0:00 0:00
KulturethikAllgemein

Problemzone Schönheit

Die Rolle von Schönheit in der Welt der Jugendlichen

Am Werbeplakat um die Ecke, im neuen H&M-Katalog, abends beim Fernsehen – ›Schönheit‹ begegnet uns überall. Sie springt ins Auge, bleibt im Kopf und zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. 

Weshalb ist das so? Warum wirkt Schönheit so anziehend, so faszinierend auf uns? Was ist überhaupt ›schön‹ und wer entscheidet das? Dieser Newsletter will hinhören, hinsehen und reflektieren, welche Rolle Schönheit in der heutigen Gesellschaft und im Leben der Teenager und Jugendlichen spielt. 

I. Einführung

1.1. Schön?!

»Die Stars machen es vor und Deutschlands Jugendliche machen es nach: Sie hungern für das Idealgewicht, investieren ihr Geld in Cremes und Klamotten, quälen sich in Fitnessstudios für die Traummaße. Denn es heißt doch: Nur wer schön, schlank und stylish ist, hat auch Erfolg.«1Zitat Klappentext, Katharina Weiß, Schön!? Jugendliche erzählen von Körpern, Idealen und Problemzonen.

Eine Generation im Schönheitswahn?! Diesem Eindruck fühlt die junge Autorin Katharina Weiß (geb. 1994) in ihrem zweiten Buch auf den Zahn (Schön!? Jugendliche erzählen von Körpern, Idealen und Problemzonen). Sie hakt bei ihren Altersgenossen nach – bei Fashionfreaks, Tattoomädchen, Mauerblümchen und Paradiesvögeln – und lässt ihre Leser in deren Erfahrungen, Leidens- und Triumphgeschichten hineinblicken. Sie bietet ein faszinierendes Bild der heutigen Jugendgeneration und ihren Vorstellungen von Schönheit, Idealkörpern, Individualität und Erfolg. Nicht jeder Jugendliche wird die Erfahrungen der 25 Gesprächspartner von Katharina Weiß teilen, denn das Thema ›Schönheit‹ schreibt in jedem Leben seine eigene Geschichte. Und doch finden sich Parallelen, Selbstzweifel und Idealvorstellungen, die unserer Mediengesellschaft einen Spiegel vorhalten.

Einblicke in diesen Spiegel begleiten diesen Newsletter anhand von Zitaten aus dem Buch von Katharina Weiß, denn dieser Newsletter will hinhören, was Jugendliche zum Thema Schönheit zu sagen haben. Er will hinsehen, was Schönheit in unserer Gesellschaft bedeutet und wie sie aussieht. Und er will darüber reflektieren, welche Konsequenzen sich für die Jugendarbeit und das Leben mit Jugendlichen daraus ergeben. Gehen wir dem Mysterium ›Schönheit‹ auf den Grund.

Dass ein Mensch auf natürliche Weise so gut wie nie perfekt sein kann, finde ich richtig gemein von der Natur. Deshalb denke ich auch, dass Schönheitsoperationen total in Ordnung sind.

Franziska, 19 Jahre

1.2. Schöne Ungerechtigkeit

Die Brisanz der Schönheit steckt in ihrer Ungerechtigkeit. Denn zunächst einmal ist ein attraktives Äußeres, rein von der biologisch-genetischen Ausgangslage betrachtet, unverdient. Entweder man hat es mit auf den Weg bekommen, oder nicht. Schönheit ist die Schmähung eines unserer wichtigsten – wenn auch immer noch weitestgehend theoretischen – Werte: Die Chancengleichheit jedes Menschen. 

Doch, Halt! Was genau ist hier ungerecht? Unsere unterschiedlichen Ausgangslagen und die beliebige Verteilung von ›Schönheit‹? Oder liegt die eigentliche Ungerechtigkeit in unserer Zeit? Lebt die Mehrheit von uns einfach nur zu einem für ihr Aussehen unpassenden Zeitpunkt und hätte zu einer anderen Zeit  zur schönen Elite der Gesellschaft gehört? 

Doch bleibt es nicht allein bei der Tatsache, dass der eine als schön, der andere als weniger attraktiv angesehen wird. Schönheit führt dazu, dass der eine schön bevorzugt wird. Der erste Eindruck zählt und Schönheit wird in unserer Welt belohnt! 

Laut Studien zur Wirkung von Attraktivität auf Menschen kommt Schönheit nicht allein – sie bringt ihre Freunde mit: Aufmerksamkeit, Zuwendung, mildere Strafen, positivere Einschätzungen und die Zuschreibung von Charakterstärken, ja sogar bessere Noten.2Renz, Schönheit, 191-203.

Schönheit wirkt. Schönheit täuscht und der Mensch lässt sich täuschen. Ganz schön ungerecht!

II. Die Attraktivitätsforschung: Ist Schönheit relativ?

2.1. Schönheit zwischen Objektivität...

Unser Schönheitssinn

»Schönheit liegt im Auge des Betrachters«, heißt es im Volksmund. Erfahrungsgemäß lässt sich diese Aussage durchaus bestätigen: Ein geliebter Mensch mag so manchen Schönheitsidealen unserer Zeit nicht entsprechen und ist in unseren Augen dennoch schön, umso schöner, je mehr wir ihn kennen und lieben lernen. Außerdem sind die Geschmäcker verschieden: der eine bevorzugt blond, der andere dunkel, der nächste wiederum rot mit Sommersprossen. Ebenso stehen einige auf durchtrainierte Körper, andere finden ordentliche Rundungen oder einen kleinen Bauchansatz sehr attraktiv. Und so hat Schönheit subjektiv betrachtet letztlich viele Gesichter. Zum Glück! Doch ist Schönheit relativ?

Seit Jahrtausenden ist die Frage nach Schönheit und ihrer Definition Gegenstand von Diskussionen innerhalb der Künste. Kann ein Bildnis, ein Gemälde oder ein Musikstück als ›objektiv‹ schön bezeichnet werden? Falls ja, aufgrund welcher Normen oder Eigenschaften? So ganz relativ ist Schönheit nicht. Dies zu bejahen fällt uns angesichts von Naturphänomenen und der Vielfalt farbenprächtiger und formschöner Pflanzen- und Tierarten nicht schwer. Hier sind wir uns einig, dass uns ein Sinn für die Schönheit der Natur eint. Auch würden wir weitestgehend einstimmig ein Exemplar einer Art als herausragend bzw. schöner bezeichnen, wenn dieses eine besonders farbkräftige, symmetrische, ebenmäßige Ausführung seiner Art-charakteristischen Merkmale aufweist. 

Ist es daher nicht naheliegend und sogar natürlich, dass wir auch innerhalb unsererArt unterschiedliche Schönheitsgrade wahrnehmen? Und dies weitestgehend einstimmig? Genau dies ist mit ›objektiver Schönheit‹ gemeint. Was ein repräsentativer Querschnitt3Repräsentativ ist ein Querschnitt dann, wenn Menschen unterschiedlichen Alters, sozialer Schichten und Kulturen befragt werden. von Betrachtern als schön empfindet, ist Grundlage zur Definition ›wahrer / objektiver‹ Schönheit, zumindest in der Forschung. Hier gilt:Wahrheit durch Übereinstimmung (»truth by consensus«).

Die Attraktivitätsforschung geht dem Phänomen ›objektive Schönheit‹ auf den Grund. Forscher fragen nach: Wie einig sind wir uns über die Schönheit unserer Artgenossen?

Nehmen wir das Resultat vorweg: Ungefähr die Hälfte unseres Schönheitsurteils ist ›objektiv‹, d.h. stimmt mit dem Urteil der Mehrheit überein. Der Rest ist abhängig von unseren persönlichen Vorlieben oder anderen kulturellen, zeitbedingten oder sonstigen Umständen. Schönheit ist demnach alles andere als reine Ansichtssache!

Unser Schönheitsempfinden folgt zu jeder Zeit und in jeder Kultur festen Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten, die einen gemeinsamen Kern im menschlichen Schönheitssinn bilden. So stellen Attraktivitätsforscher zwar fest, dass wir prinzipiell mögen und als schön einordnen können, was uns bekannt ist – der Umgang mit fremden Gesichtern anderer Ethnien fällt uns bekanntlich zunächst schwer, wir können sie kaum auseinanderhalten. Dennoch können wir nach einer Gewöhnungsphase auch fremde Gesichter als attraktiv oder weniger attraktiv einordnen. In unserem Urteil stimmen wir hierbei überwiegend mit den Einschätzungen der Angehörigen der anderen Ethnie überein. Wir folgen also einem gleichen Schönheitsraster, einem Maßstab für Attraktivität, der uns eint.4Renz, Schönheit, 38-40. Allgemein gilt jedoch, dass wir als attraktiver wahrnehmen, was uns bekannt ist. Aus soziologischen Gründen gilt vor allem das westliche Gesicht als Maßstab für Schönheit. Hier verbinden sich die Merkmale mit den Assoziationen von Reichtum und Erfolg, die mediale Verbreitung westlicher Gesichter hilft bei der Zementierung dieses Schönheitsideals. Im Westen selbst kann man allerdings beobachten, dass ›exotische‹ Merkmale angestrebt werden, jedoch nur in Maßen (Mischgesichter).

