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KulturethikAllgemein

Die Ethik des Sprechens

I. Einleitung

1. Problemdarstellung

„Böse Zungen schneiden schärfer als Schwerter!“ – so heißt es in einem bekannten deutschen Sprichwort. Dass die menschliche Zunge sehr viel Unheil anrichtet, wird dabei in der Tat niemand bestreiten können. So finden sich bereits im Alten Testament (AT) wesentliche Beobachtungen im Hinblick auf den Gebrauch des menschlichen Kommunikationsorgans (Spr 10,19): „Ein Mensch, der viel redet, versündigt sich leicht; wer seine Zunge im Zaum hält, zeigt Verstand.“ 

Kommunikation gehört zum Menschsein dazu. Ohne sie ist der Alltag im Privaten und im Beruf unmöglich zu bewältigen. Keineswegs dient sie dabei ausschließlich der Informationsvermittlung. Vielmehr geht es dabei auch um die Offenbarung eigener Gefühle und Emotionen, sowie eigener Werte, Charakterzüge und Haltungen.

Ethisch angemessenes und gutes Reden in jeder Situation ist dabei eine Kunst, die man niemals vollkommen beherrschen wird. So ist es kaum verwunderlich, dass es gerade aufgrund der mangelnden Fähigkeit, seine Zunge zum Guten einzusetzen, tiefgreifende Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen gibt. Im Prinzip findet man in der Gesellschaft keinen Bereich, der nicht von moralisch bedenklicher Kommunikation betroffen ist – weder in privaten Beziehungen, beruflichen Interaktionen und Bereichen der Dienstleistung noch in der Öffentlichkeit oder in den Medien. Lügen, Gerüchte, Verleumdungen, Lästern, leeres und albernes Geschwätz, Beleidigungen, Mobbing, vulgäres Reden, Zwietracht, Falschheit, Heuchelei, Prahlerei, ein aneinander Vorbeireden, Zornesausbrüche, Flüche und Kraftausdrücke usw. scheinen in gewisser Weise ganz normale, allgemein anerkannte und vor allem harmlose Bestandteile des Lebens zu sein. All das macht selbstverständlich auch nicht vor dem öffentlichen Leben Halt: Politiker, die die Bevölkerung durch schöne Rede manipulieren, um sie für sich zu gewinnen, und deren Worte und Taten eine unüberbrückbare Diskrepanz aufweisen; Sportler, die ihre Fans fälschlicherweise davon überzeugen wollen, dass sie nicht gedopt sind; Casting Shows, in denen die Kandidaten von der Jury in einer demütigenden Weise fertig gemacht werden; Talkshows, in denen von sinnvoller Unterhaltung keine Rede sein kann; Daily Soaps, in denen falsche Werte vermittelt werden; Werbung, in der die Konsumenten mit leeren Versprechungen „geködert“ werden – all das sind nur Beispiele für die „Gefallenheit“ des menschlichen Redens. 

2. Die Macht der Worte

Worte haben unheimlich große Macht. Sowohl im positiven wie auch im negativen Sinn. Das darf man unter keinen Umständen unterschätzen. Durch Worte kann man andere loben und aufbauen, aber auch tief verletzen und zerstören. Die Konsequenzen der eigenen Worte kann man allerdings nicht immer im Voraus abschätzen. Klar ist jedoch, dass jeder Mensch die Verantwortung für sein Sprechen übernehmen und sich so auch mit teilweise weitreichenden negativen Folgen auseinandersetzen muss. Spr 18,20-21 fasst dies besonders eindrücklich zusammen: „Du musst mit den Folgen deiner Worte leben – seien sie nun gut oder böse. Worte haben Macht: sie können über Leben und Tod entscheiden. Darum ist jeder für die Folgen seiner Worte verantwortlich.“ Auch Jakobus scheut sich nicht, in aller Deutlichkeit die Macht der Zunge herauszustellen (3,5-6): „Genauso ist es mit unserer Zunge. So klein sie auch ist, so groß ist ihre Wirkung! Ein kleiner Funke setzt einen ganzen Wald in Brand. Mit einem solchen Feuer lässt sich auch die Zunge vergleichen. Sie kann eine ganze Welt voller Ungerechtigkeit und Bosheit sein. Sie vergiftet uns und unser Leben, sie steckt unsere ganze Umgebung in Brand, und sie selbst ist vom Feuer der Hölle entzündet.“ Immer wieder betont die Bibel, dass die Zunge den ganzen Körper bestimmt und nicht zu zähmen ist (Jak 3,2.8). 1Von daher verweist sie auch auf den engen Zusammenhang zu den inneren Haltungen des Menschen, die durch das Gesagte widergespiegelt werden.Vor allem im Buch der Sprüche wird dieser Zusammenhang durch den parallelen Satzaufbau sehr deutlich: ein Teil spricht vom Inneren des Menschen, der andere von dem Gesagten (vgl. z. B. Spr 10,20; 12,20; 13,1; 15,28).

Trotz allem darf man die Macht der Worte keineswegs überschätzen:

  1. Wörter können kein Ersatz für Taten sein (Spr 14,23)
  2. Wörter können keine Tatsachen ändern (Spr 26,23.26)
  3. Wörter können die erwünschte Reaktion beim Empfänger nicht erzwingen (Spr 29,19)
  4. Die Macht der Worte variiert je nach der (äußeren) Autorität des Sprechers (Spr 16,14).2Vgl. Baker, Speech-Ethics, 42.

3. Grundzüge der Kommunikation

Kommunikation ist komplex – das ist unbestreitbar. Wenn zwei Menschen miteinander reden, geht es selten nur um eine rein sachliche Mitteilung von Informationen. Vielmehr spielt sich zwischenmenschliche Kommunikation auf vielen verschiedenen Ebenen ab. Jede Nachricht enthält gleichzeitig eine Vielfalt von verbalen und nonverbalen Botschaften, die der Empfänger entschlüsseln muss und auf die er dementsprechend reagiert. 

Um die Vielschichtigkeit innerhalb sozialer Interaktionen besser erfassen zu können, konzipierte der Psychologe Friedemann Schulz von Thun das Modell von den vier Seiten einer Nachricht (siehe Abb. 1):

  1. Sachinhalt (worüber ich informiere)
  2. Selbstoffenbarung (was ich von mir selbst kundgebe)
  3. Beziehung (Was ich von dir halte und wie wir zueinander stehen)
  4. Appell (wozu ich dich veranlassen möchte).3Vgl. Thun, Miteinander Reden 1, 27-33.
Abb.1

Jede gesendete Nachricht enthält – wenn auch nicht explizit – alle diese vier Seiten, jeweils in unterschiedlicher Intensität. Der Empfänger dieser Botschaft steht demnach vor der Herausforderung, das Gesagte der Sendeabsicht angemessen einzuordnen. Auch hierbei spielen die vier Seiten, diesmal im Sinne einer „Vierohrigkeit“, eine wesentliche Rolle für das Gelingen der Kommunikation. Je nachdem, wie der Empfänger die ankommende Nachricht interpretiert, kann es in einem solchen Prozess aus verschiedenen Gründen allerdings zu erheblichen Störungen kommen. Hier seien einige Beispiele genannt: 

  • Die Kongruenz einer Nachricht: die sprachlichen Anteile einer Nachricht werden jeweils durch nichtsprachliche Anteile ergänzt und unterstützt, die das Gesagte qualifizieren.4Hierbei sei auf das „Grundgesetz“ der Kommunikation verwiesen: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick, Kommunikation). Hierzu gehören der Kontext des Gesagten, die Art der Formulierung, die Körperbewegungen und der Tonfall. Weisen diese Signale jedoch nicht in die gleiche Richtung wie das Gesagte, fällt es dem Empfänger schwer, die Nachricht angemessen zu deuten.
  • Die Beziehung der Gesprächspartner: Die Art und Weise miteinander zu reden verändert sich mit der Vertrautheit (Fremde/r, Bekannte/r, Partner/in usw.) und der Rolle (Eltern, Sohn/Tochter, Chef usw.) der Beteiligten. Zudem beeinflussen auch vergangene Interaktionen der Gesprächspartner die gegenwärtige Kommunikation und können so zu Störungen führen.
  • Der Kommunikationsstil:  Jeder Mensch ist von Gott als einzigartiges Individuum geschaffen. Daher hat er auch eine einmalige Persönlichkeitsstruktur und somit einen eigenen Kommunikationsstil, der nicht zwangsläufig mit dem des Gesprächspartners übereinstimmen muss.5Vgl. für die verschiedenen Kommunikationsstile von Thun, Miteinander reden 2. Eigene Geschichte, Prägungen, Einstellungen, Bedürfnisse, Gefühle, Stimmungen, Absichten usw. – all das beeinflusst den jeweiligen Kommunikationsstil – sowohl das Senden als auch das Empfangen von Nachrichten – und führt daher zur Komplexität und Verflochtenheit der Kommunikation. 

Vor diesem Hintergrund erweist es sich als enorm schwierig, eine allgemeingültige Ethik des Sprechens zu entwickeln. Von zu vielen verschiedenen und vor allem situationsbezogenen Aspekten scheint ein angemessenes Reden abhängig zu sein. Dennoch soll im Folgenden versucht werden, einige grundlegende ethische Punkte zu einem biblisch fundierten Gebrauch der Zunge herauszuarbeiten.

II. Richtig Reden

1. Das Unterlassen negativen Sprechens

Immer wieder findet man in der Bibel wichtige Prinzipien zum Umgang mit anderen Menschen. Kommunikation spielt dabei eine wesentliche Rolle. Richtig reden beginnt dabei nicht nur bei einem Fördern des positiven Sprechens, sondern auch beim Unterlassen der vielen verschiedenen Arten des negativen Sprechens, die im Folgenden erläutert werden sollen. Ein großer Teil wird dabei durch den Oberbegriff „Lüge“ abgedeckt.6Kein Anspruch auf Vollständigkeit!

a) Lügen: 

Umfrageergebnisse bestätigen, dass Ehrlichkeit für die meisten Menschen der wichtigste Wert in ihrem Leben ist.7Für 60% der Befragten  ist Ehrlichkeit besonders wichtig: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/805/umfrage/wichtigste-werte-im-leben/ vom 24.05.12.  Dennoch kann man nicht leugnen, dass Lügen im Alltag weit verbreitet sind. Der durchschnittliche Mensch, so haben Forscher festgestellt, sagt jeden Tag durchschnittlich 200 Mal bewusst oder unbewusst die Unwahrheit.8Vgl. Hettlage, Lügengesellschaft, 9 Nur selten greift man dabei zu ernsthaften und gemeinen Lügen. Meist sind es lediglich kleine Unwahrheiten und Übertreibungen, die jedoch im Alltag zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind und meist sogar ungeahndet bleiben. 

