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Sexting

Norbert Schäfer

„Das Nacktbild1Der vorliegende Artikel ist eine Veröffentlichung von pro Christliches Medienmagazin meiner Schulkameradin hatte dann irgendwann jeder an der Schule auf dem Handy. Alle haben getuschelt und gelacht. Wie peinlich“, berichtet die 14-jährige Mittelstufenschülerin Malia.2Die Namen aller zitierter Jugendlicher wurden geändert. Die Personen sind der Redaktion bekannt. Begonnen hatte alles damit, dass ein Mädchen ein Nacktfoto von sich an einen Schulkameraden gesendet hatte. Dass der Junge das Bild an seine Freunde und Mitschüler weiterleiten würde, damit hatte sie allerdings nicht gerechnet.

Minderjährige Mädchen, aber auch Jungs, gehen immer häufiger leichtsinnig mit ihrer Intimsphäre um. Sie fotografieren sich nackt mit dem Smartphone und versenden die Bilder dann per Nachrichtendienste wie MMS oder WhatsApp an Freunde. „Sexting“ heißt das. Die Zusammensetzung der Worte „sex“ und „texting“ bezeichnet das Versenden von erotischen oder intimen Nachrichten und Bildern über das Handy. Häufig gelangen die Bilder dann auch ins Internet und die Jugendlichen werden zum Gespött an der ganzen Schule.

Die 18 Jahre alte Schülerin Dina erzählt: „Wenn ein Junge ein Nacktfoto für sich behalten würde, wäre es ja nicht so schlimm. Aber viele machen das eben nicht. Ich habe schon mitbekommen, dass Jungen dann die Bilder von Mädchen in einer WhatsApp-Gruppe teilen. Das ist ekelhaft. Aber das hängt in einer Gruppe meistens zusammen: Einer fängt damit an und alle machen mit ...“

„Das Versenden von Nacktbildern gilt in vielen Beziehungen Jugendlicher als Liebesbeweis. Geht allerdings die Beziehung in die Brüche, kann aus dem Spaß ein mörderischer sozialer Druck entstehen“, sagt Christine Kruse-Schmidt. Sie ist Jugendkoordinatorin bei der Arbeitsgruppe gegen Gewalt an Schulen (AGGAS) der Polizeidirektion Lahn-Dill in Hessen. Hauptaufgabe der AGGAS ist es, Gewalt an Schulen zu bekämpfen, aber auch Schüler und Eltern über Gefahren und Straftaten im Zusammenhang mit neuen Medien aufzuklären.

„Nach gescheiterten Beziehungen landen die Bilder ‚der Ex‘ auf entsprechenden Webseiten für jedermann zugänglich im Internet – quasi als eine Form der Rache. Sind die Bilder erst einmal im Umlauf, ist es kaum möglich, die Verbreitung zu stoppen oder einzugrenzen“, berichtet Kruse-Schmidt.

Das prominenteste Opfer von Sexting ist die kanadische Schülerin Amanda Todd. Sie hatte in einem Chat vor der Webcam ihren Oberkörper vor einem Unbekannten entblößt. Später wurde sie mit den Nacktbildern erpresst und im Internet gemobbt. In einem YouTube-Video, das Millionen Internetnutzer angeklickt haben, berichtete das Mädchen von ihrer Leidensgeschichte, aus der sie keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich das Leben zu nehmen.

