieb.54Vgl. Parrinder, Polygamy, 16. Die daraus resultierenden Spannungen im Eheleben sind kaum zu übersehen und werden im Text ausdrücklich beschrieben (1Sam 1,6). Zwar griff Gott auch hier nicht mit seinem Strafhandeln ein, doch es fällt ins Auge, dass der von Gott erwählte Prophet Samuel von seiner Erstfrau Hanna stammte.Betrachtet man daraufhin das Eheleben der Monarchen, ergibt sich ein trauriges Bild. Denn trotz des klaren Königsgesetzes (5Mo 17,14–20) hielten sich die Leiter des Volkes in dieser Hinsicht keineswegs zurück.55Vgl. Davidson, Sexuality, 203 für eine Liste an königlichen Polygamisten.  David hatte insgesamt acht Frauen und weitere Nebenfrauen.56Vgl. Friedmann, Possession, 228: 2Sam 3,1–5 neben Michal und Batseba.  Grundsätzlich wird spätestens durch den Propheten Natan deutlich, dass Gott Davids Sexualleben missfällt (2Sam 12). Doch gleichzeitig finden sich einige Passagen, die den Eindruck erwecken könnten, Gott heiße seinen polygamen Lebensstil gut. Der fragwürdigste Vers findet sich in 2.Samuel 12,8, in der Gerichtsrede Natans: „und ich habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun.“ Deutet dieser Text etwa an, dass Gott David erlaubt hat, die Frauen Sauls zu heiraten? Dies ist äußerst unwahrscheinlich. Denn zum einen hatte Saul nur eine Frau (Ahinoam) und eine Nebenfrau (Rizpa). Ahinoam war jedoch die Mutter von Michal, Davids erster Frau. Eine Heirat mit ihr wäre ein klarer Verstoß gegen das Inzestgebot in Leviticus 18,17. Zum anderen werden weder Ahinoam noch Rizpa in den Listen von Davids Ehefrauen erwähnt.57Vgl. Kaiser, Ethics, 188. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der in 1Sam 25,43 erwähnten Ahinoam eindeutig um eine andere Frau handelt. Von daher scheint es angemessen zu sein, den Vers unter dem Aspekt des Besitzes und der Obhut zu verstehen. 

Letzten Endes ist es durchaus möglich, Gottes Gerichtshandeln nicht nur als Sanktion für seinen Ehebruch und Mord einzuordnen, sondern auch gegen Davids Polygamie. Denn ihm sollten u.a. seine Frauen vor seinen Augen weggenommen werden (2Sam 12,11). Darüber hinaus ist auch hier deutlich sichtbar, dass Davids Polygamie ausgeprägt negative Konsequenzen für sein Familienleben hatte, das vor allem in seinen letzten Lebensjahren von Hass, Rachsucht, Vergewaltigung und Mord geprägt war. 

Sein Sohn Salomo ist ohne Zweifel der wohl „extremste“ Polygamist des Alten Testaments. Von ihm wird berichtet, dass er insgesamt 700 Frauen und 300 Nebenfrauen hatte (1Kö 11,3). Und es geschah das, was das Königsgesetz bereits vor dem Einzug in das verheißene Land vorausgesagt hatte: Die vielen Frauen verführten sein Herz, so dass Salomo von Gott abfiel und sich dem Götzendienst hingab (11,4). Gottes Gerichtshandeln an Salomo, das im gleichen Abschnitt angekündigt wird (11,9–13), ist also deutlich mit seinem polygamen Lebensstil verbunden, der eben auch klare geistliche Implikationen hatte – besonders als Leiter des Volkes.58Vgl. du Preez, “Polygamy,” 230–34.  