Von einem modernen Phänomen kann dabei allerdings keine Rede sein. Bereits in vielen alttestamentlichen Erzählungen ist von Lügen, Halbwahrheiten, Listen oder Täuschungsabsichten die Rede.9Vgl. z. B. die Schlange (Gen 3), Kain und Abel (Gen 4,9), Abraham (Gen 12,10ff.; 20,1ff.; 26,7ff.); Jakob und Esau (Gen 27); die Frau Potifars (Gen 39); Hananias und Saphira (Apg 5,1-11) usw. Vgl. auch Klopfenstein, Lüge. Die erste Lüge der Menschheitsgeschichte fand im Garten Eden statt (Gen 3,1-6). Hier belog der Satan Adam und Eva und säte so Misstrauen zwischen den Menschen und Gott. Jesus nennt ihn daher den „Vater der Lüge“ (Joh 8,44), dem man niemals trauen sollte. Seitdem gehört die Lüge zum Menschsein dazu. „Alle Menschen sind Lügner!“ – so sagt es der Dichter des 116. Psalms (V. 11). Ein solches Handeln ist in den Augen Gottes jedoch verwerflich, weil es seinem Wesen der Wahrheit widerspricht (Hebr 6,12) und die Gemeinschaft gefährdet und zerstört (Ps 52,4-6). Dies wird zwar in den meisten Narrativ- und Prophetentexten nur indirekt vermittelt, dennoch finden sich in der Bibel auch ausreichend explizite und eindeutige Lügenverbote:  „Lügenmäuler sind dem HERRN ein Greuel“ (Spr 12,22), oder: „Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit“ (Eph 4,25).10Andere wesentliche Belegstellen sind: Ex 23,1; Lev 19,11; Dtn 19,18; Ps 101,7; Hos 4,2; Mt 5,11; 1Tim 1,10 usw.

Worauf beziehen sich aber alle diese Belegstellen? Wird hier die Lüge im Allgemeinen verdammt oder gibt es aus biblischer Perspektive auch Ausnahmefälle? Schließlich lassen sich zumindest aus heutiger Sicht viele verschiedene Arten von Lüge identifizieren, die genau differenziert werden sollten, wenngleich ihre Übergänge oft kaum voneinander abzugrenzen sind.11In der Geschichte gibt es dazu keine einheitliche Meinung. So finden zum einen diejenigen, die die Lüge kategorisch ablehnen, selbst wenn dadurch Leben gerettet werden könnte. Hierzu gehören z. B. der Kirchenvater Augustin und Immanuel Kant (vgl. Schockenhoff, Lüge, 43-64 und 98-108). Für beide steht fest, dass es niemals eine Rechtfertigung dafür gebe kann, bewusst die Unwahrheit zu sagen. Der Kirchenvater Chrysostomos hingegen sah im Lügen eine besondere Kunst, die erst durch falsche Absichten zur Untugend wurde (vgl. a.a.O., 44). Diese Position wird heute nicht selten vertreten. So setzt sich die Philosophin Simone Dietz, die derzeit wohl eine der bekanntesten Expertinnen in diesem Gebiet ist, für die Einordnung der Lüge als eine zunächst „moralisch neutrale Fähigkeit“ ein, die allerdings in bestimmten Situationen von Wert sein kann (Vgl. Dietz, Lüge). Für eine angemessene Bewertung dieses Sachverhalts sollen im Folgenden die verschiedenen Unterkategorien der Lüge begrifflich bestimmt und biblisch bewertet werden. 

Lüge: Eine Lüge ist eine Aussage, bei der der Sender bewusst und willentlich die Unwahrheit sagt, mit der Absicht, dass der Empfänger sie trotzdem glauben wird.12Bedauerlicherweise fehlt hier der Rahmen, um die Definition der Lüge im Detail zu diskutieren. Für tiefergehende Betrachtungen der Lüge sei hier auf die bibliographischen Angaben am Ende verwiesen (siehe besonders: Schockenhoff, Lüge; Leonhardt, Lügen und Müller, Lüge).  Sie dient dabei meist dazu, einen eigenen Vorteil zu erlangen, Fehltritte zu verdecken und so Gesichtsverlust, Kritik und Strafe abzuwenden. Dennoch gibt es auch Situationen, in denen man zum Schutz eines anderen oder der Gemeinschaft zur Lüge greift. Hierbei spricht man von einer sozialen Lüge, oft auch von einer Notlüge, da sie aus kritischen Verhältnissen heraus entspringt und durch einen ethischen Konflikt zwischen zwei Geboten – eine sogenannte Pflichtenkollision – ausgelöst wurde. Ob es in solchen Fällen Ausnahmen vom – sonst aus biblischer Perspektive grundsätzlich verpflichtenden – Lügenverbot geben darf, muss an dieser Stelle untersucht werden. Als Beispiel soll die Lüge Rahabs dienen, die damit den beiden Kundschaftern das Leben rettete (Jos 2).13Weitere biblische Beispiele der Lüge zur Lebensrettung: die Hebammen des Pharaos (2Mo 1,15-21; die Familie Moses (2Mo 2,3-9); David stellt sich wahnsinnig (2Sam 21,1-16) usw. (vgl. Schirrmacher, Ethik III, 62). Ist diese Frau durch ihre Notlüge schuldig geworden? Steht nicht das Gebot, Leben zu schützen, höher als das Gebot, nicht zu lügen? Oder gibt es etwa Situationen, in denen ein Mensch in einer Entscheidung auf jeden Fall sündigt - d.h. in der er nicht das Richtige oder das Gute, sondern nur die weniger schwerwiegende Sünde wählen kann?  Hierbei spielt sicherlich auch die Frage eine Rolle, ob Gott die Kundschafter nicht auf anderem Wege hätte retten können – selbst wenn Rahab bei der Wahrheit geblieben wäre.14Dabei geht es nicht darum, dass sie den für sich angenehmsten Weg gewählt hat. Schließlich hat sie sich selbst durch ihre Lüge mehr in Gefahr gebracht, als wenn sie die Wahrheit gesprochen hätte.  Dies ist allerdings eine rein spekulative Frage, die an dieser Stelle nicht weiterhilft.15Fest steht, dass Gott keineswegs davon abhängig war, dass Rahab die Kundschafter in Schutz genommen hatte. Fest steht, dass die Bibel an keiner Stelle eine Sünde mit der damit verbundenen Schuld relativiert, weil dadurch eine andere Schuld abgewendet wurde. Das Argument, Rahabs Lüge sei keine Schuld, da sie sonst nicht als Glaubensvorbild dargestellt werden könnte (Heb 11,31), scheint an dieser Stelle wenig überzeugend, da sie zum einen nicht aufgrund ihrer Lüge, sondern ihrer Gottesfurcht in dieser Liste zu finden ist, zum anderen auch die anderen Vorbilder trotz ihrer offenkundigen Fehltritte verzeichnet wurden. 

Demnach lässt sich sagen, dass auch bei der Lüge zur Lebensrettung Schuld vorliegt, wenngleich jedoch immer das wichtigere Gebot als das „kleinere Übel“ gewählt werden sollte. Ist allerdings das Schweigen eine gute Alternative, sollte es in jedem Fall vorgezogen werden.16Ebenso kann man durch rhetorisches und diplomatisches Geschick bei der Wahrheit bleiben und Schuld abwenden. So hat man im Dritten Reich behauptet, man hätte die Juden „unter dem Tisch versteckt.“ Dabei war tatsächlich unter dem Tisch der Eingang zum Kellerversteck für die Juden.  

Meineid: Im neunten Gebot des Dekalogs heißt es (2Mo 20,16): „Du sollst kein falsches Zeugnis reden gegen deinen Nächsten.“17Vgl. weitere Stellen: Dtn 5,20; Ps 27,12; Spr 6,19; 12,17; 14,5; 19,5.9; 25,18. Hierbei handelt es sich in erster Linie um einen Gerichtskontext. Nur durch ehrliche Zeugen kann gerechte Gerichtsbarkeit gewährleistet werden. Die Relevanz dieser göttlichen Anweisung zeigt sich inbesondere im Hinblick auf die Todesstrafe. Wird jemand aufgrund bewusster und willentlicher Falschaussage zu Unrecht verurteilt, geht es dabei sogar um Leben und Tod. Falls ein solches Vergehen aufgedeckt wird, folgt im AT eine harte Strafe: dem Lügner soll das widerfahren, was er seinem Nächsten antun wollte (Dtn 19,18f.). 

Auch im Hinblick auf Halbwahrheiten/-lügen gibt es durchaus Diskussionsstoff. Hierzu zählen „Auslassungen, Mehrdeutigkeiten, irreführende Implikationen sowie Mischungen aus Wahrem und Falschen.“18Hettlage, Lügengesellschaft, 35.  Für viele Menschen ist jede halbe Wahrheit eine ganze Lüge. Die Bibel ist jedoch sehr vorsichtig, Halbwahrheiten grundsätzlich als Lüge zu bezeichnen. So soll Samuel in 1Sam 16,2-6 im Auftrag Gottes ein Opfer in Bethlehem bringen, um zu verbergen, dass er eigentlich die Aufgabe hatte, einen neuen König zu salben. Die Tatsache, dass er der Öffentlichkeit ausschließlich von seiner Opferabsicht berichtet, wird hier keineswegs als Lüge bezeichnet. Samuel war nicht dazu verpflichtet die ganze Wahrheit ans Licht zu bringen. Insofern darf dieses Verschweigen nicht mit Lügen gleichgesetzt werden.

Trotz allem sollte klar sein, dass die Übergänge zwischen einer Halbwahrheit, bei der man sich nicht schuldig macht, und einer Aussage, die bereits als Lüge im eigentlichen Sinn verstanden werden muss,  fließend verlaufen. So scheinen die beiden Halbwahrheiten Abrahams, der Sara als seine Schwester ausgibt,19Sara ist seine Halbschwester. im narrativen Geschehen eher negativ gewertet zu werden – auch wenn dies an keiner Stelle explizit ausgedrückt wird (Gen 12,10-20; 20).20In beiden Fällen plagt Gott die Männer, die zu Sara eingehen wollen (Gen 12,17; 20, 3-7). Daher ist es kaum möglich, allgemeingültige Aussagen in diesem Bereich zu treffen. Das Streben nach vollkommener Wahrheit und Wahrhaftigkeit – dies umfasst auch das Vermeiden von Halbwahrheiten – sollte deswegen grundsätzlich ein verpflichtendes Ziel werden. 