Für die meisten Eltern sei Sexting jedoch ein Fremdwort, erklärt Kruse-Schmidt: „Viele Eltern setzen sich mit dem Umgang ihrer Kinder mit neuen Medien zu wenig auseinander. Mit einem Smartphone bekommen die Kinder eben nicht nur ein Handy, sondern auch eine Videokamera, einen Internetanschluss und eine Spielekonsole an die Hand. Alles in einem Gerät verpackt. Daheim auf dem Rechner installiert man unter Umständen noch eine Sicherheitssoftware oder schaut mal nach, was die Kinder so machen, wenn sie online sind. Aber wer macht das denn beim Smartphone von Sohn oder Tochter? Die meisten Eltern wissen nicht einmal, nach was sie auf einem Smartphone überhaupt suchen müssten.“ Sexting sei ein riesiges Dunkelfeld. „Nur die Wenigsten reden offen darüber, weil es peinlich ist. Das gilt auch für Jungs und junge Männer, die Nacktfotos von sich versenden.“ Kruse-Schmidt berichtet von einem konkreten Fall: „Ein Junge hat Nacktbilder von sich an eine ‚gefakte‘ Internet-Freundin gesendet. Die Freundin war in Wirklichkeit ein anderer junger Mann, der sich als Mädchen ausgab und die große Liebe vorheuchelte. Auf sein Drängen hin schickte der Junge dann dem vermeintlichen Mädchen Nacktfotos, welche dann an andere Personen weiterverschickt wurden. Unter diesen Personen waren auch Bekannte des Opfers, was natürlich unendlich peinlich für den jungen Mann war. So peinlich, dass er sich nicht einmal seinen Eltern anvertraute.“ Die AGGAS informierte schließlich doch die Eltern, die einen Strafantrag stellten.

„Wenn ich in einer Schulklasse frage: ‚Wer von euch würde nackt über den Schulhof laufen?‘, ist die einhellige Antwort: ‚Sowas Dämliches würde ich nie tun. Wie peinlich.‘ Wenn ich dann sage: ‚Ja, aber Nacktbilder von euch versendet ihr‘, dann bekommen einige sprichwörtlich rote Ohren“, berichtet Kruse- Schmidt. „Wer von sich Nackbilder weitergibt, macht nichts anderes, als nackt über den Schulhof zu laufen!“

Hauptsache Aufmerksamkeit

Dina berichtet: „Ganz viele Mädels lassen sich wegen der Nacktfotos unter Druck setzen. Ich kriege das in meinem Umfeld oft mit. Da braucht man ein richtig gutes Selbstbewusstsein, um nicht mitzumachen. Und muss dann auch mit den Konsequenzen leben: Gerade hat eine Freundin mit ihrem Freund Schluss gemacht, weil er immer wieder verlangt hat, dass sie ihm Nacktfotos schickt.“ Auch die 14-jährige Malia berichtet, dass Mädchen an ihrer Schule schon Bilder in Unterwäsche, manche sogar Nacktbilder von sich gemacht und dann an Jungs gesendet haben. „Die wollen sich halt Aufmerksamkeit verschaffen“, sagt Malia. „Viele haben schon richtige Ausschnitte, tragen High-Heels und Mini-Röcke.“

Was die Schülerinnen aus ihrer Lebenswirklichkeit berichten, war unlängst Gegenstand einer Wissenschaftsdokumentation mit dem Titel „Vom Strampler zu den Strapsen“, gesendet auf 3sat. Thematisiert wurde die zunehmende Sexualisierung bei Kindern und Jugendlichen. Die Sendung zeigte, wie sexuelle Attraktivität, befördert durch Werbung, Musikvideos, Internet und Fernsehen, bereits unter Kindern und Jugendlichen zum Maß aller Dinge wird. Dazu kommt, dass vor allem Jungs einer Flut pornografischer Inhalte, vor allem im Internet, ausgesetzt sind. Letztlich konkurrieren die Mädchen mit Pornodarstellerinnen, nur ein paar Klicks am Smartphone im Internet entfernt, um die Aufmerksamkeit der Jungs. Das Flirten der Schüler mit Zettelchen, die verstohlen unter der Schulbank hin und her gereicht werden, ist abgelöst durch das Versenden von freizügigen Bildern und Texten mit dem Smartphone.