Fazit: Die Texte, in denen die Praxis der Polygamie vorausgesetzt ist, hinterlassen einen ambivalenten Eindruck. Zwar wird nur in wenigen Fällen explizit von einem göttlichen Eingreifen berichtet, doch die zahlreichen emotionalen, finanziellen und sozialen Auswirkungen der Polygamie bieten einen Eindruck von den lebensweltlichen Problemen, die mit der Praxis der Polygamie einhergingen.59Vgl. Schirrmacher, Ethik IV, 391–92 In gesamtbiblischer Perspektive fügen sich die untersuchten Texte insgesamt zu einem recht unmissverständlichen Bild zusammen. Obwohl in den biblischen Texten kein einziges ausdrückliches Verbot der Polygamie zu finden ist, zieht sich Gottes Bejahung der monogamen heterosexuellen Ehe wie ein – im Neuen Testament immer deutlicher hervortretender – roter Faden durch die biblische Überlieferung. Ausgehend von den Schöpfungsberichten und eingeschärft durch prophetische Kritik tritt den Lesern die monogame heterosexuelle Ehe als von Gott gestiftete Ordnung entgegen. Die im Alten Testament begegnende Praxis der Polygamie scheint von Gott zugelassen, da sie unter bestimmten Umständen soziale und familiäre Härten zu mildern vermag, während die mit dieser Praxis verbundenen Nöte und Gefahren nicht verschwiegen werden. Im Neuen Testament schließlich kann die Polygamie als theologisch und ethisch begründet überwunden gelten.

III. Polygamie heute

Aus christlich-ethischer Sicht ist das Eingehen einer Vielehe abzulehnen, da sie dem biblischen Zeugnis von Gottes ungeteilter Liebe und vorbehaltloser Bundestreue widerspricht. In den westlichen Kulturen, in denen die Vielehe seit vielen Jahrhunderten gesetzeswidrig ist, stellt diese Beurteilung für Christen keine besondere Herausforderung dar. Dennoch fordern wachsende Migrationsströme, auch aus Ländern, in denen die Polygamie von Staats wegen erlaubt ist, und die damit auch kulturell pluraler werdende Missionssituation auch Gemeinden in Deutschland heraus, sofern sie die Augen vor dieser Fragestellung nicht verschließen. Christliche Gemeinden in Deutschland betreten insofern in ähnlicher Weise Neuland wie die deutschen Familiengerichte. 

Die Herausforderung besteht konkret darin, dass ein Verbot, eine Zweit-Ehe etc. einzugehen, noch nicht die Frage beantwortet, wie mit bereits (gültig) geschlossenen Ehen umzugehen ist, wenn die Eheleute bzw. einer von ihnen Christ wird und um Aufnahme in die Gemeinde bittet.

In der missionswissenschaftlichen und –praktischen Literatur werden vier verschiedene Lösungen vorgeschlagen und praktiziert:60Redford, Missiological, 195–231.

  1. Polygamie wird nicht nur bei Neubekehrten toleriert, sondern allgemein als gleichwertig zur Monogamie verstanden;
  2. Polygamisten werden ohne Vorbehalte in die Gemeinde aufgenommen, christliche Monogamisten dürfen jedoch keine Polygamie praktizieren;
  3. Polygamisten werden in die Gemeinde aufgenommen, werden jedoch von Leitungsaufgaben ausgeschlossen;
  4. Polygamisten müssen sich scheiden lassen, um in die Gemeinde aufgenommen werden zu können. Dabei kann noch einmal dahingehend differenziert werden, ob ausschließlich dem Mann die Taufe verwehrt wird, während die Frauen und Kinder ohne Einschränkungen zugelassen werden. In anderen Fällen werden auch die Ehefrauen oder zumindest die zusätzlichen Frauen von der Taufe abgehalten. Im äußersten Fall wird sogar den Kindern von Polygamisten der Zugang zum Gemeindeleben verwehrt. 