Und das beginnt schon in der Kindheit. Entwicklungspsychologin Judith Langlois untersuchte das Schönheitsverhalten von Kindern und Säuglingen. Ihr Ergebnis: 1. Schon im Kindergartenalter geht es ums Aussehen! Die Kinder in der Studie waren umso beliebter bei ihren Kindergartenkameraden, je hübscher sie waren. Vor allem bei Mädchen war dieses explizite Schönheitsverhalten wahrnehmbar. 2. Und es beginnt noch viel früher: Auch Säuglinge präferieren schöne Menschen! Langlois testete die Reaktion von 6 Monate alten Babys auf unterschiedlich attraktive Gesichter von Männern und Frauen verschiedener Altersstufen und Hautfarben. Das Ergebnis: Die Kleinen blicken die Gesichter länger und häufiger an, die auch von Erwachsenen als attraktiver angesehen werden.5Renz, Schönheit, 37-38, 194ff.

Wir haben  von Anfang an einen Sinn für Schönheit. Was genau es auch sein mag, das wir am Gegenüber als attraktiv oder weniger attraktiv wahrnehmen, Tatsache ist, dass  wir von Anfang an darauf reagieren. 

Doch was genau reagiert da in uns? Es ist unser Gehirn, das beim Anblick von Schönheiten einen wahren Freudensprung macht. Dabei brauchen wir nur 150 Millisekunden, um ein fremdes Gesicht als schön oder nicht schön einzuordnen. Schönheit aktiviert unser Belohnungs- und Wohlfühl-Zentrum im Gehirn und bewirkt, dass dort der Glücksbotenstoff Dopamin ausgeschüttet wird. Wir genießen Schönheit, ebenso wie gutes Essen, wunderbare Naturphänomene oder unsere Lieblingsbeschäftigung – kein Wunder also, dass Schönheit süchtig machen kann und ein wahrer Schönheitswahn unsere Gesellschaft ergriffen hat.

Ein Team von Neurowissenschaftlern um Knut Kampe (University College London)  fand zudem heraus, dass es dabei nicht um die Attraktivität des Gesichts allein geht, sondern um den Blick des schönen Menschen, der dem Betrachter zugewandt sein muss. Kommt dann noch ein Lächeln hinzu, steigert das unsere freudige Erregung ungemein, wie eine weitere Forschungsgruppe in London herausfand. Die Schönheit unserer Mitmenschen wirkt demnach vor allem auf uns, wenn eine (mögliche) Verbindung im Raum steht.6Ebd. 79-86.

Merkmale ›objektiver Schönheit‹

Es gibt Wahrnehmungsreize, die unser Gehirn bevorzugt und als attraktiver als andere wahrnimmt. Hierzu gehören starke Kontraste. Kein Wunder also, dass Frauen seit Jahrtausenden ihre Augen mit Kohle kontrastreicher machen und ihre Lippen und Wangen röten. 

Laut den Attraktivitätsforschern werden Gesichter als attraktiver wahrgenommen werden, wenn die Proportionen der einzelnen Bestandteile durchschnittlicher sind – solche »Durchschnittsgesichter« erhält man, wenn man viele Gesichter am Computer übereinanderlegt und daraus ein neues Gesicht erstellt. Doch Durchschnittlichkeit in diesem Sinne ist nicht alles, denn wirklich attraktive Gesichter unterscheiden sich von diesen Durchschnittsschönheiten. Sehr attraktive Frauengesichter haben größere Augen, höhere Augenbrauen, betonte Wangenknochen, kleinere Nasen, grazilere Kiefer- und Kinnpartien und weitestgehend makellose Haut. Bei Männern gilt ein markantes Kinn und hohe Wangenknochen als sehr attraktiv. Inwiefern Symmetrie eine Rolle bei unserem Schönheitsempfinden spielt, wird in der Forschung diskutiert.

Alles in allem lassen sich durch Untersuchungen viele ›objektive‹ Schönheitsmerkmale herausarbeiten – sowohl für Gesichter, als auch für weibliche und männliche Figuren.7Vgl. www.beautycheck.de.

Schön und Gut

Unserem Gehirn signalisieren diese ›schönen Reize‹ nicht nur »ich bin schön«, sondern auch »ich bin gut«, denn unser Belohnungszentrum hat für gutund schön nur eine Kategorie. Schönheit kann (biologisch) tatsächlich auf etwas Gutes hinweisen (z. B. Gesundheit, Fruchtbarkeit, gesunde Gene, guter Hormonhaushalt), doch dies muss nicht unbedingt der Fall sein, schon gar nicht, wenn von ›moralisch gut‹ die Rede ist. Zudem kann ein schöner Reiz künstlich erzeugt werden (z. B. Schminke) und sowohl das Schöne als auch das Gute vortäuschen.

Die Unterscheidung zwischen gut und schön müssen wir deshalb bewusst vornehmen, denn Schönheit täuscht! Ein Blick in den letzten Hollywoodstreifen oder eine der unzähligen Lifestyle-Zeitschriften verdeutlicht, dass wir automatisch das Schöne mit dem Guten gleichsetzen bzw. umgekehrt. Wir erwarten vom Schönen, dass es auch gut ist und vom Guten, dass es in schöner Gestalt daher kommt. Der Mensch hat einen ausgeprägten Hang zu Stereotypen, was die positivere Einschätzung attraktiver Mitmenschen erklärt – die Attraktivitätsforschung bezeichnet dies als ›Halo-Effekt‹ (engl. halo – Heiligenschein).

»Andere Menschen finde ich schön, wenn sie sportlich aussehen. Aber oberste Priorität hat es, dass man dazu steht, wie man ist.«

Alvan, 18 Jahre

2.2. ...und Kulturalität

Trotz aller ›Objektivität‹ der Schönheit, die die Attraktivitätsforscher herausstellen, bleiben weitere 50% unseres Schönheitsempfinden, die sich als sehr variabel darstellen. Der Blick in die Vergangenheit und auch auf heutige Unterschiede zwischen den Kulturen und Gesellschaftsschichten zeigt ein wahres Wechselbad an Idealen. Insbesondere der weibliche Körper unterlag einem Auf und Ab an Idealvorstellung, die sich teilweise sehr stark widersprechen: Von rund und wohlgenährt, zu athletisch schlank, von der sehr weiblichen Frauengestalt zur knabenhaften Mädchenfigur.

Wie lässt sich das erklären? Schönheit beinhaltet zwei grundverschiedene Prinzipien, die in unserem Empfinden nur schwer voneinander zu trennen sind. Erstens: die natürliche Schönheit – die Schönheit des Körpers, wie Gott ihn geschaffen hat. Und zweitens: das Gesamtkunstwerk des Menschen, der selbst Schöpfer sein will und seinen Körper gestaltet, schmückt und verändert und dabei den Konventionen seiner Zeit folgt oder ihnen bewusst widerspricht. Die grundlegenden Prinzipien des menschlichen Schönheitsempfindens verbinden sich mit kulturellen Prägungen und dem menschlichen Bedürfnis, Teil der Gesellschaft und Individuum zugleich zu sein.

So entstehen zu jeder Zeit neue Moden, andere Ideale und teils kontroverse Schönheitsempfindungen. Die kulturelle Prägung ist dabei so stark, dass sie der Natürlichkeit des menschlichen Körpers entgegen gehen kann. Und auch eine Liste ›objektiver Schönheitsmerkmale‹ ist letztlich nicht ganz vom herrschenden kulturellen Schönheitsmaßstab zu trennen und immer unter Vorbehalt als Momentaufnahme der untersuchten Zeit und Kultur zu sehen.

»Schönheit und Ästhetik sind für mich einfach wichtig, damit ich jemanden respektieren kann.«

marc, 16 Jahre

III. Schönheit aus Sicht der Soziologie

Lassen wir die naturwissenschaftlichen Analysen hinter uns und halten abschließend fest: Wenn wir uns dem Thema Schönheit angemessen nähern und die Wichtigkeit für das Leben der Teenager und Jugendlichen erfassen wollen (ebenso für unser eigenes), dann müssen wir erkennen, dass Schönheit eben nicht reine Ansichtssache ist, dass es Schönheitsnormen (natürliche und kulturelle) gibt und diese uns zutiefst beeinflussen. Schönheit zieht uns an! Sie ist Teil der Schöpfung und Teil unserer Natur und daher sind ihre Faszination und unser Interesse an ihr natürlich. Doch Schönheit kann uns ebenso täuschen. 