Die Psychologin Tabea Freitag von Return – Fachstelle Mediensucht sieht Sexting als eine logische Folge davon, dass das Schamgefühl durch Pornografie und andere sexualisierte Medieninhalte zunehmend zerstört wird. Sie sagt: „Das Schamgefühl ist eine Art seelisches Immunsystem. Es markiert die Grenze zwischen vertraut und fremd, zwischen privat und öffentlich. Im Internet verschwimmen diese Grenzen. Man wähnt sich privat und ist doch öffentlich im World Wide Web. Wie das körperliche, so kann auch das seelische Immunsystem durch ein Zuviel an schädlichen Inhalten massiv geschädigt werden. Die Massen an verfügbarer Pornografie, die Jugendliche wie selbstverständlich konsumieren, zerstören nicht nur das natürliche Schamgefühl, sondern auch Respekt, Empathie und die Fähigkeit, zu lieben.“ Die Psychologin berichtet aus ihrem Arbeitsalltag: „Ich erlebe zunehmend, wie zerstörerisch diese narzisstische Anspruchshaltung in der Partnerschaft ist. Die Vorstellung der Verfügbarkeit von Sex als etwas, das ich konsumiere, ist in vielen jungen Beziehungen traurige Normalität geworden.“ Freitag hat eine weitere Erklärung dafür, warum sich Sexting so schnell verbreiten konnte: „Kinder und Jugendliche sind in den sozialen Netzwerken einer ständigen sozialen Bewertung ausgesetzt und an diesen Marktwertblick gewöhnt. Bewertungsfreie Räume werden rar. Und ‚Likes‘ bekommen Mädchen besonders, wenn sie möglichst viel nackte Haut zeigen.“

Fortschreitender Werteverlust

Nick ist 16 Jahre alt und besucht die Realschule: „Das ist normal, dass man solche Sachen aufs Handy bekommt. Ich lösche das einfach weg.“ Für ihn ist Sexting kein Thema. „Das würde ich nie machen. Und ich will so Bilder auch nicht haben.“ Allerdings, so vermutet Nick, hätten seine Eltern keine Ahnung davon, was an der Schule „so abgeht“. „Meine Klassenkameraden haben Nacktbilder auf dem Handy“, sagt Nick. Was die Jungs anscheinend nicht wissen: Nacktbilder zu versenden, kann nicht nur zu enormem sozialen Druck führen, es kann auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Karin Eckhardt ist Jugendstaatsanwältin und arbeitet eng mit der AGGAS in Wetzlar zusammen. Gemeinsam wollen sie Eltern, Lehrer und Kinder für das Thema sensibilisieren. Die Staatsanwältin erklärt: „Wenn ein Jugendlicher etwa das Nacktbild seiner Ex-Freundin, das er einmal von ihr erhalten hat, im Internet veröffentlicht, ohne dass diese eingewilligt hat, macht er sich strafbar. Heikel wird es auf alle Fälle, wenn Inhalte mit pornografischen Inhalten aufgezeichnet oder verbreitet werden. Wer etwa ein Video besitzt oder versendet, das beispielsweise den Geschlechtsverkehr zwischen zwei Minderjährigen zeigt, erfüllt den Tatbestand des Besitzes oder der Verbreitung von kinderpornografischen Schriften. Das wird auch bei Jugendlichen ab dem 14. Lebensjahr strafrechtlich verfolgt und führt in der Regel zu einer Anklage, einer Hauptverhandlung und einer möglichen Verurteilung.“ Wer das erste Mal verurteilt wird, muss soziale Arbeitsstunden leisten. „Möglich ist aber auch ein Jugendarrest bis zu vier Wochen“, erklärt Eckhardt. Sie sieht einen Grund für den sorglosen Austausch der Nacktbilder der Jugendlichen untereinander im fortschreitenden Werteverlust und den sich ändernden Moralvorstellungen in der Gesellschaft. „Aus meiner Berufspraxis kann ich sagen, dass viele Jugendliche, die ich in den Gerichtsverhandlungen und Vernehmungen erlebe, keinen Respekt mehr haben. Weder vor der Polizei, dem Lehrer, noch dem Gericht. Auch bei Zeugen, die vor Gericht auftreten und aus allen sozialen Schichten stammen, ist das zu beobachten“, sagt sie.