Der erste Vorschlag muss aus biblisch-theologischen Gründen zurückgewiesen werden. Die zweite Option setzt voraus, dass kein Christ eine Viel-Ehe eingehen darf, die göttliche Stiftung des Ehebundes jedoch dem Verlangen entgegensteht, eine Scheidung als Voraussetzung für die Taufe zu verlangen. Für diese – zugleich dem vierten Vorschlag entgegenstehende – Überlegung lassen sich folgende Gründe vorbringen: 

(1) Auch eine Viel-Ehe ist nach biblischem Zeugnis eine gültig geschlossene Ehe. Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments vermögen die meisten der in traditionell verfassten Gesellschaften zu findenden Motive für das Eingehen von Zweit- und Drittehen zwar nicht zu überzeugen (siehe oben S. 1f.): Die Gemeinschaft des anbrechenden Gottesreiches weiß ihre Zukunft nicht durch Nach-kommen, sondern durch das Wiederkommen Jesu Christi „gesichert“, unter Christen sollen Bescheidenheit und Demut an die Stelle von Prestigedenken treten und Frauen, auch als unverheiratete, einen Raum zur Entfaltung ihrer Gaben finden. Das vierte Motiv, das männliche Sexualbedürfnis, wird im Neuen Testament durch die Tugend der Mäßigkeit bzw. Enthaltsamkeit korrigiert, die zum einen an keiner Stelle auf Frauen beschränkt wird und als deren Bewährungsfeld zum anderen – entgegen der häufig zu findenden Zuweisung an Singles –auch der Raum der Ehe gilt (vgl. 1Kor 7,5).

Doch auch wenn sich durch die Bekehrung die Beurteilung dieser Motive verändert, bleibt das mit dem Eingehen der Ehe gegebene Versprechen bestehen. Die Ehe, auch die Vielehe, ist nicht lediglich eine sexuelle, sondern sie ist in umfassendem Sinne Verantwortung- und Versorgungsgemeinschaft. Die Verantwortung der Eheleute füreinander ist durch die Bekehrung nicht aufgehoben. In ihrem Bundesverhältnis sind die Ehepartner unvertretbar, ein Verlassen der Ehe stellt daher einen tiefen Vertrauensbruch dar, der das Evangelium von der Liebe und Treue Gottes eher verdunkelt als erhellt. 

(2) Der göttlichen Stiftung der Ehe entspricht im Neuen Testament ein durch Jesus sogar noch verschärftes Scheidungsverbot. Adrian Hastings schreibt dazu: „Eine poly-game Ehe zu beenden im Namen Christi, der nichts sagte, was diese explizit verdammte, und damit eine Scheidung herbeizuführen, was Christus ausdrücklich verboten hat, bedeutet, einen zu hohen Preis dafür zu bezahlen, eine theoretische Übereinstimmung mit einem Teil der christlichen Lebensweise herzustellen.“61S.W. Kunhiyop, African Christian Ethics, 239. In diesem Zusammenhang ist vor allem daran zu erinnern, dass diesen Preis in der Regel die geschiedenen Frauen sowie die um ein Elternteil gebrachten Kin-der zahlen werden. Denn eine Scheidung hat vor allem für sie drastische emotionale, soziale und finanzielle Folgen, die sich in Ar-mut, sozialer Isolierung, Prostitution und Perspektivlosigkeit zeigen können. Angesichts zunehmender Scheidungszahlen in den Gemeinden West- und Mitteleuropas braucht es Ermutigung zur monogamen Ehe und die dem Evangelium entsprechende Warnung vor einer leichtfertigen Scheidungspraxis. Zwar kann es Gründe geben, die in einer Vielehe zur Scheidung (von einem Ehepartner oder der Ehe überhaupt) führen, wenn nämlich ein ungläubiger Ehe-partner die Scheidung vom gläubig gewordenen verlangt, doch lässt sich als ethischer Leitsatz nicht formulieren, dass Taufe und Gemeindemitgliedschaft grundsätzlich die Scheidung einer zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Viel-Ehe voraussetzt. 