Um Teens und Jugendliche zu verstehen, müssen wir reflektieren, welche Rolle Schönheit in unserer Zeit spielt.

3.1. Die Bedeutung von Schönheit in der heutigen Zeit

Schönheit für alle: Das Streben nach Schönheit als Massenphänomen

Schönheit hat die Menschen zwar schon immer fasziniert und in ihren Bann gezogen, doch zu keiner Zeit war das Thema so präsent, so existenziellwichtig für das Leben eines Individuums, wie in der heutigen westlichen Gesellschaft. Schönheit im Sinne von Mode war in früheren Jahrhunderten stets einer Minderheit der Gesellschaft vorbehalten: vor allem der oberen Gesellschaftsschicht, die stets darauf bedacht war, sich durch Mode vom unteren Volk abzugrenzen. Heute  dagegen sind Mode und Schönheitsstreben ein Massenphänomen.

Mode ist eine zutiefst gesellschaftliche Erscheinung und damit auch zutiefst menschlich. Sie befriedigt grundlegende Bedürfnisse: Durch sie machen wir uns eins mit anderen und zeigen unsere Zugehörigkeit zu einer Gruppe bzw. Gesellschaftsschicht (Kollektivierung). Wir zeigen, was wir mögen und wer wir sind oder sein wollen (ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht). Dies führt uns zum Gegenpol der Kollektivierung, der Individualisierung. Mode hilft uns, unsere Persönlichkeit zu ins-zenieren, uns abzuheben vom Kollektiv und etwas Eigenes zu sein. Diese Aspekte von Mode konnten sich in der westlichen, industrialisierten Gesellschaft aufgrund des hohen ästhetischen Anspruchs, stark ausgeprägter Individualität und des nötigen Wohlstands stark entfalten. 

Die Frage ist, ob wir uns diesen Luxus leisten dürfen oder müssen. Betrachten wir die beiden letzten Jahrhunderte, so zieht sich ein roter Faden mit der Aufschrift ›Freiheit!‹ durch die Entwicklung unserer Gesellschaft. Auch die Modevielfalt bringt dies zum Ausdruck. Wir dürfen tragen, was wir wollen und wann wir wollen – selbstverständlich haben wir die Verantwortung dafür. Wir machen uns ›für uns selbst schön‹, schmücken und formen unsere Körper, weil wir unserer Persönlichkeit Ausdruck verleihen wollen. Wir wollen uns ›wohl fühlen‹ und ›frei sein‹, unabhängig von Normen, auch bezüglich unserer Mode.

Bodystyling – der individuelle Kollektivismus?

Fast scheint es, als hätten wir uns von der Mode selbst befreit. Doch sind wir wirklich frei vom Modediktat?! Unsere heutigen Normen sitzen porentief. Nun geht es nicht mehr nur um den Stoff, es geht um den Körper selbst: »Es gibt kein Modediktat für Kleider mehr. Das Modediktat betrifft den Körper.«8Ebba Drolshagen, Journalistin. Zitiert bei Renz, Schönheit, 278.  Bodystyling ist zu einem wichtigen Begriff geworden. »Gerade das Schönheitshandeln, also die Herstellung von Schönheit, gerät zum identitätsstiftenden Akt. Denn den eigenen Körper nicht mehr als Schicksal und genetische, unveränderliche Gegebenheit zu erfahren, sondern ihn aktiv gestalten zu können, auch hinsichtlich seiner Attraktivität, ist ein Kennzeichen unserer Zeit.«9Posch, Projekt Körper, 37-38.

Wie hat Körperlichkeit einen so hohen Stellenwert bekommen? Grundlegende Entwicklungen sind hierfür die zunehmende Säkularisierung und die darauf folgende Individualisierung der Gesellschaft. Der Schwerpunkt unseres Lebens hat sich auf das Diesseits verlagert. Es gilt, hier und jetzt seine Ziele zu erreichen, sein Leben erfolgreich zu meistern und sich dabei als Individuum hervorzutun. Der moderne Mensch steht unter dem Anspruch, sich selbst zu bestimmen, zu erschaffen und zu entwickeln. Sein Leben ist ein Projekt und seine Körperlichkeit Teil davon, denn auch sie macht sein Individuum-Sein aus. Ziel dieses Projekts kann nur das sein, was wir als gut ansehen, als erfolgreich und erstrebenswert wahrnehmen: Schönheit und Perfektion. 

»Ich denke, die meisten Menschen würden sich für eine schöne Hülle entscheiden, weil sie hoffen, dass man das Innere noch ändern kann. Das funktioniert aber wahrscheinlich nicht.«

lennart, 17 Jahre

Wir sind eine ›Design-Gesellschaft‹. Ob das Zuhause oder das Aussehen, wir designen es, denn das Schöpferische und Kreative entspricht dem Zeitgeist der Individualisierung. Dabei ist Authentizitätvon großer Bedeutung – nichts soll bewusst hin-gestylt aussehen, sondern echt, natürlich aus uns herauskommen bzw. so wirken. In einer deutschen Untersuchung an rund 400 13- bis 21-Jährigen wurde der heutige Zugang zu Mode, Bekleidung und Sich-Herrichten erfragt. Gemäß dem Zeitgeist ihrer Kultur sehen die Teens und jungen Erwachsenen Uniformierung sehr negativ.

Verwerflich, oberflächlich, künstlich, ein bloßes Nachahmen und Ausdruck von Gruppenzwang – so die Empfindungen der Befragten. Zudem ist es etwas, das ›die Anderen‹ tun. Sie selbst geben an, dass sie tragen, worauf sie Lust haben und was ihnen gefällt, also ihrem persönlichen Geschmack entspricht. Wichtig ist dabei das Sampling, das Vermischen unterschiedlicher verfügbare Stile zu neuen individuellen Style-Kombinationen.

Bei aller Individualität und Wahlfreiheit ist es bemerkenswert, dass wir uns ›geschönt‹ dennoch sehr ähnlich sehen. Wir verfolgen nicht einsam und allein einen Trend, sonst wäre es ja keiner. Wie wir unserer ›individuellen Persönlichkeit‹ Ausdruck verleihen, ist stark davon abhängig, was in unserem Umfeld gerade ›in‹ und ›angesagt‹ ist. Die Attribute und Implikationen, die mit einem gewissen Stil verbunden sind, spielen eine große Rolle. Schönheitshandeln ist selbstbestimmt und freiwillig, aber dennoch abhängig von gesellschaftlichen Normen; es ist eine »freiwillige, individualisierte Unterordnung unter Schönheitsstandards«.10Ebd. 168. Dies »zeigt die große, wirklichkeitsgestaltende Dimension des Schönheitsideals«.11Ebd.

Bodystyling – eine sichere Unsicherheit?

Die Freiheit, die wir heute haben, erzeugt auch große Unsicherheit. Es wundert also nicht, wenn Menschen trotz aller Autonomie nach Sicherheit suchen. Normen und Ziele geben eine solche Sicherheit, denn sie sagen, was gilt und was sinnig ist. Sie vermitteln Richtlinien und das Gefühl, etwas beeinflussen zu können. Genau das schafft auch das heutige Schönheitsideal.

Um diesem nahe zu kommen, braucht es viel Disziplin und Selbstkontrolle. Und gerade Kontrollierbarkeit macht das Schönheitshandeln für viele Menschen bewusst oder unbewusst so interessant. Man beachte, dass das Verlangen nach Kontrolle, Sicherheit und Erfolg oft grundlegender Auslöser bei Essstörungen ist. So analysiert W. Posch die Bedeutung von Schönheitsidealen angesichts unsicherer Zeiten: »Paradoxerweise können Körpermodelle wie beispielsweise das Schönheitsideal aber gerade in unsicheren, instabilen Zeiten auch Sicherheit geben, indem sie Verhaltensschemata und vermeintlich emotional und ökonomisch erfolgreiche Wege aufzeigen. Damit stellen sie auch in Aussicht, soziale und emotionale Normalität herzustellen«.12Posch, Projekt Körper, 61.

Weshalb paradoxerweise? Weil das Schönheitsideal auch zu Unsicherheit, Scham- und Versagensgefühlen führt. Denn verbunden mit der großen Freiheit ist unsere Selbstverantwortung für den Gang unseres Lebens – so wird uns vermittelt. Wenn wir unseres Glückes eigener Schmied sind und dieses Glück mit dem Erreichen von Schönheitsidealen verbunden ist, dann sind die Menschen einfach ›selbst Schuld‹, wenn sie ihre Chancen nicht richtig nutzen, sich nicht genug anstrengen und eben nicht zu den attraktiveren Zeitgenossen zählen.

Das heutige Schönheitsideal verlangt – abgesehen von den genetisch guten Startbedingungen, die hinsichtlich der Verantwortung meist ausgeblendet werden – Zeit und Geld. Schönheit hat sich dadurch als eigene Klasse etabliert. Die heutige Elite ist tendenziell schön und schlank. Wir leben in einem Attraktivitätskastensystem.