Verleumdung / üble Nachrede: Jemand, der trotz besseren Wissens über einen anderen etwas Unwahres behauptet und verbreitet, das dem Betreffenden schadet und in der öffentlichen Meinung herabsetzt und beschämt, kann sich nach deutschem Recht strafbar machen (StGB § 187). Wird ein solches Delikt geahndet, muss der Täter mindestens mit einer Geldstrafe, in drastischen Fällen allerdings mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen. Auch die Bibel drückt sich in dieser Hinsicht unmissverständlich aus. So heißt es in 3Mo 19,16: „Du sollst nicht als Verleumder umhergehen unter deinem Volk.“ Die Hinweise im Neuen Testament (NT) auf dieses gemeinschaftszerstörende Vergehen finden sich vor allen Dingen in den paulinischen Lasterkatalogen (Röm 1,28-31; 2Kor 12,21; 2Tim 3,2-5).21Weitere Stellen: 4Mo 12,1-2 (Miriam/Aaron gegen Mose); 5Mo 22,13f. (Mann gegen seine Frau); 2Sam 19,28; Ps 15,3; 101,5; Spr 10,18; 11,13; 20,19; 30,10; Jer 6,23; 9,3; Hes 22,9; 1Tim 3,1; Tit 2,3; Jak 4,11. Die Verleumdung eines anderen, mitsamt all den dahinterliegenden maliziösen und eigennützigen Motiven, ist unter allen Umständen verwerflich und darf nie gebilligt werden. 

Unter einem Gerücht versteht man die zumeist mündlich und nebulös verbreiteten, für die Allgemeinheit jedoch interessanten Nachrichten, deren Wahrheitsgehalt allerdings umstritten ist, da ihr Inhalt mehr oder weniger starken Veränderungen unterliegt.22Die Verbreitung solcher Gerüchte beschleunigt sich dabei durch Sensationsgrad, Stellung des Betroffenen und andere Aspekte. Schadenfreude und der Ausdruck moralischer Entrüstung bleiben selten aus.  Hierbei darf dem Schöpfer einer solchen Botschaft nicht in jedem Fall eine böse Absicht vorgeworfen werden. Auch eine subjektive Wahrnehmung, eine falsche Annahme oder ein Missverständnis können zur Entstehung eines Gerüchts beitragen. Trotz allem kann die Verbreitung einer im Prinzip noch so neutralen (und wahren) Information dem Betreffenden großen Schaden zufügen. So führte die Mitteilung Doëgs, der Saul davon berichtete, dass die Priester von Nob David mit Nahrung und Waffen ausgestattet hatten, zu ihrem Tod und der Zerstörung ihrer Stadt (1Sam 21-22). Dass die Verbreitung von Gerüchten bereits im AT streng verboten wird (2Mo 23,1), ist demnach sehr gut nachzuvollziehen.23Um etwa 700 v. Chr. setzte Hesiod sich mit dem Phänomen des Gerüchts auseinander. Mit aller Leidenschaft warnt er vor dem Gerede der Menschen, das man zwar leicht erwirbt, aber nur mit Mühe wieder los wird. Ihm war bewusst, dass das Gerede niemals völlig zugrundegehen kann, da es in den Menschen weiterlebt. Auch viele andere Autoren innerhalb der griechischen und lateinischen Geschichte sprechen über das Thema der Gerüchte (vgl. dazu Gall, Monstrum, 24-43).

Nicht immer ist ein Gerücht jedoch eindeutig von einer Angelegenheit zu unterscheiden, über die man in jedem Fall bei zuständigen Personen – und nur bei ihnen! – Bericht erstatten muss.  Eine Hilfestellung zur Differenzierung dieser beiden Fälle liefert Rabbi Yisrael Meir Kagan (1839-1939), der in einem seiner Werke eine Liste über die richtige Art der Berichterstattung von Übertretungen verfasst:  Derjenige, der jemandem den Fehltritt eines anderen meldet, sollte den Betroffenen vorher liebevoll ermahnt haben und mögliche Alternativen einer Enthüllung  sorgsam bedenken. Er selbst muss Zeuge dieser Angelegenheit gewesen sein und darf daran keinerlei Zweifel haben. Jegliche Übertreibungen und dem anderen niederträchtig anstatt wohlwollend gesinnte Absichten sowie die Möglichkeit einer Eskalation der Situation müssen im Vorfeld ausgeschlossen sein.24Vgl. http://www.torah.org/learning/halashon/chapter10.html vom 24.05.12. Ähnliches findet sich dabei durchaus schon in der Bibel. In Mt 18,15-17 gibt Jesus Anweisungen im Hinblick auf eine angemessene Zurechtweisung in der Gemeinde.

In gewisser Hinsicht gehört auch die Heuchelei (Scheinheiligkeit, Doppelmoral) in den Bereich der Lüge. Hierbei versucht eine Person, aus einer selbstsüchtigen Intention heraus ein Bild von sich selbst zu vermitteln, das nicht der Realität entspricht. Ein typisches Beispiel dafür ist das Einfordern von Verhaltensformen, die selbst nicht eingehalten werden. Auch das Vortäuschen von in Wirklichkeit nicht existenten Emotionen und Gemütszuständen lässt sich dazuzählen. Zwar umschließt die Heuchelei immer das ganze Verhalten, dennoch ist klar, dass auch die Zunge wesentlich dazu beiträgt. Ein Beispiel dafür findet sich im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9-14), in dem der Pharisäer in der Öffentlichkeit vor Gott tritt und ihm laut dafür dankt, dass er besser ist als die Sünder. Jesus verachtet ein solches Verhalten. Immer wieder kritisiert er die Pharisäer und Schriftgelehrten für ihre Heuchelei (z. B. Mt 22,18; 23; Mk 7,6; Lk 12,1.56) und fordert die Juden zu einem authentischem Leben auf (z. B. Mt 6,2.5.16). Auch Petrus drückt in seinem Brief seine unmissver-ständlich negative Haltung zur Heuchelei aus (1Pet 2,1): „Legt nun ab alle Bosheit, allen Trug, Heuchelei, Neid und üble Nachrede.“ 

Die Ausrede bezeichnet eine Aussage, die die Absicht hat, die zuvor gebildete Überzeugung des Gegenübers über einen tatsächlich tadelnswerten Umstand zu modifizieren. Sie dient dabei der eigenen Entschuldigung, dem Abwälzen der eigenen Verantwortung und somit der Abwendung eines möglichen Gesichtsverlusts oder einer Strafe. Den ersten Zwischenfall mit einer Ausrede gab es bereits im Garten Eden, bei dem Adam versuchte Eva, diese wiederum der Schlange die Schuld für ihre Übertretung  zuzuweisen (1Mo 3). 

Da eine Ausrede im Prinzip nichts anderes als eine glatte Lüge ist, ist auch sie in jedem Fall zu verwerfen. Menschen müssen die Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen.

Auch Schmeichelei und Höflichkeitsfloskeln können zuweilen als Lügen bezeichnet werden. Zwar darf man nicht jede höfliche Begrüßung mit einer Unwahrheit verwechseln. Dennoch sollte auch hier klar sein, dass die Übergänge oft fließend verlaufen. So kann ein distanziertes, aber eigentlich unehrliches „Mir geht es gut“ oder ein respektvolles, aber unaufrichtiges Dankeschön für einen tollen Abend in bestimmter Hinsicht als Lüge eingeordnet werden.25Keineswegs muss man dem Gegenüber dabei etwas zu persönliches Anvertrauen oder ihm ohne Liebe die Wahrheit ins Gesicht sagen. Mit etwas Geschick kann man das Gespräch auch hier ehrlich und dennoch der Beziehung angemessen beenden. 

Mit schmeichelnder Rede – in der Bibel häufig beschrieben als glatte Rede – kann man seinen Nächsten ins Verderben bringen (Spr 26,28; Dan 11,32). Eine Frau kann z. B. einen verheirateten Mann zum Ehebruch verführen (Spr 2,16; 5; 6,20-7,27). Häufig wird Schmeichlern dabei eine bösartige und eigennützige Absicht unterstellt (Spr 29,5): „Wer seinem Nächsten schmeichelt, stellt seinen Füßen ein Netz.“ Aus biblischer Perspektive hat ein solches Reden immer negative Konnotationen und sollte demnach vermieden werden (Hi 32,21f.; Ps 12,3f.; 55,22; Spr 28,23; Jer 5,28; 1Thess 2,5). 

Nicht jede Über- oder Untertreibung muss zwangsläufig als Lüge markiert werden. In erster Linie dienen sie vielfach als eindeutig gekennzeichnete rhetorische Mittel zur stilistischen Gestaltung der Kommunikation. Begriffe wie „todmüde“, „Schneckentempo“ oder  „dünn wie eine Bohnenstange“ sind allgemein anerkannte Beschreibungen, die nicht wörtlich zu verstehen sind. Dies muss man sicherlich von den Fällen differenzieren, in denen eine klare Täuschungsabsicht vorliegt. So wird vielleicht eine Person und ihre Leistungen, ein Sachverhalt oder ein Gegenstand vorsätzlich besser oder schlechter dargestellt, als es der Realität entspricht. Häufig geschieht dies mit der Intention, das Gegenüber zu einem Meinungswechsel (über Person oder Sachverhalt) oder zu einer Handlung zu überreden – z. B. zu einem Kauf. In solchen Situationen wird bewusst die Wahrheit verdreht und vertuscht, um Menschen zu manipulieren. Dies ist meist nichts anderes als eine glatte Lüge, mindestens aber eine Halbwahrheit. Um eine solche Grenze nicht zu überschreiten, sollte im Alltag der Gebrauch von Über- und Untertreibungen auf ein Minimum und auf Eindeutiges reduziert werden.

Menschen, die versuchen, ihre eigenen Leistungen, Gaben und Eigenschaften aus freien Stücken immer wieder in den Vordergrund zu stellen, werden als Prahler bzw. Angeber charakterisiert. Ursache eines solchen Imponierverhaltens sind der eigene Egoismus bzw. Egozentrismus und der Wunsch, Anerkennung und Akzeptanz von anderen zu erfahren. 

Dabei beruht das Gesagte nicht grundsätzlich auf falschen Tatsachen. Dennoch ist sicherlich häufig eine Tendenz zu Übertreibungen erkennbar. Hier ist besondere Vorsicht geboten, da die Schnittstelle zur Lüge nicht immer klar erkennbar ist.