„Intim“ ist eigentlich das Gegenteil von „öffentlich“. Woher rührt also plötzlich der voyeuristische und exhibitionistische Impuls bei den Jugendlichen? Nikolaus Franke ist Jugendreferent beim Weißen Kreuz. Sein Erklärungsversuch: „Vorbilder gibt es viele. Stars, die ‚aus Versehen‘ ihren Porno ins Internet stellen und danach plötzlich Karriere machen. Es genügt auch ein Blick in die Welt der Musikvideos, die vom sogenannten Porn Chic durchzogen sind, wenn sich Sängerinnen im Lederoutfit an Stangen reiben oder im Mieder auf der Motorhaube ihrer Macker sitzen. Das schockiert nicht mehr, sondern ist Standard.“ All diese Botschaften verwischen die Trennung von Privat und Öffentlich, von Grenze und Grenzverletzung. Das verwirrt auch das Unrechtsbewusstsein, wenn man nach erotischen Bildern verlangt, Videos herstellt und sie Dritten zugänglich macht. Und das erschwert die therapeutische Aufarbeitung digitaler Übergriffe auf Seiten des Opfers und des Täters: „Die eigene Schuld ist anders verstrickt. Wenn unsere ganze Gesellschaft Körper darstellt und instrumentalisiert, ist es für einen Jugendlichen schwer nachvollziehbar, wenn er das kulturell Normale und Belohnte plötzlich in einem Bereich wiederfindet, der strafbewehrt ist“, sagt Franke.

Stabiles Wertegerüst hilft Kindern

Staatsanwältin Karin Eckhardt befürwortet ausdrücklich einen pädagogischen Ansatz beim Umgang mit dem Thema Sexting. „Ein stabiles und geordnetes Wertegerüst ist die beste Voraussetzung für Kinder, mit den Gefahren und Schwierigkeiten der neuen Medien umzugehen“, sagt die Juristin. „Das, was die Eltern vorleben, ist zwar keine Garantie, aber sicher der richtige Ansatz für einen guten Umgang der Kinder mit neuen Medien. Wichtig ist auch, dass Eltern einfach Zeit mit ihren Kindern verbringen. Die gemeinsam gelebte Zeit wird aus meiner Erfahrung immer seltener und daher umso wichtiger.“

Malia sagt: „Ich möchte das Sexting nicht, weil ich weiß, dass ich das nicht brauche, um einen guten Partner zu finden. Als Christin bin ich ohnehin der Meinung, dass Gott für mich einen jungen Mann hat, ohne dass ich mich bloßstellen muss. Ich würde mich schämen, wenn meine Eltern von mir ein solches Bild sehen würden.“ Sie kennt zwei Jungs aus ihrem Jugendkreis, die Probleme damit hatten: „Es war wie eine Sucht für die beiden. Durch die Bibel ist ihnen aber dann klar geworden, dass sie sich von Pornografie fernhalten sollen“, berichtet Malia. „Ich glaube, es war enorm hilfreich, dass sich die beiden an unseren Jugendleiter wenden konnten und dass sie so ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis hatten. Ich glaube nicht, dass sie sich zuerst an ihre Eltern gewandt hätten“, meint das Mädchen. „Mit den eigenen Eltern darüber zu reden, ist unangenehm, kann ich mir vorstellen.“

Kruse-Schmidt appelliert an die Erziehungsberechtigten: „Eltern müssen sich mit den neuen Medien auseinandersetzen. Sie müssen erst einmal selber fit werden, um dann mit den Kindern darüber sprechen zu können. Eltern sollten auch nicht alles reglementieren oder gar verteufeln. Die Kinder müssen lernen, mit den neuen Medien umzugehen. Idealerweise lernen sie es von ihrem Vater und ihrer Mutter.“

Staatsanwältin Eckhardt vertritt die Auffassung, dass Jugendliche generell erst ab dem 14. Lebensjahr Smartphones bekommen sollten. „Dieses Alter ist charakteristisch für den Übergang von der Kinderzeit zum Erwachsenwerden. In diesem Alter wird man beispielsweise strafmündig. Es steht die Konfirmation an. Das 14. Lebensjahr ist eine Art Meilenstein und signalisiert: Ab jetzt bist du für viele Dinge selbst verantwortlich“, sagt Eckhardt. „Für den Besitz von Smartphones sollten die Jugendlichen zumindest ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie mit dem Gerät auch Verantwortung übernehmen. Auch dafür, ob sie tatsächlich einmal nackt über den Schulhof laufen möchten.“

Veröffentlicht in pro Christliches Medienmagazin, 1/2014

Norbert Schäfer

Endnoten

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    Der vorliegende Artikel ist eine Veröffentlichung von pro Christliches Medienmagazin
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    Die Namen aller zitierter Jugendlicher wurden geändert. Die Personen sind der Redaktion bekannt.