Schöner Erfolg

Schönheit und Erfolg gehen Hand in Hand: In unserer Gesellschaft (die ›Schönen und Reichen‹), in unseren Medien und in unseren Köpfen. Überall wird suggeriert, dass ein geschönter Körper stets von Vorteil sei. Schönheit ist der heutige Pfad zum Glück. Denn Menschen, die sich wohl fühlen, die mit sich und ihrem Leben zufrieden sind – so vermitteln es die Medien – sind schöne Menschen. Es sind die Menschen, die sich stets selbst optimieren, das Beste aus sich herausholen.

Diese Stigmatisierung gilt aber nicht nur für die schöne Seite. Ein unattraktives Äußeres wird mit Faulheit, Erfolglosigkeit, falschem Konsumverhalten, und mangelnder Managementfähigkeit assoziiert. Studien weisen auf den Zusammenhang Adipositas (Fettleibigkeit) und dem sozioökonomischen Status hin. Die Stigmatisierung von dick = dumm und dick = arm beeinflusst sowohl die Selbstwahrnehmung betroffener Menschen, als auch den Vormarsch des Schlankheitswahns.13Ebd. 62ff. 

»Weil ich durchgängig an mir arbeite, bin ich auch stolz auf meinen Körper. Ich fühle mich mittlerweile richtig wohl.«

Anni, 19 Jahre

3.2. Die Maßstäbe heutiger Schönheit

Nun kamen wir schon mehrmals auf das ›heutige Schönheitsideal‹ zu sprechen. Individualität, Authentizität, Schlankheit und Natürlichkeit haben wir bereits erwähnt. Widmen wir einigen dieser Normen unserer Zeit unsere Aufmerksamkeit und reflektieren deren Einfluss auf die Teenager und Jugendlichen unserer Gesellschaft. 

Bodyculture – Body under control

Der Begriff ›Body‹ (Körper), der in die deutsche Sprache aufgenommen wurde, veranschaulicht den neuen Körperzugang. Der ›Body‹ ist medial immer präsent, ein Teil des Selbst, ein Ausweis für den Status einer Person. Zu ihm gehört ›Soul‹ (Seele) – Inbegriff der spirituellen und gefühlsbezogenen Persönlichkeit. ›Body and Soul‹ müssen im Einklang sein, jegliches Schönheitshandeln, das auf den ›Body‹ gerichtet ist, richtet sich letztlich auch an ›Soul‹. Ein Blick in Lifestyle- und Wellness-Zeitschriften verdeutlicht dies: Zwar wird man ermuntert, ›ganz du selbst‹ zu sein und ›innere Ruhe und Zufriedenheit‹ zu finden, doch dies steht immer im Zusammenhang mit der Optimierung und Verschönerung unseres Körpers. Auch wenn dies nicht explizit ausgedrückt wird, dann zumindest implizit durch die bildliche Darstellung junger, dynamischer, schöner Frauen und Männer. 

Das Ziel der Körperkultur ist Perfektion durch Kontrolle und Natürlichkeit zugleich. Was sich eigentlich widerspricht, soll hier doch gleichzeitig umgesetzt werden. Das Schönheitshandeln soll nicht als solches wahrgenommen werden, da die Schönheit sonst aufgesetzt wirkt und auf einen vorgetäuschten Charakter schließen lässt. Denn das äußere Erscheinungsbild soll das innere Sein widerspiegeln und dabei natürlich und authentisch wirken. Man ist daher ›natürlich geschminkt‹, aber nicht ungeschminkt, denn dies würde man sehen (obwohl letzteres eigentlicher Natürlichkeit entsprechen würde).

Übernatürliche Natürlichkeit

Die medial dargestellte Natürlichkeit orientiert sich an ästhetischen Maßstäben mit einem extrem hohen Perfektionsgrad. Natürlichkeit (der Natur entsprechend) und Perfektion werden gleichgesetzt. Doch der abgebildete Grad an Perfektion ist überirdisch:

»Obwohl alle wissen, dass Fotografie heute mit Realität rein gar nichts mehr zu tun hat, obwohl alle wissen, dass die Bilder, erst Recht in der Mode- und Werbefotografie, durchweg bearbeitet, geschönt, computerisiert sind, obwohl oder weil also jeder weiß, dass jedes Bild eine Lüge ist, kann niemand sich diesem Sog entziehen, so scheint es.«14Zitiert bei Posch, Projekt Körper, 183. 

Und dennoch wird diesen Bildern geglaubt und vertraut.  Der reale Körper erscheint nicht mehr als schön, denn er erreicht dieses Ideal nicht. 

»An sich mag ich meinen Körper. Aber immer wenn ich in den Spiegel schaue, denke ich: Hier könntest du noch was verändern und verbessern!«

nora, 16 Jahre
Jugendlichkeit 

Der Wunsch nach ewiger Jugend ist schon lange Teil der Menschheitsgeschichte, doch mag die Suche nach dem ›Jungbrunnen‹ selten solche Ausmaße erreicht haben wie in diesem Zeitalter. Die Schönheitsindustrie schlägt einen immensen Profit aus Anti-Aging Produkten und hat in der alternden Gesellschaft eine ganz neue Konsumentengruppe entdeckt.

›Jugendlichkeit‹ ist Ziel der ständigen Selbstoptimierung. Und tatsächlich sieht die Mehrheit der Bevölkerung jünger aus, als sie ist – zumindest im Vergleich zur Eltern- und Großelterngeneration. Jugendlichkeit ist Zeichen von Fitness, Leistungsfähigkeit und Flexibilität – dies wird am Arbeitsmarkt erwünscht, der soziale Druck ist groß. 

Hier begegnen sich wiederum gegensätzliche Anforderungen. Während einerseits die Anzeichen des Alters (graue Haare, Falten etc.) bestmöglich bekämpft werden, strebt man andererseits danach ›würdig und zufrieden zu altern‹, ›authentisch‹ und ›natürlich‹ zu sein. Maßstab für Authentizität und Natürlichkeit ist dabei das innere, gefühlte Alter. Jugendlichkeit als Maßstab von Schönheit bringt mit sich, dass das Älterwerden ein ästhetisches und psycho-soziales Problem ist – implizit geht mit dem steigenden Alter automatisch ein Attraktivitätsverlust einher, da man sich vom Schönheitsideal der Zeit entfernt. 

»Schöne Frauen sind für mich einfach groß und dünn, von dem Typ, auf den sich die Medien mit Vorliebe stürzen.«

julia, 25 Jahre
Schlankheit 

Kommen wir zu dem Schönheitsideal unserer Zeit überhaupt: Die Schlankheit. Schönsein und Schlanksein sind heute nahezu gleichbedeutend. Die idealen Maße werden buchstäblich immer enger gefasst.

Das Schlankheitsideal zeigt, wie stark die kulturelle Prägung unseres Schönheitsempfindens tatsächlich ist, denn mit echter Natürlichkeit und normaler Körperbeschaffenheit – im Sinne des durchschnittlich gegebenen – haben die heutigen Idealmaße nichts mehr zu tun.

Zu Beginn bis Mitte des 20. Jahrhunderts entsprach das Schönheitsideal noch der realen Körperbeschaffenheit vieler Frauen:

»In den 1940er und 1950er Jahren entsprach für Frauen Kleidergröße 40/42 dem Schönheitsideal, wodurch es auch als schön galt, dass eine 1,65 Meter große Frau zwischen 70 und 75 Kilo wog. Damit war diese Figur nicht nur schön, sondern auch normal und zulässig. Heute ist eine 1,70 Meter große Frau ab einem Gewicht von 72 Kilo offiziell und nach WHO-Kriterien als übergewichtig eingestuft.«15Ebd. 91. WHO steht für World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation).

Ende der Neunziger galt die abnorme Maßvorgabe 90-60-90 (Brust-Taille-Hüfte in cm) für den idealen Frauenkörper. Ein Brustumfang von 90 cm würde Konfektionsgröße 38 benötigen, 60 cm Taillenumfang füllt hingegen kaum Gr. 34 aus. Heute ist der ›androgyne‹ bzw. ›tubular body‹ das Ideal. Um einen solchen knabenhaften Körper zu erhalten, sollen Frauen jegliches Körperfett bekämpfen und mit straffen aber ›unsichtbaren‹ Muskeln ersetzen.16Gläßel, Werbeopfer, 40ff. 

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bestimmen retuschierte Modelkörper und absolute genetische Ausnahmeerscheinungen unser Bild von idealen bzw. normalen Körpermaßen. »Die Rundungen, die der normale – im Sinn von durchschnittliche – weibliche Körper jenseits der Teenie-Jahre aufweist, werden heute erbittert bekämpft.«17Renz, Schönheit, 280. Im Kampf gegen die Rundungen spielt es keine Rolle mehr, dass diese einen ›biologischen Sinn‹ erfüllen, und so bewegen sich die Idealmaße weiblicher Models und Medienschönheiten in Gewichtsklassen, in denen die Fruchtbarkeit stark eingeschränkt ist. 