Darüber hinaus hat der „Prahlhans“ die Fähigkeit entwickelt, allgemein negativ bewertete Eigenschaften oder Situationen zu seinen Gunsten darzustellen. Ein Jobverlust kann z. B. mit dem Kommentar versehen werden, dass man zu Besserem berufen sei und eine solch niedere Arbeit nicht nötig habe. In der Bibel heißt es dazu (Ps 73,6): „Sie sind stolz auf ihren Stolz und tragen ihn zur Schau, ja, sie prahlen sogar mit ihren Gewalttaten.“  Grundsätzlich wird Angeberei sehr harsch kritisiert (Ps 75,5f.): „So befehle ich nun den großmäuligen Angebern: Schluss mit euren großen Worten! Denen, die mich ablehnen, sage ich: Blast euch nicht so auf! Ja, hört auf zu prahlen und lasst ab von eurem Stolz!“26Weitere Belegstellen, in denen Prahlerei verboten ist oder negativ konnotiert wird: Ri 7,2; 2Kö 19,28; Ps 12,5; Spr 25,14; Jes 10,16; Zep 3,11; Röm 1,30; 1Kor 4,7; Gal 6,13; 2Tim 3,2 usw. In 2Kor 10,17 steht: „Wer sich rühmen will, der rühme das, was Gott getan hat.“

Die in der heutigen Gesellschaft weit verbreitete rhetorische Figur der Ironie gilt in der Regel nicht als Lüge. Hierbei handelt es sich um eine bewusste und mit entsprechenden Ironiesignalen (Mimik, Gestik, Betonung usw.) verbundene Verstellung des Sprechers, bei der das Gegenüber jedoch (meistens) den wahren Sinn der Äußerung identifizieren kann. Ihre einfachste Form besteht darin, das Gegenteil von dem zu artikulieren, was man meint. Eine erfolgreiche Verwendung der Ironie hängt dabei immer auch von einer gelungenen Reflexion über Wissen und Gedankengänge des Gegenübers ab. Insbesondere bei Kommunikationspartnern, die unterschiedlich hoch gestellt (z. B. Chef – Angestellter) oder nicht sehr vertraut sind, kann es dabei vermehrt zu Missverständnissen kommen. Überdies muss man beachten, dass Kinder bis zum Alter von 10 Jahren noch nicht in der Lage sind, komplexe Aussageabsichten zu durchschauen. Wenn möglich sollte man sich daher um klare und eindeutige Kommunikation bemühen, um sicherzustellen, dass das Gegenüber nicht (unabsichtlich) in die Irre geführt wird. 

Besondere Vorsicht ist auch bei der Scherzlüge geboten. In Spr 26,18f. wird ein solches Verhalten scharf angeprangert: „Wie ein Wahnsinniger, der feurige und todbringende Pfeile abschießt, so ist ein Mensch, der seinen Nächsten betrügt und dann spricht: ‚Ich habe nur gescherzt!‘“ Nicht jede Scherzlüge ist grundsätzlich verwerflich, sofern sie als solche eindeutig markiert ist und das Gegenüber nicht verletzt. Dennoch sollte man aus eigener Erfahrung wissen, dass aus Spaß bitterer Ernst werden kann. Die Folgen der eigenen Worte, so harmlos und lustig sie auch gemeint waren, können nicht immer im Voraus abgeschätzt werden. Zu leicht kann man dabei über das Ziel hinausschießen, andere tief verletzen und Vertrauen zerstören. Ein einfacher Verweis auf die Scherzhaftigkeit der Aussage reicht dabei als Rechtfertigung keineswegs aus. Daher ist es sinnvoll, sich in seinen Gesprächen auf echten Humor zu begrenzen – Humor, der den anderen nicht verletzt oder ihn hinters Licht führt, sondern ihn schützt und Rücksicht auf seine Persönlichkeit nimmt.27Vgl. Holthaus, Lachen, 47f.

b) Weitere Formen negativen Sprechens:

Lästern: Wissenschaftler haben festgestellt, dass es sich in mehr als einem Drittel der Zeit, in der Menschen miteinander reden, thematisch um Personen dreht, die nicht anwesend sind.28Vgl. http://www.bild-der-wissenschaft.de/bdw/bdwlive/heftarchiv/index2.php?object_id=10093707 vom 24.05.2012 (leider nicht mehr online verfügbar). In der Tat ist das Lästern ein sehr weit verbreitetes Phänomen und gilt gemeinhin als unterhaltsamer Zeitvertreib – auch in christlichen Kreisen. Klatsch und Tratsch seien dabei nicht nur natürliche und vollkommen gefahrlose, sondern sogar (überlebens-) notwendige Bestandteile einer Gesellschaft, so behaupten Psychologen: sie fördern das Zusammengehörigkeitsgefühl, die gesellschaftliche Harmonie und das Gefühl eigener Überlegenheit. 

Die negative Seite des Lästerns wird dabei viel zu häufig außer Acht gelassen. Denn im Grunde genommen ist sie eine Form von verbaler Aggression/Gewalt, bei der viel Schaden angerichtet werden kann. Dies zeigt sich vor allen Dingen dann, wenn man selbst zum Opfer wird. Das Gefühl von Kontrollverlust und Ohnmacht scheint dabei noch eine relativ harmlose  Folge eines solchen Vorfalls zu sein. In extremen Fällen kann es – ähnlich wie beim Mobbing – zu sozialer Isolation und ernsthaften psychischen Schäden kommen. 

Die Unsicherheit, wer sich über wen „das Maul zerreißt“ und ob man nicht selbst schon zum Gesprächsstoff anderer geworden ist, kann jegliches Vertrauen innerhalb einer Gemeinschaft verletzen und durch so gesäte Zwietracht zu ihrer Zerstörung beitragen. 

Darüber hinaus ist Lästern zunächst eine rein eigennützige und egoistische Handlung. Durch das Aufzeigen der negativen Merkmale eines anderen stellt man sich selbst in besseres Licht oder lenkt zumindest von seinen eigenen Schwächen ab. Auch hier zeigt sich die immerwährende menschliche Tendenz, die eigene beste Seite mit der schlechtesten Seite des Gegenübers zu vergleichen und (moralische) Urteile darauf zu gründen. Informationen, die sich im sozialen Wettstreit als nützlich erweisen könnten, werden von daher gerne aufgenommen und helfen, eigene Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren. 

Spricht die Bibel vom Lästern, so ist damit meist die veraltete Bedeutung einer Beleidigung und Schmähung gemeint. In vielen Fällen bezieht sie sich dabei auf Gott selbst oder etwas Heiliges (Ex 22,27; Offb 13,6). 

Dennoch kennt auch die Bibel schon die menschliche Tendenz zur üblen Nachrede, die oft kaum von Gerüchten oder Verleumdungen zu unterscheiden ist. In Kol 3,8 heißt es: „Aber jetzt ist es Zeit, das alles abzulegen. Lasst euch nicht mehr von Zorn und Hass beherrschen. Schluss mit aller Bosheit! Redet nicht schlecht übereinander, und beleidigt niemanden!“ Heimlich über andere Menschen zu reden oder Anvertrautes preiszugeben, kann nie gerechtfertigt werden – auch nicht mit noch so guter Absicht (Spr 11,13; 25,9-10). Darüber hinaus muss aus biblischer Perspektive noch auf Folgendes hingewiesen werden: Auch das reine Zuhören in „Lästerrunden“ ist verwerflich! Schweigen allein reicht in solchen Situationen also nicht aus, um nicht schuldig zu werden (Spr 17,4; 20,19).29In solchen Fällen ist es wahrscheinlich das Beste, die Unterhaltung zu unterbrechen oder sie sogar zu verlassen. 

Eine Beleidigung ist eine Straftat (StGB § 185), bei der man die eigene Miss- oder Nichtachtung einer anderen Person oder Personengruppe zum Ausdruck bringt und dabei seine persönliche Ehre verletzt. Hierzu gehört auch die Verwendung von Schimpfwörtern – die sogenannte Malediktologie – bei denen das Gegenüber als ästhetisch, ethisch, hygienisch, intellektuell, physisch, kulturell oder religiös minderwertig bezeichnet wird.30Hierbei gibt es verschiedene Arten: Fäkalsprache (Verunreinigung, Körperausscheidung und Ekel); Sexualsprache (Genitalien, Sexualverkehr, Prostitution); Tiernamen; geschlechtliche, körperliche und geistige Merkmale und Mängel; Schwäche und Unfähigkeit; Rassismus; usw. (vgl. dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Schimpfwort vom 24.05.2012. Ausschlaggebend ist dabei nicht nur die lexikalische Konnotation eines Begriffes, sondern auch Tonfall, Körpersprache und situativer Kontext, wodurch auch ein an sich harmloser Begriff zu einer Beleidigung werden kann. Trotz einer Vielzahl an biblischen Belegstellen zur Verwendung von Schimpfwörtern wird in Ps 59,13 und Mt 5,21f. ein solches Verhalten deutlich kritisiert.31Schimpfwörter: 1Sam 25,22; 2Kön 18,27; Ps 96,5; Spr 30,12; Hes 23,20; Mt 3,7; 12,37; 23,33; Lk 3,7 usw. Verbot: Ps 15,3; 34,14; 140,12. Beleidigungen, Schmähungen und Verspottungen passen nicht mit dem Liebesgebot zusammen. Eph 4,29 drückt dies in Bezug auf den Sprachgebrauch explizit aus: „Kein böses Wort darf über eure Lippen kommen. Vielmehr soll das, was ihr sagt, gut, angemessen und hilfreich sein; dann werden eure Worte denen, an die sie gerichtet sind, wohl tun.“ Dennoch kann in Ausnahmefällen eine zunächst beleidigend empfundene Bezeichnung Menschen wachrütteln und ihnen ihr eigenes (Fehl)Verhalten vor Augen führen. So bezeichnet Jesus die Schriftgelehrten und Pharisäer mehrfach als „Otternbrut“ (Mt 3,8; 12,34; 23,33; Lk 3,7) und „Narren“ (Mt 23,27; Lk 11,40) und vergleicht sie z. B. mit weißgetünchten Gräbern, die von außen hübsch aussehen, aber innen voller Totengebeine und lauter Unrat sind (Mt 23,27). Ausschlaggebend bleibt also die Intention des Sprechers, so dass der Gebrauch von Invektiven zwar keineswegs vollkommen untersagt, er aber auf ein absolut notwendiges Minimum beschränkt werden sollte.