(3) Christen, die in einer vor der Bekehrung eingegangenen Viel-Ehe leben, können Mit-glieder einer Gemeinde werden, ihnen können jedoch keine Leitungsfunktionen über-tragen werden. Diese Differenzierung lässt sich mit dem besonderen Vorbildcharakter geistlicher Leiterschaft begründen, auch wenn gilt, dass christliche Leiter vorzuleben haben, was letztlich allen Christen zu halten auferlegt ist. Zugleich darf die Treue in einer monogamen Ehe nicht zum einzigen Kriterium für eine gottgefällige Leitung der Gemeinde stilisiert werden. Die Listen der Pastoralbriefe sprechen auch über Gastfreundschaft, Besonnenheit, Demut, verantwortungsvolles Familienleben und Lehrqualitäten, was verdeutlicht, dass Leiter ein ungeteilt an Gottes Ordnungen ausgerichtetes Leben führen und einen geistlich gereiften Charakter haben sollen. 

(4) Was schließlich zeichnet Gemeinden praktisch aus, die sich den mit der Migration und Missionierung von Angehörigen polygam geprägter Gesellschaften gesetzten Herausforderungen stellen? Vier Aspekte scheinen dabei von Bedeutung zu sein:

  1. Gute Vorbilder: Veränderung in den kulturellen Gedankenmustern der Gläubigen kann nicht nur durch intellektuelles Nachvollziehen bewirkt werden. Ganz im Gegenteil: Ohne monogame Paare, die sichtbar für alle ein gottgefälliges Eheleben führen, kann sich die Monogamie langfristig kaum durchsetzen.
  2. Gute Lehre: Doch auch die biblische Lehre – wenn möglich von Kindesbeinen an – ist in dieser Hinsicht äußerst einflussreich. Hierbei geht es nicht nur darum, biblisch-theologisch aufzuzeigen, wie Gott sich Sexualität, Ehe und Familie vorgestellt hat. Vielmehr müssen auch einige tiefergehende und oft ideologische Denkmuster aufgebrochen werden. Hierzu gehört u.a. ein christliches Menschenbild, das in vielen Fällen im Widerspruch zu kulturellen Aspekten steht, die mit der Polygamie einhergehen.
  3. Gute Seelsorge: Sowohl Polygamisten wie auch Monogamisten brauchen konkrete und persönliche geistliche Unterstützung in ihrem Eheleben. Denn das kulturelle Eheverständnis, das tief in der Mentalität der Menschen verwurzelt ist, ist häufig aus christlicher Perspektive unvollkommen und muss durch biblische Maßstäbe korrigiert werden.
  4. Ein gutes Auffangnetz: Gläubige zu ermutigen, einen Lebensstil anzunehmen, der ihrer eigenen Kultur widerspricht hat oft weitreichende Folgen. So kann sich ein Verzicht auf Polygamie auch negativ in anderen sozialen, emotionalen und finanziellen Bereichen auswirken – besonders für Frauen (und Kinder). Hier ist es wichtig, dass die Gemeinde die nötigen Vorkehrungen trifft und die betroffenen Gemeindeglieder in ihrem Streben nach Heiligkeit mit allen Mitteln unterstützt und ihnen das nötige Auffangnetz bietet, anstatt sie mit ihren Bemühungen allein zu lassen. Schließlich kann tiefgreifende Transformation der Herzen und der Kultur nur durch einen solchen holistischen Aufwand stattfinden. Denn häufig ist die Polygamie lediglich eine Antwort auf die sozialen Herausforderungen der Betroffenen, wie die oben genannten Gründe andeuten. Biblisch-theologisch rechtfertigen zwar keine dieser Gründe einen polygamen Lebensstil, doch den Betroffenen fehlen meist Alternativen. Hier ist es Aufgabe der Gemeinden zu unterstützen und aufzufangen.

Letztendlich darf man in all dem Nachsinnen über die Polygamie nicht vergessen, dass die (monogame) Ehe als Teil der Schöpfungsordnung ein Geschenk – keine Last – Gottes an den Menschen ist. Durch die Verbindung zwischen Mann und Frau unter der Führung Gottes (!) können die Menschen tiefgehende Gemeinschaft, Einheit und Ganzheitlichkeit gemäß ihrer Gottesebenbildlichkeit in all ihren Facetten erleben.