Die reale Welt weist hingegen ganz andere Maße auf: Deutsche Frauen sind durchschnittlich 1,63 m groß, wiegen 69,9 kg bei einem durchschnittlichen Taillenumfang von 83 cm und einem Hüftumfang von 103,6 cm.18Posch, Projekt Körper, 87. Zitierte Studie: Nationale Verzehrsstudie II, Ergebnisbericht Teil 1.  Hinzu kommt, dass sie durchschnittlich immer größer und kräftiger werden. Die Idealfrau trägt Gr. 34, die durchschnittliche Normalfrau passt in Konfektionsgröße 40. Die Diskrepanz zwischen Körpererleben und Körperideal geht für die meisten Frauen immer weiter auseinander.19Die durchschnittliche Zunahme von Körpergröße und Gewicht ist auf unseren Ernährungszustand zurückzuführen. In vielen Fällen bedeutet dies zwar auch, dass die Körpermaße gesundheitsschädigende Ausmaße angenommen haben, doch Studien zu Übergewicht und Adipositas (Fettleibigkeit) sind genau zu untersuchen. Oft schreiben sie hohe Zahlen der übergewichtigen Menschen, unterscheiden jedoch nicht zwischen den Graden des Übergewichts. Dennoch belegen diese Studien allgemein eine starke Zunahme von Übergewicht und Fettleibigkeit - jedes 6. bis 7. Kind ist heute übergewichtig, jedes 16. Grundschulkind und jedes 12. Kind ab 14 Jahren ist adipös (KiGGS Jugendgesundheitssurvey Robert Koch Stiftung). Übergewicht und Fettleibigkeit beinhalten nicht nur physische, sondern auch psychische Auswirkungen für die Kinder und Jugendlichen. Im Literaturverzeichnis des Newsletters befinden sich auch zu diesem Thema einige weiterführende Informationen.  Disziplin, Askese und Körperkontrolle reichen nicht aus, um ein Ideal zu erreichen, für das man genetisch nicht die ›richtigen‹ Veranlagungen hat. So ist auch dieses Merkmal unseres Schönheitsideals ein ausschließendes: Denn je enger man den Kreis der Erfolgreichen zieht und je mehr Körper man als unerwünscht ausschließt, desto mehr Aufwertung erfahren die erwünschten Körper. 

IV. Die „schöne“ Welt der Jugendlichen

Aufgrund der bisherigen Beobachtungen können wir feststellen, dass Schönheit in der heutigen Gesellschaft zwar jeden betrifft, aber dennoch mit sehr exklusiven Maßstäben verbunden ist. Diese Ambivalenz kommt auch besonders im Umgang Jugendlicher mit dem Thema Schönheit zum Ausdruck.

»Ich meine, es ist schon richtig scheiße, in unserer Gesellschaft dick zu sein. Aber ich versuche halt das Beste daraus zu machen, auch wenn das grundsätzlich nichts daran ändert, dass ich in den Augen der meisten Leute hässlich bin.«

hannes, 18 Jahre

4.1. Körperideale

Werfen wir einen Blick auf die Körperideale heutiger Jugendlicher. Silke Bartsch kommt in ihren Untersuchungen unter Schülern und Schülerinnen zwischen 14 und 16 Jahren auf folgende Ergebnisse:20Die Ergebnisse sind entnommen aus der Studie Jugendesskultur: Bedeutung des Essens für Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup, Hg. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Bd. 30, Köln 2008.

Als attraktivster Frauenkörper gilt für 37,7% der Jugendlichen der Wespentaillentyp, Platz 2 nimmt mit 32,5% der sportlich-androgyne Typ ein – wobei dieser von Mädchen mehr bevorzugt wird (mit 36,6% Platz 1) als von Jungs (28,6%, Platz 2) – und auf Platz 3 steht der extrem muskulöse Typ (16,8%). 8,6% der Mädchen bevorzugen den extrem schlanken ›Twiggy Typ‹. Allgemein sind sich die Jugendlichen bezüglich der Schlankheit jedoch einig. Alle Typen entsprechen sehr bis extrem schlanken Körperformen. Der ›Normale Typ‹ (die statistische Normalfrau) wird von den Mädchen fast einstimmig (nur 3,2%) als unästhetisch abgelehnt und in den Diskussion als ›dick‹ bezeichnet (8,2% der Jungen finden diesen Frauentyp attraktiv). ›Typ Twiggy‹21Benannt nach dem extrem schlanken 60er-Jahre Model Twiggy.  ist laut BMI Maßtabelle untergewichtig (BMI ≤ 18), in den Gesprächen mit den Befragten wird dieser Figurtyp als ›schlank‹ bezeichnet. 

Fazit: Der Trend zu extremer Schlankheit ist im Schönheitsempfinden der Jugendlichen angekommen. Wie sieht es mit der idealen Männerfigur aus? Auch hier findet der ›Normalmann‹ nur wenig mehr Akzeptanz als die ›Normalfrau‹ (10,8% der Mädchen und 5,2% der Jungen stimmen für ihn). Während 37,6% der Mädchen den sportlichen Männertyp bevorzugen, steht dieser bei den Jungen nur auf Platz 2 (29,9%). Spitzenreiter der männlichen Traumfigur ist der extrem muskulöse / Bodybuilder-Typ (47,4), die extreme Y-Form wird von 10,3% der Jungen gewählt, während sie für Mädchen kaum Anziehungskraft hat (1,1%).

Fazit: In puncto Traummann ist man sich insgesamt weniger einig, hier scheint es noch etwas mehr Spielraum zu geben. Doch am Schlankheitsideal kommt keiner der bevorzugten Körpertypen vorbei. 

4.2. Körperideal vs. Körperleben: Dilemma Pubertät

Es ist keineswegs verwunderlich, dass sich insbesondere Jugendliche mit dem Thema Schönheit und dem eigenen Körper auseinandersetzen und sich dabei am gängigen Schönheitsideal orientieren. Körperlichkeit hat in der Pubertät entwicklungsbedingt eine zentrale Bedeutung für die Findung der (Geschlechts-)Identität. »Die Suggestion, dass durch einen perfekten ›Body‹ ein glückliches Leben erreichbar sei, kann außerdem bei der Bewältigung entwicklungsbedingter Ängste helfen«.22Bartsch, Jugendesskultur, 97.

Für die Wenigsten ist dies aber der Fall. Jugendliche bewegen sich heute beim Thema Schönheit in einem Raum voller Diskrepanzen: Körperideal vs. Körpererleben; Selbstdisziplin vs. Erlebnis- und Genussorientierung; Der Wunsch nach Geborgenheit, Angenommensein und Sicherheit vs. dem Druck, sich selbst inszenieren zu müssen und zu verwirklichen; Selbstoptimierung und Selbstverantwortung vs. ungerechter Verteilung genetischer und finanzieller Ressourcen.

Insbesondere für Mädchen kann die starke Ausrichtung am heutigen Schlankheitsideal zu einem ambivalenten Erleben ihrer pubertären Veränderungen führen. Sogar so sehr, dass sie durch Diätverhalten ihrer natürlichen körperlichen Entwicklung entgegenwirken. Denn während die Rundungen im oberen Körperbereich ersehnt und meist freudig empfangen werden (diese entsprechen dem sexualisierten Körperideal unserer Zeit), widerspricht das Ansetzen von Fettgewebe an Bauch, Hüfte, Po und Oberschenkeln (die eigentlich typisch weiblichen Rundungen) je nach ihren Ausprägungen dem favorisierten Schlankheitsideal. Doch gerade diese Entwicklung des Körperfettanteils (in Maßen) ist für das ›Frauwerden‹ von großer Bedeutung, denn es ermöglicht das Einsetzen der Periode und somit die Geschlechtsreife.

Die meisten Jungen können diese Zeit der körperlichen Reifung in Bezug auf das Schönheitsideal gelassener wahrnehmen. Zwar schlagen sie sich zeitweise mit ›Pubeszentendisharmonien‹23Babyspeck, lange Nasen, große Füße, lange Extremitäten etc.  herum, da Größe, Gewicht und Proportionen oft nicht gleichmäßig, sondern asynchron wachsen, doch entwickeln sie bis zum Ende ihrer Pubertät in etwa das dreifache an Muskelmasse im Vergleich zum Fettgewebe und damit optimalere Voraussetzungen zur Erreichung angestrebter Ideale. Doch auch bei ihnen macht sich Unzufriedenheit breit. Diese bezieht sich meistens auf Körpergröße, Muskelmasse bzw. -form und die Körperbehaarung, insbesondere den Bartwuchs. 