In einer ähnlichen Kategorie befinden sich Kraftausdrücke. Hierbei werden Ärger und Frust abgelassen, aber auch Verwunderung und Überraschung artikuliert. In den meisten Fällen werden dabei entweder Vulgarismen – d.h. anstößiges, obszönes und schamloses Vokabular (z. B. „scheiße“, „fuck“, „geil“) – oder Blasphemien („gottverdammt“, „verflucht“) verwendet. Besonders in Bezug auf Letzteres wird vielfach auf das dritte Gebot verwiesen (2Mo 20,7): „Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen.“ Eine auf Kraftausdrücke zugespitzte Interpretation im Sinne eines gedankenlosen Aussprechens seines Namens (z. B. „Oh, mein Gott!“) scheint dieser Aufforderung allerdings nicht gerecht zu werden. Vielmehr ist anzunehmen, dass Gott hier allgemein jegliche Handlung verbietet, die ihn in seiner Person, Autorität und Macht herabwürdigt. Weiterhin werden im AT Gotteslästerung (2Mo 22,27; 3Mo 24,16; Mk 14,63f.), Gottesverfluchung (3Mo 24,11) und Missbrauch seines Namens (3Mo 19,12;) deutlich untersagt. Über diesen Sachverhalt hinaus fehlen in der Bibel jedoch jegliche Hinweise auf Kraftausdrücke.32Die einzige Stelle, die dazu passen könnte, ist Phil 3,8, in der Paulus alles andere als „Dreck“ bezeichnet im Vergleich zur Erkenntnis Jesu.  Als mögliche, jedoch keineswegs zwingende ethische Richtschnur für den Gebrauch eines solchen Vokabulars bleibt somit nur Mt 15,18: „Was aber aus dem Mund herauskommt, kommt aus dem Herzen und das macht den Menschen unrein.“ 

Immer wieder taucht in christlichen Kreisen die Frage auf, ob man schwören darf oder nicht. Ein Schwur wird dabei stets bei einer höheren Instanz abgeleistet, die damit als solche anerkannt wird. Die Bibel scheint hier zunächst kein einheitliches Bild darzubieten. Im AT war das Schwören ein gängiges Phänomen, in 5Mo 6,13 und 10,20 wird dazu sogar aufgerufen – auch wenn es hier auf das Schwören bei Gott begrenzt wird. Zudem gibt es insgesamt 82 Belegstellen, in denen Gott selbst schwört (z. B. 1Mo 22,16; 2Mo 5,8; Jer 11,5).33Vgl. Schirrmacher, Ethik IV, 124. Im NT, v. a. aber in der Bergpredigt (Mt 5,33-37), scheint Jesus das Schwören allerdings zu verwerfen. Dieser Eindruck entsteht zumindest durch einige gängige deutsche Bibelübersetzungen. Dass eine solche Interpretation des Textes jedoch nicht haltbar ist, zeigt sich vor allen Dingen darin, dass auch Jesus selbst schwört (z. B. Mt 26,63-65; Joh 1,51; 3,3.5.11 usw.).34Jesus gebraucht hier vor allem die Schwurformel „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch...“ Stattdessen ist in der Bergpredigt davon auszugehen, dass Jesus die alttestamentliche Schwurpraxis gegen die der Pharisäer und Schriftgelehrten stellt, die bei allen möglichen Dingen schworen und die Ernsthaftigkeit ihres Schwurs vernachlässigten. So meint die Matthäus-Perikope wohl, dass man weder beim Himmel, bei der Erde, noch bei seinem eigenen Kopf schwören soll. Alles Schwören außer bei Gott ist demnach zu verbieten.35Vgl. Schirrmacher, Ethik, IV, 112-116.

Aufgrund der Tatsache, dass Gott und Jesus selbst sehr häufig schwören, kann man den Sinn des Eides nicht darauf beschränken, Wahrheit und Unwahrheit zu trennen. Vielmehr schafft ein solcher Eid unwiderrufliche Tatsachen und eine bindende Verpflichtung dem Anderen gegenüber (Gott oder Mensch), die einem Bundesschluss gleicht, der nicht aufgelöst werden kann. Zugleich ruft ein Schwur immer auch einen Fluch über einen selbst aus, falls es zu einem Wortbruch (1Sam 19,6) oder einer Unwahrheit (Mt 14,7) kommt.36Vgl. a.a.O., 134-144. Die Einhaltung der durch den Eid auferlegten Pflicht ist demnach von großer Bedeutung. 

Fazit: Als Christ ist es durchaus erlaubt bei Gott – aber nur bei Gott – zu schwören, wenn sichergestellt werden kann, dass Missbrauch und Nichteinhaltung des Schwures ausgeschlossen sind. 

Nörgelei: Deutsche sind weltweit für ihren Pessimismus und Kritikergeist bekannt. Für sie ist das Glas immer halb leer und niemals halb voll. Ein Ausdruck dieser tief sitzenden Unzufriedenheit ist die Nörgelei, die in vielen verschiedenen Arten zum Ausdruck kommt.37Z. B. Jammerei, Maulerei, (destruktive) Kritik, Quengelei, „Erbsenzählerei“, Bedenkenträgerei, Klagerei usw.  Grundsätzlich ist allen Formen jedoch gleich, dass man in auffälliger und zum größten Teil störender Weise seinen Unmut über einen Sach-verhalt äußert, den man entweder nicht ändern kann oder nicht ändern will. 

Ist man von solchen klagenden Menschen umgeben, besteht die Gefahr, dass man sich davon „anstecken“ lässt und ebenfalls in eine negative Stimmung verfällt. Selbst Banalitäten können dadurch zu großen Frustfaktoren und zu Auslösern von Wut, Verletztsein und Depressionen werden. Schließlich leidet auch das zwischenmenschliche Klima und das Miteinander kann zur Belastung werden.38In Spr 19,13 heißt es: „Eine nörgelnde Frau ist so unerträglich wie das ständige Tropfen durch ein undichtes Dach.“ Kurz gesagt: Chronische Nörgler steigern sich in ihre Unzufriedenheit hinein, verbreiten sie und können so die Gemeinschaft zerstören. So heißt es in Spr 29,8: „Unzufriedene Besserwisser können eine ganze Stadt in Aufruhr versetzen; aber vernünftige Leute beruhigen die Gemüter.“

Schon im AT finden sich immer wieder Situationen, in denen das Volk Israel anfing zu murren. Es hielt sich keineswegs zurück, die Unzufriedenheit über Essen und Trinken, Wohlbefinden, die eigene Hilflosigkeit, das Gerichtshandeln Gottes und die Theokratie usw. zum Ausdruck zu bringen. Häufig wurde es dafür allerdings von Gott kritisiert oder sogar bestraft. Denn letztendlich ist die Nörgelei auch ein Ausdruck großer Undankbarkeit und einer zutiefst negativen Lebenseinstellung, die im Gegensatz zur Güte Gottes steht. So wird in Jud 16 explizit vor Menschen gewarnt, die grundsätzlich alles beklagen.

Um sich selbst davor zu schützen, dem Teufelskreis der Nörgelei zu verfallen, ist es nötig, einen gesunden Umgang mit Frust zu entwickeln, seine eigenen Lasten Gott zu übergeben und Dankbarkeit zum Lebensstil werden zu lassen. Zudem können auch eine dienende Hilfsbereitschaft, konstruktive Diskussionen und lösungsorientierte Reflexionen einem solchen Prozess Einhalt gebieten. 

Die Besserwisserei ist ganz eng mit der Nörgelei verbunden. Betreffende neigen dazu, andere Menschen zu belehren, weil sie meinen, dass sie über mehr Wissen verfügen als das Gegenüber und grundsätzlich im Recht sind. Häufig verschließen sie sich selbst aber gegenüber den Meinungen anderer, sind unfähig, Kritik anzunehmen, und unwillig, von anderen zu lernen. Dialoge mit solchen „notorischen Rechthabern“, die in der Regel nach Anerkennung streben, werden dabei meist als sehr anstrengend und überheblich empfunden. 

In Röm 12,16 äußert sich Paulus zu diesem Thema: „Hütet euch vor Selbstüberschätzung und Besserwisserei!“ Andere in einer selbstgerechten und z. T. lieblosen Weise zu verbessern, sich aber selbst gegen jegliche Ermahnung und Hilfe von Außen zu verschließen, ist in seinen Augen ein Verhalten, das einheits- und gemeinschaftsgefährdend ist. 

Sinnloses Gerede: Menschen, die viel und vor allem gedankenlos reden, dabei aber meist wenig Wichtiges, Sinnvolles oder Tiefgründiges von sich geben, werden häufig als „Labertaschen“ bezeichnet. Sie haben zu allem etwas zu sagen, eine passende Geschichte parat oder zumindest eine Meinung. In der Regel merken sie gar nicht, dass sie andere nicht zu Wort kommen lassen und ihnen gegebenenfalls „auf die Nerven gehen“. Dabei sind sie vielmals zu neugierig und mischen sich in Angelegenheiten ein, die sie nichts angehen. Nicht alles, was sie sagen, muss zwangsläufig einem Lästern oder anderen, in der Bibel abgelehnten Formen des Redens, gleich sein. Dennoch lassen sich durchaus einige Verse finden, in denen die Bibel auch unvernünftiges, albernes und gedankenloses Geschwätz ablehnt (Pred 6,11; Mt 12,33-37; Eph 5,4; Kol 3,8). So kategorisiert das Buch der Sprüche „Schwätzer“ als Toren (18,7), die vollkommen uneinsichtig sind (10,8.10). Darüber hinaus macht die Bibel klar, dass sich jemand, der viel redet, viel schneller versündigt als jemand, der wenig und bedacht spricht (Spr 10,19; Pred 5,1-7). Daher macht es Sinn, sparsam mit seinen Worten umzugehen. In 1Tim 5,13 wird zudem darauf hingewiesen, dass viel Reden sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, so dass Faulheit und Ineffizienz gefördert und somit wichtigere Dinge vernachlässigt werden. Schließlich verhindert sinnloses Geschwätz ein konstruktives Miteinander. Das Zuhören und das Wahrnehmen der Bedürfnisse des Anderen wird durch das monologische Kommunikationsverhalten unterbunden und ist so letztendlich gemeinschaftszerstörend. 

Insbesondere die zuletzt genannte Form des negativen Sprechens macht deutlich, wie wichtig Schweigen, aktives Zuhören und empathisches Eingehen auf die Bedürfnisse des Anderes ist, damit Kommunikation gelingt. Kol 4,6 drück diesen Anspruch treffend aus: „Eure Worte sollen immer freundlich und mit dem Salz der Weisheit gewürzt sein. Dann werdet ihr es auch verstehen, jedem, der mit euch redet, eine angemessene Antwort zu geben.“ Dies soll im Folgenden kurz beleuchtet werden. 

2. Richtig Schweigen und Zuhören

In Jak 1,19 heißt es: „Jeder sei schnell bereit zu hören, aber lasse sich Zeit, ehe er redet, und erst recht, ehe er zornig wird.“ Dieser und andere Verse (Spr 13,3; Pred 5,1f. usw.) deuten eine wichtige Grundregel in Bezug auf die menschliche Kommunikation an. Die Sparsamkeit der Rede wird dabei mit Weisheit und Selbstkontrolle in Verbindung gebracht (Spr 17,27; 29,11). Wer wenig redet, verringert damit die Wahrscheinlichkeit, sich in einer unklugen, verletzenden und sündigen Weise zu äußern (Spr 10,19). 