© 2014 Institut für Ethik & Werte

Eva Dittmann PhD

Eva Dittmann PhD

Dozentin am Theologisches Seminar Rheinland

Endnoten

  • 1
    Vgl. Joseph F. Thiel, “Polygamie,” in Religion in Geschichte und Gegenwart IX, 4. Aufl., 1976.
  • 2
  • 3
    Vgl. http://www.polygamystop.org/history.html [leider ist dieser Link nicht länger verfügbar]. 
  • 4
    Seit 2009 können Paare jedoch eine religiöse Ehegemeinschaft ohne vorherige standesamtliche Trauung eingehen – auch wenn das Paar sich dabei nicht auf die mit der staatlich anerkannten Ehe einhergehenden Privilegien berufen kann. Dies wird vor allem von Muslimen in Anspruch genommen, während die Evangelische Kirche in Deutschland weiterhin die kirchliche Trauung ablehnt, wenn dem keine standesamtliche Eheschließung voranging; vgl. Kirchenamt der EKD, Soll es künftig kirchlich geschlossene Ehen geben, die nicht zugleich Ehen im bürgerlich-rechtlichen Sinne sind? EKD-Texte 101, 2009.
  • 5
    Vgl. Hitchens, Marriage, 52–56; 105–16.
  • 6
    Vgl. Trobisch, Polygamist.
  • 7
    Im gleichen Atemzug lässt sich die Leviratsehe nennen, die auch heute noch in vielen Stämmen als familiäre (Ehren)pflicht gesehen wird. 
  • 8
    Vgl. Redford, Missiological, 140.
  • 9
    Vgl. Gordon J. Wenham, Genesis 1–15. WBC 1. Waco, TX: Word Books, 1987, 70.
  • 10
    Vgl. du Preez, “Polygamy,” 31 und Davidson, Sexuality, 21–22.
  • 11
    Vgl. Hitchens, Marriage, 15.
  • 12
    Vgl. Kenneth A. Mathews, Genesis 1–11:26. NAC 1A. Nashville, TN: Broadman & Holman, 1996, 222.
  • 13
    Vgl. Craig L. Blomberg, “Matthew.” In Commentary on the New Testament Use of the Old Testament, edited by G. K. Beale and D. A. Carson, 1–109. Grand Rapids, MI: Baker, 2007, 59.
  • 14
    Vgl. du Preez, “Polygamy,” 247.
  • 15
    Vgl. Gordon J. Wenham, The Book of Leviticus. NICOT. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1979, 258 und Jacob Milgrom, Leviticus 17–22: A New Translation with Introduction and Commentary. AB. New York: Doubleday, 2000, 1549. Da Mann und Frau durch ihr „ein-Fleisch-werden“ in gewisser Weise zu Blutsverwandten werden, kann eine Vereinigung mit der Schwester der Frau durchaus als Inzest bezeichnet werden.
  • 16
    Vgl. Schirrmacher, Ethik IV, 400.
  • 17
    Vgl. Angelo Tosato, “The Law of Leviticus 18:18: A Reexamination.” CBQ 46 (1984): 199–214.
  • 18
    Vgl. Davidson, Sexuality, 197.
  • 19
    Vgl. Schirrmacher, Ethik IV, 400.
  • 20
    Vgl. Darrell L. Bock, Acts. BECNT. Grand Rapids, MI: Baker, 2007, 505–7 und Howard I. Marshall, “Acts.” In Commentary on the New Testament Use of the Old Testament, edited by G. K. Beale and D. A. Carson, 513–606. Grand Rapids, MI: Baker, 2007, 593.
  • 21
    Vgl. Daniel I. Block, Deuteronomy. NIVACOT. Grand Rapids, MI: Zondervan, 2012, 419.
  • 22
    Vgl. Ibid., 418–19.
  • 23