»Ein paar Mal habe ich auch schon gemodelt, aber das größte Selbstbewusstsein ziehe ich aus der Bestätigung durch das andere Geschlecht.«

marc, 16 Jahre

4.3. Körper(un)zufriedenheit

Wie zufrieden können Jugendliche angesichts ihrer Vorstellungen von Attraktivität mit sich selbst noch sein? 

Die Kinder- und Jugendgesundheitsstudie »Health Behaviour in School-aged Children« (HBSC) analysiert regelmäßig die Gesundheit und die gesundheitsbezogenen Wahrnehmungen, Einstellungen und Verhaltensweisen von Schülerinnen und Schülern der 5., 7. und 9. Klasse. 2012 schätzen sich bereits 49,8% der 11 bis 15-Jährigen Mädchen und 34,2% der Jungen dieser Altersstufen in Deutschland als »ein wenig oder viel zu dick« ein.  Schon im Alter von 11 Jahren verzeichnet die Studie 43,6% der Mädchen, die ihr Körpergewicht als zu hoch empfinden. Genau richtig finden sich hingegen nur 37,6% der Mädchen und 48,2% der Jungen. Mit dem Alter steigt der Anteil der Mädchen, die sich ein wenig oder viel zu dick finden kontinuierlich an (+9,7 Prozentpunkte; 53,2% der 15-Jährigen Mädchen findet sich zu dick). Bei den Jungen sinkt dagegen dieser Anteil von den 13- zu den 15-Jährigen wieder. Gleichzeitig finden sich allerdings im Altersverlauf immer mehr Jungen zu dünn (dies betrifft 20,5% der 15-Jährigen).24HBSC, Faktenblatt »Körperbild und Diätverhalten von Kindern und Jugendlichen«. 

Die Zahlen verdeutlichen noch einmal, dass vor allem Mädchen durch ihre körperlichen Veränderungen während der Pubertät zu einem kritischeren Körperselbstbild kommen, da sie sich vom geltenden Schlankheitsideal entfernen. Deshalb nimmt häufig das Selbstwertgefühl in Bezug auf den eigenen Körper und die Körperzufriedenheit ab. Bei Jungen zeigt sich, dass auch sie zunehmend kritischer mit ihrem Körper umgehen. Auch sie hadern mit dem männlichen Schönheitsideal, denn ein ›zu dünner‹ Körper ist ein Körper mit zu wenig Muskelmasse. So kommen auch sie nicht an das Ideal ›schlank und muskulös‹ heran. 

4.4. Folgen des Schönheitsstrebens

Bei solch negativer Körperwahrnehmung ist es nicht verwunderlich, dass der Diätenwahn bereits Einzug in die Kinder- und Jugendzimmer erhalten hat: Insgesamt geben 18,5% der Mädchen und 11,4% der Jungen dieser Altersstufen an, derzeit eine Diät zu machen.25Ebd.  Das ›Figurmodelling‹ ist Teil der Jugendkultur geworden, wie auch Bartsch in ihrer empirischen Studie feststellt. Sport und Bewegung sind für Jungen und Mädchen Teil der Körperkultur: 74% der Befragten geben an, dass sie regelmäßig oder oft Sport treiben und sich mehr bewegen (68,4%), um etwas für ihre Figur zu tun. 30,6% verzichten auf Dinge, die sie gerne essen; 22,4% lassen täglich sogar mindestens eine Mahlzeit ausfallen oder essen sich nicht satt (17%). Vor allem für Mädchen ist die Essenskontrolle ein wichtiges Mittel zur Reduzierung des Körpergewichts (Kalorienzählen 16%; Diät 27%).26Bartsch, Jugendesskultur, 135-138. 

Das Körperbild der Jugendlichen entspricht jedoch keineswegs der Realität. Denn de facto  sind höchstens 4,9% der Mädchen dieser Alterssparte und 7,4% der Jungen als übergewichtig einzuschätzen. Fettleibig (adipös) sind 3,6% der Mädchen und 3,3% der Jungen. 77,3% der Jugendlichen sind vollkommen normalgewichtig, weitere 13,1% haben einen BMI im untergewichtigen Bereich.27HBSC, Faktenblatt »Körpergewicht von Kindern und Jugendlichen«. Die Berechnung des BMI erfolgte nach alters- und geschlechtsspezifischen Tabellen.   Als Folge dieser ›gestörten‹ subjektiven Körperbildern von Jugendlichen lassen sich empirisch sowohl ungesunde Ernährungspraktiken als auch Essstörungen nachweisen. 

Schließen wir die statistischen Analysen mit dem Ergebnis der KiGGs Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (2006) des Robert Koch Instituts: 22% der Kinder und Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren weisen Symptome einer Essstörung auf. Dies bedeutet nicht, dass jedes 5. Kind bereits eine Essstörung hat, aber dass sein Essverhalten und sein Körperselbstbild Essstörungsmerkmale erkennen lassen, die sich unter Umständen zu eines der Krankheitsbilder entwickeln können. 

Die folgende Grafik zeigt die Verteilung der ›Verdachtsfälle‹ nach Alter und Geschlecht. Vor allem Mädchen ab dem 14. Lebensjahr schreiben gravierend hohe Zahlen bezüglich der Hinweise auf Essstörungen.28Wir können innerhalb dieses Newsletters nicht näher auf die einzelnen Krankheitsbilder, deren Erkennungsmerkmale und Therapie eingehen. Im Literaturverzeichnis finden sich hierzu fortführende Informationsmaterialien. Zudem sei auf den Newsletter Nr. 1 »Magersucht: Herausforderung für christliche Jugendarbeit« (März 2008) der Initiative für werteorientierte Jugendforschung verwiesen. 

4.5. Die Rolle der Medien im Schönheitskampf der Jugendlichen

Sind die Medien verantwortlich für den Schönheitswahn der Jugendlichen? Schon lange stehen sie in der Kritik, einen negativen Einfluss auf die Körperselbstwahrnehmung ihrer Konsumenten zu haben und Essstörungen zu fördern. Einige Aspekte der Debatte und Studienergebnisse zur Medienwirkung sollen hier dargestellt werden, die zu einem kritisch reflektierten Umgang mit den Massenmedien anhalten.29Christian Schemer hat die zahlreichen Studienergebnisse zu den Effekten des Medienkonsums zusammengestellt: Schemer, Die Medien als heimliche Verführer?, 12-15.  Insbesondere in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gilt es, die dargestellten Ideale der alltäglichen Werbe-, Film-, Musik- und TV-Show-Inhalte gemeinsam zu reflektieren:

  • In den Massenmedien wird das körperliche Erscheinungsbild in seiner Bedeutung und Form überbetont. Dies geschieht nicht nur durch überrepräsentative Darstellung physisch attraktiver Medienpersonen, sondern vor allem auch durch die Vermittlung des funktionalen Wertes körperlicher Attraktivität: Erfolg, Disziplin, mehr romantische Beziehungen, moralisch bessere Charaktereigenschaften und Belohnung gehen mit einem attraktiven Äußeren in den Medien einher. Weniger attraktive Personen werden hingegen häufiger verspottet, diskriminiert, werden als faul, dumm und mit wenigen Sozialkontakten dargestellt. 
  • Das mediale Idealbild männlicher und (vor allem) weiblicher Körper ist sehr eng gefasst. Es wird häufig vermittelt, dass der Körper beliebig formbar ist, indem vorgeführt wird, wie bestimmte Ideale erreicht werden. Chirurgische Eingriffe erhalten durch ihr vermehrtes Auftreten größere Akzeptanz und Normalität, insbesondere unter Mädchen und Frauen, die vermehrt derartige Medieninhalte konsumieren. 
  • Insbesondere bei Frauen und Jugendlichen lässt sich ein Zusammenhang zwischen Medienkonsum und wachsender Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper belegen. Der eigene Körper, wie auch die Attraktivität anderer, wird nach dem Betrachten von Medienschönheiten weitaus negativer wahrgenommen. Im Detail lassen sich folgende Effekte feststellen: 
    • verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers als zu dick
    • geringere Zufriedenheit mit dem eigenen Körper
    • negative Gefühle wie Schuld, Scham oder depressive Stimmung
    • geringere Einschätzung der eigenen Attraktivität
    • geringeres körperbezogenes Selbstwertgefühl
    • ausgeprägtes Schlankheitsbedürfnis
  • Die Medien können jedoch nicht als einziger Einflussfaktor für verzerrte Körperselbstwahrnehmung und die Entstehung von Essstörungen verantwortlich gemacht werden. Dies würde der Komplexität der Krankheitsbilder und der individuellen Beschaffenheit jedes Konsumenten nicht gerecht. Ein hoher Medieneinfluss ist vor allem aufgrund folgender Zusatzfaktoren nachweisbar:
    • hohe interpersonale Anziehung und Identifikation mit schlanken Medienakteurinnen/-akteuren
    • geringes Selbstwertgefühl und mangelnde Unterstützung aus dem sozialen Umfeld
    • bestehende Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper oder Symptome von Essstörungen
    • Alter und Entwicklungsstadium
    • Geschlecht 