Trotz dieser allgemeinen Anweisung zum Schweigen gibt es durchaus Situationen, in denen das Schweigen unangemessen ist und man in jedem Fall das Wort ergreifen sollte (Pred 3,7b). Denn, wenn man aus Angst, Schwäche o.ä. schweigt, kann dies Beziehungen zerstören oder anderes Unheil verursachen (Spr 27,5). Hält jemand Zurechtweisung oder wichtige Wahrheiten (z. B. vor Gericht) zurück, kann er sich mitschuldig machen (3Mo 19,17; Spr 31,8f.; 1Tim 5,20). 

In anderen Fällen, so deutet es die Bibel an, empfiehlt es sich jedoch zu schweigen:

  1. Wenn man nichts Konstruktives zu sagen hat (Spr 24,7).
  2. Wenn man sich in einen Streit einmischt, der einen nichts angeht (Spr 26,17).
  3. Wenn man Lästereien weitergibt oder darauf reagiert (Spr 25,9f.; Pred 7,21f.).
  4. Wenn man jemanden zurechtweist, der solchen Rat ablehnt (Spr 9,7-9).
  5. Wenn man im Zorn redet (Spr 12,16; 30,32); f) wenn man Geheimnisse weitergibt (Spr 11,13; 20,19). Darüber hinaus ist es natürlich ratsam, immer dann zu schweigen, wenn es andernfalls zu einer oben genannten Sünde kommen würde. Grundsätzlich sollte das Reden auf das absolut Notwendige begrenzt werden (Eph 4,29).

Schweigen allein ist allerdings für gute Kommunikation nicht ausreichend. Auch das aktive Zuhören spielt eine wichtige Rolle in zwischenmenschlichen Beziehungen. So soll man genau zuhören bevor man eine Antwort gibt (Spr 18,13).39Vgl. Bühlmann, Reden, 196-202. Dies impliziert, dass man dem Gesprächspartner nicht ins Wort fällt, während er redet. Das Hinhören ist eine wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Miteinander. Es drückt Respekt und Akzeptanz gegenüber dem Mitmenschen aus, der dadurch mit seinen Argumenten und Bedürfnissen ernst genommen und gewürdigt wird. Denn nur wer seinem Gegenüber genau zuhört und die Vielschichtigkeit seiner Nachricht beachtet, kann schließlich eine angemessene Antwort geben. So können Missverständnisse vermieden und gegenseitiges Vertrauen gestärkt werden. 

Ebenso impliziert das Zuhören auch die Offenheit für Zurechtweisung und Kritik (Spr 18,15): „Ein kluger Mensch spitzt ständig die Ohren, um noch mehr zu lernen.“ Wer nicht fähig ist, sich von anderen belehren zu lassen, wird als Tor bezeichnet (Spr 10,8; 12,1; 15,31). Ein Mensch hingegen, der aufmerksam auf guten Rat hört, wird im Sprüchebuch mit goldenem Schmuck verglichen (25,12). Einsichtigkeit, Lernbereitschaft und das aktive Suchen nach guten Ratschlägen wird hier allgemein sehr hoch angesehen (3,11; 10,17; 15,22; 24,6).

Zum richtigen Schweigen und Zuhören gehört schließlich der richtige Zeitpunkt des Redens (Spr 15,23): „An einer richtigen Antwort hat jeder Freude; wie gut ist es, zum richtigen Zeitpunkt das Rechte zu sagen!“ So kann z. B. eine zwar richtige und notwendige Kritik zu einem unangemessenen Zeitpunkt unangebracht sein und Schaden anrichten. Ein Wort kann seine Wirkung nur erzielen, wenn es zur rechten Zeit, am richtigen Ort und bei der richtigen Situation ausgesprochen wird (Spr 12,16.23; 25,11).  Dies erfordert allerdings besonderes Feingefühl und außerordentliches Geschick. Die Fähigkeit, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, wird daher als besonderes Merkmal von Weisheit angeführt.   

3. Das Fördern positiven Sprechens

Nach den Ausführungen über das negative Sprechen und das richtige Schweigen bleibt zuletzt die Frage offen, wie man denn „richtig“ redet.40Um Wiederholungen zu den bereits oben genannten Arten des positiven Sprechens zu vermeiden, werden hier nur die bisher unerwähnten Aspekte angesprochen. Grundsätzlich gilt auch hier nicht der Anspruch der Vollständigkeit.

Nicht nur die Bibel weiß zu diesem wichtigen Thema etwas zu sagen. Drei zentrale Grundregeln, die in der Bibel ihre Bestätigung finden, werden schon vom griechischen Philosophen Sokrates (469-399 v. Chr.) sehr pointiert formuliert:

  1. Wahrheit: Ist das, was man sagen will, mit Sicherheit wahr (Eph 4,25)?
  2. Güte: Ist das, was man sagen will, gut (Spr 15,23)?
  3. Notwendigkeit: Muss das, was man sagen will, unbedingt gesagt werden (Eph 4,29)?41Vgl. http://www.zeitblueten.com/news/1089/die-drei-siebe-des-sokrates/ vom 22.05.2012. Hier finden sich die „drei Siebe“ des Sokrates.

Diese drei „Siebe“ des Sokrates sowie weitere wichtige Leitlinien in Bezug auf gute zwischenmenschliche Kommunikation sollen hier kurz erläutert werden:

Die Wahrheit bzw. Ehrlichkeit ist ein wesentliches Kennzeichen biblischer Kommunikation. Zwar muss nicht immer all das gesagt werden, was wahr ist, aber all das, was man sagt, sollte der Wahrheit entsprechen. Wahrheit meint in diesem Fall zunächst einmal eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, eines Tatbestands oder einer anderen Sachlage. Sach 8,16 sagt: „Das ist’s aber, was ihr tun sollt: Rede einer mit dem andern Wahrheit.“

Eng damit verbunden, jedoch etwas weiter gefasst, sind Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit. Diese beiden Tugenden sind wichtige Merkmale persönlicher Integrität. Sie richten sich nicht nur auf den Inhalt des Gesagten, sondern implizieren auch die dahinterliegenden Absichten und Motive sowie das Handeln im Allgemeinen. All das muss mit dem Gesagten vollkommen übereinstimmen. Weder Falschheit, List, Manipulation, Verdrehung, Verschleierung noch Vertuschung usw. darf in irgendeiner Weise darin enthalten sein. In Ps 12,3 kritisiert David die Unaufrichtigkeit: „Einer belügt den anderen. Sie schmeicheln einander, doch ihre Herzen sind nicht aufrichtig.“ Und in Hi 33,3 ist Hiob von seinem richtigen Handeln überzeugt: „Ich rede mit aufrichtigem Herzen, klar und wahr, sage nur das, was ich weiß.“

Auch die Freundlichkeit ist ein wichtiges Merkmal guter Kommunikation. Ohne Wohlwollen, Respekt und Anerkennung dem Gesprächspartner gegenüber ist ein konstruktives Miteinander nicht möglich. Hierbei spielen natürlich besonders die nonverbalen Aspekte der Kommunikation eine wesentliche Rolle. Dennoch sollte man auch Inhalt und Tonfall des Gesagten nicht unterschätzen. Gute und liebevolle Worte können viel bewirken. So heißt es in Spr 16,24: „Freundliche Worte sind wie Honig – tröstend für die Seele und gesund für den Körper.“ Sie stärken das Miteinander, sind auf das Wohl des anderen bedacht, können trösten und erbauen und sind vollkommen frei von tadelnswerten Absichten (Spr 12,25; 15,26; Kol 4,6; 1Thess 5,11). 

Zur Freundlichkeit gehört auch die Empathie, die nicht nur das Wahrnehmen der Gedanken, Gefühle und Motive des Gegenübers meint, sondern auch die angemessene Reaktion auf diese impliziert. Hier gilt es zunächst einmal, Offenheit, Verständnis und aufrichtiges Mitgefühl auszudrücken (Röm 12,5; 1Pet 3,8). In bestimmten Fällen kann und sollte man dem Gesprächspartner in seinen Emotionen begegnen. So kann man ihn in seiner Trauer trösten (Spr 12,25) – selbst wenn dies durch Schweigen geschieht – oder ihn in seiner Wut besänftigen (Spr 15,1). Dabei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass man die Gefühle ernst nimmt und nicht ablehnt oder wegredet. Darüber hinaus kann die Empathie nicht nur unterstützende Worte finden, sondern gegebenenfalls auch Handlungsimpulse auslösen, die Hilfsbereitschaft und Beistand ausdrücken (Eph 4,32).

Darüber hinaus sind Ermutigung und Lob zwei wichtige Bestandteile positiven Sprechens. Dies wird gerade unter Deutschen, die als Volk von Kritikern gelten, sehr unterschätzt. Hier lebt man eher nach dem Motto: „Nicht geschimpft ist gelobt genug.“ Es geht hier nicht um Schmeicheleien oder das erzwungene Lob, bevor man zum Negativen übergeht, sondern um die ehrliche und mutmachende Wertschätzung und Anerkennung des Gesprächspartners als Person, aber auch seiner Leistungen, Gaben und Fähigkeiten. Solche Worte sind auf das Wohl des Anderen bedacht, wollen ihn erfreuen, auferbauen, fördern und herausfordern (Spr 15,23; Jes 50,4). Dazu gehört eine aufmerksame und geduldige Haltung, die das Positive des Gegenübers und seiner Handlungen wahrnimmt und dieses schließlich auch als solches benennt (Eph 4,2; 1Thess 5,14).

Zur Ermutigung gehört auch die geistliche Perspektive: die Erbauung (Eph 4,29; Kol 4,6; 1Thess 5,11). Das, was man sagt, soll seinen Nächsten zum Segen werden, indem es ihn ermutigt, treu und standhaft seinen Glauben zu leben. Es soll ihn an Gottes Wahrheiten und Verheißungen erinnern und ihm helfen, Jesus immer ähnlicher zu werden. In Röm 12,8 wird dies sogar als besondere geistliche Gabe herausgestellt. 