    Vgl. Heim, “Kings,” 616.
  • 24
    Ein ähnliches Bild findet sich auch im Neuen Testament (z.B. Off 19–22; Eph 5,24–41; Mt 9,15; 25,1–13), in dem von Christus und seiner Braut, die Gemeinde, die Rede ist (vgl. Odame, Polygamy, 52–53).
  • 25
    Vgl. Wright, Ethics, 330.
  • 26
    Vgl. Davidson, Sexuality, 209.
  • 27
    Schirrmacher, Ethik IV, 412.
  • 28
    Vgl. du Preez, “Polygamy,” 260.
  • 29
    Vgl. Thiselton, 1. Corinthians, 503.
  • 30
    Vgl. z.B. Wright, Ethics, 551.
  • 31
    Vgl. Redford, Missiological, 178.
  • 32
    Vgl. I. Howard Marshall, The Pastoral Epistles. ICC. Edinburgh: T&T Clark, 1999, 155.
  • 33
    Vgl. George W. Knight III, The Pastoral Epistles: A Commentary on the Greek Text. NIGTC. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1992, 157.
  • 34
    Vgl. William D. Mounce, Pastoral Epistles. WBC 46. Nashville, TN: Thomas Nelson, 2000, 172.
  • 35
    Vgl. Christopher J. H. Wright, Deuteronomy. NIBC. Peabody, MA: Hendrickson, 1996, 235.
  • 36
    Vgl. Nahum M. Sarna, Exodus. JPS Torah Commentary. Philadelphia: The Jewish Publication Society, 1991, 120.
  • 37
    Vgl. John I. Durham, Exodus. WBC. Waco, TX: Word Books, 1987, 321.
  • 38
    Vgl. William H. Propp, Exodus 19–40: A New Translation with Introduction and Commentary. AB. New York: Doubleday, 2006, 202–3.
  • 39
    Vgl. du Preez, “Polygamy,” 58–59.
  • 40
    Vgl. Phillips, Anthony. Deuteronomy. CBC. Cambridge: Cambridge University Press, 1973, 168.
  • 41
    Vgl. J. Gordon McConville, Deuteronomy. AOTC 5. Leicester: Apollos, 2002, 369.
  • 42
    Vgl. Peter C. Craigie, The Book of Deuteronomy. NICOT. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1976, 314.
  • 43
    Vgl. Kaiser, Ethics, 192.
  • 44
    Vgl. Redford, Missiological, 315–18 für eine Liste aller im Alten Testament bekannten Polygamisten. 
  • 45
    Vgl. Wright, Ethics, 350.
  • 46
    Vgl. Kunhiyop, Ethics, 228.
  • 47
    Vgl. Ibid.
  • 48
    Vgl. du Preez, “Polygamy,” 139–47.
  • 49
    Vgl. Parrinder, Polygamy, 31.
  • 50
    Vgl. Kunhiyop, Ethics, 230.
  • 51
    Vgl. Davidson, Sexuality, 185.
  • 52
    Vgl. Davidson, Sexuality, 188. 
  • 53
    Vgl. Jasper, “Polygyny,” 46.
  • 54
    Vgl. Parrinder, Polygamy, 16.
  • 55
    Vgl. Davidson, Sexuality, 203 für eine Liste an königlichen Polygamisten. 
  • 56
    Vgl. Friedmann, Possession, 228: 2Sam 3,1–5 neben Michal und Batseba. 
  • 57
    Vgl. Kaiser, Ethics, 188. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der in 1Sam 25,43 erwähnten Ahinoam eindeutig um eine andere Frau handelt.
  • 58
    Vgl. du Preez, “Polygamy,” 230–34.  
  • 59
    Vgl. Schirrmacher, Ethik IV, 391–92
  • 60
    Redford, Missiological, 195–231.
  • 61
    S.W. Kunhiyop, African Christian Ethics, 239.

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