Die Schuld am Schönheitswahn unserer Zeit ist nicht den Medien allein zuzuschreiben, denn diese werden von der Nachfrage ihrer Konsumenten erheblich geformt. Dennoch: »Massenmedien sind Sozialisationsagenten, nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Sie transportieren Vorstellungen körperlicher Attraktivität und bestätigen, produzieren oder reproduzieren dadurch hierarchische Körperbilder.«30Posch, Projekt Körper, 177. Vor allem kommt ihnen eine immense Verantwortung angesichts ihrer technischen Möglichkeiten zu. Die Medien erschaffen Körper, die unser Bild von Schönheit und Attraktivität erheblich formen und an denen wir reale Schönheiten unweigerlich messen.  Bewusst oder unbewusst dient das Gegenüber zur Selbsteinschätzung und zur Überprüfung der eigenen Position (soziale Funktion des Vergleichens). Dieses »soziale Vergleichen« findet im Alltag, aber auch angesichts der allgegenwärtigen Massenmedien, ständig statt. Die dargestellten Idealbilder hinterlassen meist Scham, Selbstzweifel und Niedergeschlagenheit, da die Diskrepanz zwischen Selbstideal und Selbstwahrnehmung zu groß wird.31Gläßel, Werbeopfer, 51-62. Daher müssen die medialen Inhalte und Idealbilder kritisch reflektiert und ein kompetenter Umgang mit den Medien gelernt werden.

»Das, was die Medien vorgeben, nämlich das unbedingte Streben nach Perfektion und die Suche nach einem attraktiven Partner, sitzt inzwischen echt tief in uns.«

Okan,18 Jahre

V. Ausblick

Was tun im Kampf mit der Problemzone ›Schönheit‹? Als Menschen, die Teil der Gesellschaft sind, ist es kaum möglich, sich vollkommen von herrschenden Schönheitsidealen zu lösen. Und dennoch gilt es, sich vom ›Schönheitswahn‹ zu befreien. Zum Wahn wird Schönheit dann, wenn sie über Identität und Wert eines Menschen bestimmt, wenn ihre Ideale so eng gefasst werden, dass sie in anderen Formen nicht mehr wahrgenommen wird, wenn ihr Erlangen mehr Raum und Zeit in einem Leben einnimmt, als die Entdeckung und Entwicklung charakterlicher Stärken und innerer Werte. Schönheit ist gut, solange sie ihren angemessenen Platz hat, doch sie wird zum Verhängnis, wenn ihr höchste Priorität zugemessen wird. 

Auch die Bibel kennt den Wert der Schönheit. In einigen Berichten werden bestimmte Personen als besonders schön hervorgehoben – etwa Rebekka (1Mose 24,15), Absalom (2Sam 14,25) und die Töchter Hiobs (Hiob 42,15). Das Hohelied feiert nicht nur die Liebe, sondern auch die Schönheit (z.B. Hld 1,15f; vgl. Spr 5,18f). Doch zugleich wird das Aussehen einer Person zugunsten ihres Charakters relativiert. Schon das Sprüchebuch schließt mit der Feststellung, eine weise Frau verdiene mehr Lob als eine gut aussehende (Spr 31,30f). Im Petrusbrief werden Christen ermahnt, innere Schönheit der äußeren vorzuziehen (1Petr 3,3-4). Der Körper ist zwar eine gute Gabe Gottes, doch wird ihm kein bleibender Wert zugemessen.

Diese Balance gilt es auch in der heutigen Zeit zu wahren. Eine differenzierte Wertschätzung von Schönheit trägt dazu bei, Jugendliche in ihrem Umgang mit dem eigenen Körper, in ihrer Selbstwahrnehmung und in ihren Beziehungen zu anderen stärken.

Die Medien versprechen Erfolg, Glück und Zufriedenheit durch Schönheit, doch die  Selbstzweifel der Allerschönsten dieser Welt zeigen uns, dass Schönheit und wahre Zufriedenheit nicht Hand in Hand gehen: »Wer aufs Aussehen fixiert ist, kann immer nur sehen, was ihm fehlt«.32Renz, Schönheit, 251.

Eltern, Lehrern und Kinder- und Jugendmitarbeitern kommt im Kampf mit den Schönheitsidealen eine große Bedeutung zu, denn sie sind neben den Medien die wichtigsten Sozialisationsagenten ihrer Kinder und Jugendlichen. Vor allem Eltern können zur positiven Körperwahrnehmung, zum gesunden Essverhalten und zur kritischen Reflexion geltender Ideale beitragen. Väter (und Mütter) spielen eine immense Rolle im Schönheitskampf ihrer Töchter. Ihr Umgang mit Schönheit – mit dem Aussehen anderer Frauen und dem der Ehefrau, ihre Bemerkungen gegenüber der eigenen Tochter – fördert oder hindert das Erkennen eigener Schönheit und das Erlangen eines gesunden Selbstwertgefühls der Mädchen. 

»Es ist total paradox, dass man auf der einen Seite unendlich viel dafür tut, gut anzukommen, aber auf der anderen Seite nur für seinen Charakter geliebt werden will.«

lily, 19 Jahre

VI. Ideen für die Jugendarbeit

Zum Schluss dieses Newsletters sollen ein paar ganz praktische Ideen genannt werden, die in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hilfreich sein können, um die Problemzone ›Schönheit‹ gemeinsam zu betreten:

Der Schönheit auf der Spur

Sammeln Sie Zeitschriften und gestalten Sie mit den Teens und Jugendlichen (Jungen und Mädchen getrennt) Plakate zum Thema »Was ist Schönheit?« – je ein Plakat für männliche und ein Plakat für weibliche Schönheit. Kommen Sie anhand der gesammelten Bilder ins Gespräch über die Ideale. Warum sind diese Personen schön? Was genau ist schön an ihnen?  Wie fühlen sich die Jugendlichen, wenn sie sich mit den Bildern vergleichen? Sind die Bilder echt? Was finden sie selbst an sich schön? Was finden sie an einem anderen Teilnehmer der Gruppe schön? Was macht eine Person abgesehen vom Aussehen ›schön‹ bzw. macht eine Person für sie schön, auch wenn diese nicht den Idealen entspricht? Ist Schönheit für sie wichtig? Warum?

Beauty-Day

Veranstalten Sie mit den weiblichen Teenagern / Jugendlichen einen gemeinsamen Beauty-Tag. Laden Sie eine Kosmetikerin ein, die einen Vortrag zur Typberatung und über Schminkbasics gibt. Eine solche Veranstaltung hilft den heranwachsenden Frauen, ihre eigene Schönheit wahrzunehmen und einen positiven Umgang mit dem eigenen Aussehen zu entwickeln. Es soll ein ermutigender Tag / Abend sein. Schönheit soll in ihrer Verschiedenheit wahrgenommen werden. Innerhalb dieses Rahmens kann ein reflektierendes Gespräch beim gemeinsamen Essen oder Schminken über die Schönheitsideale der Jugendlichen stattfinden. 

Initiative für wahre Schönheit

Die Kosmetikmarke Dove startete 2004 die Kampagne für »wahre Schönheit«. Online finden Sie hierzu viele Werbebilder, die die gängigen Medienideale in Frage stellen. Drucken Sie einige dieser Werbebilder aus und hängen Sie diese verteilt in den Kleingruppenraum / das Klassenzimmer mit je einem leeren Plakat für die Gedanken der Jugendlichen daneben. Geben Sie ihnen Zeit, die Werbebilder zu betrachten und ihre Meinungen und Eindrücke auf den Plakaten zu sammeln. Sprechen Sie gemeinsam über die Eindrücke der Jugendlichen.

Discussion-Time

Drucken Sie die Zitate der Jugendlichen aus »Schön!?« auf DIN A4 Papier und beginnen Sie aufgrund dieser Aussagen das Gespräch mit ihren Jugendlichen. Stimmen sie mit der Aussage überein? Warum? Wie kommt dieser Jugendliche zu einer solchen Aussage? Können sie ihn verstehen? Was fühlt er? Was hat er evtl. erlebt? Was würden sie ihm sagen bzw. wünschen?