Darüber hinaus ist daran auch die Ermahnung gekoppelt (Röm 15,14). Hierbei ist zum einen an allgemeine Erinnerungen an das Evangelium sowie biblische Gebote und Handlungsanweisungen gedacht (z. B. Kol 1,28; 2Tim 1,6; Tit 3,2 usw.). Bei konkretem Fehlverhalten meint dies allerdings auch die klare Zurechtweisung des Sünders. Dies soll zunächst in einem Gespräch unter vier Augen geschehen. Erst, wenn der Bruder oder die Schwester keine Einsicht zeigen, sollen zwei oder drei weitere Geschwister miteinbezogen werden. Stößt man dann jedoch weiterhin auf Ablehnung, soll die Sache vor die Gemeinde gebracht werden. Falls diese Ermahnung auch erfolglos bleibt, ist ein Ausschluss aus der Gemeinde erforderlich (Mt 18,15-20). 

Grundsätzlich sollte jede Zurechtweisung in Liebe geschehen. Denn Wahrheit ohne Liebe ist grausam und unbarmherzig. Dennoch sollte man die Wahrheit in einem solchen Fall niemals aus vermeintlicher Liebe zurückhalten. Dies ist lediglich ein egoistisches Streben nach Harmonie, das dabei zusieht, wie der Nächste in die Irre läuft. Ein solches Verhalten wird in Hes 3,18 sehr deutlich zurückgewiesen: „Wenn ich zum Gottlosen sage: ‚Du musst sterben‘, und du gibst diese Warnung nicht an ihn weiter und redest nicht mit ihm, um ihn von seinen bösen Taten abzubringen, damit er am Leben bleibt, dann wird er wegen seiner Sünde sterben, doch ich werde dich für seinen Tod zur Verantwortung ziehen.“

Die konstruktive Kritik ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsbildung und Charakterentwicklung des Menschen (Spr 27,17): „Wie man Eisen durch Eisen schärft, so schleift ein Mensch den Charakter eines anderen.“ Hierbei ist nicht nur an die Zurechtweisung im Falle einer Sünde gedacht, sondern an die allgemeine gegenseitige Kritik, die eine Chance zur persönlichen Weiterentwicklung auf allen möglichen Ebenen bietet.42Vgl. Kessler, Kritisieren, 5f. Wichtige Grundlagen einer konstruktiven Kritik sind die gegenseitige Wertschätzung und eine grundsätzliche Offenheit, die Entscheidungen, Handlungen und Absichten des Gegenübers zu hinterfragen. In der Praxis ist es jedoch nicht immer leicht, Kritik zu äußern, die tatsächlich weiterhilft und nicht nur verletzt und dem andern schadet. Daher sollte man dabei auf folgende Dinge achten:43Vgl. a.a.O., 52. 

  1. Die Kritik möglichst zeitnah äußern, aber nie am gleichen Tag.
  2. Auf die emotionale Stabilität des Kritisierten achten, bevor man die Kritik äußert.
  3. Nur über den konkreten Vorfall sprechen.
  4. Konkrete Verbesserungsvorschläge und Wünsche benennen anstatt nur das Negative äußern; e) auf eine klare Trennung zwischen Gefühlen und Urteilen achten.

Dabei gilt grundsätzlich (Spr 28,23): „Wer einen anderen zurechtweist, wird letzten Endes mehr Dank bekommen als jemand, der den Leuten nur nach dem Mund redet.“

Zum rechten Reden gehört auch KlarheitVerständlichkeit und Prägnanz. Wer viel Wichtiges zu sagen hat, braucht wenig Worte und verzichtet dabei auf Füllwörter und inhaltslose Floskeln. Umständliches, ungenaues und vor allem weitschweifiges Reden passt nicht zur Weisheit, die kurz und präzise den wesentlichen Kern der Sache anspricht (Pred 10,12-15).44Hiob und seine Freunde beschuldigen sich gegenseitig zu viele Worte zu verwenden (Hi 15,2; 16,3; 18,2; 19,2). Ebenso sollte man vermeiden, sich möglichst kompliziert und intellektuell abgehoben auszudrücken.45Baker, Speech-Ethics, 29: Der normale Mensch denkt, dass es weise ist, sich möglichst kompliziert auszudrücken, aber der wirklich weise Mensch weiß, dass Weisheit durch Einfachheit charakterisiert ist. Auch sehr komplexe Sach-verhalte können durchaus einfach und verständlich ausgedrückt werden, ohne sofort primitiv zu sein (Spr 18,4).46Auch wenn viele seiner Taten über das menschliche Fassungsvermögen hinausgehen, hat Gott selbst sich immer darum bemüht, Sprache zu vermeiden, die für die Menschen schwer zu verstehen ist. So ist z. B. das NT in Umgangssprache geschrieben.  Hierzu gehört auch, dass man das Gegenüber nicht durch ambivalente und missverständliche Äußerungen oder durch verschleierte bzw. nicht klar markierte rhetorische Mittel in die Irre führt (Spr 8,9). Um Letztere wirklich sinnvoll und effizient zu anzu-wenden, ist immer ein besonderes Feingefühl erforderlich.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt des guten Redens bezieht sich darauf, kontrolliert und bedacht zu sprechen. Dies knüpft nicht nur an den bereits erwähnten Aspekt der Sparsamkeit der Rede an, sondern meint auch Wortwahl, Tonfall und nonverbale Kommunikation. „Erst denken – dann reden“ ist in dieser Beziehung ein Leitgedanke, der in der Bibel bestätigt wird (Spr 15,28): „Der Gottesfürchtige denkt, bevor er redet; der Gottlose aber platzt mit kränkenden Worten heraus.“ Dabei liegt die besondere Herausforderung darin, sich nicht zu sehr von seinen (negativen) Gefühlen leiten zu lassen (wie z. B. Wut) und diese in seiner Kommunikation ungebremst zu manifestieren (Spr 29,11). 

Dazu gehört auch ein verantwortungsvolles Reden, das mögliche Konsequenzen des Gesagten im Blick hat – für einen selbst, das Gegenüber und den Sachverhalt. Etwas, das einmal gesagt wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden. Verletzungen, die durch Worte entstanden sind, können zwar verheilen und entschuldigt, aber nicht ungeschehen gemacht werden (Spr 12,18). Jeder Mensch sollte sich daher darum bemühen, die Folgen eigener Worte abzuschätzen und dementsprechende weise Entscheidungen zu treffen. Worte haben eine zu große Macht, als dass man leichtfertig mit ihnen umgehen sollte (Spr 18,21). So wird jeder Mensch letztendlich auch für sie zur Rechenschaft gezogen (Mt 12,36f.): „Aber das sage ich euch: Am Tag des Gerichts werden die Menschen sich verantworten müssen für jedes unnütze Wort, das sie gesprochen haben. Aufgrund deiner Worte wirst du dann freigesprochen oder verurteilt werden.“

Grundsätzlich gilt: Weise Kommunikation kann niemals auf Wortwahl und Inhalt des Gesagten begrenzt werden – auch wenn dies sicherlich dazugehört. Immer fragt die Bibel dabei auch nach den dahinterliegenden Absichten und Einstellungen. Durch  sie  können  auch  prinzipiell  untadelige Aussagen  zum Fehlverhalten werden (Spr 26,24). Dies beschränkt sich jedoch nicht nur darauf, das Gegenüber durch seine Worte zu manipulieren oder ihn für seine Zwecke zu benutzen. Vielmehr geht es auch darum, dass man das Gegenüber als gleichwertigen und von Gott geliebten Menschen anspricht und ihm mit Liebe und Respekt begegnet (Röm 12,10). Ohne diese Voraussetzung ist gottgefällige Kommunikation nicht möglich.

III. Fazit

In Jak 3,2 heißt es: „Wir alle sind in vieler Hinsicht fehlerhafte Menschen. Wer nie ein verkehrtes Wort redet, ist ein vollkommener Mensch; er ist fähig, auch seinen ganzen Leib im Zaum zu halten.“ Dieser Vers macht sehr gut deutlich, wie schwer es ist, seine Zunge unter Kontrolle zu halten. Während man in Bezug auf das negative Sprechen einige Aspekte ausdrücklich als unethisch kennzeichnen kann, fällt es  schwer, allgemeingültige Richtlinien in Bezug auf das positive Sprechen aufzustellen. So bleibt ethisch angemessenes Reden etwas, das nur vage definiert werden kann, da es von zu vielen situationsbezogenen Kriterien abhängig ist. Dennoch sollte jeder Mensch seine Kommunikation mit Gottes Hilfe immer wieder korrigieren und transformieren. Ps 141,3 kann dabei zu seinem Gebet werden: „Herr, gib Acht auf das, was ich rede, und wache über meine Lippen!“ 

© 2012 Institut für Ethik & Werte

Eva Dittmann PhD

Eva Dittmann PhD

Dozentin am Theologisches Seminar Rheinland

Endnoten

  • 1
    Von daher verweist sie auch auf den engen Zusammenhang zu den inneren Haltungen des Menschen, die durch das Gesagte widergespiegelt werden.Vor allem im Buch der Sprüche wird dieser Zusammenhang durch den parallelen Satzaufbau sehr deutlich: ein Teil spricht vom Inneren des Menschen, der andere von dem Gesagten (vgl. z. B. Spr 10,20; 12,20; 13,1; 15,28).
  • 2
    Vgl. Baker, Speech-Ethics, 42.
  • 3
    Vgl. Thun, Miteinander Reden 1, 27-33.
  • 4
    Hierbei sei auf das „Grundgesetz“ der Kommunikation verwiesen: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick, Kommunikation).
  • 5
    Vgl. für die verschiedenen Kommunikationsstile von Thun, Miteinander reden 2.
  • 6
    Kein Anspruch auf Vollständigkeit!
  • 7
    Für 60% der Befragten  ist Ehrlichkeit besonders wichtig: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/805/umfrage/wichtigste-werte-im-leben/ vom 24.05.12.
  • 8
    Vgl. Hettlage, Lügengesellschaft, 9
  • 9
    Vgl. z. B. die Schlange (Gen 3), Kain und Abel (Gen 4,9), Abraham (Gen 12,10ff.; 20,1ff.; 26,7ff.); Jakob und Esau (Gen 27); die Frau Potifars (Gen 39); Hananias und Saphira (Apg 5,1-11) usw. Vgl. auch Klopfenstein, Lüge.
  • 10
    Andere wesentliche Belegstellen sind: Ex 23,1; Lev 19,11; Dtn 19,18; Ps 101,7; Hos 4,2; Mt 5,11; 1Tim 1,10 usw.
  • 11
    In der Geschichte gibt es dazu keine einheitliche Meinung. So finden zum einen diejenigen, die die Lüge kategorisch ablehnen, selbst wenn dadurch Leben gerettet werden könnte. Hierzu gehören z. B. der Kirchenvater Augustin und Immanuel Kant (vgl. Schockenhoff, Lüge, 43-64 und 98-108). Für beide steht fest, dass es niemals eine Rechtfertigung dafür gebe kann, bewusst die Unwahrheit zu sagen. Der Kirchenvater Chrysostomos hingegen sah im Lügen eine besondere Kunst, die erst durch falsche Absichten zur Untugend wurde (vgl. a.a.O., 44). Diese Position wird heute nicht selten vertreten. So setzt sich die Philosophin Simone Dietz, die derzeit wohl eine der bekanntesten Expertinnen in diesem Gebiet ist, für die Einordnung der Lüge als eine zunächst „moralisch neutrale Fähigkeit“ ein, die allerdings in bestimmten Situationen von Wert sein kann (Vgl. Dietz, Lüge).
  • 12
    Bedauerlicherweise fehlt hier der Rahmen, um die Definition der Lüge im Detail zu diskutieren. Für tiefergehende Betrachtungen der Lüge sei hier auf die bibliographischen Angaben am Ende verwiesen (siehe besonders: Schockenhoff, Lüge; Leonhardt, Lügen und Müller, Lüge). 
  • 13
    Weitere biblische Beispiele der Lüge zur Lebensrettung: die Hebammen des Pharaos (2Mo 1,15-21; die Familie Moses (2Mo 2,3-9); David stellt sich wahnsinnig (2Sam 21,1-16) usw. (vgl. Schirrmacher, Ethik III, 62).
  • 14
    Dabei geht es nicht darum, dass sie den für sich angenehmsten Weg gewählt hat. Schließlich hat sie sich selbst durch ihre Lüge mehr in Gefahr gebracht, als wenn sie die Wahrheit gesprochen hätte. 
  • 15
    Fest steht, dass Gott keineswegs davon abhängig war, dass Rahab die Kundschafter in Schutz genommen hatte.
  • 16
    Ebenso kann man durch rhetorisches und diplomatisches Geschick bei der Wahrheit bleiben und Schuld abwenden. So hat man im Dritten Reich behauptet, man hätte die Juden „unter dem Tisch versteckt.“ Dabei war tatsächlich unter dem Tisch der Eingang zum Kellerversteck für die Juden.  
  • 17
    Vgl. weitere Stellen: Dtn 5,20; Ps 27,12; Spr 6,19; 12,17; 14,5; 19,5.9; 25,18.
  • 18
    Hettlage, Lügengesellschaft, 35. 
  • 19
    Sara ist seine Halbschwester.
  • 20
    In beiden Fällen plagt Gott die Männer, die zu Sara eingehen wollen (Gen 12,17; 20, 3-7).
  • 21
    Weitere Stellen: 4Mo 12,1-2 (Miriam/Aaron gegen Mose); 5Mo 22,13f. (Mann gegen seine Frau); 2Sam 19,28; Ps 15,3; 101,5; Spr 10,18; 11,13; 20,19; 30,10; Jer 6,23; 9,3; Hes 22,9; 1Tim 3,1; Tit 2,3; Jak 4,11.
  • 22
    Die Verbreitung solcher Gerüchte beschleunigt sich dabei durch Sensationsgrad, Stellung des Betroffenen und andere Aspekte. Schadenfreude und der Ausdruck moralischer Entrüstung bleiben selten aus. 
  • 23
    Um etwa 700 v. Chr. setzte Hesiod sich mit dem Phänomen des Gerüchts auseinander. Mit aller Leidenschaft warnt er vor dem Gerede der Menschen, das man zwar leicht erwirbt, aber nur mit Mühe wieder los wird. Ihm war bewusst, dass das Gerede niemals völlig zugrundegehen kann, da es in den Menschen weiterlebt. Auch viele andere Autoren innerhalb der griechischen und lateinischen Geschichte sprechen über das Thema der Gerüchte (vgl. dazu Gall, Monstrum, 24-43)
  • 24
    Vgl. http://www.torah.org/learning/halashon/chapter10.html vom 24.05.12. Ähnliches findet sich dabei durchaus schon in der Bibel. In Mt 18,15-17 gibt Jesus Anweisungen im Hinblick auf eine angemessene Zurechtweisung in der Gemeinde.
  • 25
    Keineswegs muss man dem Gegenüber dabei etwas zu persönliches Anvertrauen oder ihm ohne Liebe die Wahrheit ins Gesicht sagen. Mit etwas Geschick kann man das Gespräch auch hier ehrlich und dennoch der Beziehung angemessen beenden. 
  • 26
    Weitere Belegstellen, in denen Prahlerei verboten ist oder negativ konnotiert wird: Ri 7,2; 2Kö 19,28; Ps 12,5; Spr 25,14; Jes 10,16; Zep 3,11; Röm 1,30; 1Kor 4,7; Gal 6,13; 2Tim 3,2 usw. In 2Kor 10,17 steht: „Wer sich rühmen will, der rühme das, was Gott getan hat.“
  • 27
    Vgl. Holthaus, Lachen, 47f.
  • 28
    Vgl. http://www.bild-der-wissenschaft.de/bdw/bdwlive/heftarchiv/index2.php?object_id=10093707 vom 24.05.2012 (leider nicht mehr online verfügbar).
  • 29
    In solchen Fällen ist es wahrscheinlich das Beste, die Unterhaltung zu unterbrechen oder sie sogar zu verlassen. 
  • 30
    Hierbei gibt es verschiedene Arten: Fäkalsprache (Verunreinigung, Körperausscheidung und Ekel); Sexualsprache (Genitalien, Sexualverkehr, Prostitution); Tiernamen; geschlechtliche, körperliche und geistige Merkmale und Mängel; Schwäche und Unfähigkeit; Rassismus; usw. (vgl. dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Schimpfwort vom 24.05.2012.
  • 31
    Schimpfwörter: 1Sam 25,22; 2Kön 18,27; Ps 96,5; Spr 30,12; Hes 23,20; Mt 3,7; 12,37; 23,33; Lk 3,7 usw. Verbot: Ps 15,3; 34,14; 140,12.
  • 32
    Die einzige Stelle, die dazu passen könnte, ist Phil 3,8, in der Paulus alles andere als „Dreck“ bezeichnet im Vergleich zur Erkenntnis Jesu. 
  • 33
    Vgl. Schirrmacher, Ethik IV, 124.
  • 34
    Jesus gebraucht hier vor allem die Schwurformel „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch...“
  • 35
    Vgl. Schirrmacher, Ethik, IV, 112-116.
  • 36
    Vgl. a.a.O., 134-144.
  • 37
    Z. B. Jammerei, Maulerei, (destruktive) Kritik, Quengelei, „Erbsenzählerei“, Bedenkenträgerei, Klagerei usw. 
  • 38
    In Spr 19,13 heißt es: „Eine nörgelnde Frau ist so unerträglich wie das ständige Tropfen durch ein undichtes Dach.“
  • 39
    Vgl. Bühlmann, Reden, 196-202.
  • 40
    Um Wiederholungen zu den bereits oben genannten Arten des positiven Sprechens zu vermeiden, werden hier nur die bisher unerwähnten Aspekte angesprochen. Grundsätzlich gilt auch hier nicht der Anspruch der Vollständigkeit.
  • 41
    Vgl. http://www.zeitblueten.com/news/1089/die-drei-siebe-des-sokrates/ vom 22.05.2012. Hier finden sich die „drei Siebe“ des Sokrates.
  • 42
    Vgl. Kessler, Kritisieren, 5f.
  • 43
    Vgl. a.a.O., 52. 
  • 44
    Hiob und seine Freunde beschuldigen sich gegenseitig zu viele Worte zu verwenden (Hi 15,2; 16,3; 18,2; 19,2).
  • 45
    Baker, Speech-Ethics, 29: Der normale Mensch denkt, dass es weise ist, sich möglichst kompliziert auszudrücken, aber der wirklich weise Mensch weiß, dass Weisheit durch Einfachheit charakterisiert ist.
  • 46
    Auch wenn viele seiner Taten über das menschliche Fassungsvermögen hinausgehen, hat Gott selbst sich immer darum bemüht, Sprache zu vermeiden, die für die Menschen schwer zu verstehen ist. So ist z. B. das NT in Umgangssprache geschrieben. 

Bibliografie

Baker, William R., Personal Speech-Ethics in the Epistle of James (WUNT, 2. Reihe, 68), Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1995.

Bühlmann, Walter, Vom rechten Reden und Schweigen: Studien zu Proverbien 10-31 (OBO 12), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1976.

Dietz, Simone, Der Wert der Lüge: Über das Verhältnis von Sprache und Moral, Paderborn: mentis Verlag, 2002.

Gall, Dorothee, „Monstrum horrendum ingens – Konzeptionen der fama in der griechischen und römischen Literatur“, in: Jürgen Brokoff / Jürgen Fohrmann u. a., Die Kommunikation der Gerüchte, Göttingen: Wallstein Verlag, 2008,24-43.

Hettlage, Robert, „Vom Leben in der Lügengesellschaft“, in: Robert Hettlage (Hg.), Verleugnen, Vertuschen, Verdrehen: Leben in der Lügengesellschaft, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2003, 9-49.

Holthaus, Stephan, Das Lachen der Erlösten: Warum Glaube und Humor zusammengehören, Basel: Brunnen Verlag, 2003.

Kessler, Volker, Kritisieren ohne zu verletzen: Lernen von den Sprüchen Salomos, Gießen: Brunnen, 2005.

Klopfenstein, Martin A., Die Lüge nach dem Alten Testament: Ihr Begriff, ihre Bedeutung und ihre Beurteilung, Zürich: Gotthelf Verlag, 1964.

Leonhardt, Rochus / Martin Rösel (Hg.), Dürfen wir Lügen: Beiträge zu einem aktuellen Thema, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2002.

Müller, Jörn / Hanns-Gregor Nissing (Hg.), Die Lüge: Ein Alltagsphänomen aus wissenschaftlicher Sicht, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2007.

Schirrmacher, Thomas, Ethik, 7 Bände, Bd. 3: Das Gesetz der Freiheit: Die Differenzierung von Gottes Willen, Bd. 4: Das Gesetz der Freiheit: Das AT im NT, Sexualethik, Hamburg, Reformatorischer Verlag Beese, 2002.

Schockenhoff, Eberhard, Zur Lüge verdammt: Politik, Justiz, Kunst, Medien, Medizin, Wissenschaft und die Ethik der Wahrheit, 2. erweiterte Auflage, Freiburg: Herder Verlag, 2005.

Thun, Friedemann Schulz von, Miteinander Reden, 3 Bände, Bd. 1: Störungen und Klärungen: Allgemeine Psychologie der Kommunikation, 48. Aufl., Bd. 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung: Differenzielle Psychologie der Kommunikation, 32. Aufl., Berlin: Rowohlt Verlag, 2010.