»Wenn man es schafft, sich von falschen Idealen zu trennen, und sagen kann: ›Ich bin einfach so und ich habe es nicht in der Hand, mich zu ändern‹, dann ist man zufriedener und freier.«

Anouk, 15 jahre

Aline Seywald

Endnoten

  • 1
    Zitat Klappentext, Katharina Weiß, Schön!? Jugendliche erzählen von Körpern, Idealen und Problemzonen.
  • 2
    Renz, Schönheit, 191-203.
  • 3
    Repräsentativ ist ein Querschnitt dann, wenn Menschen unterschiedlichen Alters, sozialer Schichten und Kulturen befragt werden.
  • 4
    Renz, Schönheit, 38-40. Allgemein gilt jedoch, dass wir als attraktiver wahrnehmen, was uns bekannt ist. Aus soziologischen Gründen gilt vor allem das westliche Gesicht als Maßstab für Schönheit. Hier verbinden sich die Merkmale mit den Assoziationen von Reichtum und Erfolg, die mediale Verbreitung westlicher Gesichter hilft bei der Zementierung dieses Schönheitsideals. Im Westen selbst kann man allerdings beobachten, dass ›exotische‹ Merkmale angestrebt werden, jedoch nur in Maßen (Mischgesichter).
  • 5
    Renz, Schönheit, 37-38, 194ff.
  • 6
    Ebd. 79-86.
  • 7
  • 8
    Ebba Drolshagen, Journalistin. Zitiert bei Renz, Schönheit, 278. 
  • 9
    Posch, Projekt Körper, 37-38.
  • 10
    Ebd. 168.
  • 11
    Ebd.
  • 12
    Posch, Projekt Körper, 61.
  • 13
    Ebd. 62ff. 
  • 14
    Zitiert bei Posch, Projekt Körper, 183. 
  • 15
    Ebd. 91. WHO steht für World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation).
  • 16
    Gläßel, Werbeopfer, 40ff. 
  • 17
    Renz, Schönheit, 280.
  • 18
    Posch, Projekt Körper, 87. Zitierte Studie: Nationale Verzehrsstudie II, Ergebnisbericht Teil 1. 
  • 19
    Die durchschnittliche Zunahme von Körpergröße und Gewicht ist auf unseren Ernährungszustand zurückzuführen. In vielen Fällen bedeutet dies zwar auch, dass die Körpermaße gesundheitsschädigende Ausmaße angenommen haben, doch Studien zu Übergewicht und Adipositas (Fettleibigkeit) sind genau zu untersuchen. Oft schreiben sie hohe Zahlen der übergewichtigen Menschen, unterscheiden jedoch nicht zwischen den Graden des Übergewichts. Dennoch belegen diese Studien allgemein eine starke Zunahme von Übergewicht und Fettleibigkeit - jedes 6. bis 7. Kind ist heute übergewichtig, jedes 16. Grundschulkind und jedes 12. Kind ab 14 Jahren ist adipös (KiGGS Jugendgesundheitssurvey Robert Koch Stiftung). Übergewicht und Fettleibigkeit beinhalten nicht nur physische, sondern auch psychische Auswirkungen für die Kinder und Jugendlichen. Im Literaturverzeichnis des Newsletters befinden sich auch zu diesem Thema einige weiterführende Informationen. 
  • 20
    Die Ergebnisse sind entnommen aus der Studie Jugendesskultur: Bedeutung des Essens für Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup, Hg. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Bd. 30, Köln 2008.
  • 21
    Benannt nach dem extrem schlanken 60er-Jahre Model Twiggy. 
  • 22
    Bartsch, Jugendesskultur, 97.
  • 23
    Babyspeck, lange Nasen, große Füße, lange Extremitäten etc. 
  • 24
    HBSC, Faktenblatt »Körperbild und Diätverhalten von Kindern und Jugendlichen«. 
  • 25
    Ebd. 
  • 26
    Bartsch, Jugendesskultur, 135-138. 
  • 27
    HBSC, Faktenblatt »Körpergewicht von Kindern und Jugendlichen«. Die Berechnung des BMI erfolgte nach alters- und geschlechtsspezifischen Tabellen.  
  • 28
    Wir können innerhalb dieses Newsletters nicht näher auf die einzelnen Krankheitsbilder, deren Erkennungsmerkmale und Therapie eingehen. Im Literaturverzeichnis finden sich hierzu fortführende Informationsmaterialien. Zudem sei auf den Newsletter Nr. 1 »Magersucht: Herausforderung für christliche Jugendarbeit« (März 2008) der Initiative für werteorientierte Jugendforschung verwiesen. 
  • 29
    Christian Schemer hat die zahlreichen Studienergebnisse zu den Effekten des Medienkonsums zusammengestellt: Schemer, Die Medien als heimliche Verführer?, 12-15. 
  • 30
    Posch, Projekt Körper, 177.
  • 31
    Gläßel, Werbeopfer, 51-62.
  • 32
    Renz, Schönheit, 251.

Bibliografie

Bartsch, Silke, Jugendesskultur: Bedeutung des Essens für Jugendliche im Kontext Familie und Peergroup, Hg. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Bd. 30, Köln 2008

 

Gläßel, Maria-Lena, Werbeopfer Frau? Beeinflussung weiblicher Körperwahrnehmung durch die Schönheitsideale der Werbung, Darmstadt 2010

 

HBSC-Team Deutschland, Studie Health Behaviour in School-aged Children – Faktenblatt »Körperbild und Diätverhalten von Kindern und Jugendlichen«, Bielefeld 2011, http://hbsc-germany.de/wp-content/uploads/2012/02/
Faktenblatt_Körperbild-und-Diätverhalten_
final.pdf
(Zugriff 26.10.2012)

 

HBSC-Team Deutschland, Studie Health Behaviour in School-aged Children – Faktenblatt »Körpergewicht von Kindern und Jugendlichen«, Bielefeld 2011, http://hbsc-germany.de/wp-content/uploads/2012/02/
Faktenblatt_Körpergewicht_final.pdf
(Zugriff 26.10.2012)

 

Langlois, Judith H., Jean M. Ritter u.a., Facial Diversity and Infant Preferences for Attractive Faces, in: Developmental Psychology, Vol 27 / 1, 1991, 79-84, http://www.psy.cmu.edu/~siegler/
35langlois91.pdf
(Zugriff 26.10.2012)

 

Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (Hg.), Nationale Verzehrsstudie II, Ergebnisbericht Teil 1, Karlsruhe 2008, http://www.was-esse-ich.de/
uploads/media/NVS_II_Abschlussbericht_Teil_1_mit_Ergaenzungsbericht.pdf
(Zugriff 26.10.2012)

 

Posch, Waltraud, Projekt Körper. Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt, Frankfurt 2009

 

Renz, Ulrich, Schönheit. Eine Wissenschaft für sich, Berlin 2006 (begleitende Homepage: www.schoenheitsformel.de)

 

Robert Koch-Institut (Hg.), Erste Ergebnisse der KiGGS-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, Berlin 2007, http://www.kiggs-studie.de/deutsch/ergebnisse/
kiggs-basiserhebung/ergebnisbroschuere.html
(Zugriff 26.10.2012)

 

Schemer, Christian, Die Medien als heimliche Verführer? Der Einfluss attraktiver Medienpersonen auf das Körperbild von Rezipientinnen und Rezipienten, in: Körper. BZgA Forum Sexualaufklärung und Familienplanung Heft 1, 2006, 12-15

 

Weiß, Katharina, Schön!? Jugendliche erzählen von Körpern, Idealen und Problemzonen, Berlin 2011

Websites zum Thema Attraktivitätsforschung:

www.schoenheitsformel.de

www.beautycheck.de

Informationsbroschüren und Materialien der BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung):

PDF-Dokumente auf http://www.bzga.de/
infomaterialien/ernaehrung-bewegung-stressbewaeltigung/

Schönheit

»GUT DRAUF-Tipp: Immer Ärger mit der Schönheit«

»GUT DRAUF-Tipp: Gefährliches Ziel: Traumbody«

Essstörungen und Übergewicht

»Essstörungen – Leitfaden für Eltern, Angehörige und Lehrkräfte«

»Essstörungen… was ist das?«

»essgestört? übergewichtig? – So findest Du Hilfe«

»Essstörungen – Suchtmedizinische Reihe Band 3«

»Ess-Störungen – Arbeit mit Selbsthilfegruppen«

»Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen – So finden Sie ein gutes Programm«

Das Dove-Projekt für wahren Schönheit:

Anfang 2004 startete die Kosmetikmarke Dove eine groß angelegte Kampangne mit ganz normalen Frauen von der Straße, die mit ihren Rundungen und »Schönheitsmakeln« sehr zufrieden sind. Natürlich sind auch diese ›No-models‹ attraktive Frauen, doch ihre Maße und Formen entsprechen eben nicht dem gängigen Medienideal. Dove setzte so einen Gegenpunkt zum Schlankheitswahn der Medien.

Auf http://www.dove.de/de/Dove-Mission/Fur-mehr-Selbstwertgefuhl/default.aspx finden Sie Material, Leitfäden und Fragebögen für Eltern und Töchter, Lehrer und Verantwortliche in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Die Workshop-Materialien zu »BodyTalk« – zur Stärkung und Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls und einem guten Umgang mit Körper, Figur und Gewicht – finden Sie hier: http://www.dove.de/de/
Resources/Others/PDF/Body_Talk.pdf
.